Forschung & Entwicklung

Remote Leadership

Personalführung in einer virtuellen Welt

Veränderte Rahmenbedingungen zwingen Unternehmen zu neuen Arbeitsbedingungen und -abläufen. Herausforderungen entstehen durch die Möglichkeiten virtueller Zusammenarbeit. Besonders die Führung von (teil-)virtuellen Teams stellt Unternehmen und Führungskräfte vor komplexe Aufgaben. Der folgende Beitrag zeigt Lösungsmöglichkeiten auf.
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Steigende Komplexität und Dynamik verändern die Rahmenbedingungen für Unternehmen. Diese sind daher gezwungen, sich anzupassen, um weiterhin konkurrenzfähig zu sein. Organisationen sind zunehmend gefordert, immer grössere Informationsmengen (Big Data) immer schneller aufzunehmen und zu verarbeiten (Robertson 2016, S. 3). Unternehmen stehen unter dem Druck, agiler zu werden und sich vom klassischen Top-Down-Ansatz mit den Vorgesetzten als Entscheidungs-Flaschenhals zu lösen.

Virtuelle Arbeitskooperationen

Zahlreiche Innovationen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien haben die Entstehung neuer Formen der Kooperation ermöglicht. So sind orts- sowie zeitunabhängiges Arbeiten wie beispielsweise durch Homeoffice im Aufwind. Gemäss einer Studie von Deloitte (2016) arbeiten bereits 28 Prozent aller Arbeitnehmenden mindestens einen Halbtag von zu Hause aus. Aber auch aufgrund der zunehmenden Globalisierung werden Personen zunehmend über Länder-, Organisations- und Kulturgrenzen hinaus in (teil-)virtuellen Teams zusammenarbeiten.

Neben zahlreichen Vorteilen, wie tieferen Kosten für Unternehmen und Flexibilität bei den Arbeitnehmenden, bringt die Zusammenarbeit in virtuellen Arbeitsgruppen einige neue Herausforderungen mit sich. Besonders die Führung von (teil-)virtuellen Teams stellt Unternehmen und Führungskräfte vor neue zu lösende Aufgaben. In zahlreichen klassischen Führungskonzepten ist die Face-to-Face-Interaktion ein wesentlicher Bestandteil. Diese Führungskonzepte sind für die Führung von standort- und zeitunabhängigen Teams nur noch bedingt geeignet (Jensen 2004, S. 1 – 5), da die Verteilung der Teammitglieder die Möglichkeiten zur persönlichen Beeinflussung der Geführten stark beeinflusst.

Die Führung auf Distanz

Durch die physische Distanz zwischen den Teammitgliedern und dem virtuellen Aspekt der Kooperation in standort- sowie in zeitunabhängigen Teams stellen sich dem Unternehmen also ganz neue Herausforderungen. Die Führungskräfte verfügen nicht mehr über die gleichen Kontrollmöglichkeiten. Während unter herkömmlichen Bedingungen die Führungskräfte ihre Mitarbeitenden am Arbeitsplatz wahrnehmen können, wissen sie bei virtuellen Teams nicht, wer woran gerade arbeitet. Zusätzlich benötigt die virtuelle Zusammenarbeit eine bessere Planung sowie mehr Koordinations- und Abstimmungsaufwand. Jeder, der schon über eine längere Zeit mit dem Ausfall der Internetverbindung konfrontiert war, kann sehr gut nachvollziehen, dass die Abhängigkeit von der Technologie zusätzlich ein nicht unerhebliches Risiko bei dieser Art der Zusammenarbeit birgt.

Auf der Seite der Mitarbeitenden besteht die Gefahr, durch den nicht vorhandenen persönlichen physischen Kontakt sich isoliert und nicht zugehörig zu fühlen. Vor allem die Bildung und Aufrechterhaltung von Vertrauen in einem verteilten Team, dessen Mitglieder über Informations- und Kommunikationstechnologien zusammenarbeiten und die Motivation der einzelnen Teammitglieder sind die Hauptherausforderungen in virtuellen Teams. Das Arbeiten im virtuellen Team verursacht ein Vertrauensdilemma.

