Forschung & Entwicklung

Qualitätsmanagement (Teil 2 von 2)

Totale Qualität in neuen Arbeitswelten

Die Digitalisierung stellt Führungskräfte und Mitarbeiter vor neue Herausforderungen, wenn es um die Erzielung von «Qualität» geht. Der zweiteilige Beitrag behandelt den Anspruch an Qualität und eines «Total Quality Management» in einer sich verändernden Arbeitswelt und zeigt, worauf bei der Implementierung von «Total Quality» zu achten ist.
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Nachdem im ersten Teil der Serie die Wirkungen und Anforderungen durch neue Arbeitswelten, die Orientierung «Total Quality Management» (TQM) am Beispiel der Schweizer Gesundheitsbranche sowie Ziele des TQM beleuchtet wurden, startet dieser zweite Teil zunächst mit der Begrifflichkeit von Qualität. Dann wird beschrieben, welche Konsequenzen zu ziehen sind, um ein nachhaltiges Qualitätsmanagement zu gewährleisten. Der TQM-Ansatz von 1991 ist auf künftige Herausforderungen angepasst worden.

Was Qualität bedeutet

«Qualität» bedeutet grundsätzlich «Gebrauchsfähigkeit oder Verwendbarkeit von Produkten und Dienstleistungen» oder die «Erfüllung der berechtigten Kundenerwartungen». Es wird unterschieden zwischen der Produkte- und Dienstleistungsqualität, der Prozessqualität und der Erfüllung der definierten Standards. Zentral ist die Unternehmenskultur und damit das Verhalten der Menschen, die sich jeden Tag auf die Maximen der Qualitätsanforderungen ausrichten. Die Werte und Verhaltensweisen der Menschen und die Rolle einer Institution in der Gesellschaft übersteigen definierte ISO-Normen bei Weitem. Die «Social Responsibility» hat bei verschiedenen Firmen und Institutionen Einzug gehalten. Es ist wenig verwunderlich, dass beispielsweise die Mobiliar bei den beliebtesten Firmen der Schweiz einen Spitzenplatz 2020 einnimmt; vierter Rang. Auch bei der Siegerfirma, Rhätische Bahn, spielt die Unternehmenskultur eine zentrale Rolle.

Beispiel Gesundheitswesen

Ausgehend davon, dass das Mengenwachstum der Hauptkostentreiber ist, müssen die folgenden, übergreifenden Themen umgesetzt werden:

  • Die Krankenkassen bezahlen nur wirksame, zweckmässige und wirtschaft­liche Medizin. Dies erfordert eine konsequente und durchgreifende Kostenkontrolle aller Rechnungen und den Ausschluss von Akteuren, welche die genannten Kriterien nicht erfül­-len. Daran können sich «Qualitätsstandards» orientieren, zum Beispiel: Anzahl beanstandeter Arztrechnungen mit der Streichung von Ärzten auf der Liste, welche gegen die Glaubwürdigkeit verstossen.
  • Ärzte und Spitäler verpflichten sich auf eine transparente Qualität, die den Gesetzen des «Total Quality Management» entsprechen. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass das Krankenversicherungsgesetz von 1996 umgesetzt wird. Für den Vollzug sind der Bundesrat, das Parlament und das Bundesamt für Gesund­-heit verantwortlich. Ein Standard könnte sein: Die Erfüllung der definierten Qualitätsstandards und die verständliche Formulierung von Funktionserwartungen gegenüber den Betroffenen. 

Kontinuierliche Verbesserung

Cyberattacken auf Messdaten haben eine hohe Bedeutung. Es kommt immer wieder vor, dass Spitäler in dieser Art und Weise bedroht oder lahmgelegt werden können. Die Investitionen in die Sicherheit werden in der Zukunft stark an­steigen und das Know-how zur Infor­matik muss den neuen Anforderungen angepasst werden. Die Mitarbeitenden sind auf allen Ebenen bezüglich Weiterbildung gefordert. Die stufengerechte Weiterbildung ist ein Muss. Auf der Ebene der Geschäftsführung müssen die strategischen Kenntnisse entwickelt sein. Auf der Stufe der operativ Tätigen sind die Sicherheitsanwendungen im Alltag gefragt. 

Bei den Kosten stehen vor allem die Prozesskosten im Zentrum. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass die «kontinuierliche Verbesserung» als Phi­losophie im Alltag umgesetzt ist. Zur Implementation sind einfach handhabbare Systeme mit klaren Beurteilungs­kriterien einzusetzen, die für alle Mit­arbeiter zugänglich sind. Alle verstehen die Bedeutung der Verbesserungen. Jeder Mitarbeiter kann jederzeit Vorschläge zur Verbesserung im gesamten Unternehmen einreichen. Alle Vorschläge werden gewürdigt und innerhalb von maximal zwei Wochen von einem Gremium beurteilt. Einerseits gibt es Vorschläge, die nicht messbar sind und keiner Analyse der Rentabilität unterworfen werden können. Andererseits gibt es Vorschläge, die zu direkt messbaren Einsparungen führen.

