Forschung & Entwicklung

Studie: Unternehmensnachfolge

Unterstützungsangebote im Nachfolgeprozess

Unternehmensnachfolge ist naturgemäss ein schwieriges Thema, das sich zunehmend verschärft durch den Fachkräftemangel und demografische Veränderungen. Neue Serviceangebote und ein internationales Netzwerk könnten Abhilfe schaffen.
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Die Schweiz ist wirtschaftlich geprägt von einerseits global agierenden Grosskonzernen und andererseits einer immensen Zahl von kleinen und mittleren Unternehmen. KMU sind zwar in der Presse nicht so auffällig wie die Konzerne, aber volkswirtschaftlich in ihrer Summe wesentlich bedeutender. Denn 68 Prozent der Arbeitnehmer in der Schweiz werden von KMU beschäftigt, 26,3 Prozent davon sogar in Klein- und Kleinstunternehmen mit unter zehn Mitarbeitenden. Und jedes dieser KMU ist anders. Jedes dieser KMU ist geprägt von jeder einzelnen Persönlichkeit, die darin arbeitet. Der Unternehmer, dessen Familie, die Lernenden und jeder einzelne Mitarbeitende.

70 000 Übernahmekandidaten

Und genau das macht das Thema Unternehmensnachfolge so anspruchsvoll. Mit Unternehmensnachfolge ist die Übergabe oder der Verkauf eines Unternehmens vom Altunternehmer, der Unternehmerfamilie oder dem Gründer an einen nachfolgenden Eigentümer und Unternehmer gemeint.

Auf beiden Seiten bestehen unterschiedliche Kenntnisse und Fähigkeiten, persönliche Erfahrungen, Lebensgeschichten, Persönlichkeiten und familiäre, aber auch finanzielle Rahmenbedingungen. Für alle, die es sich zur Aufgabe gemacht haben (Berater, Juristen, Treuhänder, Wirtschaftsförderer, Unternehmernetzwerke, etc.), diesen Prozess zu unterstützen, stellt diese enorme Vielfalt eine gewaltige Herausforderung dar.

Das nötige Fachwissen stellt meist nicht das Problem dar, sondern das richtige Gefühl und die richtige Verpackung, um dieses Wissen zu platzieren. Denn eine Unternehmensnachfolge bedeutet für viele Unternehmer das Ende einer Ära, das Ende eines Lebensabschnittes, durch den sie sich oft jahrzehntelang definiert haben. Und von diesen Unternehmern, die jetzt vor der Übergabe stehen, gibt es in der Schweiz laut einer Erhebung von Bisnode 71 447 Betriebe.

Damit hat die Zahl der Unternehmen mit offener Nachfolgeregelung in nur einem Jahr um 7709 zugenommen. Auch eine Studie der Credit Suisse kommt zu Zahlen in dieser Grössenordnung und schätzt, dass mit diesen offenen Nachfolgeregelungen auch über 400 000 Arbeitsplätze einhergehen, also rund acht Prozent aller Schweizer Erwerbstätigen. Die demografische Entwicklung wird in den kommenden Jahren weiter für eine Verschärfung der Situation führen.

Hilfe im Nachfolgeprozess

Die beschriebenen komplexen Herausforderungen bei der Unternehmensnachfolge erfordern naturgemäss intensiveren persönlichen Austausch, weshalb viele Unternehmer eher innerhalb eines engen geografischen Rahmens nach Nachfolgern suchen. Doch das macht es gerade noch schwieriger, Kandidaten für die Nachfolge zu finden. Sich in grossen internationalen Datenbanken zu registrieren, um wiederum die Suchoberfläche zu vergrössern, endet in Anonymität, die dem Thema wie schon erläutert nicht gerecht wird.

Genau hier setzt ein Projekt der europäischen territorialen Zusammenarbeit an, genauer aus dem Programm der Europäischen Union namens Interreg Alpine Space. Das Projekt mit dem Titel C-Temalp (Continuity of Traditional Enterprises in Mountain Alpine Space Areas) verfolgt das Ziel, die Rahmenbedingungen für die grenzüberschreitende Unternehmensnachfolge in den beteiligten Regionen zu verbessern.

