Forschung & Entwicklung

Diagnosetool Wertschöpfungsnavigator (Teil 2 von 2)

Wie Unternehmen ihre Wertschöpfungspotenziale aktivieren können

Der Wertschöpfungsnavigator der ZHAW School of Management and Law ist ein Analyse­instrument, um Optimierungspotenziale zu identifizieren. Wie die Realisierung dieser Optimierungspotenziale in einem zweiten Schritt verbindlich geplant und gesamtheitlich umgesetzt werden kann, zeigt dieser Beitrag.
PDF Kaufen

Aus dem Ergebnisbericht des Wertschöpfungsnavigators der ZHAW School of Management and Law (siehe «KMU-Magazin», Ausgabe 4/12, Seite 82 ff.), könnten Unternehmer und Führungskräfte festgestellt haben, dass das eigene Unternehmen Optimierungspotenziale aufweist. Um diese Potenziale für das Unternehmen zu realisieren, können grundsätzlich zwei Stossrichtungen eingeschlagen werden.

Zwei Wege der Optimierung

Bei der ersten Variante kommen Unternehmer und Führungskräfte zum Schluss, dass die strategische Ausrichtung nicht grundsätzlich hinterfragt werden muss. Es geht vielmehr darum, im Rahmen der bestehenden strategischen Ausrichtung die einzelnen Optimierungspotenziale entlang der Wertschöpfungskette zu aktivieren. Dabei besteht die Herausforderung darin, die Umsetzung der aktuellen Strategie koordinierter und konsequenter voranzutreiben.

Bei der zweiten Variante ist die Erkenntnis die, dass die Unternehmensstrategie grundsätzlich schlecht geeignet ist, um eine ökonomische Wertschöpfung für das Unternehmen zu realisieren. Es geht in diesem Fall darum, nach anderen strategischen Optionen zu suchen, diese zu bewerten und im Endeffekt auch wertschöpfend umzusetzen. Im Folgenden werden Umsetzungshilfen für beide Varianten diskutiert.

Variante 1: Optimierung der Strategieumsetzung

In Abbildung 1 – einem beispielhaften Auszug aus dem Ergebnisbericht des Wertschöpfungsnavigators – ist ersichtlich, dass die verschiedenen Faktoren des Wertschöpfungsbereiches «Prozesse» z.T. deutliche Optimierungspotenziale aufweisen.

Der naheliegende Schritt zur Optimierung der Strategieumsetzung wäre, die identifizierten «Baustellen» einfach auf Zuruf den jeweils fachverantwortlichen Personen als «To do’s» zu übertragen. Dieses Vorgehen birgt allerdings verschiedene Gefahren, z.B. dass die Verbesserungsbemühungen trotz des anfänglich hohen Optimierungselans vom operativen Alltagsgeschäft in den Hintergrund gedrängt werden oder dass die ergriffenen Massnahmen zu wenig koordiniert werden und dabei – ungewollt – neue «Baustellen» entstehen. Dies wäre z.B. der Fall, wenn der Einkauf die Beschaffungskosten durch Bestellmengen-Maximierung optimiert, dabei aber nicht an den grösseren Lagerbedarf und die höheren Lagerkosten denkt.

Es ist daher empfehlenswert, die verschiedenen Optimierungsaktivitäten in einen strategischen Gesamtzusammenhang zu stellen, um mögliche Wechselwirkungen zu erkennen. Des Weiteren geht es darum, die kontinuierliche und erfolgsorientierte Arbeit an den Wertschöpfungspotenzialen mit realistischen Zwischenzielen zu planen und die Fortschritte regelmässig zu überprüfen.

Massnahmen in den Gesamtzusammenhang stellen

Für die Darstellung der Optimierungsaktivitäten im Gesamtzusammenhang eignet sich z.B. eine einfache grafische Darstellung («Strategie-Landkarte»; Quelle: Kaplan/Norton, 2004) auf einer A4-Seite, die aufzeigt, welche strategischen Ziele das Unternehmen in den Bereichen Finanzen, Markt, Prozesse und Fähigkeiten eigentlich verfolgt (vgl. Abbildung 2). Die Ziele aus diesen vier Bereichen hängen dabei über Ursache-Wirkungs-Beziehungen logisch zusammen. Der KMU-Automobilzulieferer Meyer AG (vgl. «KMU-Magazin», Ausgabe 4/12; Einführungsartikel), welcher seine Kunden im Vergleich zur Konkurrenz mit tiefen Gesamtbeschaffungskosten, im Sinne der Total Cost of Ownership (TCO) -Idee, überzeugen will, wird spezifische Prozessziele verfolgen, die die Realisierung dieses Leistungsversprechens unterstützen. So wird etwa die Innovation konsequent auf Produkte oder Verfahren ausgerichtet sein, die es ermöglichen, die TCO zu reduzieren. Ein wichtiger Treiber wird auch die Integration in die Kundenwertschöpfungskette sein – der Hebel dazu ist die laufende Prozessoptimierung. Das Halten der bereits hohen Produktionsqualität liefert einerseits einen wichtigen Beitrag zum Leistungsversprechen (z.B. keine kostenverursachenden Produktionsstopps beim Kunden wegen mangelhafter Qualität). Zum andern werden dadurch auch die eigenen Kosten reduziert (z.B. minimaler Ausschuss). Die Verbesserung der Steuerung des Materialflusses durch die Abstimmung mit den eigenen Lieferanten und die daraus resultierende Vermeidung unnötiger Lager ist ebenfalls ein Treiber zur Senkung der eigenen Kosten. Damit diese Prozessziele erreicht werden können, gilt es das richtige Know-how sowie eine adäquate IT-Unterstützung sicherzustellen. Dieses Zielsystem führt aus Sicht der KMU-Verantwortlichen der Meyer AG zu den im Finanzbereich definierten Zielen wie z.B. Umsatzsteigerung, Kostensenkung oder schliesslich Rentabilitätsverbesserung. Aus dem Wertschöpfungsnavigator oder anderen Analyseverfahren hergeleitete Optimierungspotenziale können dann diesen Zielen zugeordnet werden. Alle Personen, die anschliessend an der Umsetzung der Optimierungspotenziale arbeiten (z.B. Optimierung der Beschaffungskosten), haben so immer den Gesamtzusammenhang vor Augen.

