Forschung & Entwicklung

Studie: Internationalisierung

Wie KMU in den Internationalisierungsprozess starten

KMU-Entscheidungsträger wollen und müssen immer stärker auch im Ausland nach neuen Opportunitäten für eine positive Geschäftsentwicklung suchen. Die Komplexität und das Risiko der Aufgabe sind gross. Wie also können KMU-Entscheidungsträger diese Aufgabe erfolgreich in Angriff nehmen?
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Die Internationalisierung fordert KMU-Entscheidungsträger heraus, trotz zum Teil grosser Unsicherheit und Komplexität, schnell und richtig zu handeln. Jedoch fehlt in der Forschung noch ein fundiertes Verständnis davon, was Entscheidungsträger von KMU konkret tun, wenn sie erfolgreich zu internationalisieren beginnen (vgl. Moroz und Hindle 2012). Es gibt deshalb für KMU wenig Informationen und Anhaltspunkte, wie sie den anfänglichen Unsicherheiten und der Komplexität der Internationalisierung zum Gewinn ihres Unternehmens begegnen können.

Mit dem von der Schweizerischen Agentur für Innovationsförderung (Innosuisse) geförderten Projekt «KMU-Internationalisierung» schliesst die Hochschule Luzern nun die bestehende Wissens-Lücke für KMU. Ziel des bis zum Januar 2019 laufenden Forschungsprojektes ist es (a), diejenigen Management- und Führungskompetenzen sowie die Verhaltensmuster von KMU-Entscheidungsträgern zu identifizieren, welche für eine erfolgreiche Internationalisierung von KMU entscheidend wichtig und notwendig sind; und (b) Unterstützung anzubieten, diese Kompetenzen und Verhaltensweisen in den Unternehmen zu gewährleisten, zu entwickeln und zu fördern.

Die Unternehmer-Perspektive

In einem ersten Schritt wollte die Projektgruppe von erfolgreich internationalisierenden KMU wissen, wie deren Entscheidungsträger einen fruchtbaren Nährboden für internationale Opportunitäten schaffen, um über die effektive und effiziente Nutzung dieser Opportunitäten die ersten Internationalisierungsaktivitäten einzuleiten. Mit diesem Ansatz schliessen wir konzeptionell an die «International Entrepreneurship»-Forschung an, die darauf fokussiert, wie Entscheidungsträger Chancen auf dem internationalen Markt erkennen, entwickeln und nutzen. Wir wollten also wissen, wie innovative, proaktive sowie opportunitätsgeleitete Verhaltens- und Handlungsweisen von KMU-Entscheidungsträgern über die nationale Grenze hinaus konkret aussehen, die eine positive internationale Geschäftsentwicklung vorantreiben können (McDougall und Oviatt, 2000).

Dieser Fokus auf konkretes und opportunitätsgeleitetes Verhalten und Handeln entspricht dem Grundcharakter der KMU-Internationalisierung, die – im Gegensatz zur Internationalisierung von Grossunternehmen – weniger strategisch als vielmehr opportunistisch geprägt ist. Exemplarisch dafür steht folgendes Zitat eines internationalisierenden KMU-Entscheidungsträgers: «Sie können nicht nur strategisch vorgehen, Sie müssen auch opportunistisch vorgehen. Ein rein strategisches Vorgehen braucht manchmal einen sehr langen Atem und den haben Sie finanziell als KMU nicht immer. Es muss eine Mischung sein: Irgendwo ergeben sich Gelegenheiten.»

Wir geben im Folgenden weitere Eindrücke der von uns identifizierten besten Management- und Führungskompetenzen sowie Verhaltensweisen der KMU-Internationalisierung; wobei wir darauf fokussieren, wie sich KMU-Entscheidungsträger in den ersten Phasen der Internationalisierung verhalten, um die oben erwähnten Unsicherheiten und Komplexitäten zu überwinden und die entstehenden Opportunitäten effektiv und effizient zu nutzen (siehe auch Abb. 2).

Inspirierende Netzwerke

Ein inspirierendes Gespräch an einer Messe, eine Kundenanfrage aus dem Ausland oder der Umzug einer guten Mitarbeiterin ins Ausland – die ersten Internationalisierungsideen entstehen oftmals im Austausch mit dem Netzwerk. Das Netzwerk des Entscheidungsträgers bietet meist die Grundlage dafür, dass Chancen und Gelegenheiten auf dem inter-
nationalen Markt von den KMU-Entscheidungsträgern überhaupt erst wahrgenommen werden können.

Zudem dient das Netzwerk von Partnern, Kunden, Kollegen sowie Freunden dazu, schnell und auch kostengünstig Informationen, Wissen und Erfahrungen bezüglich möglicher Internationalisierungsszenarien zu sammeln. Einen Eindruck von dieser für die Internationalisierung wichtigen, aber niederschwelligen Suche und Pflege von Beziehungen gibt folgendes Zitat eines Studienteilnehmers: «Ich bin in einem Verband, in einem Industrie­verband. Die meisten Mitglieder in dem Verband sind Kunden oder potenzielle Kunden von uns und ich bin dort in dem Vorstand.