Die zwölf Projektpartner aus fünf Alpenstaaten wollen neue Services entwickeln, um Unternehmensnachfolgen auch über die Landesgrenzen hinaus zu ermöglichen. Dies können einfache Vermittlungsleistungen zwischen den Projektpartnern sein, neue Trainings- sowie Workshopformate mit internationaler Ausrichtung oder eben auch eine internationale Nachfolgebörse (www.business-transfer.eu). Damit diese aber nicht auch Gegenstand der zuvor geäusserten Kritik des aufgeblähten Datengrabs wird, sollen alle Einträge in die Plattform persönlich begleitet und evaluiert werden.

Analyse von Serviceangeboten

Auf dem Weg zu diesen neuen Services führte die Schweizer Projektpartnerin, die Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur, eine Analyse der Ausgangslage durch. Von den zwölf Projektpartnern wurden insgesamt 58 Serviceangebote untersucht und hinsichtlich drei Dimensionen beurteilt. Die Einteilung der Services in das Beurteilungssystem wurde von jedem Projektpartner per Selbsteinschätzung vorgenommen und bei einem gemeinsamen Projektworkshop in Graz evaluiert.

Die erste Dimension bildet die Phasen im Nachfolgeprozess ab. Aufgrund der hohen Popularität und Verbreitung des Modells wurden die fünf Phasen Initialisierung, Wahl der Nachfolgeoptionen, Vorbereitung, Überleitung und Umsetzung gewählt, wie sie in der Nachfolgeberatung der Credit Suisse verwendet werden.

Die zweite Dimension lautet Serviceformat und bestimmt, was angeboten wird. Handelt es sich um einen Fachvortrag, ein Beratungsangebot, ein Training in Kleingruppen oder um ein Downloadarchiv im Internet? Dimension drei beschreibt den Grad der Interaktivität beziehungsweise das Wesen der Austauschbeziehung zwischen Unternehmer und unterstützender Institution. Bleibt der Unternehmer passiv und konsumiert lediglich angebotene Informationen, zum Beispiel Besuch eines Fachvortrags? Oder nimmt der Unternehmer an einem Training teil, das auch Aktivität fordert? Oder ist es gar eine interaktive Austauschbeziehung, in der z. B. bei einem individuellen Coaching der Unternehmer ebenso viel von sich preisgeben und investieren muss, wie der Berater oder Coach versucht zurückzugeben?

Im Nachfolge-Dialog

Die Ergebnisse (siehe Abbildung) werfen einige Fragen auf, die nachfolgend im Dialog zwischen den beiden Autoren diskutiert werden. Als Verantwortlicher für die Durchführung der Analyse und Projektverantwortlicher bei der HTW Chur formuliert Prof. Dr. Frank Bau Thesen, die im zweiten Abschnitt dieses Beitrags von Jörg Sennrich, dem Geschäftsführer des Netzwerks KMU Next, kommentiert werden.

Bei der Betrachtung der Einschätzungen bezüglich der durch das Unterstützungsangebot adressierten Phase im Nachfolgeprozess zeigt sich ein auf den ersten Blick erschreckendes Bild. Nur gerade 15 von 58 Angeboten konnten spezifisch einer Prozessphase zugeordnet werden. Als erschreckend darf dies deshalb bezeichnet werden, weil es einer der Faktoren des Erfolgs zu sein scheint, sehr frühzeitig mit der Planung des Nachfolgeprozesses zu beginnen.

Zum gleichen Fazit kommt auch eine Studie der Fachhochschule St. Gallen, die die fehlende Langfristplanung der Nachfolge als strategischen Führungsfehler bezeichnet. Dieser Gefahr müssen auch die beratenden Einrichtungen begegnen und mit ihren Angeboten explizit auf die Frühphasen des Nachfolgeprozesses eingehen.

These 1

Die Unterstützungsangebote zur Unternehmensnachfolge müssen konkreter auf bestimmte Phasen im Nachfolgeprozess zugeschnitten werden.

 

Kommentar zu These 1

So einfach, wie die These es suggeriert, ist das nicht. Natürlich wäre es wünschenswert, zu jeder Prozessphase das passende Angebot zu haben. Seitens der öffentlichen und halböffentlichen Fördereinrichtungen wird kein Marktversagen im Übertragungsprozess festgestellt; daher werden aktuell kaum zusätzliche Budgets freigegeben, um ergänzende Angebote den Unternehmerinnen und Unternehmern zur Verfügung zu stellen.

