ICT & Technik

Enterprise-Resource-Planning (ERP)

Die zehn schwersten Fehler bei ERP-Einführungen

Die Einführungen von Enterprise-Resource-Planning (ERP) sind komplexe, ressourcen- und kostenintensive Projekte. Insbesondere dann, wenn Fehler passieren. Dieser Beitrag beschreibt die zehn grössten Fehler bei ERP-Einführungen und wie diese zu vermeiden sind.
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Viel hört man über ERP-Projekte in Schieflage. Und immer wieder mal stehen Führungskräfte worteringend vor dem Verwaltungsrat, um für ERP-Einführungen Budgeterhöhungen und Terminverschiebungen zu beantragen, welche der Antragsteller kaum auszusprechen wagt. Ja, ERP-Einführungen sind komplex und verschlingen eine Menge Geld und Ressourcen. Insbesondere dann, wenn was schiefläuft.

Doch was genau sind die Gründe, die wiederholt zu Kosten- und Termineskala­tionen führen? Welches sind die zehn gewichtigsten Fehler, welche wiederholt Unternehmen und das Einführungsprojekt in Schwierigkeiten bringen? Wie kann man diese Fehler vermeiden?

Fehler 1: Standardisierungpredigen, aber nicht vorleben

Der Nutzen von Standardisierung ist für das Projekt und auch das Unternehmen enorm. Oft wollen daher Führungskräfte das ERP möglichst im Standard, für alle Einheiten / Standorte gleich, einführen. Doch ­– Standardisierung startet beim Prozess, der Organisation, und erst dann beim IT-System. Viele Unternehmen sind daran gescheitert, ein Standard ERP Template in einer heterogenen Organisations- & Prozesslandschaft einzuführen. Denn aus der Optik des einzelnen Standorts / Bereichs ist in einer heterogenen Landschaft eine Sonderlösung meist gut begründ- und durchsetzbar.

Fehler 1 vermeiden: Wollen Sie wirklich standardisieren? Dann tun Sie dies mit aller Konsequenz. Starten Sie mit dem Prozess und der Organisation, jenen Bereichen, welche bisher politisch un­angetastet waren. Und setzen Sie damit wiederholt Zeichen. Denn was der Chef predigt, aber nicht jeden Tag vorlebt, wird wenig Anklang finden. Rechnen Sie da­bei auch mit hohen Datenstandardisierungsaufwänden. Aber Achtung: Liegen Ihre Marktvorteile eher im differenzierten Prozess als im Produkt? Dann laufen Sie mit Überstandardisierung Gefahr, das ERP zwar rasch einzuführen, damit aber Ihre Wettbewerbsvorteile wegzu-ratio­nalisieren.

Fehler 2: Den Einführungs­partner zum falschen Zeitpunkt involvieren

Unternehmen investieren vor der Evaluation des geeigneten Systems und Partners viel in die Ausarbeitung von sehr detaillierten Dokumentationen über Prozesse und deren Systemanforderungen. Dies ist unnötig, gar kontraproduktiv. Erstens ist eine Dokumentation dieses Umfangs für die einführenden Berater nicht mehr erfassbar. Zweitens lässt eine solche Dokumentation dem Einführungspartner zu wenig Spielraum, sich am Standard des Systems zu orientieren. Resultat: Viele kundenindividuelle Anpassungen, welche wiederum hohe laufende Kosten und erschwerte Releaseupgrades mit sich bringen.

Doch auch eine zu frühe Involvierung des Einführungspartners ist falsch. Ohne klares Bild, wie die zukünftige Prozess- und Datenlandschaft aussehen soll, orientiert man sich rasch an tollen Features des Systems, anstatt sich mit wirklich unternehmensrelevanten Themen aus­einanderzusetzen.

Fehler 2 vermeiden: Erarbeiten Sie, losgelöst von System- und Einführungspartner, den groben Zielzustand Ihrer zukünftigen Prozess- und Datenlandschaft. Fokussieren Sie dabei nicht auf das «Wie», sondern auf das «Was». Das Pflichtenheft ist kurz und auf Ihr Unternehmen zugeschnitten. Die Dokumentation zeigt übersichtlich auf, wo Sie mit Ihrem Unternehmen hinwollen, dokumentiert präzise, auf was es in den Prozessen drauf ankommt, und wo Sie Herausforderungen für den Implementer orten.

