Forschung & Entwicklung

Krisenmanagement

Umgang des Verwaltungsrates mit Unternehmenskrisen

Jedes Unternehmen durchläuft im Laufe der Jahre mehrere Krisen. Krisen haben bestimmte Merkmale und tauchen zu unterschiedlichen Zeiten auf. Je früher die Krise erkannt wird, desto besser kann darauf reagiert werden. Der Beitrag befasst sich mit den Merkmalen einer Krise und den Ableitungen für ein Krisenmanagement.
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Unternehmenskrisen haben meistens zwei Eigenschaften: Sie zeichnen sich meist früh ab und Zeichen werden oft nicht erkannt. Zum Teil möchte das Management auch die Krise nicht erkennen und neigt zu Realitätsverlust. Der Verwaltungsrat ist zu weit weg von der operativen Realität und lässt sich vom Management entsprechend schnell beruhigen, falls dieser überhaupt Krisensignale wahrgenommen hat. All dies führt dazu, dass zu spät auf Krisen reagiert wird und daher die Chancen der erfolgreichen Umsetzung einer Sanierung oder eines Turn­arounds sinken.

Krisensituationen werden letztlich zum Prüfstein für den Verwaltungsrat und für die Corporate Governance, da der Verwaltungsrat in einer Krise wesentlich aktiver werden muss als in einer Normal­situation. Krisen führen auch zu einer stärkeren Beanspruchung des Ver­waltungsrates. Im Rahmen der Oberleitungspflicht muss der Verwaltungsrat selbst Sanierungsmassnahmen und -konzepte erarbeiten beziehungsweise die entsprechenden Weisungen erlassen und auch deren Umsetzung überwachen. Aufgrund seiner gesetzlichen Pflichten ist der Verwaltungsrat gezwungen, sich dem Problem anzunehmen. Er muss sich die entsprechenden Zeitreserven schaffen. Vernachlässigt der Verwaltungsrat in der Krise aus Zeitmangel oder fachlicher Überforderung seine Pflichten, so erhöht dies sein Haftungsrisiko massiv.

Begriffsklärung

Eine Krise ist eine Notsituation oder ein unternehmensgefährdender Zustand, in welchem wesentliche strategische und operative Ziele des Unternehmens nicht erreicht werden sowie fundamentale Interessen Dritter wie Gläubiger, Arbeitnehmer, Gesellschafter etc. gefährdet sind. Krisen haben bestimmte Merkmale wie Krisenarten, Krisenausmass und Krisenursache. 

Die Merkmale einer Krise bestehen darin, dass die Geschäftsleitungsorgane die anstehenden Probleme oft nicht mehr selbst bewältigen können, da strategische Entscheide notwendig sind oder die Geschäftsleitung selbst Teil des Problems ist. Die hier dargestellten Krisenmerkmale dienen einem gemeinsamen Verständnis im Verwaltungsrat:  

Krisenarten

  • Strategie-, Erfolgs- oder Liquiditätskrise (bedrohte Unternehmensziele)
  • Gründungs-, Wachstums- oder Alterskrise (Lebenszyklus-Stadium)
  • Stagnations-, Schrumpfungs- oder Wachstumskrise (Unternehmens­entwicklung)
  • Beschaffungs-, Absatz-, Management- oder Organisationskrise

Krisenausmass 

  • potenzielle, latente oder beherrschbare Krise
  • existenzbedrohende Krise
  • existenzvernichtende Krise

Krisenursache

Interne Krise (endogene Ursachen): strategische, operative, kulturelle oder strukturelle Probleme wie 

  • unterdurchschnittliche Ressourcenverfügbarkeit
  • mangelnde Marktdurchdringung
  • Mängel im Finanz- und 
  • Rechnungswesen
  • ungenügende Führungs- und 
  • Managementleistung etc. 

Zwischenbetriebliche Krise (exogene Ursachen mit Mitwirkung des Unternehmens) Externe Krise (exogene Ursachen): konjunktur-, technologieveränderungs- oder verdrängungsmarktbedingt Nachfragerückgang wie 

  • Globalisierung
  • Marktsättigung
  • Kaufkraftverschiebung
  • Modeströmung
  • Pandemien
  • Disruption in der Wert­schöpfungskette etc.

strukturelle Veränderungen wie 

  • Zusammenschluss von Konkurrenten
  • Ausfall eines Hauptabnehmers etc.

