Forschung & Entwicklung

Arbeitswelten

Räume für transdisziplinäre Zusammenarbeit schaffen

Die Entwicklungsprozesse moderner Produkte und Dienstleistungen werden zunehmend komplexer, was die Einbindung von Spezialisten unterschiedlicher Disziplinen aus Wirtschaft und Wissenschaft erfordert. Neben schlanken Prozessen bilden funktionale Arbeitsräumlichkeiten eine wesentliche Grundlage für transdisziplinäres Arbeiten.
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Transdisziplinarität beschreibt die Zusammenarbeit zwischen Akteuren der Wissenschaft, des Marktes und der Gesellschaft. Aufgrund erhöhter Nützlichkeitserwartungen der Gesellschaft und des Marktes an die Wissenschaft arbeiten kleine und mittelgrosse Unternehmen oder multinationale Konzerne zunehmend mit Hochschulen zusammen. Diese Entwicklung ermöglicht den Unternehmen die eigene Innovationskraft zu stärken sowie neueste Erkenntnisse am Markt zu implementieren. Während das interdisziplinäre Arbeiten bereits weit ver­breitet ist, geht die Transdisziplinarität noch einen Schritt weiter, indem sie verschiedene disziplinäre Denkmuster, vor allem in der Forschung, zu integrieren versucht.

Arbeitsräume und Kreativität

Die Einbindung unterschiedlichster Akteure schafft nicht nur neue Heraus­­­­for­derung für das Management, sondern stellt auch ganz neue Anforderungen an die Arbeitsräumlichkeiten. Transdis­zip­linäre Projekte brauchen Räume, die Identität für das neue Kollektiv schaffen, die den Dialog zwischen unterschied­lichen Disziplinen und Praxisakteuren erleichtern, aber auch für den einzelnen Forscher Freiheit und Privatsphäre lassen.

Die transdisziplinäre Zusammenarbeit nimmt in Innovationsprozessen eine immer zentralere Rolle ein und beeinflusst so massgeblich den Erfolg eines Unternehmens. Ein gutes Beispiel für ein Umfeld, in dem Transdisziplinarität tagtäglich gelebt wird, sind Start-ups, die sich Arbeitsräumlichkeiten in Co-working Spaces, Technoparks oder Impact-Hubs teilen. Dort treffen viele kreative, talentierte Experten unterschiedlichster Dis­ziplinen aus der Praxis und der Wis­senschaft aufeinander. Viele kleine, interdisziplinäre Projektteams arbeiten mit- und nebeneinander an unterschiedlichen Problemstellungen. Flache Hierarchien und kooperative Führungsstile fördern die Kreativität im Arbeitsprozess. Die Mitarbeiter bewegen sich frei und flexibel in einer transparenten Arbeitslandschaft, welche über die Grenzen des ei­genen Teams hinausreicht. Gegenseitige Nähe und Sichtbarkeit sind im höchsten Masse gewährleistet.

Gemeinsame Räume, wie beispielsweise die Kaffeeküche, schaffen Konvergenzzentren, Orte an denen man sich frei von eingefahrenen Verhaltensmustern und Kommunikationsprozessen austauschen kann. Kommuniziert wird meist direkt an Ort und Stelle. Diese kurzen, interdis­ziplinären Interaktionen in und zwischen den unterschiedlichen Projektteams sind nicht selten die Quelle neuer Ideen. Täglich wird neues Wissen kreiert, implementiert und getestet. Selbstverständlich braucht es auch in diesen Arbeitsräumlichkeiten Rückzugszonen, in die man sich für intensive, kognitive Arbeiten zurückziehen kann.

Viele, meist grosse Unternehmen, lassen sich von solchen Co-working Spaces inspirieren, bauen Teamräume, Projekthäuser oder ganze Campuslandschaften, um den Austausch zwischen unterschiedlichsten Disziplinen zu fördern. Es verfügt jedoch nicht jedes KMU oder jede Forschungsgruppe an einer Hochschule über die finanziellen Möglichkeiten eines Grosskonzerns oder die Flexibilität eines Start-ups. Die Herausforderung liegt deshalb bei vielen Unternehmen darin, in den bestehenden Räumlichkeiten mit den bescheidenen finanziellen Mitteln multifunktionale Räume für Begegnung und Zusammenarbeit zu schaffen, die zugleich das individuelle und das interaktive Arbeiten der einzelnen Mitarbeitenden unterstützen.