Optimierungssteckbriefe

Für jedes Optimierungspotenzial kann dann in einem nächsten Schritt – immer mit Blick auf den strategischen Gesamtzusammenhang – auf Basis eines kurzen Gespräches zwischen Geschäftsführer und der für die Massnahme verantwortlichen Person in einem Optimierungssteckbrief realistisch festgehalten werden, was genau, wie und bis wann erreicht werden soll (vgl. Abbildung 3). Dies schafft nicht nur eine höhere Verbindlichkeit, sondern erlaubt es auch in regelmässigen Abständen, den Stand der Umsetzung gemeinsam zu beurteilen und nötige Korrekturen vorzunehmen. Nicht zu unterschätzen ist zudem die motivierende Wirkung, die von der Zielwerterreichung nach Umsetzung der Massnahme ausgeht. Mit einem geringen Planungsaufwand zu Beginn wird insgesamt die Umsetzungsdisziplin unterstützt und die Realisierungswahrscheinlichkeit deutlich gesteigert.

Variante 2: Optimierung der strategischen Ausrichtung

Die zweite Variante der Optimierung sollte dann eingeschlagen werden, wenn es nicht um eine nur punktuelle Verbesserung der Wertschöpfung geht, sondern die Strategie als Ganzes auf den Prüfstand gestellt wird. Vor diesem Schritt scheuen Unternehmer und Führungskräfte in KMU häufig zurück, da «hierzu jetzt wirklich keine Zeit vorhanden» sei, wie häufig bekundet wird. Eine Reaktion, die gefährlich ist und die Unternehmenswertschöpfung häufig auch negativ beeinflusst. Eine Alternative wäre, wenn es sich Unternehmensverantwortliche kontinuierlich zur Aufgabe machen würden, die eingeschlagene Strategie routinemässig kritisch zu hinterfragen und zusätzliche strategische Optionen zu prüfen.

Denken in Horizonten und Optionen

Übernehmen KMU-Verantwortliche konsequent ein «Denken in Horizonten und Optionen», d.h. die Grundeinstellung in mehreren zeitlichen Horizonten über ihr Geschäft nachzudenken, ergeben sich verschiedene Vorteile. Zum einen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass man vor den Konkurrenten vielversprechende Marktpositionen erkennen und besetzen kann. Zum anderen hilft es aber auch zu verhindern, dass man von anderen Marktakteuren überrascht wird. Die unerwartete Einführung einer neuen Technologie durch einen direkten Konkurrenten oder der überraschende Markteintritt eines neuen Anbieters können zur Folge haben, dass Umsätze kurz- und mittelfristig verloren gehen, die eigene Reputation im Markt und bei den Kunden leidet, die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt wird und letztlich die ökonomische Wertschöpfung in Gefahr gerät.

KMU-Verantwortliche, die in Optionen denken, fokussieren nicht nur auf die Verteidigung und den Ausbau des heutigen Kerngeschäfts, sondern richten sich immer auch auf den Aufbau künftiger, dem Kerngeschäft naheliegende, Wachstumsgeschäfte aus. Zusätzlich beschäftigen sie sich auch mit längerfristig möglichen Zukunftsgeschäften. Sie integrieren also drei Zeithorizonte möglichst gleichzeitig und systematisch in ihre Überlegungen zur Weiterentwicklung des Unternehmens (Quelle: in Anlehnung an Baghai et al., 2000).

Um diese Überlegungen zu dokumentieren und kontinuierlich weiterzuführen, kann die Horizonte-Optionen-Matrix (vgl. Abbildung 4) eingesetzt werden. In der einen Dimension werden die wesentlichen Elemente des heutigen Geschäfts(-modells) in ihren Ist-Ausprägungen aufgeführt, wie z.B. die zurzeit bedienten Zielkunden, das aktuelle Leistungsversprechen oder die zugrunde liegende aktuelle Wertschöpfungsarchitektur. In der anderen Dimension werden die drei Zeithorizonte, d.h. das heutige Kerngeschäft, künftige Wachstumsgeschäfte und mögliche Zukunftsgeschäfte – im Sinne von Keimzellen für zukünftige Geschäfte, die heute gesät werden müssen – aufgeführt.

