ICT & Technik

ERP-Systeme I

Enterprise Resource Planning (ERP) zwischen Wahrheit und Vorurteil

ERP-Systeme bilden in der Regel die Kernprozesse von Unternehmen ab und haben dementsprechend eine grosse Bedeutung. Obwohl von vielen Unternehmen eingesetzt, halten sich nach Meinung des Autors weiterhin Legenden, Missverständnisse und Fehleinschätzungen über diese Lösungen.
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ERP-Systeme (Enterprise Resource Planning) sind heute in zahlreichen Unternehmen, auch im Mittelstand, fester Bestandteil der IT. Sie bilden die zentralen Geschäftsprozesse ab oder übernehmen zumindest Basisfunktionen wie Rechnungswesen oder Personalverwaltung. Trotz grosser Verbreitung halten sich einige Legenden über ERP-Lösungen recht hartnäckig, was die Implementierung und die Akzeptanz dieser Systeme unnötig behindern kann.

Mit einem ERP-System lässt sich kein Wettbewerbsvorteil erzielen.

Auch wenn heute die meisten Unternehmen ERP-Systeme einsetzen, so bedeutet das nicht, dass sich deswegen die Geschäftsprozesse ähneln müssten und sich Anwender nicht mehr ausreichend differenzieren könnten. Tatsächlich aber werden fast alle ERP-Systeme in hohem Masse individuell konfiguriert und auf die jeweiligen Geschäftsprozesse ausgerichtet. Kein Anwender würde es akzeptieren, dass er für den Geschäftserfolg relevante Prozesse an seiner Software ausrichten müsste anstatt umgekehrt. Wo es in Unternehmen tatsächlich in grösserem Umfang ähnliche Prozesse gibt, so beispielsweise im Bereich HR oder in der Finanzbuchhaltung, da differenzieren sich die Unternehmen in der Regel auch nicht. Wettbewerbsvorteile erzielen Unternehmen nicht durch eine möglichst intelligente Gehaltsabrechnung oder die Anlagenbuchhaltung, sondern durch die Kernprozesse, die das jeweilige Geschäftsmodell definieren. Und dabei bilden ERP-Systeme selbstverständlich individuelle Prozesse ab.

Die individuelle Konfiguration eines ERP-Systems ist aufwendig und teuer.

ERP-Systeme müssen auf die Geschäftsprozesse des jeweiligen Anwenders zugeschnitten werden, damit diese adäquat abgebildet werden. Diese Aufgabe ist nicht im Vorfeld fertig konfektionierbar und sollte es auch gar nicht sein. Dennoch ist der dafür notwendige Zeit- und Kostenaufwand deutlich niedriger als der einer Individualprogrammierung. Realistischerweise sollten Unternehmen bei einem Vergleich dieser Alternativen jedoch immer auch von einem gleichen Funktionsumfang ausgehen.

Die Implementierung eines ERP-Systems ist eine technische Angelegenheit.

ERP-Systeme bilden alle wesentlichen Geschäftsprozesse eines Unternehmens ab – Prozesse und Software müssen genau aufeinander abgestimmt werden. Die Implementierung einer ERP-Lösung ist daher nicht nur eine Aufgabe für die IT, sondern ganz wesentlich eine organisatorische Herausforderung für das ganze Unternehmen. Auch das Top-Management und regionale Organisationseinheiten müssen eng in die Realisierung von ERP-Projekten eingebunden werden.

Mit fixem Budget und exakt vorgegebenem Zeitplan lässt sich die Einführung eines ERP-Systems am besten steuern.

ERP-Lösungen sind höchst komplexe Systeme. Häufig können Anwender bereits im Voraus genau definieren, welche Anforderungen sie selbst stellen müssen. Durch eine rigide Budget- und Zeitplanung können sie diese Aufgabe nur scheinbar auf den Lieferanten abwälzen – tatsächlich wächst dadurch das Risiko einer unzureichenden Abbildung von wichtigen Prozessen.

Der Lieferant stellt alle Ressourcen für die Implementierung eines ERP-Systems.

Da die Implementierung eines ERP-Systems eine Angelegenheit ist, die das gesamte Unternehmen tangiert, können bestimmte Aufgaben auch nur vom Unternehmen selbst übernommen werden. Mitarbeiter und Management müssen daher für eine erfolgreiche Implementierung ausreichende Ressourcen einplanen, um essenzielle Themen wie Organisation oder Datenqualität selbst in die Hand nehmen zu können. Sie müssen Entscheidungen erarbeiten und treffen, die nicht an den Lieferanten delegiert werden können. Auch für diese Entscheidungsprozesse müssen die benötigten Ressourcen von vorneherein eingeplant werden.

Eine Sprache reicht für ein ERP-System aus

Viele Unternehmen sind zwar international tätig, glauben aber – zumindest im ersten Schritt – mit einer einheitlichen englischen Version auszukommen; so werden beispielsweise Masken oder Dokumentationen häufig nur in einer Sprache erstellt. Tatsächlich sind aber Mitarbeiter in der täglichen Benutzung von fremdsprachigen Applikationen oft überfordert, beispielsweise in der Produktion.

Die ERP-Hersteller bieten letzten Endes alle die gleichen Produkte.

Jedoch unterscheiden sich ERP-Lösungen nicht nur hinsichtlich des Preises. Es gibt Anbieter, die sich auf bestimmte Branchen oder auf grosse beziehungsweise mittelständische Unternehmen spezialisiert haben und die mit den jeweils typischen Anforderungen besonders vertraut sind. Aufgrund der Langfris­tigkeit von ERP-Projekten und engen Ver­flechtung von ERP-System und Unternehmensorganisation ist für den Erfolg einer Implementierung auch wichtig, dass jenseits von Leistungsmerkmalen die «Chemie» zwischen Auftraggeber und Lieferant stimmt, dass also von Anfang an ein partnerschaftliches Verhältnis aufgebaut werden kann.

Fazit

In der Praxis stellt sich als Hauptproblem einer ERP-Implementierung immer wieder eine unrealistische Erwartungshaltung der Anwender heraus. Aber auch wenn es von etlichen Beratern immer wieder versprochen wird: ERP-Systeme sind nie triviale Lösungen, sie lassen sich daher nicht fertig von der Stange kaufen, implementieren und nach ein paar Wochen in Betrieb nehmen. ERP-Systeme sind das Herzstück eines Unternehmens, daher lässt sich die letzte Verantwortung dafür auch nicht mit einer noch so ausgefeilten vertraglichen Vereinbarung auslagern.

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