Krisenstadien 

Unternehmen in der Krise durchlaufen typischerweise verschiedene Stadien. Fundamentale Unternehmenskrisen entwickeln sich häufig in einer ersten Phase aus Strategiekrisen, zum Beispiel, weil Unternehmen keine erkennbare Strategie definiert haben. 

Werden die Erträge aus Erfolgspotenzialen der Vergangenheit abgeschöpft (das heisst keine Reserven gebildet) und nicht oder falsch in zukünftige Potenziale investiert, folgt die Ertragskrise. Diese macht sich aus Umsatz- und Margenrückgängen, oftmals kombiniert mit stagnierenden oder steigenden Kosten bemerkbar, die zu Betriebsverlusten führt. 

Das letzte Stadium vor einer möglichen Insolvenz ist die Liquiditätskrise und wird oftmals nur durch Symptom- anstatt Ursachenbekämpfung weiterhin verschleppt. Die Liquiditätskrise ist zeitkritisch, in dieser Phase muss schnell gehandelt werden. Wichtige Fragen können sein: Besteht eine Liquiditätsplanung, wo ist der Cash, wo ist noch freier Cash? Oft ist es von Vorteil, wenn die Bank in diesem Stadium involviert wird, denn sie hat oft mehr Informationen.

Krisenmanagement

Das Krisenmanagement umfasst die Prävention, Erkennung, Bewältigung und Nachbereitung einer Krise. Ziel des Krisenmanagements ist die Sicherstellung der Unternehmensführung, die Erhaltung der Zahlungsfähigkeit auf Dauer und die Stärkung der Bilanz, indem wieder Gewinn erwirtschaftet wird. 

Prävention und Erkennung

Die Ursachen von Unternehmenskrisen lassen sich auf einzelne oder eine Kombination interner und externer Ereignisse und Entwicklungen zurückführen. Als besonders geeignete Methode zur Prognose potenzieller Unternehmenskrisen eignet sich die Szenario-Technik. Es geht darum, nicht nur zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten, sondern auch eine Bandbreite zukünftiger möglicher Entwicklungen darzulegen. 

Ein strategisches Frühwarnsystem eignet sich ebenfalls für die Antizipation potenzieller Unternehmenskrisen. Darin wird auf Entwicklungen fokussiert, welche mit den zur Verfügung stehenden Informationen noch nicht als Risiko oder Chance gedeutet werden können. In dieser Phase besteht eine Überschneidung zwischen Krisen- und Risikomanagement. Hilfs­mittel zur Aufdeckung einer Krise können Controlling-Berichte, Kennzahlen und Branchenvergleiche sein. 

Bewältigung

Für die Bewältigung der Krise muss der Verwaltungsrat selbst aktiv Massnahmen einleiten. Die Erarbeitung von Konzepten kann auch durch Dritte oder die Geschäftsleitung erfolgen. Letzteres ist nicht zu empfehlen, da oft die Geschäftsleitung selbst Auslöser der Krise ist. Ist das Konzept zur Krisenbewältigung festgelegt worden, muss der Verwaltungs­rat im Rahmen seiner Aufsichtsverant­wortung die Umsetzung kontrollieren und – falls keine Fortschritte erzielt werden – selbst korrigierend eingreifen. Erfahrungsgemäss ist dies vor allem dann notwendig, wenn unpopuläre Massnahmen durchgeführt werden müssen, wie zum Beispiel die Entlassung einer gros­sen Zahl von Mitarbeitenden, beim Verkauf/Schliessung von Geschäftsbereichen, wenn die Geschäftsleitung gezwungen wird, Tätigkeitsbereiche oder Projekte aufzugeben, welche sie selbst entwickelt hat. 

Hat ein Unternehmen noch rechtzeitig die kritische Situation erkannt und ergreift Massnahmen, um den Weg in Nachlass oder Konkurs zu verhindern, spricht man von einem Turnaround. Das Turn­around-Management bezeichnet alle Aktivitäten, die eine Wendung der existenzgefährdenden Unternehmensentwicklung und eine nachhaltige Profitabilität des Unternehmens zum Ziel haben. Es umfasst neben finanzwirtschaftlichen auch ertragswirtschaftliche, strategische, organisatorische und führungsbezogene Massnahmen der Krisenbewältigung. 