Neue Arbeitsformen

Inter- und transdisziplinäre Aufgabenstellungen und die Einführung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien resultieren in neuen Arbeitsformen, welche sich in ihren Anforderungen teils ergänzen, teils widersprechen. Zum einen wächst das Bedürfnis nach persönlichen und ungeplanten Interaktionen über Fachgrenzen hinweg, und zum anderen wird vermehrt Wert auf die Indi­vidualität, Freiheit und Mobilität in der Wahl des Arbeitsortes gelegt, was zu neuen Raumkonzepten führt. Die Co-Working Spaces beispielsweise gehören in vielen Grossstädten zum Strassenbild. Die Vorreiter dieser Entwicklung sind an der Hochschule zu finden. Bereits im Jahre 2004 gründete das Massachusetts Institute of Technology (MIT) ein transdisziplinäres Zentrum für Computerwissenschaftler und Philosophen nach den Strukturen des nomadischen Lebens­stils von modernen Studenten und Dozenten (Quelle: The Economist (2008): Special Report: Mobility, Nomadism changes buildings, cities and traffic).

Auch in den Unternehmen werden vermehrt flexible Arbeitsumgebungen eingeführt wie Desk-Sharing Konzepte oder Ideation Spaces. Dieses sind Anzeichen dafür, dass Flexibilität und der persönliche Austausch beim Arbeiten über Fach- oder Unternehmensgrenzen hinweg für die Menschen immer wichtiger werden. Die Arbeitslandschaften müssen sowohl Raum für stabile, intradisziplinäre Gruppen als auch Konvergenzzentren für temporäre, transdisziplinäre Gruppierungen bieten. Die neuen Ansprüche, Bedürfnisse und Arbeitsformen erfordern eine gezielte Auseinandersetzung mit den Arbeitsräumlichkeiten. Nicht selten unterliegen Entscheide diesbezüglich den
Erfahrungen und Interpretationen der Manager. Idealerweise bindet man die jeweiligen Nutzergruppen in die Planung und Ausgestaltung der Arbeitsräumlichkeiten mit ein. Der Gestaltungsprozess sollte zudem auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und weniger auf Gutdünken und Bauchgefühl basieren. Allerdings existiert für den Planungs- und Gestaltungsprozess keine allge­meingültige Anleitung, was den Einsatz verschiedener Analysetools zur umfassenden Abklärung der Bedürfnisse notwendig macht.

Wirkungskraft von Raum

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Arbeitsumgebung einen direkten Einfluss auf die Bewegung, Begegnung und Kommunikation der Mitarbeiter und damit sowohl auf deren Kreativität als auch Effizienz hat. Der Einfluss des Raumes auf den Denk- und Arbeitsprozess konstituiert sich aus drei Faktoren: die Funktio­nalität des Designs, die Bedeutung der Räumlichkeiten und der Objekte im Raum und die Ästhetik (Quelle: Vilnai-Yavetz, I.; Rafaeli, A. & Schneider Yaacov, C. (2005): Instrumentality, Aesthetics, and Symbolism of Office Design. Environment and Behavior, Vol. 37 No. 4, 533-551). Je nach Ausgestaltung dieser drei Faktoren werden die Mitarbeiter bei der Ausübung ihrer Aufgaben unterstützt oder gehemmt, wobei die Funktionalität einen deutlich höheren Stellenwert als die Ästhetik einnimmt. Funktionalität wirkt sich langfristig auf die Bewegung, Begegnung und Kommunikation der Mitarbeiter aus, während die Ästhetik tendenziell nur kurzfristig positive Effekte erzielt. Aufgrund dessen ist es wichtig, im Vorfeld von Umgestaltungen oder Neubauten die funktionalen Arbeitsmuster der Mitarbeiter zu analysieren.

Nur eine sauber durchgeführte Bedürfnisanalyse lässt Rückschlüsse auf die notwendigen Interaktionen und indivi­duellen Tätigkeiten im Unternehmen zu. Hierbei werden die Dauer, die Häufigkeit, der Ort, die Akteure, die Form und die Abfolge der verschiedenen Kommuni­kations- und Kollaborationsprozesse erfasst. Bei diesen umfangreichen Analysen können verschiedene Methoden angewandt werden. Deren Zusammenstellung und Ausprägung hängt dabei direkt von den Voraussetzungen und Bedürfnissen des Unternehmens ab. Im Folgenden stellen wir einige dieser Methoden vor und zeigen, wie wir diese für die Bedürfnisanalyse zur Umgestaltung des Trans­disziplinären Lehr- und Forschungsla­-bors der Umweltsystemwissenschaften (USYS TdLab) an der ETH Zürich eingesetzt haben.

