Die folgenden Beispiele aus der Praxis beschreiben konkrete Situationen, in die KMU geraten können:
Know-how-Verlust beim externen Partner
Ein Unternehmen lässt sich von einem Kleinbetrieb mit drei bis vier Software-Entwicklern ein ERP-System implementieren. Die Stabilität des Systems wird immer schlechter und Zwischenfälle mit inkonsistenten Daten häufen sich. Der Kopf der Lösung bei der Partnerfirma hat das Unternehmen vor einiger Zeit verlassen, die verbliebenen Entwickler beherrschen die Komplexität des individuell aufgesetzten ERP-Systems nicht oder nur unzureichend.
Legacy-System verhindert Wachstum
Die Standardlösung eines Unternehmens entwickelt sich langsamer als das eigene dynamische Geschäftsmodell. Neue Kunden könnten gewonnen werden mit zusätzlicher Funktionalität. Das Unternehmen kauft den Quellcode und entwickelt diesen mit eigenen internen und externen Ressourcen weiter. Schnell können neue Lösungen angeboten werden. Hierfür müssen jedoch mehr und mehr Eingriffe in die grundlegenden Strukturen von Software-Architektur und Datenbankmodell gemacht werden. Die Anpassungen erfolgen dort, wo es am schnellsten und billigsten geht. Nach wenigen Jahren benötigen zwingende regulatorische Anpassungen immer mehr Aufwand und führen zu unabsehbaren Folgefehlern, welche aufwendig behoben werden müssen. Der Testaufwand steigt ins Unermessliche. Der externe Entwicklungspartner ist in der Defensive, Konflikte häufen sich und mit dem Ende der Partnerschaft stehen wichtige Wissensträger nicht mehr zur Verfügung.
Entwicklerstolz als Stolperstein
Eine Standardlösung existiert nicht. Das schnelle Wachstum des erfolgreichen Geschäfts macht eine digitalisierte Lösung unabdingbar. Zwei initiative Software-Entwickler bauen mit verschiedenen Tools ein geeignetes System. Sie führen das System erfolgreich ein und betreuen den Geschäftsbereich über viele Jahre zur vollen Zufriedenheit. Laufend kommen Erweiterungen hinzu. Es werden immer wieder Möglichkeiten gefunden, neue Anforderungen auf der heterogenen Systemplattform zu realisieren. Einige der verwendeten Komponenten werden von den Herstellern nicht mehr weiterentwickelt und der Support entfällt. Entsprechend kommt der Zeitpunkt, da auch das Betriebssystem, auf welchem diese Komponenten betrieben werden, am «End of Life» angekommen ist. Nun muss das System zwingend ersetzt werden.
Heute gäbe es Standard-Software hier-für. Doch die hohe Individualisierung ist ein massives Hemmnis für den Geschäftsbereich und die Software-Entwickler, welche sich mit ihrer Lösung identifizieren, die notwendigen Abstriche oder Anpassungen zu akzeptieren. Es muss mit dem Weggang der beiden Wissensträger gerechnet werden.
Problematische Übernahme
Ein erfolgreiches Unternehmen expandiert nach Nordamerika, indem es ein in der gleichen Industrie tätiges Unternehmen in Kanada aufkauft. Beide KMU haben hochindividualisierte Lösungen in Betrieb, welche den grössten Teil der Wertschöpfungskette abdecken. Um die internationalen Kunden global und einheitlich bedienen zu können, müssen Umgehungslösungen erarbeitet werden, da das Ersetzen von einer der beiden hochintegrierten Lösungen unwägbaren Aufwand für die jeweilige Organisation bedeuten würde. Zudem kündigen wichtige Wissensträger im neuakquirierten Unternehmen.
Risiken analysieren
Wie können Betriebe solche Situationen entschärfen oder verhindern, dass es erst so weit kommt? Hier hilft eine Analyse. Diese genannten Fallbeispiele weisen einige Gemeinsamkeiten auf, die typisch sind für Probleme im Zusammenhang mit Legacy-Systemen. Die Problematik lässt sich auf folgende Eigenschaften und Umstände eingrenzen:
- schnelles Wachstum von Funktionalität
- keine geeignete Architektur und keine angepasste Anwendungsstrategie
- mangelnde Qualität aufgrund des forcierten Vorrangs von Zeit und Kosteneffizienz
- kein Verständnis für technische Schulden und die dadurch resultierenden späteren Kosten oder gar grundlegenden Betriebsrisiken
- Zentralisierung von Know-how
- Diese Risiken intensivieren sich mit der fortschreitenden Digitalisierung aufgrund des Druckes im Markt und der Fülle an neuen technologischen Möglichkeiten und Verheissungen. Grafisch lässt sich dies wie in der Abbildung gezeigt darstellen (Pace-Modell von Gartner).