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Unternehmensentwicklung

Turnaround-Management − Treiber von (digitalen) Kooperationen

Turnaround-Management ist die unternehmerische Fähigkeit, Sackgassen gerade noch rechtzeitig zu erkennen und zu verlassen. Werden Instrumente der Digitalisierung und des Kooperationsmanagements kreativ kombiniert, entstehen innovative Wege für die nächste positive Phase der Unternehmensentwicklung.
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Eine zentrale Regel in Krisensituationen lautet: «Distanz schaffen, um auf das Essenzielle fokussieren zu können.» Zahlreichen Unternehmen und ihrem Kader mag das gerade schwerfallen. Viele müssen neben einer schwelenden Strategiekrise zusätzlich eine Ertragskrise und sogar eine Liquiditätskrise bewältigen. 

Die zwei zentralen Fragen für das Turn­around-Management lauten: «Wie überstehen wir die Krise?» sowie «Was ma­chen wir daraus?». Gefragt sind innovative Strategien, die das Unternehmen nach vorne bringen oder sogar zu einem Wertsprung führen.

«Turnaround to the Future» 

Gemeinhin wird Turnaround-Management als Vorgehen für Bewältigung von Krisensituationen durch radikales Kosteneinsparen – üblicherweise in Verbindung mit Personalabbau – verstanden. In der 
Tat sind Kostensenkungen, die Neuallokation von Ressourcen, Reorgani­sationen oder Schliessungen von Unternehmensteilen immanente Bausteine von Turnaround-Massnahmen. 

Das Unternehmen hat sich selber in eine Sackgasse manövriert oder wurde durch exogene Faktoren (zum Beispiel einen Angebots- oder Nachfrageschock) hineingestossen. Meistens ist es eine Kombi­nation von beidem. Auf jeden Fall muss das (neue) Management schnellstmöglich einen tragbaren, Erfolg versprechenden Weg einschlagen können, bevor im schlimmsten Fall die Illiquidität oder die Überschuldung eintritt. 

Die anzuwendenden Instrumente des Turnaround-Managements hängen stark von der Ausgangssituation und der Zeitkomponente ab. Befindet sich das Un­ternehmen im Bereich einer Strategiekrise, erwirtschaftet es meistens immer noch gute Umsätze und ist profitabel. Entsprechend sind die Handlungsop­tionen zahlreicher, als wenn ein Unternehmen Verluste schreibt und die Bilanzreserven schwinden (Ertragskrise). 

Nochmals völlig anders präsentiert sich die Lage, wenn das Unternehmen in einer Liquiditätskrise steckt. Das bedeutet, dass es Löhne und andere finanzielle Verpflichtungen nicht mehr pünktlich oder mit einer akzeptierbaren Verspätung begleichen kann. In dem Fall kann das Unternehmen nur mithilfe einer radikalen finanziellen, rechtlichen und meistens auch operativen Sanierung vor dem Untergang oder der Zerstückelung ge­rettet werden. Anzumerken bleibt, dass lebensbedrohliche Liquiditätskrisen zu jedem Zeitpunkt im Lebenszyklus auf­treten können – typischerweise gerade auch in der an sich erfolgreichen Wachstumsphase. 

Grundsätzliches Ziel des Turnaround-Managements ist es, die Erfolgskurve nach oben zu zwingen und damit dem Unternehmen starke Impulse für eine neue Phase im Lebenszyklus zu ermöglichen. Die Abbildung verdeutlicht die unterschiedlichen Arten von Turnaround-Management im Verlauf des Lebenszyklus.

Nachhaltig erfolgreiches Turnaround-Management braucht zwingend Leadership, Sinnhaftigkeit, Kreativität und konsequentes Handeln. Hier kommen enge Berührungspunkte von Turnaround-Management zu Change-Management, Innovationen und Unternehmenskultur zum Tragen.