Gerade in virtuellen Teams ist das gegenseitige Vertrauen überaus wichtig, wobei gleichzeitig der Aufbau und Erhalt von Vertrauen wesentlich schwieriger ist als bei herkömmlicher Zusammenarbeit. All diese Effekte können zum Sinken der Motivation führen. Abbildung 1 fasst die Herausforderungen von virtueller Teamarbeit nochmals kurz zusammen.

Lösungsansätze

Das Bewusstsein, dass virtuelle Kooperation spezielle Herausforderungen mit sich bringt, ist bereits ein wichtiger Faktor, um erfolgreich über die Distanz arbeiten zu können. Als zentraler Baustein von virtuellen Teams wird das Empowerment angesehen. Nur wenn die Mitarbeitenden nebst dem nötigen Fachwissen auch über Selbstmanagementfähigkeiten, Eigenverantwortung, aber auch entsprechende Entscheidungskompetenzen verfügen, ist Teamarbeit auf Distanz überhaupt erst möglich. Sinnvollerweise werden dabei mehr Kompetenzen an die Mitarbeitenden delegiert, sodass sich die einzelnen Teammitglieder selber führen können. Untersuchungen zeigen, dass gegenseitige Führung der Teammitglieder die Teamzufriedenheit, -identifikation und -leistung steigern kann. (Werner & Jöns 2008, S. 6)

Die Aufrechthaltung der Beziehungsqualität auf Distanz ist schwierig. Deshalb ist deren Pflege und Aufrechterhaltung entscheidend. Dazu muss den Mitarbeitenden auch Raum zum informellen Austausch (welcher sonst beispielsweise in Kaffeepausen geschieht) zugestanden werden. Da die physische Führung begrenzt möglich ist, gewinnt die strukturelle Führung an Bedeutung. Die oben erwähnte Studie zeigt auch, positive Zusammenhänge zwischen struktureller Führung und Team-Identifikation und -leistung auf (Werner & Jöns, 2008, S. 6). Das bedeutet, dass gemeinsame Werte, Ziele und Aufgabenverständnis, die sich auch in der Unternehmens- respektive Teamkultur widerspiegeln, unterstützen eine zielgerichtete Erfüllung der Aufgaben. Das bedeutet, dass standardisierte Organisations- und Teamprozesse als wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit in einem (teil-)virtuellen Team angesehen werden müssen (Wessely 2012, S. 131).

Ausserdem gilt die klare Festlegung von Rollen- und Aufgabenverteilung sowie die Bestimmung von gemeinsamen Projektzielen als sehr wichtiger Erfolgsfaktor in einem (teil-)virtuellen Team (Akin & Rumpf 2013, S. 379). Dabei kann das Vorhandensein von gemeinsamen Projektzielen die Bildung eines Gemeinschaftsgefühls unterstützen, da durch die übergeordneten Projektziele die Teammitglieder einen gemeinsamen Fokus entwickeln können (vgl. Hermann et al 2012, S. 33 – 34; Hertel & Konradt 2002, S. 81; Hertel et al 2004, S. 41 – 42).

Die Tatsache, dass Kommunikation im virtuellen Umfeld meist ohne nonverbale Sprache auskommen muss, zeigt die Wichtigkeit der verbalen Kommunikation. Eine einheitliche und klare Sprache kann dabei Missverständnisse und Unklarheiten abwehren. Auch wenn die Teammitglieder keinen physischen Kontakt miteinander haben, bedeutet dies nicht, dass kein anerkennendes (virtuelles) Schulterklopfen notwendig ist. Im Gegenteil führt diese Situation dazu, dass Lob und konstruktive Kritik regelmässig und zielgerichtet erfolgen muss (Akin & Rumpf 2013, S. 379). Auch ist es vor allem wichtig, dass geeignete Kommunikationsmittel seitens des Unternehmens bereitgestellt werden (Hermann et al 2012, S. 35). Eine Überprüfung, ob zum Beispiel die Virtual-Reality-Technologie sinnvolle Lösungen bietet, ist lohnenswert.