Und auch die privaten Organisationen und Unternehmensberater, mit denen wir schliesslich im Netzwerk national kooperieren, können sich erst dann genau positionieren, wenn sie nach einer ausführlichen Analyse mit dem Unternehmer herausgefunden haben, wo genau der Schuh drückt und was wirklich die dringendsten Fragen sind.  Der Generationenwechsel in unseren Betrieben bleibt so individuell, wie sich unsere KMU-Landschaft präsentiert. Das ist ein Spagat, den man aber angesichts der von Frank Bau vorgelegten Untersuchung durchaus immer wieder wagen sollte.

Auch die Analyse der eingesetzten Serviceformate erlaubt die Formulierung zu einer deutlichen These. Trainings und Workshops machen mit 4 von 58 Angeboten den mit Abstand kleinsten Teil aus. Dabei grenzen sich die Workshops von den Trainings in der Art ab, dass bei den Trainings von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern konkrete praktische Inhalte angewendet und auch so vermittelt werden, wohingegen in den Workshops mit den Teilnehmenden konkrete Resultate erarbeitet werden sollen, mit denen die Unternehmerinnen und Unternehmer im weiteren Prozess fortfahren können.

Das hilft den Unternehmern, in den Prozess der Nachfolgeplanung hineinzufinden. Speziell bei den Workshops können die Unternehmer ihre ganz persönlichen Gegebenheiten berücksichtigen und erarbeiten damit Lösungen für die je nach Phase unterschiedlich zu priorisierenden Fragen.

These 2

Die Unterstützungsangebote zur Unternehmensnachfolge müssen mehr Trainings und Workshops beinhalten.

 

Kommentar zu These 2

Das ist richtig, keine Frage. Aber auch hier muss ich leider ein paar ganz einfache praktische Restriktionen setzen, die keinesfalls nach Ausreden klingen sollen. Auch, wenn mit über 70 000 offenen Nachfolgeregelungen gerechnet wird, ist es nicht so, dass man den Serviceanbietern die Türe einrennt. Es ist aber auch einfach Realität, dass für viele Dienstleister das Organisieren und Durchführen von Trainings und Workshops nicht ihr Kerngeschäft ist. Die Unternehmer sind, wie es ja auch bei der Formulierung von These 3 thematisiert wird, sehr zurückhaltend, um nicht zu sagen scheu und schüchtern. Und die Frage der Nachfolge wird leider immer noch sehr oft auch tabuisiert. Aber mit den richtigen Themen, einer geschickten Auswahl von Ort und Termin können wir uns eigentlich nicht über zu niedrige Teilnehmerzahlen beschweren.

Wir bei KMU Next sind recht zufrieden mit der Resonanz unserer Mitglieder auf unsere Angebote im Bereich Training und Workshop, welche wir ausschliesslich in Zusammenarbeit mit Mitgliedern und Partnern im Netzwerk, den wirklichen Leistungsträgern, anbieten. So gehen wir Konflikten aus dem Weg und holen uns noch mehr Kompetenz ins Haus. Das Netzwerk KMU Next ist eine unabhängige und neutrale Plattform, die Türen öffnet, Brücken baut, Hindernisse beseitigt und Menschen zusammenführt. So gesehen erbringt die eigentliche Prozessleistung der Dienstleister im Markt, sofern der Unternehmer, welcher im ganzen Prozess immer im Lead bleibt, sich für eine fachliche Unterstützung durch einen Experten entscheidet. Was wir seitens KMU Next sehr empfehlen. Die Lösung, die «gute Geschichte» für das Unternehmen steht dabei immer im Zentrum.

Die dritte Dimension schliesslich zeigt auf, dass es eher wenig passive Formate gibt, bei denen die Unternehmerinnen und Unternehmer, ohne selbst aktiv werden zu müssen, sich passiv verhalten können und zum Beispiel nur Informationen beziehen oder anonym einen Vortrag besuchen können. Unternehmensnachfolge ist ein sehr sensibles Thema. Viele Unternehmer haben Angst davor, über die anstehende Nachfolge zu sprechen, weil Kunden, Wettbewerber sowie Mitarbeitende davon verschreckt werden könnten. Dies berichtet auch Markus Neuner, stellvertretender Bereichsleiter Recht und Steuern bei der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern, die als deutscher Projektpartner dabei ist.

