Forschung & Entwicklung

Unternehmensführung II

Neues Kompetenzmodell für die Führungsentwicklung

Führungskompetenzmodelle gibt es viele. Meist dienen sie jedoch mehr zur Analyse als zur Entwicklung. Deshalb hat das IAP Institut für Angewandte Psychologie ein innovatives, empirisch entwickeltes Modell erarbeitet, das sich speziell für die Führungsentwicklung anbietet und Firmen zur freien Verfügung steht.
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Wer beschreiben will, was Führung im Kern ausmacht und was gute Führung ist, muss meist verschiedenste Definitionsansätze heranziehen und eine lange Liste mit beschreibenden Adjektiven bemühen. Den meisten Menschen fällt es schwer, eine knappe und doch umfassende Beschreibung zu finden, denn Führung stellt eines der zentralen Ordnung stiftenden Elemente in menschlichen Gesellschaften dar, und was für Menschen relevant ist, schlägt sich meist mit hoher sprachlicher Differenzierung in einer Vielzahl von Begriffen nieder, um der Fülle von Situationen und Unterschieden gerecht zu werden. 

Hogan und Kaiser (2005) haben in ihrem wegweisenden Artikel «What We Know About Leadership» dargestellt, wie Führung umfassend beschrieben werden kann. Da kann man sich berechtigterweise die Frage stellen, was es jetzt über Führung noch zu sagen gibt. Wurde diesbezüglich nicht schon genug gedacht, erfunden, erklärt und definiert? 

Auf jeden Fall berührt das Thema nach wie vor und ist hochaktuell. Daher hat das IAP Institut für Angewandte Wissenschaften ein Modell entwickelt, das umfassend ist und gleichzeitig auf konkrete Kompetenzen mit spezifischer Aussagekraft fokussiert, fest in der Forschung verankert und doch handhabbar in der Praxis ist sowie eine neue Perspektive aufzeigt, wie Kompetenz gerade im Hinblick auf Führungsentwicklung gedacht werden kann.

Forschung als Basis 

Umfassend ist ein Modell dann, wenn es alle möglichen Führungsaufgaben abschliessend beinhaltet. Doch ist es rea­listisch, anzunehmen, dass es so etwas überhaupt gibt? Robert Tett und Forschungskollegen (2001) gingen genau dieser Frage nach und trugen aus verschiedenen Studien datierend von 1951 bis 1993 zusammen, was alles unter beobachtbaren Führungsaufgaben verstanden wird. Die ursprüngliche Liste von 109 Führungsaufgaben verdichteten sie in einem aufwendigen Forschungsprojekt immer weiter, bis zuletzt eine Liste von 53 Kompetenzen resultierte.

Für den Einsatz in der Praxis ist ein Modell, das 53 Kompetenzen umfasst, immer noch unhandlich und zu detailliert. Aus diesem Grund starteten wir ein eigenes Forschungsprojekt, mit dem Ziel, aus den 53 Managementkompetenzen ein für die Praxis handhabbares Führungskompetenz-Modell zu entwickeln und gleichzeitig den umfassenden Rahmen beizubehalten. Das Studiendesign sah vor, dass erfahrene Führungskräfte und als Diagnostiker tätige Psychologen aus den 53 Führungskompetenzen nach eigenem Gutdünken sinnvolle Gruppen bildeten. Als Resultat entstanden gemittelte Ähnlichkeitsgruppen. Diese wurden von drei Experten und einer Expertin mit je mehr als zehn Jahren Erfahrung in der Management-Diagnostik in einem Einigungsverfahren zu Kompetenzen zusammengestellt.

Das neue Modell

Das neue Modell umfasst nur noch 15 Kompetenzen, die in fünf grosse Dimensionen aufgeteilt sind.

Die Dimension Werte

Die Dimension «Werte» beschreibt die grundsätzliche Einstellung gegenüber dem Unternehmen, anderen Menschen und neuen Erfahrungen. Ihr werden folgende Kompetenzen zugeteilt:

  • Loyalität wird verstanden als die Identifikation mit den Werten der Organisation sowie auch denjenigen der eigenen Berufsgruppe und den damit verbundenen ethischen Grundprinzipien.
  • Zwischenmenschliche Offenheit meint die Art und Weise, wie man auf das Gegenüber eingeht, aber auch, wie man sich davon abgrenzen kann. Wichtig sind Einstellungen wie Respekt, Offenheit und Empathie, aber auch interkulturelle Offenheit. 
  • Lernbereitschaft beschreibt den Wunsch nach persönlicher Weiterentwicklung, der sich in Neugier und gros­ser Offenheit manifestiert.

