Editorial

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Hybridologie

Die Digitalisierung und erst recht die damit verbundene Transformation sind keine Revolution, vielmehr eine Evolution. Das ist eine gute Nachricht, denn eine Evolution bietet Raum, nichts zu überstürzen.

Glauben wir den Wirtschaftsinformatikern Walter Brenner und Claudia Lemke befinden wir uns mitten in der Evolutionsstufe drei, die bis 2030 dauern wird und in der wir uns vor allem mit der allgemeinen Reife der Systeme und dem Internet der Dinge beschäftigen werden. Die vierte Evolutionsstufe soll dann eine vollkommene Verschmelzung der realen und digitalen Welt mit sich bringen. 

Das Charakteristikum einer Transformation ist die Verbindung von Alt und Neu, die idealerweise das Beste aus zwei (oder mehr) Welten verknüpft und vermeintlich «Besseres» entstehen lässt. Aktuell gibt es wohl kaum einen Begriff, der diese Entwicklung häufiger begleitet als das Wort «hybrid». Zunächst im Wirkungsfeld der Mythologie, Wissenschaft und Biologie unterwegs, erobert es zunehmend auch Militär, Technologie und Wirtschaft. Hybride Führung, hybrides Arbeiten, hybride Strategien, hybride Organisationsformen oder auch hybride Kommunikation sind Beispiele für unternehmensbezogene Felder.

Die Beispiele zeigen, dass es bisher vor allem einzelne Modelle und Methoden sind, die Unternehmen zukunftsorientiert im Wettbewerb halten sollen. Für eine über­geordnete Einheit, die etwa wie ein integratives hybrides Wertschöpfungsnetzwerk fungiert, scheint die Zeit noch nicht reif zu sein. Die Kulturwissenschaftlerin Elka Tschernokoshewa hat mit ihrer Bücherreihe «Hybride Welten» den Terminus der ­Hybridologie als Forschungsdisziplin etabliert. «Der Begriff hybrid bedeutet, dass ­etwas zusammengeführt wird, was vorher nicht zusammen war: zwei Kunstformen, zwei Kulturen, zwei Techniken. Hybridologie ist die Wissenschaft, die Prozesse der Zusammenführung erklärt», so die Forscherin. Wäre es nicht ein wertvoller Beitrag zur Zukunftsgestaltung, wenn die Wirtschaft dies adaptieren könnte und eine Art interdisziplinären Thinktank initiierte, der diese neue Perspektive einnimmt? Denn so wie das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist, würde eine gesamthafte hybri­d­o­logische Sichtweise auch in organisationalen Strukturen mehr erfassen und grös­seren Output liefern können als Anwendungsfelder in Einzelbetrachtung. Bis dahin jedoch werden Unternehmen erst einmal noch sukzessive mit neuen Modellen und Möglichkeiten konfrontiert, deren sinnvolle Umsetzung ein immer neuer Kraftakt ist.

P.S.: Mehr zum Thema hybrides Arbeiten in der Ausgabe. Nr. 11/12/2021.

Porträt