ICT & Technik

Cloud-Telefonie

Virtuelle Telefonanlagen haben Vorteile – aber auch noch Unzulänglichkeiten

Auch Telefonanwendungen können über Cloud Computing betrieben werden. Die virtuelle Bereitstellung von Telefonanlagen kann wegen seiner vergleichsweise geringen Kosten und hohen Flexibilität durchaus auch für den Mittelstand interessant sein. Dennoch gilt es auch, mögliche Nachteile zu beachten.
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Cloud Computing ist nach wie vor das Thema Nummer eins – der zukunftsweisende IT-Trend, auch für den Mittelstand. Wurden bislang insbesondere CRM-, ERP- und CMS- Lösungen sowie Online-Shops oder Social-Media-Angebote in die Cloud ausgelagert, ist es seit einiger Zeit auch möglich, Telefonie­anwendungen in der Wolke zu betreiben. Die Rede ist von «IP Centrex», «Hosted PBX» oder auch «Virtual Phone». Dabei werden Telefonanlagen virtuell über einen Anbieter bereitgestellt und vom Anwender gemietet. Um zu telefonieren, muss das Anwenderunternehmen dann nur noch ein geeignetes Endgerät – ein IP-Telefon – über ein Ethernet-Kabel an das Firmennetzwerk anschliessen.

Administration über das Web

Die technischen Voraussetzungen, um die Telefonie in die Cloud auslagern zu können, sind denkbar einfach: Man braucht nur eine schnelle und stabile Internetverbindung – nach Möglichkeit eine symmetrische DSL-Leitung (SDSL) für gleichgrosse Down- und Upload-Bandbreiten – sowie ein IP-Telefon. Eine virtuelle Telefonanlage eignet sich insbesondere für filialisierte Unternehmen und für Konzerne, die durch Niederlassungen, Aussenbüros oder Teleworker verteilt sind. Zur Nutzung einer IP Centrex benötigt der Anwender ausser VoIP-fähigen Telefonen keine zusätzliche Hardware. Sowohl die virtuelle Telefonanlage als auch die damit verbundenen Services werden von den Providern auf Servern in grossen Rechenzentren bereitgehalten und on-Demand zur Verfügung gestellt. Zur unternehmensspezifischen Konfiguration der IP Centrex bieten die Provider in der Regel webbasierte Tools, sodass der Nutzer die Einrichtung der Telefonanlage bequem über den Web­browser durchführen kann. So ist das Anwenderunternehmen in der Lage, unabhängig vom Netzbetreiber Nebenstellen einzurichten, Ruf­umleitungen einzuschalten oder auch Melodien oder Ansagen für Warteschleifen hochzuladen. Wird vom Unternehmen ein Zugriff auf die Konfigurationswerkzeuge eingeräumt, können die Mitarbeiter z. B. auch ihren Anrufbeantworter individuell besprechen.

Flexibel und kosteneffizient

Neben der benutzerfreundlichen Einrichtung, Konfiguration und Administration der virtuellen Telefonanlage über den Webbrowser bietet Cloud-Telefonie eine Reihe weiterer Vorzüge. Als wohl grösster Vorteil ist neben der besonderen Flexibilität die Ortsungebundenheit zu nennen. Eine virtuelle Telefonanlage lässt sich schnell und unkompliziert erweitern. Um eine Nebenstelle einzurichten, muss der Anwender lediglich das IP-Telefon an eine Ethernet-Buchse anschliessen und den Dienst im Internet freischalten. Ist ein Anwender samt Rufnummer erst einmal registriert, kann er sich mit seinen Zugangsdaten an jedem IP-Telefon anmelden, das in das Netzwerk integriert ist – ganz egal, ob er sich an der Niederlassung in der Schweiz, Deutschland oder Hong Kong befindet («Hot Desking»).

Ein weiteres Argument, das für die Cloud-Telefonie in kleineren Unternehmen spricht, sind die geringen Kosten – verglichen mit dem finanziellen Aufwand, den Firmen für den Aufbau einer eigenen Telefonie-Infrastruktur betreiben müssen. Denn einige Anbieter erheben keine Monatspauschale, sondern rechnen pro eingerichteter Nebenstelle ab. Auch Kosten, die Anwenderunternehmen ansonsten für Hardware, Wartungspersonal und Wartungsvertrag bezahlen müssten, entfallen bei einer IP Centrex. So können auch kleinere Unternehmen innovative Business-Anwendungen nutzen, ohne vorab viel Geld zu investieren.

Innovative Features

Wer sich für eine IP Centrex entscheidet, erhält bei den meisten Anbietern nicht nur jene Features, die er von klassischen Telefonanlagen gewohnt ist, sondern kann auf eine Vielzahl von Funktionen zurückgreifen, die weit über den üblichen Standard hinausgehen. In der Regel bieten die Provider den Anwendern eine Benutzeroberfläche, die Kommunikationskanäle wie Telefonie, SMS, E-Mail und Instant Messaging integriert. Die Basisfunk­tionen einer virtuellen Telefonanlage umfassen beispielsweise Anklopfen, Rufumleitung, Rufweiterleitung auf eine Nebenstelle oder ein Mobiltelefon, Präsenzanzeige, Anruf halten und Fax-Integration.