Fehler 3: Evaluationsfokus auf den veranschlagten Projektkosten, anstatt auf dem Team

Meist ist es der vermeintliche «Preis», welcher bei Evaluationen letztlich zum Zuschlag führt. Doch der in dieser Phase «verhandelte Preis» lässt viel Spielraum offen, Mehrkosten im Lauf des Projekts zu argumentieren und dem Kunden in Rechnung zu stellen.

Fehler 3 vermeiden: Vernachlässigen Sie die Kosten nicht, doch gewichten Sie stärker andere Faktoren wie zum Beispiel das Projektteam – handselektionieren Sie erfahrene Berater mit ausgewiesenem Referenznachweis. Mit einer guten Evaluationsdokumentation (vgl. Fehler 2) können Sie zudem die Verbindlichkeit der Offerten stark erhöhen und das Risiko unerwarteter Mehrkosten erheblich reduzieren.

Fehler 4: Das ERP durch Einsatz eines Front-End-Systems vereinfachen

Mit einem neuen System soll vieles möglich sein. Doch die Befürchtungen sind gross, dass Anwender rasch überfordert sind. Die Bedienung und Schulung soll deshalb einfach sein. Oft versuchen Unternehmen, diesen Paradox über eine Zweisystemlandschaft abzufangen: Komplexes ERP im Hintergrund, welches automatisiert verarbeitet, einfachste Front-End-Lösung, welche eine sehr einfache Bedienung ermöglicht. Die Idee besticht. Einige haben es probiert. Aber nur wenige sind damit erfolgreich. Das Problem: Mit dem Hunger kommt der Appetit. Eine anfänglich schlanke Front-End-Lösung entwickelt sich mit zunehmendem Funktionsbedarf rasch zu einem Beinahe-Duplikat der dahinterliegenden ERP-­Lösung. Und damit werden die Schnittstellen komplex. Und teuer.

Fehler 4 vermeiden: Setzen Sie sich bereits in der Systemevaluation bewusst mit der Überlegung auseinander, ob Ihre Mitarbeiter mit dem System zurechtkommen werden. Ist die Antwort «Nein»: falsches System. Ist die Antwort «vielleicht» oder ist das System bereits gesetzt: trauen Sie Ihren Anwendern etwas zu und setzen Sie den Fokus auf eine fundierte Schulung, vermeiden Sie jedoch, die System- und Schnittstellenkomplexität rein zum Zweck der Anwenderfreundlichkeit zu erhöhen.

Fehler 5: Ungenügend straffes Projektmanagement und Kommunikation

Projektleiter müssen vielfältige Quali­täten mitbringen, um ein Projekt dieser Grössenordnung straff ans Ziel zu führen. Projekte in Schieflage sind daher oft auch auf Fehler im Projektmanagement zurückzuführen. Risiken, Changes, Fortschrittstracking, und die Kommunikation nach innen und aussen werden in diesen Fällen zumeist ungenügend proaktiv gemanaged.

Fehler 5 vermeiden: Setzen Sie für das Projekt einen Top-Projektleiter ein, welcher nebst exzellenten Führungs­kompetenzen und Prozess-/ERP-Know-how auch starke Projektmanagement und Kommunikations-Skills (auf allen Ebenen der Organisation) mitbringt. Etablieren Sie eine Projektqualitätssicherung, welche aus unabhängiger Sicht dem Lenkungsausschuss Projektstatus und -risiken laufend rapportiert.

Fehler 6: Falsche Teamzusammenstellung

Eine ERP-Einführung ist sehr ressourcenintensiv. Schlüsselpersonen aus der Linie haben jedoch meist zu wenig oder gar keine Zeit für das Projekt. In Folge werden nicht die Besten, sondern jene, die Zeit haben, eingesetzt, oder das Team wird aus IT-Mitarbeitern zusammengesetzt. Dies ist ein Fehler. In einem solchen Set-up werden die vom Team erarbeiteten Lösungen oft von den operativen Schlüsselpersonen in der Organisation nicht getragen und gut argumentiert wieder umgestossen.

Fehler 6 vermeiden: Anerkennen Sie die ERP-Einführung als eines Ihrer wichtigsten Business- (nicht IT-) Projekte, und besetzen Sie es entsprechend mit Top-Entscheidern und operativen Schlüsselpersonen aus Ihrer Linienorganisation.