Nicht selten findet man ein ausgeprägtes «Not-invented-here»-Syndrom als wesentlichen Mitverursacher der Unternehmenskrise. Unternehmen, die eine fundamentale Neuorientierung einleiten wollen, sollten daher zuerst Turnaround-Fähigkeit und -Würdigkeit prüfen, wie weit ihre Kultur und ihre Belegschaft überhaupt dafür offen sind. 

Das führt uns zum ersten Zwischenfazit, nämlich dass der Begriff des Turnaround-Managements differenziert zu betrachten ist und stets die Frage der Zukunftschancen im Mittelpunkt steht. Entsprechend passt hier Winston Churchills geflügeltes Wort «Never let a good crisis go to waste!». Diese Meinung vertrat er im Zusammenhang mit der Konzipierung der UNO als 
supranationale Kooperationsplattform nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

Wir betrachten im Folgenden, wie Ko­operationsstrategien sowie die Digitalisierung den «Turnaround to the Future» unterstützen und nachhaltigen Erfolg ermöglichen können. 

Wachstum mit Kooperationen

Der Weg aus der Unternehmenskrise beginnt im Normalfall mit einem Schrumpfen der Unternehmung: Umsatz, Kosten, Produktpalette, Overhead. Je nach Sichtweise spricht man auch vom «Gesundschrumpfen». 

In dieser Phase ist es wichtig, dass der Blick auf zukünftige Wachstumsoptionen geöffnet bleibt. Zugegebenermassen ist diese Forderung nicht immer einfach zu erfüllen, denn Wachstum wird durch ein positives Momentum im Markt begünstigt und bedingt zudem finanzielle Ressourcen für Investitionen. Beide Faktoren sind bei einem Turn­around während einer konjunkturell schwierigen Zeit oft nur beschränkt verfügbar. 

Wie also kann ein Unternehmen in schwierigem wirtschaftlichem Umfeld dennoch Wachstum generieren? Eine Vielzahl von Möglichkeiten ergibt sich bei kooperativen Verbindungen mit branchengleichen oder vor allem branchenfremden Partnern. Im Spektrum zwischen den Polen der rein marktlichen respektive der vollend hierarchischen Beziehungen sind unzählige Ausprägungen möglich. Diese reichen von der üblichen losen Zusammenarbeit in Erfahrungsgruppen oder Branchenverbänden bis hin zu strategischen Allianzen oder sogar gemeinsam gehaltenen Gesellschaften (Joint Ventures). Bei der Konzipierung von Kooperationen sind Massnahmen zum Schutz der eigenen Interessen (zum Beispiel Know-how) sowie wettbewerbs- und kartellrechtliche Grenzen zu beachten.

Digitale Kooperationen

Der Optionsraum für Wachstumschancen vergrössert sich nochmals, wenn wir Digitalisierung und Kooperations­management verbinden. So können beispielsweise Maschinenproduzenten oder Betreiber von Infrastrukturen ihr Vertriebs- und Servicenetzwerk grossflächig und kostengünstig ausbauen, indem sie Servicearbeiten und sogar die Kundenbetreuung durch externe Partner vor Ort ausführen lassen. Durch die digitalen Plattformen behalten sie den Kontakt zum Kunden (unter anderem aufgrund der Daten) und riskieren nicht, diesen an einen lokalen Partner zu verlieren. 

Das führt zum zweiten Zwischenfazit: Kooperative Beziehungen eröffnen prüfenswerte Optionen für die Unternehmensentwicklung aus einer finanziell geschwächten Position heraus. Innovative Kooperationen finden sich eher ausserhalb der etablierten Branchengrenzen. Brancheninterne horizontale wie auch vertikale Kooperationen bergen stets die Gefahr in sich, dass sie zu wenig innovationsorientiert sind. 

Oft führen Kooperationen innerhalb einer Branche ins Vorzimmer einer späteren Fusion. Dies kann für die beteiligten Unternehmen im Rahmen einer Branchenkonsolidierung durchaus Sinn machen. Ein solches Vorgehen ist als defensiv und nach rückwärts gewandt einzustufen und ist daher hier nicht Gegenstand der weiteren Ausführungen.

