Während agile Methoden in der Produktentwicklung zunehmend etabliert sind, werden sie bei der Kundenakquise noch kaum eingesetzt. Dabei liesse sich der Innovationserfolg durch die Integration von agilen Marktentwicklungsansätzen in den Innovationsprozess deutlich erhöhen. Ein solcher Ansatz zur Kundengenerierung ist Traction.
Hauptmerkmale von Traction
Traction ist ein agiler Marktentwicklungsansatz. Er ermöglicht es durch die Kombination verschiedener Methoden, einen Markt in einer wesentlich kürzeren Zeit und mit einer höheren Kundenwachstumsrate zu entwickeln, als es mit herkömmlichen Vermarktungsansätzen der Fall ist. Der Ansatz hat drei Hauptmerkmale:
50/50-Regel
Die Kundenakquise erfolgt zeitgleich mit der Produkt- beziehungsweise Dienstleistungsentwicklung und umfasst etwa den gleichen Zeitaufwand. Die Parallelität von Produkt- und Marktentwicklung wird als 50/50-Regel bezeichnet. Kerngedanke dabei ist, möglichst früh eine Kundenbasis für ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung aufzubauen und in der Lage zu sein, die Stärke von Kundenbindungen zu testen und entsprechend darauf zu reagieren.
Systematische Auswahl aus 20 Marketingkanälen
In einem systematischen Auswahl- und Bewertungsverfahren werden aus 20 möglichen Marketingkanälen die drei erfolgversprechendsten identifiziert. Diese werden in Tests auf ihre Wirksamkeit hinsichtlich der Kundengewinnung eruiert. Aufgrund der Testergebnisse kann ein Unternehmen den optimalen Vermarktungskanal wählen. Die 20 Kanäle umfassen sowohl Onlinekanäle wie die Nutzung von Social Media und digitalen Plattformen als auch Offlinekanäle wie traditionelle Plakatwerbung und die Präsentation an Messen. Auch informelle Netzwerke wie Familie, Freunde und das professionelle Netzwerk werden explizit in die Erwägungen miteinbezogen.
Kontinuierliche Wachstumsquantifizierung
Es erfolgt eine kontinuierliche Quantifizierung des Wachstumseffektes. Zeigt etwa der gewählte Vermarktungskanal Anzeichen einer Sättigung, kann ein Unternehmen mit einer Veränderung des optimalen Marketingkanals darauf reagieren. Der für eine neue Wachstumsphase adäquate Marketingkanal wird wiederum wie oben beschrieben durch eine Auswahl der drei erfolgversprechendsten Kanäle und anschliessende Tests gefunden.
Potenziale zu wenig genutzt
Studien des Instituts für Management und Innovation (IMI) der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) zeigen, dass die Unternehmenspraxis die agilen Marktentwicklungsansätze zu wenig nutzt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine Ursache beispielsweise ist, dass einige Features des Tractionansatzes vor allem für Venture-Capital-finanzierte Start-ups ausgelegt und damit für die wenigsten Schweizer Unternehmen geeignet sind.
Allerdings deuten Untersuchungen des IMI darauf hin, dass sich der Tractionansatz durch Weiterentwicklungen für Schweizer Klein- und Mittelunternehmen gut anpassen und anwendbar machen liesse. So zeigen Pilotumsetzungen des Ansatzes, dass es entscheidend ist, die strategische Stossrichtung für eine Innovation bereits vor der Umsetzung eines Tractionprojektes zu klären. Die Pilotumsetzungen zeigen weiterhin, dass sich starke Synergiepotenziale erzielen lassen, wenn die Nu tzung verschiedener Marketingkanäle gezielt aufeinander abgestimmt wird. Beide Aspekte werden im Folgenden erläutert.
Kundenbedürfnisse verstehen
Forschungsergebnisse des IMI zeigen, dass es eine entscheidende Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung des Ansatzes ist, die Kundenzielgruppe genau festzulegen und den durch eine Innovation generierten Mehrwert für diese Gruppe im Detail zu verstehen. Dies bedingt eine hinreichende Auseinandersetzung mit strategischen Fragen sowie das frühzeitige Erarbeiten eines fundierten Verständnisses der Bedürfnisse der relevanten Kundensegmente.
Eine präzise und zielführende Methode der Bedürfnisabklärung ist es, potenzielle Kunden möglichst stark in die Durchführung des Tractionansatzes einzubeziehen. Nur dadurch lässt sich ein Tractionziel, das heisst ein Kundenwachstumsziel, festlegen und mögliche Marketingmassnahmen entwickeln, die das Potenzial haben, das festgelegte Wachstumsziel zu erreichen. Erstaunlicherweise identifizieren Unternehmen in der Praxis häufig erst deutlich später ein systematisches Verständnis der Kundenbedürfnisse, als für eine schnelle Marktentwicklung notwendig wäre.