Der Fachkräftemangel in der Schweizer Praxis ist auch nach der Coronapandemie allgegenwärtig und zählt zu den wichtigsten Herausforderungen bei Schweizer Klein- und Mittelunternehmen (KMU). Eine aktuelle Praxiserhebung (Online-Umfrage bei rund 2500 KMU in der Ostschweiz mit einer Rücklaufquote von rund 3,8 Prozent) hat ergeben, dass rund 90 Prozent den Fachkräftemangel als eine Herausforderung qualifizieren.
Verschärfter Wettbewerb
Der Fachkräftemangel ist somit eine zentrale Herausforderung und es stellt sich die Frage, wie ein Unternehmen diesem Trend begegnen kann. Wenn in einem Markt eine Knappheit herrscht, besteht natürlich für die bestehende Belegschaft die Option, ein lukrativeres Angebot bei einem Mitbewerber anzunehmen, wenn die Entschädigung und die Perspektive vielversprechender sind als in der bisherigen Anstellung. Somit ist nicht nur der Fachkräftemangel für sich, sondern auch der damit verbundene Wettbewerb um die Fachkräfte zwischen den Mitbewerbern akut beziehungsweise kann sich verschärfen. Ein solcher Wettbewerb um Talente («war of talents») kann auch einen Einfluss auf die Rechnungslegung haben. Im Extremfall können erhebliche Zweifel an der Existenz angeführt werden, sofern die Annahme der Unternehmensfortführung («Going Concern») nicht mehr gestützt werden kann.
Was «Going Concern» bedeutet
Nach OR 959a beruht die Rechnungslegung und somit das Rechnungswesen insgesamt auf der Annahme, dass ein Unternehmen auf absehbare Zeit fortgeführt werden kann. Als absehbare Zeit wird in der Praxis und nach Lehrmeinung ein Jahr angelegt. Diese Annahme wird als Going Concern oder auch Annahme der Unternehmensfortführung bezeichnet und bildet eine der wichtigsten Prämissen in der Rechnungslegung nach Handelsrecht (OR) ab.
Sofern Zweifel bestehen, müssen sie im Anhang erläutert und ihre finanziellen Folgen dargelegt werden. Wenn die Annahme zudem nicht haltbar ist, sind die Fortführungswerte (Buchwerte) zu Veräusserungswerten anzusetzen. Im Endergebnis sind hohe Abschreibungen und Verluste zu erwarten, im Extremfall besteht eine Überschuldung nach OR 725.
Auf den ersten Blick erscheint diese Thematik theoretisch und praxisfern, doch die Coronapandemie hat sie ins Zentrum der Abschlussdiskussion geführt. Der zuvor erläuterte Fachkräftemangel trägt seines dazu bei. Sofern im erheblichen Masse Mangel an Fachkräften besteht oder solche zu Mitbewerbern wechseln, kann die Annahme der Unternehmensfortführung angezweifelt werden. Unbestrittenermassen trifft dies auf einen Extremfall zu, aber im Minimum kann der Fachkräftemangel auch einen Einfluss auf die Rechnungslegung haben. Es gilt zumindest in der Unternehmensführung, sich dieser Thematik bewusst zu sein und – wo möglich und angebracht – diesem entgegenzuwirken.