Business Continuity Management (BCM) 

Unter Business Continuity Management ist ein unternehmensweiter Ansatz zu verstehen, mit dem sichergestellt werden soll, dass kritische Geschäftsprozesse im Falle von massiven, einschneidenden internen und externen Ereignissen aufrechterhalten oder zeitgerecht wiederhergestellt werden können. Die BCM-Strategie definiert die grundsätzliche Vorgehensweise zur Aufrechterhaltung der Geschäftstätigkeit im Falle eines Ausfalls kritischer Ressourcen (zum Beispiel Gebäude/Arbeitsplatz, Informations- und Kommunikationstechnologie inklusive Daten, Mitarbeitende, Lieferanten). 

Mittels einer Business-Impact-Analyse (BIA) werden jährlich die kritischen Geschäftsprozesse zusammen mit den Prozessverantwortlichen identifiziert und beurteilt. Daraus werden Recovery-Ziele abgeleitet. Diese beinhalten die definierte Zeitspanne für Wiederherstellung, den gewünschten Wiederherstellungsgrad sowie den Mindestumfang der dafür notwendigen Ressourcen. 

In einem Folgeschritt werden Business-Continuity-Pläne (BCP) für die Fortsetzung oder Wiederherstellung der kritischen Geschäftsprozesse bei Ausfall von kritischen Ressourcen erstellt und überarbeitet. 

Folgende Fragen zu Analyse, Vorbereitung, Vorsorge, Schulung und Test beim BCM könnten gestellt werden:

  • Wie behandelt unser Unternehmen BCM im Rahmen des Risikomanagements?
  • Wie sind die Verantwortlichkeiten geregelt?
  • Welche Schlüsselrisiken bestehen?
  • Mit welchen Auswirkungen wird gerechnet, wenn sie eintreten?
  • Welche kritischen Geschäftsprozesse sind davon betroffen?
  • Besteht eine Planung für BCM?
  • Wird diese periodisch überprüft?
  • Werden im Unternehmen BC-Tests und -Schulungen durchgeführt
  • Gibt es Überlegungen, wie im Krisenfall vorgegangen werden soll: bspw. wer hat welche Verantwortung? Wer unterstützt (z.B. medial, kommunikativ)?

Im Falle einer Krise

Der Verwaltungsrat hat von Gesetzes wegen folgende Pflichten gemäss Artikel OR 716a: 

  • 1. die Oberleitung der Gesellschaft und die Erteilung der nötigen Weisungen;
  • 7. die Benachrichtigung des Richters im Falle der Überschuldung.

1. In einer Krise des Unternehmens kann sich der Verwaltungsrat nicht mehr darauf beschränken, die Umsetzung der bestehenden Strategie zu überwachen oder diese Strategie organisch weiterzuentwickeln. Er muss vielmehr selbst aktiv Massnahmen zur Bewältigung der Krise einleiten. 

7. Führt die Liquiditätskrise zur Überschuldung des Unternehmens, ist der Verwaltungsrat verpflichtet, sofern kein ausreichender Rangrücktritt eines Gläubigers vorliegt, den Richter zu benachrichtigen und die Bilanz beim Richter zu deponieren, womit die Unternehmenskrise in den Nachlass oder Konkurs führt. 

Corporate Governance 

Die Aufgabe des Verwaltungsrates umfasst unter anderem das Strategie- und Risikomanagement sowie das Krisenmanagement. Risikomanagement ist, unabhängig vom Krisenmanagement, eine ureigene Aufgabe des unternehmerischen Handelns und sollte als regelmässiger durchzuführender Prozess etabliert sein. 

Der Zusammenhang zwischen Risiko und Krise liegt darin, dass eingetretene negative Risiken mit substanziellen Auswirkungen auf die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens eine Krise auslösen können. Folgende Merkmale werden unterschieden:

Strategie und Risikomanagement 

  • proaktives Handeln möglich, betrifft Zukunft (2–4 Jahre)
  • gewöhnlicher Führungsrhythmus
  • normale Rollen des VR-Präsidenten, VR-Mitglieder, Geschäftsleitung 

Krisenmanagement

  • reagieren in Echtzeit notwendig
  • aussergewöhnlicher Führungsrhythmus 
  • besondere Rolle des VRP 
  • erhöhte Gefahr für Schaden aus Verantwortlichkeit

Neben der Theorie und formellen Instrumenten ist vor allem die persönliche Wahrnehmung als VR wichtig. Hier sollte auf das Verhalten der Führungskräfte geachtet werden und bei Veränderungen besondere Beachtung geschenkt werden. Viele Krisen sind mit geeigneten Massnahmen und Aufmerksamkeit frühzeitig erkennbar.

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