Daneben ist auch der Zugriff auf das unternehmensweite Adressbuch und E-Mail-Postfächer gewährleistet. Mitarbeiter, die nicht den ganzen Tag an ihrem Schreibtisch sitzen, profitieren von der Option, einen Anruf parallel auf IP-Tischtelefon und Handy klingeln zu lassen. Für diese Mitarbeiter ist ausserdem der sogenannte «Toggle Button», der das Hin- und Herschalten vom IP-Telefon auf ein Mobiltelefon auch während eines Gesprächs ermöglicht, besonders praktisch. Denkbar ist auch eine ERP-Integration: Ruft ein Kunde an, bekommt der Anwender dessen Kontaktdaten samt den letzten Aktionen Bestellung, Kauf, Beschwerde oder Ähnliches – auf seinem IP-Telefon angezeigt.

Individuelles User Interface

Einige Hersteller von IP-Telefonen haben sich bereits seit geraumer Zeit auf die spezifischen Anforderungen der Cloud-Telefonie eingestellt und ihre Telefone kontinuierlich für diese Nutzung optimiert. Diese IP-Telefone sind optimal an die Services der Provider angepasst und bieten aus diesem Grund eine Reihe von Vorteilen: Die Präsenz- und Statusanzeige ist beispielsweise nur bei vollständiger Kompatibilität des Telefons mit dem Server des Providers möglich. Gleiches gilt für die Überwachung der Gesprächsqualität (Quality of Experience, kurz: QoE). Bei den Modellen von «snom» beispielsweise kann nicht nur das User Interface individuell an den Nutzer angepasst werden – die IP-Telefone haben auch einen XML-Minibrowser. Über den Minibrowser können Anwender sich Bilder, Texte, Menüs sowie Anruflisten darstellen lassen und LEDs ansteuern, Einstellungswerte verändern oder die Rufnummernunterdrückung ein- und ausschalten. Für die Entscheidung, IP-Tischtelefone anstatt Softphones zu nutzen, spielt ausserdem der psychologische Faktor, wie gewohnt ein Telefon auf dem Schreibtisch stehen zu haben, eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Juristisch nachbessern

Mögen die Vorzüge der Cloud-Telefonie auch sehr überzeugend klingen, so bestehen doch noch einige Unzulänglichkeiten, die Unternehmen bedenken sollten. Die Anbieter garantieren zwar eine Verfügbarkeit von 99,9 Prozent und halten die Telefonieanwendungen dafür redundant vor, aber dennoch ist ein Komplett­ausfall des Internets und damit auch der Telefonie denkbar – unwahrscheinlich, aber möglich. Unternehmen müssen sich auch im Klaren darüber sein, dass sie ihre geschäftskritischen Daten in fremde Hände geben. Nicht alle Länder haben ähnlich strenge Datenschutzbestimmungen wie die Schweiz oder Deutschland. Und liegen Unternehmensdaten erst einmal auf einer Serverfarm im Ausland, haben Firmen keinerlei Einfluss mehr auf deren Sicherheit. Nicht nur das komplette Firmen­adressbuch ist dann in der Cloud, sondern möglicherweise müssen Unternehmen auch bislang geschlossene IT-Systeme nach außen öffnen, um eine IP Centrex überhaupt in ihre bestehende IT-Landschaft integrieren zu können. Darum haben Provider die Pflicht und die Verantwortung, ihre Server bestmöglich gegen Angriffe von aussen zu schützen – sowohl was den Datendiebstahl als auch das Abhören von Gesprächen betrifft.

Technischer Verbesserungsbedarf besteht auch hinsichtlich des Notrufs, denn im Unglücksfall muss die geografische Position des Anrufers automatisch an Feuerwehr, Polizei oder Rettungsdienst übermittelt werden. Derzeit ist es leider nur möglich, den Namen der Firma beziehungsweise des Netzwerks und die IP-Adresse zu übertragen – jedoch nicht den exakten Standort des Verunglückten.

Ausblick

Sollten die nötigen gesetzlichen Regelungen für sicheres Cloud Computing geschaffen sein, wird Cloud Computing den IT-Markt nachhaltig verändern. Klassische IT-Servicemodelle wie Volumen- oder Konzernlizenzen schränken aufgrund der hohen Kosten viele Unternehmen in ihrer Softwarenutzung ein – anders beim Cloud Computing. Da dort Investitionen in Hardware und Softwarelizenzen entfallen und die benötigten Services ganz nach Bedarf bereitgestellt und berechnet werden, können selbst kleine Unternehmen, die nicht über ausreichende finanzielle Mittel für einen Eigenbetrieb verfügen, dennoch hochmoderne Business-Applikationen wie eine IP Centrex nutzen. Eine virtuelle Telefonan­lage ist benutzerfreundlich, überzeugt durch ­grosse Flexibilität und bietet eine Fülle von hilfreichen Funktionen.