Dort findet man natürlich auch wieder viele Gesprächspartner, welche man anzapfen und mit denen man Ideen finden kann.» Eine wichtige Rolle bei der Pflege des bestehenden und entstehenden Netzwerkes spielen also die Branchenverbände, aber auch die Messen, die bestehenden Kunden und zusehends auch die sozialen Medien. Jedoch können auch zuverlässige vertraute Beziehungen im privaten Umfeld, insbesondere Familie und Freunde, die Entscheidung zur Internationalisierung positiv prägen. Schliesslich vernetzen sich Entscheidungsträger auch intern: sie entwickeln vertrauensvolle Beziehungen zum eigenen Führungsteam und binden dieses aktiv in die Entscheidungsfindung ein.

Kleine und mittlere Unternehmen sind auf diese Netzwerk-Informationen und -Kontakte angewiesen, um mögliche Szenarien einer Internationalisierung durchzudenken und zu planen. Im Gegensatz zu Grossunternehmen können sie zumeist nicht auf interne Expertenstäbe oder externe Beratungsdienstleistungen zurückgreifen. Der intelligenten Nutzung des eigenen unmittelbaren Netzwerks kommt deshalb über den gesamten Prozess einer erfolgreichen Internationalisierung eine wichtige Aufgabe zu.

Ein Gespür entwickeln

KMU-Entscheidungsträger sind zumeist stolz auf ihr unternehmerisches Gespür. Ein Gespür für die Opportunitäten der Internationalisierung müssen die meisten Entscheidungsträger aber erst noch entwickeln. Hierbei führt nichts daran vorbei, dass Entscheidungsträger auf Rei­sen gehen, um neue Kontakte zu knüpfen, Erfahrungen zu sammeln, sich inspirieren zu lassen und mit neuen Ideen nach Hause zu kommen. Dazu erneut ein Zitat: «Das ist für mich so eine Sondierungsreise gewesen, wo man vielleicht zehn Interviews macht in ein paar Tagen mit potenziellen Vertretern. Oft ergeben sich vor Ort auch Ideen.»

Unsere Ergebnisse der Forschung zeigen, dass ohne den Willen und den Wunsch zu einer persönlichen und direkten Interaktion mit den neuen Märkten, den Partnern sowie den Kunden keine Internationalisierungsstrategie von Erfolg gekrönt ist. Und so zeichnen sich die erfolgreichen Entscheidungsträger von kleinen und mittelgrossen Unternehmen schlicht dadurch aus, dass sie auch einfach Spass daran haben, neue Kulturen und neue Länder zu entdecken sowie deren Märkte zu verstehen.

Doch jeder Anfang ist schwer. Und dennoch ist es wichtig, die ersten Schritte in Richtung Internationalisierung einfach zu wagen. Entscheidungsträger suchen daher Situationen und Kontexte, die ein Experimentieren in kleinen Schritten ermöglichen. Ein beispielhaftes Zitat: «Ich gehe nie zu den ganz Grossen am Anfang, sondern lieber zu den Kleinen. Denn wenn es dort einen Fehler gibt, hat dies viel weniger Konsequenzen zur Folge, als wenn ich gleich beim Grossen einen Bock schiesse und damit die Partnerschaft aufs Spiel setze.»

Experimentieren

Besonders ressourcenärmere KMU experimentieren mit viel Improvisations­talent und Mut, um die Chancen auf dem internationalen Markt zu testen. Das kann auch einmal bedeuten, dass man spontan das neuste Produkt ins Auto packt und in Europa auf eine improvisierte Demo-Tour geht. Beim Experimentieren müssen KMU-Entscheidungsträger genau wissen, was ihr «leistbarer Verlust» (Sarasvathy, 2001) ist. Dieser Begriff des «leistbaren Verlustes» bezeichnet den finanziellen Spielraum, den ein Unternehmen grundsätzlich bereit ist zu riskieren und schlimmstenfalls ohne Existenzbedrohung zu verlieren.

Das ist ein Stück weit die Umkehr zur gängigen Managementlehre, die sich auf die zu erwarteten Erträge fokussiert. Gerade in den komplexen und unsicheren Situationen der KMU-Internationalisierung, in denen Opportunitäten eher entstehen als geplant werden können, gleicht jedoch die Kalkulation zu erwartender Erträge oft einem Ratespiel. Und einzuplanen, dass man im  schlimmsten Fall auch (ohne das KMU existenziell zu gefährden) verliert und verlieren kann, ermöglicht es den Entscheidungsträgern, mutig vielversprechende, aber eben «kleine» Entscheide hin zur Internationalisierung zu treffen.