Die Dimension Denken

Die Dimension Denken bildet die Grundlage für die Wahl der richtigen Handlungsoptionen und ist somit dem Handeln zeitlich vorgelagert. Denken besteht aus drei Kompetenzen:

  • Analysefähigkeit besteht aus Problem­erkennung sowie -durchdringung mit dem Ziel, aus einer Vielzahl von möglichen Optionen die machbaren und zielführendsten auszuwählen.
  • Strategisches Denken bezeichnet die Fähigkeit, übergreifende Zusammenhänge vor einem längeren Zeithorizont interpretieren zu können, und dient dazu, zukünftige Entwicklungen zu antizipieren, um die Organisation darauf vorzubereiten.
  • Planungsfähigkeit ermöglicht als Kompetenz, Abläufe, Projekte und Prozesse zu planen, indem das Gesamtziel auf umsetzbare Schritte heruntergebrochen und auf diese Weise die Zielerreichung gezielt unterstützt wird.

Die Dimension Handeln

Die Dimension Handeln fokussiert ganz allgemein die umsetzungsorientierten Aspekte von Führungshandeln und be­inhaltet vier Kompetenzen:

  • Unternehmerisches Handeln ist sowohl Ausgangspunkt für Handeln als auch beständiger und umfassender Handlungstreiber, wenn durch Prozessoptimierungen und Qualitätsmassnahmen beabsichtigte Effekte wie Kundenzufriedenheit oder finanzieller Erfolg anvisiert werden.
  • Entscheidungsfreude schlägt sich in konkreter Willensbildung, gefolgt von der Initiierung von konkreten Aktionen nieder.
  • Zielfokussierung stellt sicher, dass die beabsichtigten Wirkungen bewusst gesteuert erreicht werden. Dazu gilt es, Mittel, Zeitpläne und Prozessschritte zu überwachen, um Termine und definierte Standards einzuhalten und gegen Unwägbarkeiten und Hindernisse gewappnet zu sein.
  • Resilienz bedeutet die Fähigkeit, gefasste Pläne auch unter erschwerten Bedingungen oder widrigen Umständen mit Beharrungsvermögen und Frustrationstoleranz zu verfolgen und bei ganz neuen Herausforderungen mit optimistischem Blick an den eigenen Vorhaben und Plänen festzuhalten.

Die Dimension Interagieren

Die Dimension Interagieren bündelt die folgenden drei Kompetenzen, die sich im zwischenmenschlichen Kontakt manifestieren:

  • Durchsetzungsgeschick beschreibt die Fähigkeit, seine Interessen trotz Widerständen zu erreichen, sei es über direkte Konfrontation oder Taktik und Diplomatie.
  • Die Kooperationsfähigkeit stellt Teamwork und konstruktive Zusammenarbeit durch aktives Engagement für die Gruppe ins Zentrum.
  • Kommunikationsfähigkeit als Kompetenz fokussiert auf den Aufritt, die Ausdrucksweise und die Fähigkeit, die Atmosphäre zu gestalten, sowohl auf der Sachebene als auch durch die emotionale Ansprache des Gegenübers.

Die Dimension Führen

Die Dimension Führen rückt das auf Menschen bezogene Führungshandeln ins Zentrum und bildet zwei sehr etablierte und verbreitete Kategorien von Führungsverhaltensstilen als Kompetenzen ab:

  • Führung transaktional bezieht sich auf die sachlich-funktionalen Führungsprozesse und fokussiert auf einen effizienten Ressourceneinsatz (Personal, Zeit, Material), auf bewusstes Dele­gationsverhalten und systematisches, fortwährendes Zielerreichungs-Controlling mit Ableitung positiver oder korrigierender Massnahmen.
  • Führung transformational bezieht sich auf die Motivation und Förderung der Mitarbeitenden sowie auf Teambildung. Dabei erfolgt Motivation weniger durch Formen von Belohnung, sondern indem Visionen aufgezeigt, ein Sinn in der Arbeit vermittelt sowie
  • kreativer Austausch ermöglicht wird. Die Förderung von Mitarbeitenden erfolgt durch lernorientiertes Feedback ba­sierend auf einer wertschätzenden Würdigung der Leistung. Teambildung wird daran gemessen, wie gut es einem Vorgesetzten gelingt, ein erfolgreiches Team zusammenzustellen.

