Forschung & Entwicklung

Unternehmensführung (Teil 2 von 2)

Zeit für einen Paradigmenwechsel

Die Betriebswirtschaftslehre ist immer noch geprägt von einem antiquierten Menschenbild. Gute Unternehmensführung im 21. Jahrhundert bedingt allerdings ein neues Paradigma. Was damit gemeint ist und warum Unternehmensführung eine systemische Perspektive braucht, beschreibt dieser zweiteilige Beitrag.
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Wir haben – neben dem Motivationssystem – ein zweites, hinsichtlich Menschenführung wichtiges System in uns drin: das Empathiesystem. Abbildung 1 zeigt drei Unterkategorien: Die dritte, die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, kann gut trainiert werden. Deshalb haben wir an der FHS St. Gallen auch ein Modul, das Blickwechsel heisst: Unsere Studierenden können in einer sozialen Institution die Welt aus einer anderen als einer primär ökonomischen Perspektive erfahren.

Und auch die Firmen, die ihren Kadern die Möglichkeit geben, eine Auszeit an einem ganz anderen Arbeitsort zu verbringen, machen etwas Sinnvolles. Schwieriger sind allerdings die beiden ersten Kategorien der Empathie, nämlich Einfühlungsvermögen und Anteilnahme. Diese beruhen auf dem Vorhandensein von Spiegelneuronen. Und diese haben die einen mehr und die anderen weniger.

Führen mit Empathie

Mehr haben beispielsweise im Durchschnitt Frauen: Deshalb sind sie statistisch erwiesen auch die besseren Team­player. Studien zeigen, dass durch mehr Frauen der IQ eines Teams und seine Leistungsfähigkeit steigt. Übrigens: Der Gesamt-IQ eines Teams ergibt sich nicht aus dem IQ-Durchschnitt, sondern aus der Kooperationsfähigkeit der einzelnen Mitglieder. Da Frauen mehr Oxytocin produzieren, haben sie grössere Fähigkeiten zu Einfühlung und Vertrauen.

Doch wer hat weniger davon und ist dadurch auch eine schlechtere Führungskraft sowie ein weniger guter Teamplayer? Nicht überraschend sind es jene machthungrigen Persönlichkeiten, die viel von der «dunklen Triade» haben: Machiavellismus, Psychopathie, Narzissmus. Deshalb: Wenn Sie Ihrer Firma etwas Gutes tun wollen, befördern Sie keine machthungrigen Typen. Machen Sie diejenigen zu Chefs, die Empathie haben, teamorientiert arbeiten, bescheiden sind und andere anerkennen können. Das sind diejenigen mit vielen Spiegelneuronen. Das ist ein wichtiger Tipp für den künftigen Erfolg Ihres Unternehmens im 21. Jahrhundert.

Erfolgsreserven ausschöpfen

In einem kürzlich erschienenen Buch habe ich moderne, systemische Unternehmensführung mit sieben Prinzipien umschrieben: Primat der intrinsischen Motivation, Vertrauenskultur, Empowerment, Kooperation, Sinnstiftung, Diversität und Wertschätzung (vgl. Waibel, 2015a; Waibel, 2015b). Es gibt genügend Studien auch aus dem deutschsprachigen Raum, welche zeigen, wie dringend Handlungsbedarf in diesen Bereichen besteht. In der nachfolgenden Tabelle (Abbildung 2) sind einige aufgeführt.

Positiv ist: Es gibt so viele Erfolgspotenziale in vielen Firmen. Was braucht es, um die Erfolgsreserven auszuschöpfen? Ich möchte hier drei Möglichkeiten nennen: Erstens: Eine systemische Sicht, welche Komplexität von Management anerkennt und auf einem realistischen Menschenbild aufbaut. Die Welt ist nicht so einfach, wie viele Rezepte und Instrumente erscheinen lassen. Wer in seinem Werkzeugkoffer nur einen Hammer hat, sieht alle Probleme dieser Welt als Nägel – so simpel ist es aber nicht.

Einstein hat einmal gesagt: Man soll die Dinge so einfach wie möglich machen – aber nicht einfacher. Wir bemühen uns in der Ausbildung unserer FHS-Absolventen sehr, das integrierte, systemisch-vernetzte Denken zu schulen – nachfolgend sind in Abbildung 3 generische Zusammenhänge in Form einer betriebswirtschaftlichen Erfolgslogik abgebildet, wie wir sie Schritt um Schritt in der BWL-Lehre der ersten beiden Semester im Bachelor of Science in Betriebsökonomie an der FHS St. Gallen vertiefen.

Zweitens: Eine kluge Sicht auf Management. Die FHS fördert in ihrer Lehre das Verständnis von komplexen sozialen Systemen und leitet die Studierenden an, klug Systeme zu steuern, zum Beispiel durch das Verständnis der Systemvariablen. Wir sehen hier das gleiche Netzwerk, einfach anders, das heisst aus einer Managementperspektive (quasi aus Sicht eines Piloten im Cockpit) dargestellt (siehe dazu Abbildung 4):