Neuner beobachtet immer wieder, dass sich zu Veranstaltungen im Bereich Unternehmensnachfolge in München Unternehmer aus anderen Kammerbezirken, zum Beispiel aus dem nordbayerischen, 200 Kilometer entfernten Nürnberg, anmelden und umgekehrt. Offensichtlich suchen die Unternehmer vor allem in den frühen Phasen des Nachfolgeprozesses die Anonymität.

These 3

Die Unterstützungsangebote zur Unternehmensnachfolge müssen mehr passive Angebote beinhalten, die es den Unternehmerinnen und Unternehmern erlauben, unerkannt zu bleiben.

 

Kommentar zu These 3

Wir bei KMU Next beobachten das auch. Vielleicht ist das in der Schweiz sogar noch stärker ausgeprägt als in Bayern, wo alles viel grösser und damit per se anonymer ist. Und natürlich versuchen wir bei KMU Next auch die geforderten passiven Formate bereitzustellen.

Mit Checklisten und verschiedenen Publikationen bieten wir den Mitgliedern eine breite Palette an Unterstützung an, ohne dass sie sich öffentlich zu ihrem Vorhaben bekennen müssen. So stehen wir unter anderem auch am Samstag von 7.00 Uhr bis 12.00 Uhr oder nach Arbeitsschluss unter der Woche für persönliche Gespräche zur Verfügung. Aber es gibt auch aktive Formate, die mit etwas Fingerspitzengefühl dieses sensible und nachvollziehbare Bedürfnis nach Vertraulichkeit erfüllen.

Wir bieten zum Beispiel ein «KMU-Z’vieri» an, bei dem unter unserer Kontrolle nur Unternehmerinnen und Unternehmer teilnehmen dürfen, die sich ernsthaft mit einer Unternehmensnachfolge befassen. Dienstleister sowie Berater werden hierbei höflichst auf andere Formate verwiesen. Meist braucht es eine gewisse Anwärmphase, aber es entsteht dann doch eine sehr offene Atmosphäre, in der die Unternehmer über ihre Sorgen sprechen und sich untereinander austauschen.

Das ist ein wichtiger und eben doch aktiver Schritt, um gut in den Nachfolgeprozess hineinzufinden. Dies unterstützen wir affektiv, indem wir den Unternehmer in unsere Kommunikationsmassnahmen einbinden und mit unseren Themenschriften bedienen. Ein aktives Nachfassen seitens KMU Next erfolgt jedoch nicht. Die Unternehmerin, der Unternehmer ist und bleibt im Lead.

Fazit

Die grosse Unsicherheit und Berührungsangst seitens der Unternehmer könnte abgebaut werden durch mehr Prozessorientierung der Unterstützungsangebote und ein vielfältiges Portfolio an Formaten, das unterschiedliche Unternehmerpersönlichkeiten mit ihren Ängsten und Sorgen da abholt, wo sie stehen. Da eine Einrichtung alleine nicht alles abdecken kann, sind einmal mehr Netzwerke ein Lösungsansatz. In diesem Fall könnte das Netzwerk zudem durch Internationalität zusätzlichen Nutzen stiften. Aber der Ball ist auch an die Unternehmer zurückzuspielen. Es ist ähnlich wie bei Unternehmensgründern, die keinem von ihren Ideen erzählen wollen.

Nur die wenigsten Unternehmer werden durch Geheimniskrämerei und Verdrängung erfolgreich. Wer die Unternehmensnachfolge als positiven Abschluss seiner unternehmerischen Laufbahn abschliessen will, sollte frühzeitig und offen ans Werk gehen.  Und wer sich nicht erst in den letzten zwei oder drei Jahren vor der körperlichen Erschöpfung mit der Nachfolgeplanung beschäftigt, muss auch nicht fürchten, dass sein Umfeld durch einen Vorgang irritiert wird. Ein Vorgang, der naturgemäss ohnehin irgendwann stattfindet. Entsprechende Anlaufstellen gibt es zahl­reiche, die HTW Chur und das Netzwerk KMU Next sind nur zwei davon.

Porträt