Fallstudie zur Umgestaltung

Das «TdLab» fokussiert sich auf die Be­arbeitung komplexer Probleme an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft im Umweltbereich. Die komplexen Aufgabenstellungen und die hohe Variabilität der Projektteams hat das «TdLab» dazu bewogen, die Arbeitsräumlichkeiten neu zu planen und umzugestalten. Die Arbeitslandschaft sollte zugleich Raum für Forschung, Lehre und Kollaborationen in der Wirtschaft bieten. «Das TdLab» liegt auf einem Stockwerk und verfügt über eine Gesamtfläche von 160 Quadratmeter. Das Lab besteht aus drei fixen und vier flexiblen Arbeitsplätzen in vier Büroräumen (4, 5, 9, 10.1 in Abb. 1), einem Meeting-Raum (1.1) und zwei Seminar-Räumen (6, 7). Die Auslastung der Räumlichkeiten und Anzahl Nutzer fluktuieren stark, wobei lediglich zehn Personen fix dem «TdLab» zugeteilt sind. Die Räumlichkeiten erfüllen Anforderungen für die Forschung (Einzelarbeit und Arbeit in kleinen Teams) und grösstenteils für die Lehre, aber sie bieten kaum Raum für transdisziplinäre Begegnungen und Zusammenarbeit.

Die Planungsphase

Zu Beginn der Bedürfnisanalyse sollte der Projektrahmen hinsichtlich Budget und architektonischen Möglichkeiten abgesteckt werden, was die Wahl der Analysetools massgeblich beeinflusst. In welchem Kostenrahmen darf projektiert werden? Welche Bedingungen müssen Gebäudestatik oder die sanitären und elektrischen Anlagen einhalten? Wobei Letzteres vor allem bei Umbauprojekten zutrifft, bei denen man sich an die gegebenen Räumlichkeiten anpassen muss. Deren Gestaltung und Einrichtung werden für die Planung sorgfältig beschrieben, um deren Einfluss auf die aktuellen Arbeitsprozesse zu verstehen.

In einem nächsten Schritt werden die aktuellen und zukünftigen Nutzer der Arbeitsräumlichkeiten erfasst und deren Kommunikations-, Kollaborations- und Bewegungsmuster erhoben. Hierfür steht eine Reihe an qualitativen und quantitativen Analysetools zur Verfügung (siehe Tabelle). Diese Auflistung zeigt die Vor- und Nachteile und Nutzen der einzelnen Analysetools. Die Erkenntnisse aus der Bedürfnisanalyse werden anschliessend in unternehmensspezifische Stellschrauben für Kreativität und Effizienz übersetzt. Diese Stellschrauben dienen als
Argumentations- und Entscheidungsgrundlage bei der Planung und Gestaltung der Arbeitsräumlichkeiten in Bezug auf die drei Dimensionen Funktionalität, Bedeutung und Ästhetik.

Aufgrund des vorgegebenen Projektrahmens haben wir im «TdLab» semi-strukturierte Interviews mit dem Management und einzelnen Mitarbeitern durchgeführt, die Arbeitsprozesse während rund 23 Stunden beobachtet, einen Design Thinking Workshop sowie einen Onlinesurvey über fünf Werktage hinweg durchgeführt. Die Evaluation der angewandten Methoden in diesem Projekt hat gezeigt, dass die Kombination von Workshop und Onlinesurvey optimal war. Mit einem überschaubaren Zeit- und Kostenaufwand konnte eine qualitative und quantitative Bedürfnisanalyse durchgeführt werden, wobei die quantitativen Resultate der Umfrage mit den fundierten Erkenntnissen aus dem Workshop komplettiert werden konnten.

Der partizipative Aspekt des Workshops hat die Akzeptanz der Nutzer gegenüber einer Neugestaltung der Arbeitsräume erhöht. Und die Kombination verschiedener Methoden erhöht die Zuverlässigkeit der Bedürfnisanalyse massgeblich. So haben beispielsweise die Beobachtungen die tatsächlichen Muster der Kommu­nikation, der Kollaboration und der Be­wegung gezeigt, die teilweise von den subjektiven Einschätzungen der Mitarbeitenden abweichen. Die persönlichen Gespräche schaffen Verständnis für das, was von der zukünftigen Arbeitswelt erwartet wird und sorgen gleichzeitig dafür, dass keine unrealistischen Erwartungen entstehen.

Ergebnisse der Bedürfnisanalyse

Die Bedürfnisanalyse hat interessante Ergebnisse hervorgebracht, die wir im Rahmen dieses Artikels nur ansatzwei­se diskutieren können. Aktuell wird im «TdLab» durchschnittlich 70 Prozent individuell und in leiser Umgebung gearbeitet (siehe Abb. 2). Mehrheitlich handelt es sich hierbei um kreative Aufgaben. Ungeplante Interaktionen oder Kollaborationen on the spot kommen nur selten vor. Meetings und Pausen werden im Meeting-Raum (10.1) abgehalten. Die Seminar-Räume (6,7) werden durchschnittlich einmal wöchentlich für Gruppenaktivitäten genutzt und dienen ansonsten als flexible Arbeitsplätze.