  • Die «Wolken»-Faktoren stellen Externalitäten dar, die Einfluss aufs Geschäft ausüben, die aber nicht selbst beeinflusst werden können. Die Variablen stammen aus dem eingerahmten Bereich der Abbildung 3.
  • Die Lenkbarkeiten sind mit einem visuellen «Hebel» markiert und signalisieren Grössen wie Preise oder Investitionen. Wichtig ist, dass viele von ihnen nicht direkt steuerbar, sondern nur indirekt beeinflussbar und damit aus Managementsicht sehr anspruchsvoll sind (zum Beispiel eine gute Führung).
  • Mit dem «Tacho»-Symbol gekennzeichnet sind Ziele und Messgrössen, die als Indikatoren Führungspersonen anzeigen können, ob sich das Unternehmen in die gewünschte Richtung entwickelt. Analog einer Balanced-Scorecard-Logik sind die vier Perspektiven kausal verknüpft: Die vorlaufenden Inputgrössen der Mitarbeiterperspektive beeinflussen die Prozessvariablen, die den Erfolg der Kundenoutputs prägen und in finanziellen Outcomes abgebildet werden. Unsere betriebswirtschaftliche Erfolgslogik stellt ein kausales Input-Prozess-Output-Outcome-Modell dar, das für die praxisnahe Vermittlung von relevanten betriebswirtschaftlichen Inhalten und Zusammenhängen geeignet ist. Wir setzen die zugrundeliegenden Lehrmittel (Waibel und Käppeli, 2015a; Waibel & Käppeli 2015b) mit viel Erfolg seit mehr als zehn Jahren an der FHS St. Gallen in der BWL-Lehre ein (und auch an der ZHAW wird mit dem gleichen Rahmen gelehrt).

Wichtig ist, in dieser Managementperspektive den Machbarkeitswahn zu überwinden: Vieles lässt sich nicht managen, Menschen sind keine Zirkuspferde, die man mit einer Rübe vor der Nase in die gewünschte Richtung steuern kann. Menschen sind eben nicht die oft genannten «soft factors», sondern «hard factors» – sie lassen sich kaum verändern.

Viel einfacher (und erfolgsversprechender) ist, den Rahmen zu ändern. Das bedingt allerdings eine Rollenveränderung bei den Führungskräften: Es bedeutet, sich selbst weniger als Macher zu sehen, sondern mehr als Gestalter oder Enabler, der unterstützende Rahmenbedingungen und damit gute Voraussetzungen für die Mitarbeitenden schafft.

Allerdings macht diese systemische Sicht Führungspersonen Mühe: Das Bild des Machers, der alle Fäden in seinen Händen hält, ist selbstwertschonend und angenehm. Eine neue Identität als Enabler bedingt expliziten Machtverzicht. Aber wie die fernöstliche Weisheit besagt: «Wasser bricht den stärksten Stein», sind es oft die machtlosen Einflussmöglichkeiten, die letztlich viel mehr Gestaltungskraft haben als die direkt sichtbaren Insignien der Macht.

Drittens: Gutes Management impliziert Beziehungsmanagement. Es gibt in der Wirtschaft oft noch unrealistische Vorstellungen, dass Leistung, Qualität, Kreativität, Begeisterung verordnet werden können. Grundlage dieser Sicht ist der explizite Arbeitsvertrag, der die Gegenleistung der Mitarbeitenden auf der Basis eines hierarchischen Subordinationsverhältnisses erschliesst (siehe dazu in der Abbildung 5, links).

Diese wenig systemische Sicht unterliegt einer Kontroll- und Steuerungsillusion. Die heute wichtigsten Fähigkeiten – wie Einfallsreichtum, Initiative, Durchhaltevermögen, vernetztes Denken, Kooperation oder Leidenschaft – sind personengebunden und nicht von aussen abrufbar. Menschen werden einem Unternehmen ihre wertvollsten Kompetenzen nur dann grosszügiger Art und Weise erschliessen, wenn sie dieses wohlwollend sowie potenzialfördernd erleben. Eine systemischere Betrachtungsweise setzt stärker auf eine Beziehung auf Augenhöhe und sieht das Management in erster Linie als Beziehungsmanagement (siehe dazu in der Abbildung 5, rechts).

Führung als Systemgestaltung

Die sieben genannten Prinzipien guter Unternehmensführung im 21. Jahrhundert werden hier quasi im Zusammenspiel erkennbar: Die Führungsperson ist in der Pflicht zur Vorleistung – ihre Aktionen wirken nach, beeinflussen die Gegenleistungen der Mitarbeitenden und ergeben Mehrrundeneffekte. Im Zentrum der Beziehung steht der unsichtbare implizite Vertrag, das Grundmomentum basiert auf Reziprozität. Eine Partnerschaft ist durch ein offenes Visier, guter Glaube und Manipulationsverzicht geprägt.

Unsere Sprache kennt viele Ausdrücke für das tief in uns verankerte Verhaltensmuster der Reziprozität: «Wie du mir, so ich dir»; «quid pro quo», sagte Hannibal Lecter zu Clarice Starling, weil dies schon ein römisches Rechtsprinzip war, und davor im Kodex des Hammurabi festgehalten. «Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.»

Die sieben Prinzipien entsprechen dem Bild der Führung als Systemgestaltung. Dies geschieht durch Schaffen eines günstigen Rahmens, welcher einen Engelskreislauf entfaltet, statt dass mit der Person einzeln gearbeitet wird (zum Beispiel durch Motivieren, Kommandieren, Gängeln …). Die sieben Prinzipien geben Anregungen für eine günstige Gestaltung des Systems.

Zusammenfassend kann gesagt werden: Die Unternehmensführung im 21. Jahrhundert braucht einen neuen Fokus, nämlich den der systemischen Perspektive. Während im 20. Jahrhundert ein reduziertes mechanistisches Menschenbild vielleicht noch adäquat war, ist in der Wissensgesellschaft des aktuellen Jahrhunderts dies sicher nicht mehr passend. Der Mensch ist weder ein homo oeconomicus noch ein Pawlow’scher Hund oder ein dressiertes Zirkuspferd. Jeder Mensch ist ein komplexes Wesen, welches sich auf das ihn umgebende System ausrichtet. Sind die Systembedingungen wohlwollend, wird es auch das menschliche Verhalten sein – jene Unternehmen, die dies verstanden haben und dies wirkungsvoll umzusetzen wissen, werden die Gewinner des 21. Jahrhunderts sein.

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