Es sind nicht nur Einzelvorschläge gefragt. Auch Arbeitsteams können sich am Verfahren der «kontinuierlichen Verbesserung» beteiligen. Die umgesetzten Vorschläge werden laufend kommuniziert und zwei Mal pro Jahr gefeiert. Es ist selbstverständlich, dass Erfolgsprämien oder immaterielle Belohnungen verteilt werden. 

Die Firmen führen regelmässige Kundenforen durch, bei welchen sich Kunden und die Verantwortlichen in der Firma treffen. Die Parameter der Kundenzufriedenheit werden inhaltlich diskutiert und mit Erfahrungswerten angereichert. Die Einschätzungen der Zufriedenheit mit den Produkten und Dienstleistungen sind öffentlich durchgeführt. Dieses Vorgehen führt zu einer «Fehlerkultur», die Bestandteil der Firmenkultur wird. Auf Umfragen über das Internet mit Fragebogenaktionen wird weitestgehend verzichtet. 

Abbildung 1 zeigt ein mögliches Pro­zessmodell aus einer allgemeingültigen Branche. Für konkrete Umsetzungen der Prozessorganisation ist es zentral, sich auf die firmenspezifischen Voraussetzungen auszurichten und die Mitar­beitenden, die Kunden und Lieferanten in die Entwicklung der Prozesslandschaft einzubeziehen. Zusammenfassend sind folgende Punkte festzuhalten:

  • Prozessorientierung bedeutet vom Kunden zum Kunden denken und gestalten
  • Rund um Bearbeitung pro Teilprozess im Team
  • Schnittstellen-Reduktion und Umwandlung in Nahtstellen
  • Reduktion der Irrtumsquellen
  • Aufhebung der Kaminorganisation mit vielen Konflikt- und Kompetenzproblemen
  • Reduktion der Durchlaufzeiten
  • Verbesserung der Effektivität und Effizienz
  • Steigerung der Qualität und Kundenzufriedenheit

Phasen der Qualitätssteuerung

Abbildung 2 zeigt den Zusammenhang und die Stufen der Qualität bis zur Excellence auf. Am Anfang der Entwicklung steht die Qualitätskontrolle, die sich in der Industrie auf den Ausschuss oder die Retouren ausrichtet. Charakteristisch ist, dass die Kontrolle erst am Ende des Produktionsprozesses stattfindet, das heisst erst dann, wenn alle möglichen Fehler schon vorher gemacht worden sind.

In der nächsten Phase der Qualitätssteuerung werden die Fehlerursachen eruiert und eliminiert. Dazu sind spezifische Methoden der Ursachenerforschung entwickelt worden. Der Kunde ist mit seinen Erwartungen immer noch nicht im Fokus. Die Qualitätssicherung sichert die Qualität der Produkte hinsichtlich Verwendbarkeit und Gebrauchsfähigkeit. Die Serviceleistungen sind bezüglich Qualität nicht im Fokus. Erstmals erscheint der Kunde mit seinen berechtigten Erwartungen an die Qualität von Produkten. 

Das Qualitätsmanagement schliesslich richtet sich auf die Qualität der Prozesse aus. Jetzt wird von der berechtigten Erwartung des Kunden bis zur Erfüllung der Kundenbedürfnisse nachgedacht und die Abläufe werden systematisch optimiert, wie das weiter oben schon beschrieben worden ist.

Schliesslich sind wir auf der Ebene der Qualität des ganzen Unternehmens angelangt. Erstmals wird die gesellschaftliche Verantwortung angesprochen und zur Herausforderung gemacht; Total Quality Management ist jetzt gefragt. Es wird sichtbar, dass im Verlauf der Qualitäts­orientierung nebst der Vergrösserung des Betrachtungshorizonts auch das Bewusstsein für Qualität auf allen Gestaltungsebenen der Unternehmung thematisiert wird und umgesetzt ist. 

Beispiel für Leistungsstandards

Als Folge sind Leistungsstandards zu entwickeln, die an Mitarbeiter und das Management entsprechende Anforderungen stellen. Für eine «totale Qualität» im Gesundheitswesen könnten dies folgende sein:

  • Bei Patienten ist in jedem Fall eine Risikoanalyse durchgeführt. 
  • Die wertschätzende Kommunikation ist in der Pflege mit 360-Grad-Einschätzungen umgesetzt. 
  • Der Ansatz «Care Management», mit der Abschätzung der volkswirtschaftlichen Kosten, ist in jedem Spital systematisch implementiert.
  • Das Personal ist mehrfach einsetzbar.
  • Die Flexibilität bei der Arbeitszeit ist umgesetzt.
  • Die Weiterbildung aller Mitarbeitenden ist für die «Rundum-Bearbeitung» aller Funktionen im entsprechenden Teilprozess umgesetzt.
  • Die Bereitschaft, andere im Teil-Prozess zu unterstützen, ist realisiert.
  • Die Effizienz und Effektivität ist re­gelmässig untersucht und wird einem Benchmarking-Prozess unterworfen. 