Um Kreativität und Innovationskraft im «TdLab» zu steigern, sollten in Zukunft die Präsenz der Mitarbeiter, die face-to-face-Kommunikation und die ungeplanten Begegnungen deutlich erhöht werden. Im Gegenzug dazu sollte sich der Koordinationsaufwand zwischen den Akteuren stark reduzieren, um die Effizienz zu erhöhen. Das Bedürfnis nach gemeinsam nutzbaren, funktionsspezifischen Räumlichkeiten ist gross. Basierend auf der Bedürfnisanalyse haben wir sechs Stellschrauben respektive Gestaltungsprinzipien für die zukünftige Arbeitswelt im «TdLab» abgeleitet. Die Stellschrauben adressieren die drei Dimensionen im Raum:

  1. Die Kreation und das Teilen von Ideen fördern (Funktionalität)
  2. Die unterschiedlichen Arbeitsstile unterstützen (Funktionalität)
  3. Die Visibilität der Arbeitsprozesse und von Mitarbeitern erhöhen (Funktionalität/Ästhetik)
  4. Die Koordinationsaufwände zwischen Projektpartnern reduzieren (Funktionalität)
  5. Die Identität des «TdLabs» im Raum spürbar machen (Bedeutung)
  6. Den sozialen Austausch fördern (Bedeutung)

Zwei Szenarien

Basierend auf der Bedürfnisanalyse haben wir zwei Szenarien für das zukünftige «TdLab» erarbeitet: Interaktion und The LAB.

Interaktion

Das erste Konzept Interaktion basiert auf der funktionalen Trennung zwischen stillen (blass rot) und lauten (blass blau) Arbeitszonen (Abb. 4). Individuelles, kognitives Arbeiten findet in Bürozonen mit fixen Arbeitsplätzen statt, interaktive und kreative Tätigkeiten in abschliessbaren Meeting-Räumen oder in der offenen Kaffeezone (dunkel blau). Die Rückzugszone oder Bibliothek (dunkel rot) bietet flexible Arbeitsplätze, um still nebeneinander zu arbeiten.

The LAB

Das zweite Konzept The LAB basiert auf dem Schaffen Integration von Projekträumen (siehe Abb. 5). Die Räume sind nicht einzelnen Mitarbeitern, sondern den Projekten respektive den Projektteams zugeteilt (blass blau). Im Projektraum werden relevante Informationen zusammengetragen und Wissen wird in diesem Raum geteilt, kreiert und visualisiert. In den Projekträumen finden insofern sämtliche Formen der Projektarbeit statt, was individuelle, interaktive, laute, stille, kreative und routinierte Tätigkeiten beinhaltet. Die Teams entscheiden selbst über Arbeitsformen und Verhaltensregeln in ihren Projekträumen. Die offene Kaffeezone und der Gang sind Orte informeller Gespräche über die Teamgrenzen hinweg und bieten Fläche für Visualisierungen (dunkel blau). Für ungestörtes Telefonieren oder längere Meetings stehen entsprechend abschliessbare Räumlichkeiten zur Verfügung (blass rot). Verglichen mit der Ausgangslage (siehe Abb. 3), wird schnell ersichtlich, dass beide Szenarien sämtliche Gänge, Räume, Zonen und Balkone in die Planung und Gestaltung einbeziehen und klare Funktionen und Bedeutungen zuordnen. Die Einrichtung erfüllt ästhetische und funktionale Ansprüche. Beide Szenarien werden intensiv mit dem Kernteam des «TdLabs» diskutiert und folglich, wenn mittlerweile auch anderswo, realisiert.

Fazit

Eine saubere Bedürfnisanalyse, die in klaren Gestaltungsprinzipien resultiert, bildet den Kern jeder Planungsphase und ist Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Umgestaltung oder Neuplanung transdisziplinärer Arbeitsräumlichkeiten. Eine erfolgreiche Neugestaltung endet jedoch nicht nach der ersten Umsetzung (siehe dazu Abb. 6). Die Mitarbeiter sollten in der ersten Phase nach dem Umzug begleitet werden. Gemeinsam werden Verhaltens- und Kommunikationsregeln entwickelt, damit die neuen Räume optimal genutzt werden können. Hinzu kommt, dass sich die Arbeitsräume mit den Nutzern und Projekten weiterentwickeln sollten. Die Räume sollten regel­mäs­sig evaluiert und falls nötig angepasst werden. Meist reichen minime Anpassungen, damit die Arbeitsräumlichkeiten optimal zur erfolgreichen Ausführung der anstehenden Aufgaben beitragen.

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