Interessanter ist es, wenn wir Kooperationsmanagement und Digitalisierung, wie wir sie heute kennen, mit früheren «utopischen» Konzepten kombinieren. 

Die virtuelle Organisation

In den 1980er- und 1990er-Jahren wurde viel über die «hollow organization» (das hohle Unternehmen) oder eben die «virtual organization» geschrieben. Darunter lassen sich Unternehmen verstehen, die den Hauptteil der Wertschöpfung zukaufen, gegen aussen aber als grosse und integrierte Unternehmung wahrgenommen werden. Bekannte Beispiele finden sich im Sportbekleidungsbereich (unter anderem Puma, Adidas, Nike) oder im Automobilbau mit ihren mehrstufigen Wertschöpfungsnetzwerken. In der Schweiz existieren verschiedene Konzepte der «virtuellen Fabrik», bei denen sich insbesondere KMU zusammenschliessen, um sich gegen grös­sere, integrierte Konkurrenten bei einer Ausschreibung durchsetzen zu können.

Unternehmen, die virtuelle Netzwerke betreiben oder sich an solchen beteiligen, konzentrieren sich typischerweise auf einen Schlüsselbereich. In der Praxis am häufigsten anzutreffen sind Firmen, die ihren Fokus auf das Markenmanagement und zu gewissen Teilen auf die Forschung und Entwicklung legen. Letzteres wird zu­nehmend ebenfalls outgesourct und ermöglicht spezialisierten Partnern neue Möglichkeiten, sich in das Netzwerk einzubringen. Selbst Apple lässt einen Grossteil seiner Produkte von Partnern mitent­wickeln, produzieren und verkaufen. Dell hat das Konzept des flexiblen Zusammenbauens von Standardkomponenten im Computerbereich gewissermassen erfunden und ist so zu einem dominierenden Marktführer aufgestiegen.

Das Führen von virtuellen Netzwerken ist sehr anspruchsvoll. Eine solche Strategie ist aber dahingehend attraktiv, weil sie die grundsätzliche Möglichkeit zu Innovationen und Skalierungen und somit zu Wertsprüngen bietet (siehe dazu den Artikel «Transformation durch Wertsprungmanagement»» im «KMU-Magazin» 7/8, Juli/August 2019, S. 42–45). 

Das Wertspringer-Gen

Unternehmer und Kader, die aus schwierigen Startpositionen (zum Beispiel akuter Unternehmenskrise) ein innovatives Unternehmen formen können, bezeichnen wir als Wertspringer. Wertspringer sind kreative und leistungsbereite Personen, Teams und Unternehmen, die grosse Erfolge anstreben. Im Zusammenhang mit Turnaround-Management verstehen sie die für sie notwendigen Schritte zur Stabilisierung und Gesundung der Unternehmung. Gleichzeitig fokussieren sie auf die Neuorientierung und Neupositionierung der Unternehmung und ihres Angebots. Sie pflegen dazu eine ausgeprägte Aussensicht und nutzen digitale Kooperationen sowie virtuelle Wertschöpfungsnetzwerke, um Verbindungen zu Partnern ausserhalb traditioneller Branchenstrukturen aufzubauen.

Fazit

Es liegt in der Natur des marktwirtschaftlichen Schaffens, dass Unternehmen, Geschäftseinheiten, Projekte oder auch Karrieren in Sackgassen geraten. Turn­around-Management ist die Gesamtheit der Massnahmen, um mithilfe eines (radikalen) Richtungswechsels aus einer verfahrenen Situation herauszufinden. Erfolgreiche Turnarounds können Wertsprünge generieren. Einen Weg dazu bieten Kooperationen. Kombiniert man die Massnahmen des Turnaround-Managements mit (digitalen) Kooperationskonzepten, ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten für neue, attraktive Geschäftstätigkeiten. Solche Überlegungen sollen Unternehmern und ihrem Kader bei der Beant­wortung der eingangs gestellten Fragen helfen, wie sie die Krise überstehen und wie sie sich für die nächste Phase der Unternehmensentwicklung ausrichten sollen.

Porträt