Personalmanagement-Prozess 

Der Personalmanagement-Prozess setzt die Strategie auf der Stufe Personal um, indem jede Funktion analytisch bewertet ist und in eine Leistungsbewertung mündet, die 100-Prozent-Qualität als Standard umsetzt.

Die Leistungsbewertungen führen zur leistungsgerechten Entlöhnung und zu gezielten Personalentwicklungsmassnahmen. Anforderungs-, Leistungs- und Marktgerechtigkeit ist bei der Lohnfindung umgesetzt.

Standards für die 100-Prozent-Qualität im Personalmanagement-Prozess können sein:

  • Die Abweichungen der Soll-Ist-Löhne sind über alle Funktionen verglichen unter drei Prozent; der «Soll-Lohn» entsteht aus der Summe Funktionswert plus Dienstaltersanteil plus Leistungsanteil. Der Ist-Lohn ist der Bruttolohn pro Monat.
  • Für finanzielle Bonuskonzepte gilt der erzielte Cashflow und die Kapitalrendite. Für das oberste Management die Entwicklung des Börsenkurses. Bei Malus-Entwicklungen gibt es keine Boni.
  • Der kontinuierliche Verbesserungsprozess ist systematisch durchgeführt und führt zu gezielten Verbesserungen der Prozesse und der Rendite.
  • Alle Mitarbeitenden sind an den eingereichten Ideen zur kontinuierlichen Verbesserung beteiligt.

Qualitätskultur 

Die Kultur der Unternehmung ist cha­rakterisiert durch die Fehlertoleranz, die an die kontinuierliche Verbesserung gebunden ist, das Vertrauen in die Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen aller Mitarbeitenden, die wechselseitige Unterstützung und Kooperation bei allen Unternehmensprozessen und die gegenseitige Wertschätzung in der alltäglichen Kommunikation. Hierarchische Strukturen sind bei einer solchen Unternehmenskultur auf ein Minimum reduziert. Angst vor Hierarchen und angepasstes Verhalten sind minimiert.

Die Implementation von TQM

Abbildung 4 zeigt das Changemanagement-Modell «Theorie U» des deutschen Aktionsforschers und MIT-Professors Claus Otto Scharmer. 

Die Grundannahme des Transformationsmodells ist einfach. Es geht um das Zusammenspiel von Kopf, Wissen und Denken, Herz, Seele, Tun und Transformationsfähigkeit. 

Die fünf Elemente werden individuell umgesetzt:

  • «Co-initiating»: Anhalten, zuhören und überlegen, was das Leben für dich auslösen soll.
  • «Co-Sensing»: Gehe zu den Plätzen mit grossem Potenzial und höre mit deinem Wissen und offenem Herzen zu. 
  • «Presencing»: Gehe zur Schwelle und lasse das innere Wissen entstehen.
  • «Co-evolving»: Erneuere Ökosysteme, die das Sehen und Handeln aus dem Ganzen ermöglichen.
  • «Co-creating»: Teste Prototypen mit dem Neuen, um die Zukunft mit Handeln zu erkunden.

Die organisierte Verantwortlichkeit und Fähigkeit, Strukturen und Systeme zu reformieren, setzt Achtsamkeit voraus. Die Umsetzung der Ideen folgt den Überlegungen der «citizen assemblies», bei welchen Interessenverbindungen ausgeschlossen sind. 

Tabus – beispielweise das aktuelle Finanzsystem – werden gebrochen, oder die Regeln der Demokratie werden neu gestaltet. Das Zusammenspiel von Einsicht, Motivation und Druck von aussen löst die Transformationsprozesse aus. 

Für die Umsetzung von TQM in der neuen Arbeitswelt sind die Risiken und Chancen einzuschätzen und zu beurteilen. Die Risikoorientierung ergibt sich aus der Wahrscheinlichkeit und der Tragweite von Ereignissen, die den Erfolg beeinträchtigen oder verunmöglichen. Es ist zu empfehlen, dass von der Einsicht ausgegangen wird, «was schiefgehen kann, geht schief». Die Chancen der Neuorientierung sind auf den Märkten und in der Gesellschaft zu suchen, verbunden mit zukunftsorientierter Wertschöpfung, die Investitionen in die Zukunft ermöglicht. 

Risiken, die eine Transformation von TQM charakterisieren, sind beispiels­weise eine starke hierarchische Struktur, «Kadavergehorsam», fehlende Fehler­kultur, Konflikte zwischen Abteilungen, mangelhaft entwickelte Kooperation und Teamfähigkeit, zu viele Schnittstellen, Irrtumsquellen in den Abläufen, zu lange Durchlaufzeiten, mangelhafte Kunden- und Lieferantenorientierung, Angst- und Peinkultur im Umgang mit den Mitar­beitenden oder fehlende Verbesserungsprozesse.

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