Was Unternehmen tun können

Um ideale Voraussetzungen für virtuelle Führung zu schaffen, sollte die Organisation flach strukturiert sein, sodass alle Mitarbeitenden Verantwortung und Entscheidungskompetenzen übernehmen können. Die eigenständige Arbeitsweise der Mitarbeitenden ermöglicht flexibles Agieren und Reagieren. Die Kooperationsform in virtuellen Teams sollte von der ganzen Organisation akzeptiert und unterstützt werden. Zudem sollten Eigenständigkeit der Mitarbeitenden und gegenseitiges Vertrauen als bedeutende Werte in der Unternehmenskultur verankert sein. Als technische Infrastruktur für die virtuelle Kooperation bedingt es hierzu nutzerfreundliche Kommunikationsmedien. Es ist sicherzustellen, dass Mitarbeitende Zugriff auf alle relevanten Informationen und Daten erhalten und zugleich sensible Daten vor allfälligem Missbrauch geschützt sind.

Für die Leitung eines virtuellen Teams sollten tendenziell Personen mit niedrigem Kontrollbedürfnis ausgewählt werden, die fähig sind, Verantwortung abzugeben und ohne hierarchische Macht zu führen. Generell und im Besonderen bei virtueller Führung unabdingbar sind gut ausgeprägte soziale Kompetenzen sowie Empathie bei Personen, die mit einer Führungsaufgabe in solchen Teams betraut sind.

Um ein virtuelles Team möglichst erfolgreich führen zu können, sollten moderne Führungskonzepte angewendet werden. Transformationale Führung, Super Leadership oder Shared Leadership sind hier beispielhaft zu nennen. Die Eigenschaften und Einschränkungen der Virtualität sind dabei stets zu berücksichtigen. Um die Flexibilität der ganzen Organisation und die intrinsische Motivation der Mitarbeitenden zu erhöhen, ist es wichtig, dass Verantwortung und Entscheidungskompetenz an diese delegiert wird. Zudem ist es von grosser Bedeutung, dass von Anfang an die sozialen Beziehungen im Team gefördert werden, um so gegenseitiges Vertrauen zu fördern.

Das Festlegen von Grundregeln und klaren Strukturen reduziert den Koordinationsaufwand und schafft Orientierung für Teammitglieder. Zudem sollte in virtuellen Teams eine gegenseitige konstruktive Feedbackkultur gepflegt werden. Zu Beginn einer Zusammenarbeit ist es zweckmässig, dass sich die Mitglieder persönlich physisch kennenlernen. Somit erhalten die Mitarbeitenden die Möglichkeit, gegenseitiges Vertrauen und soziale Beziehungen zueinander aufzubauen.

Ausserdem können die Grundregeln der Zusammenarbeit festgelegt werden und ein gemeinsames Verständnis der Aufgaben und Ziele entstehen. Zudem sind regelmässige Meetings sehr empfehlenswert, auch wenn sie über elektronische Kommunikationsmedien (zum Beispiel virtueller Teambesprechungsraum) abgehalten werden. Informelle Kommunikation zwischen den Mitarbeitenden ist wichtig und sollte nicht unterbunden werden. Damit kann die gefühlte Isolation reduziert, das Gemeinschaftsgefühl, die Motivation und das Vertrauen der Mitarbeitenden gestärkt werden. Untersuchungen zeigen zudem auf, dass nebst den planmässigen virtuellen Kontakten auch sogenannte Ad-hoc-Kontaktaufnahmen stattfinden sollten, um das Vertrauen und die Zugehörigkeit zu fördern. (Kelley & Kelloway 2012, S. 445).

Durch die Berücksichtigung dieser Aspekte kann die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit in virtuellen Teams gelegt werden. Die Mitarbeitenden in virtuellen Teams sollten zudem eine hohe Fachkompetenz in ihrem Bereich aufweisen, sich über eine gemeinsame Sprache verständigen können, kompetent im Umgang mit modernen Informations- sowie Kommunikationstechnologien sein und eine kommunikative Persönlichkeit haben. Daneben stellen die Fähigkeiten, sich selbst zu führen sowie intrinsisch zu motivieren, weitere wichtige Selektionskriterien für die Mitarbeitenden virtueller Teams dar.

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