Den Kunden folgen

Diese «kleinen» Schritte zu wagen, fällt dann am leichtesten, wenn eine Opportunität aus bestehenden Geschäftskontakten entsteht. Wann immer möglich, folgen die von uns befragten Unternehmer deshalb ihren bestehenden engsten Kunden in neue Märkte. Zitat: «Ich sage mal, die Internationalisierung klingt auf dem Papier, also konzeptionell, immer sehr interessant: «Jetzt entscheiden wir mal, dass wir dort und dort hingehen». Aber ich denke, dass es immer das Einfachste ist, ein bestehendes Geschäft auszubauen.»

Dies erfordert zwar viel Agilität, denn meistens müssen diese Opportunitäten rasch erkannt und genutzt werden, doch hilft die langfristige Kundenbeziehung den KMU-Entscheidungsträgern ganz wesentlich dabei, Chancen zu erkennen und zu bewerten. Ein Studienteilnehmer: «Ich war gerade im Februar in Vietnam. Dort sind wir gerade dabei, eine neue Vertretung aufzubauen. Einer unserer Kunden in Vietnam ist eine grosse Maschinenfabrik. Auch ein  Österreicher, der Maschinen baut, die sich jetzt in Vietnam gut verkaufen, lässt uns vermuten, dass dort in zwei bis drei Jahren das Ersatzteilbedürfnis entsteht. Wir wollen jetzt dort parat sein.»

Dies bedeutet also auch, dass sich die Entscheidungsträger bereits früh mit den Bewegungen ihrer Kunden und Partner auseinandersetzen, Augen und Ohren offen behalten und sich auf mögliche Opportunitäten in der nahen Zukunft vorbereiten müssen.

Innovieren

Um sich erfolgsversprechende Opportunitäten auf dem internationalen Markt zu eröffnen, richten die Entscheidungsträger  von kleinen und mittleren Unternehmen ihren Blick nicht nur nach aussen, sondern auch auf ihre eigene Firma. Sie stellen sicher, dass sie dank ihres zumeist hochspezialisierten Geschäftsmodelles und ihrer sehr innovativen und qualitativ hochwertigen Produkte und Dienstleistungen im internationalen Markt einen einzigartigen Mehrwert schaffen können.

Dank dieser steten Innovationskraft und der bewussten Fokussierung auf die «globale Nische» der Qualität gelingt es auch kleinen Unternehmen, erfolgreich auf dem internationalen Markt zu agieren. Ein Entscheidungsträger formuliert: «Wir müssen uns differenzieren, wir müssen uns tagtäglich fragen, was müssen wir anders oder besser machen. Das ist der einzige Weg, meines Erachtens, wie wir auch in Zukunft überleben können. Darum Innovation, Innovation, Innovation! Innovation ist absolut matchentscheidend.»

Fazit

Unsere bisherigen Studienergebnisse zeigen, dass vonseiten der KMU-Entscheidungsträger viel Mut, Risikofreude und Kreativität im Internationalisierungsprozess gefragt ist. Mut braucht es beispielsweise, um in Usbekistan zu «freestylen», nach Amerika zu ziehen oder einfach einmal eine Linkedin-Recherche zu starten und Unbekannte zu kontaktieren. Das Risiko scheint dann Freude zu machen und zu fruchten, wenn man weiss, dass man nicht das ganze Unternehmen gefährdet. Auch an Kreativität und Improvisationstalent mangelt es diesen Unternehmern nicht, wenn sie die Familienferien als Inspiration und die kulturelle Vielfalt ihrer Mitarbeitenden als eine treibende Kraft nutzen.

Ob auch Sie als KMU-Entscheidungsträger über Mut, Risikofreude und Kreativität für die Internationalisierung verfügen, also über die notwendigen Kompetenzen und Verhaltensweisen der KMU-Internationalisierung? Reflektieren Sie doch einmal selbst, mit folgenden Leitfragen:

  • «Im Kleinen anfangen und darauf aufbauen» – Was könnte dies für mein Unternehmen bedeuten? Welche Möglichkeiten würden sich ergeben?
  • Was wäre ein «leistbarer» Verlust für ein Internationalisierungsexperiment?
  • In welchen Märkten bewegen sich unsere Kunden? Welche Internationalisierungsideen verfolgen unsere Kunden?
  • Welche Experimente und welche Vorgehensweisen waren bis anhin erfolgreich? Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zeigen sich? Welche Massnahmen, welche Praktiken und welche Initiativen sollten repliziert werden?
  • Welche Experimente und Vorgehensweisen waren wenig erfolgreich (selbst bei tiefen Kosten)? Was bedeutet dies für aktuelle und zukünftige Projekte? Welche Praktiken sollen in Zukunft vermieden werden?
  • Wie können auf Basis der gesammelten Erfahrung Entscheidungsgrundlagen hergestellt werden?
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