Nach Jahrzenten des Postulats rationaler Analysen und linearer Entscheidungsfindung wird in den letzten 15 Jahren die Intuition auch für die Managementetage wiederentdeckt (Salas, Rosen, & Diaz Granados, 2010).
Eine Definition
Inzwischen gibt es vielfältige Definitionen von Intuition (Matzler et al 2010, S. 211ff). Stellvertretend für die eher akademische Seite sei hier jene von Betsch (2008, S. 4) genannt: «Intuition ist ein unbewusster Denkprozess. Sein Input ist meist Wissen, das durch assoziatives Lernen erworben und im Langzeitgedächtnis gespeichert ist. Dieses Wissen wird automatisch verarbeitet, ohne bewusste Steuerung. Der Output des intuitiven Denkprozesses ist ein Gefühl, das als Basis für Bewertungen und Entscheidungen dient.»
Ein Praxisbeispiel dazu: Eine grosse Metzgereikette hat über sieben Jahre insgesamt vier Entscheidungsvorlagen zurückgewiesen, ein vegetarisches Catering als neues Geschäftsfeld aufzubauen. Obwohl leitende Angestellte und Vertreter der Geschäftsleitung sich sicher waren, dass der Bereich sich bezahlt machen würde, führte der analytische Entscheidungsfindungsprozess immer wieder zum Aus. Die übliche Rentabilitätsrechnung, die für alle Tochterunternehmen und Hierarchieebenen bindend war, wies das neue Geschäftsfeld als zu unsicher aus. Schliesslich empfahl ein Strategie-berater: «Versuchen Sie nicht mehr, das Geschäft analytisch zu rechtfertigen, sondern vertrauen Sie Ihrem Glauben und Ihrer Lust daran und machen Sie vorwärts.» Drei Jahre später war vegetarisches Catering eines der renditestärksten Standbeine. In diesem Beispiel ist Intuition also das sichere Gefühl, dass vegetarisches Catering rentabel sei, jenseits der analytischen Rentabilitätsrechnung.
Im Strategieprozess
Vielfältige Forschungen belegen die unabdingbare Kraft unseres Erfahrungswissens für das Management und die Strategieentwicklung sowie den Wert Expertise-basierter Intuition (Clarke & Mackaness, 2001, Seite 946). Vielen Managern spricht das aus der Seele: Andersen (2000) hat nachgewiesen, dass nur 25 Prozent aller Manager analytische Denker sind. Die strategische Planung, zu der lineare Analysetools und Entscheidungswege gehören – wie die Rentabilitätsrechnung aus dem obigen Beispiel –, werde weltweit von zirka der Hälfte aller Firmen angewandt (Rigby & Bilodou, 2015, S. 14).
Es gibt zwar auch die «Mintzberg’sche Gegenschule»; sie beschreibt Strategieprozesse als Abwägung von Initiativen, die sich aus der jeweiligen Situation und der Erfahrung einzelner Personen ergeben (Mintzberg 1995). Und tatsächlich belegen Studien: Nur 23 Prozent der strategischen Entscheide werden wirklich innerhalb eines formalen Strategieprozesses getroffen (Dye & Siboney, 2007, S. 7). Dennoch halten sie sich hartnäckig, die linearen, analytischen formalen Strategieprozesse. Viele Strategiegremien schätzen und suchen nach wie vor den systematischen Austausch über strategische Optionen und die gemeinsame Entscheidung dazu.