Ausgehend von der Darstellung der Ist-Situation dient die Matrix dazu, im Management-Team des KMU zu überlegen, welche Optionen bzw. Alternativen zur heutigen Ausprägung entlang der drei Horizonte möglich sind. Wie könnte zum Beispiel im gegenwärtigen Kerngeschäft mit neuen/anderen Partnern die Wertschöpfungskette des Unternehmens kostengünstiger und flexibler gestaltet werden? Welche anderen Kundengruppen könnten unter dem Horizont «Wachstumsgeschäft» angesprochen werden? Könnte man zum Beispiel über die Zusammenarbeit mit Hochschulen im Bereich F&E heute schon erste Grundlagen für das Zukunftsgeschäft legen?

Nehmen sich KMU-Verantwortliche vor, quartalsweise zwei bis drei Stunden mögliche Optionen im Kerngeschäft und in den beiden anderen Zeithorizonten – Wachstums- und Zukunftsgeschäft – zu entwickeln und diese auch kurz zu dokumentieren, entsteht über die Zeit hinweg ein wertvoller Ideenpool, auf den das Unternehmen zurückgreifen kann.

Um auf eine vernünftige Anzahl robuster und realisierbarer Optionen zu kommen, sollten die einzelnen Optionen entlang von drei Kriterien beurteilt werden:

Gibt die Option eine passende Antwort auf Herausforderungen, mit denen sich das Unternehmen in seinem Wettbewerbsumfeld konfrontiert sieht (Kriterium: Übereinstimmung mit Herausforderungen)?

Verbessert die Verfolgung der Option das Risiko-/Ertragsprofil im Sinne der Eigentümer (Kriterium: Risiko-/Ertragswirkung)?

Kann der Investitionsbedarf, der mit der Option verbunden ist, aus dem aktuellen Geschäft finanziert werden und verfügt das Unternehmen über die notwendigen Fähigkeiten (Kriterium: Machbarkeit)?

In der Folge können diese Optionen dann priorisiert oder auch verworfen werden, weil z.B. die notwendigen Investitionen nicht realisierbar sind oder das Risiko schlichtweg zu hoch wäre.

Die «Orchestrierung»

Die Umsetzung der beiden Optimierungsvarianten bindet Ressourcen. Gleichzeitig ist aber auch verständlich, dass die Optimierungsarbeiten für eine wertschöpfende Unternehmensentwicklung unverzichtbar sind. Es geht also weniger um die Frage, ob man diese Aufgaben durchführt, sondern eher darum, wie man diese Aktivitäten orchestrieren kann, um sie mit der knappen Personaldecke zu bewältigen.

Eine erfolgsversprechende Möglichkeit besteht darin, die Aufgaben auf mehrere Personen im Unternehmen zu verteilen. Diese Personen nehmen dann neben ihrem Tagesgeschäft – quasi im Nebenamt – zusätzliche Aufgaben der Unternehmensentwicklung wahr. So kann z.B. ein «Steckbrief-Koordinator» bestimmt werden, der als freundlicher Taktgeber die Überprüfungstermine im Blick hält, auf die Massnahmenverantwortlichen zugeht und die Steckbriefe für die gemeinsame Besprechung mit dem Geschäftsführer vorbereitet.

Analog könnte ein «Optionen-Koordinator» eingesetzt werden, der sich um die quartalsweise Durchführung und Dokumentation der zwei bis dreistündigen Sitzungen kümmert. Je systematischer solche Sitzungen durchgeführt und dokumentiert werden, desto höher wird auch die Qualität der Diskussionen und der Bewertungen der Optionen.

Die Optimierungsarbeit ist grundsätzlich Chefsache, sollte aber organisatorisch breiter abgestützt werden. Dies bedeutet nicht nur eine Entlastung für den Geschäftsführer, sondern verbessert gleichzeitig auch die Verankerung des wertschöpfungsorientierten, strategischen Denkens im Betrieb und erhöht insgesamt auch die Identifikation mit dem Unternehmen. Die Erfolgschancen einer solchen Delegation können mit gezielten Weiterbildungsmassnahmen erhöht werden.

Der ehemalige Eishockey-Star Wayne Gretzky sagte zur Erklärung seines Erfolgs: «Ich bin nie da, wo der Puck im Augenblick ist, sondern immer da, wo der Puck sein wird». Dies könnte auch das Motto eines KMU-Verantwortlichen sein, der mittels kontinuierlicher Optimierung des bestehenden Geschäfts und der aktiven Gestaltung der Zukunft eine wertschöpfungsorientierte Entwicklung seines Unternehmens anstrebt.

Wer sich einen Wettbewerbsvorsprung sichern, die Wertschöpfung verbessern und die langfristige Entwicklung des Unternehmens aktiv gestalten will, nimmt in diesem Sinne die Orchestrierung der Optimierungsarbeit lieber heute als erst morgen in Angriff.