Fehler 7: Fehlende Projekt-Ownership

In schiefgelaufenen Projekten stellt man oft fest, dass die «Ownership» des Kunden – resp. der kundenseitigen Projektmit­arbeiter – über das Projekt und deren Deliverables fehlt. Das Projekt wird als «Projekt des Einführungspartners» verstanden, der Kunde nimmt eine Konsumentenhaltung ein. Eine echte Teamzusammenarbeit fehlt.

Fehler 7 vermeiden: Nehmen Sie Ihre internen Mitarbeiter in die Verantwortung, indem Sie diese frühzeitig involvieren und in der Projektorganisation als Teilprojektleiter mit klaren Zielen, Aufgaben und Kompetenzen ausstaffieren. Stellen Sie mit gezielten Massnahmen sicher, dass das Team auch effektiv als solches agiert und keine Konsumentenhaltung Ihrer Mitarbeiter entsteht.

Fehler 8: Zu ambitiöse Zeitpläne

Ein straffer Zeitplan ist wichtig und richtig. Doch dieser wird oft bereits in der Evaluationsphase stark gedrückt. Es entstehen «Best-Case»-Zeitpläne ohne jegliche Puffer. Insbesondere im Fall von Rollouts ist dies kontraproduktiv: Aufgrund der meist fehlenden Bereinigungszeit werden halbfertige Templates ausgerollt und damit die Fehler multipliziert. Auch wird – genauso kontraproduktiv – meist die Schulungszeit als Puffer verwendet und gekürzt.

Fehler 8 vermeiden: Erarbeiten Sie mit Ihrem Einführungspartner straffe Zeitpläne, doch stellen Sie sicher, dass diese auch realistisch und nicht Best-Case-Zeitpläne sind.

Fehler 9: Sich als Versuchs­kaninchen für komplexe Systemerweiterungen opfern

Der ERP-Markt entwickelt sich schnell, Lösungen werden laufend mit zusätzlicher Funktionalität und Features erweitert. Oft werden diese Erweiterungen erstmalig im Rahmen von Kundenprojekten auf Basis konkreter Anforderungen des Kunden realisiert. Während dies für kleinere Erweiterungen unproblematisch ist, zahlen Unternehmen als Versuchs­kaninchen grösserer Erweiterungen viel Lehrgeld. Zu grösseren Erweiterungen zählen zum Beispiel Lokalisierungen für bestimmte Länder oder die Realisierung einer komplexen Schnittstelle zwischen zwei neuen Technologien / Partnern, welche noch nie zuvor zusammengearbeitet haben.

Fehler 9 vermeiden: Prüfen Sie, ob der Einführungspartner für einen vergleichbaren Set-up Referenzen vorweisen kann. Prüfen Sie im direkten Kontakt mit der Referenz, ob der Set-up effektiv vergleichbar ist. Stellen Sie sicher, dass die gleichen Berater /Entwickler in Ihrem Einführungsteam eingesetzt werden, welche das Referenzobjekt realisierten.

Fehler 10: Die unbeliebten Nebenschauplätze zu wenig beleuchten

Es gibt in ERP-Projekten «Nebenschauplätze», welchen oft zu wenig Beachtung geschenkt wird. Beispiel Stammdaten: Niemand will damit zu tun haben, aufwendige und monotone, aber durchaus wichtige Bereinigungsarbeiten gehen «vergessen». Doch der Ball kommt spätestens mit der Migration zurück – und dann ist der Zeitdruck enorm hoch. Die Gefahr ist hoch, dass der «Altmüll» unter dem Zeitdruck ins neue ERP übernommen wird und damit ein markanter Nutzen der ERP-Einführung verloren geht. Weitere Beispiele von unterbelichteten Nebenschauplätzen sind z. B. Formularlogik und Reports.

Fehler 10 vermeiden: Befassen Sie sich frühzeitig, bereits vor der Evaluation, mit diesen Nebenschauplätzen, und initiieren Sie die nötigen Definitions- und Bereinigungsarbeiten.

In ERP-Einführungen gibt es also viele Stolpersteine. Doch befolgt man obenstehende Empfehlungen, rückt der erfolgreiche Go-Live für Ihr Projekt ein gutes Stück näher. «

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