Wertequadrate 

In einem nächsten Entwicklungsschritt haben wir uns mit der Beschreibung der Verhaltensausprägungen in den einzelnen Dimensionen auseinandergesetzt. Üblicherweise geschieht diese mittels einer Einstufungsskala mit den Extremen «gering ausgeprägt» und «stark ausgeprägt». In unserer täglichen Praxis haben wir jedoch festgestellt, dass diese Art der Verhaltensbeschreibung in einigen Fällen nicht optimal ist. Folgendes Beispiel soll dies veranschaulichen: Allgemein wird erwartet, dass eine Führungsperson über Durchsetzungsstärke verfügt, womit eine hohe Ausprägung in dieser Kompetenz positiv bewertet wird. Haben wir es jedoch mit einer besonders durchsetzungsstarken Person zu tun, könnte sich dieses Verhalten auch als dominante Rücksichtslosigkeit zeigen, was wohl in vielen Fällen als negativ zu beurteilen wäre. 

Die Lösung für diese Herausforderung fanden wir im Wertequadrat, einem Modell, das die Polarität zwischen «gut» und «schlecht» überwindet (Helwig, 1948; Schulz von Thun, 1989; Boss, 2012): Hier stehen sich zwei sich wechselseitig ergänzende Ausprägungen einer Persönlichkeitseigenschaft gegenüber. 

Im Wertequad­­­rat zur Führungskompetenz «Durchsetzungsgeschick» sind dies die Ausprägungen «diplomatisch» und «nachdrücklich» (siehe Abbildung 1). Erst die jeweiligen Übersteigerungen dieser zwei Kompetenz-Ausprägungen in der Form eines «Zuviel des Guten» markieren die Bereiche unangemessener Verhaltensweisen (im Beispiel «nachgiebig» respektive «dominierend»). In der Tabelle sind die Ausprägungen der Wertequadrate aller 15 Führungskompetenzen aufgeführt (siehe Abbildung 2).

Nutzen für die Praxis

Doch welchen konkreten Nutzen bringt nun dieses Modell? Zuerst schafft es durch seine umfassende Abbildung von Führungsverhalten eine gemeinsame Sprache für unterschiedliche Führungspositionen über Abteilungen und gar Organisationen hinweg und ist universell einsetzbar. Das heisst nun jedoch nicht, dass für die Charakterisierung einer bestimmten Führungsposition alle Kompetenzen vollständig übernommen werden müssen. Für die Verwendung in der Praxis empfehlen wir auf der Basis einer Anforderungsanalyse eine positionsspezifische Auswahl aus den 15 Kompetenzen sowie jeweils die Festlegung auf eine der spezifischen Ausprägungen der Wertequadrate.

Das auf diese Weise entwickelte Kompetenz-Set kann anschliessend in der gesamten Breite der Personal-Prozesse verwendet werden: Zunächst bildet es im Rahmen des Personalmanagements den Ausgangspunkt für die Planung von Ausschreibungen sowie die Durchführung von Selektionsverfahren. Durch den Einbezug des Wertequadrats überwindet unser Modell ein Denken in den Kategorien «gut versus schlecht» und ermöglicht dadurch, den Fokus stärker auf die Entwicklungsaspekte zu richten. Ausgehend von der Einordnung auf dem Kompetenz-Modell können zielführende Entwicklungsschritte im Rahmen von Mitarbeiter-be­urteilungen, Beförderungen oder Weiter- bildungsprogrammen abgeleitet werden (siehe dazu Westermann, 2006). Und zuletzt eignet sich das Modell auch sehr gut für Standortbestimmungsgespräche, weil die wesentlichen Themen eher qualitativ denn traditionell quantitativ angegangen werden können. 

Porträt