Europa, die USA und Japan sehen sich mit stagnierenden Preisen konfrontiert. Überraschenderweise gilt das auch für China, wo die Gehälter in den vergangenen Jahren jeweils im fast zweistelligen Bereich angestiegen sind. Dazu kommt, dass Chinas Wirtschaft – in absolutem BIP-Wachstum gerechnet – im laufenden Jahrzehnt (2011 bis 2015) doppelt so schnell wächst als von 2001 bis 2010. Deswegen würde man erwarten, dass auch die Erzeugungskosten genauso wachsen wie die Lohnkosten und die Wirtschaft.
Erzeugerpreisindex rückläufig
Paradoxerweise geht aber der Erzeugerpreisindex (PPI) seit 2011 Jahr für Jahr zurück (siehe Abb. 1). Der PPI-Index hält die Entwicklung des Durchschnittspreises von Waren fest, die von den Fabriken verkauft werden. Die durchschnittlichen Preise, die in China an die Produzenten gezahlt wurden, waren Ende 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 3,3 Prozent gesunken. Im gerade begonnenen Jahr des Schafes werden die Preise laut UBS um weitere 2,6 bis 3,2 Prozent fallen. Eine langsame Weltwirtschaft hat die Nachfrage gebremst, was sich in den niedrigeren Erzeugungskosten ausdrückt. Ein Hauptfaktor für die sinkenden Kosten in den vergangenen Monaten waren sicherlich Waren- und Rohstoffpreise. Dennoch erklären die geringen Warenpreise nicht den seit 2011 anhaltenden Rückgang der Erzeugungskosten.
Der Erzeugerpreisindex ist heute auf demselben Level wie 2008. Noch überraschender ist, dass die Erzeugerpreise seit dem Jahr 1996 (das Ausgangsjahr des Indexes) nur um 16,4 Prozent gewachsen sind. Gerade in Zeiten, in denen Controlling und Kostenreduzierung für Unternehmen so wichtig sind, um Gewinnmargen zu behalten, ist der Erzeugerpreisindex ein bedeutendes, oft aber übersehenes Element der chinesischen Wirtschaft.
Unkontrollierbare externe Faktoren spielen heutzutage eine starke Rolle. Man denke an die Währungsaufwertung, die die Waren von Schweizer Unternehmen auf internationalen Märkten auf einen Schlag um 15 Prozent verteuert haben. Gerade deswegen erscheint es besonders wichtig, diese Entwicklungen in China zu versehen. Wie sind diese paradoxen Entwicklungen zu erklären?
Explodierende Lohnkosten
Die explodierenden Lohnkosten tun Chinas Konkurrenzfähigkeit keinen Abbruch. Ein erster wichtiger Punkt: Von 2006 bis 2014, in nur acht Jahren, die unter anderem die schlimmste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg umfassten, haben sich Chinas durchschnittliche Löhne in der Fertigung verdreifacht (siehe Abb. 2).
Diese explodierenden Lohnkosten werden oft als entscheidender Punkt für Chinas allgemeine Wirtschaftsentwicklung und Konkurrenzfähigkeit gesehen. Es wird darauf geschlossen, dass China seinen Höhepunkt als Produktionsstandort bereits überschritten hat. Internationale Unternehmen, die die Produktion in neue Billiglohnländer oder zurück in den Heimatmarkt verlagern, werden als Beispiele dafür präsentiert, dass Chinas Konkurrenzfähigkeit erodiert.
Sporadische Berichte über Arbeitskräftemangel in Chinas Küstenregionen werden in den Mittelpunkt gerückt. Die Deutung: Die Gegebenheiten des Marktes führen zum Anstieg der Lohnkosten, was wiederum Chinas Konkurrenzfähigkeit an seine Grenzen bringt. Deswegen glauben viele Beobachter, dass sich Unternehmen nach neuen, mehr profitträchtigen Produktionsstandorten umsehen müssen.
Die meisten dieser Berichte und Analysen übersehen das Faktum, dass die Löhne in der Fertigung vor allem deswegen wachsen, weil die Regierung die Mindestlöhne anhebt (siehe Abb. 3). Das ist Teil von Chinas Strategie, den Inlandsverbrauch zu fördern. Tatsächlich wächst der Inlandsverbrauch nämlich dann am stärksten, wenn die Niedrigverdiener etwas mehr zum Ausgeben in der Tasche haben. Die Mehrverdiener tendieren öfter dazu, einen grösseren Teil ihres Gehalts zu sparen. Dazu kommt, dass Chinas Mittelklasse heute immer noch eine Minderheit der Konsumenten ausmacht. Erhöht man die Kaufkraft der Mittelklasse, erzielt man deswegen nicht den optimalen Effekt für Gesamtkonsumation im Land.