Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Nachhaltigkeit mit Geschick und Köpfchen

Nachhaltigkeit ist ein Megatrend, auf den zu reagieren ist. Welche Kompetenzen Unternehmen dafür benötigen, beschreibt der Beitrag.
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Der Megatrend «Nachhaltigkeit» wird uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten beschäftigen. Wir werden uns intensiv um Lösungen des Wirtschaftens bemühen müssen, die unsere Systeme sich regenerieren lassen, statt diese sukzessive zu überlasten. Insbesondere die Regenerationsfähigkeit der Ökosysteme steht bei der Nachhaltigkeit im Fokus, aber auch soziale Themen wie Genera­tionengerechtigkeit oder ökonomische Themen wie Effizienz und Suffizienz. Die Herausforderungen sind also vielfältig und die entsprechenden Lösungsalternativen zumeist komplex zu prognostizieren und umzusetzen. Angesichts dieser Vielfalt und Grösse der Herausforderungen braucht es Geschick, um ein Unternehmen im Kontext des Nachhaltigkeitsmegatrends richtig zu positionieren. Aber wie gehen Unternehmen hierbei «geschickt» vor? Oder wissenschaftlicher gefragt: Welche Kompetenzen braucht es in einem Unternehmen, sodass es angemessen auf den Nachhaltigkeitsmegatrend reagieren kann?

Der Faktor Nachhaltigkeitskompetenz

Diskussionen über dieses «Geschick» – die Nachhaltigkeitskompetenz – finden in der Öffentlichkeit selten statt. Zumeist stehen die einzelnen Nachhaltigkeits­themen selbst deutlich im Vordergrund, wie Klimawandel, Ressourcenschonung, Generationenvertrag, Wettbewerbsfähig­keit et cetera. Weniger Beachtung wird der grundlegenden Kompetenz geschenkt, an diesen Diskussionen überhaupt kon­struktiv teilnehmen und je­weilige konkrete Schlussfolgerungen ableiten zu können. Diese Kompetenz ist gerade auch für Unternehmen sehr wichtig, denn auch sie müssen Lösungen entwickeln, wie sie im Kontext einer nachhaltigeren Wirtschaft erfolgreich bleiben wollen. Ich habe mich als Wissenschaftler über die letzten Jahre dieser unternehmerischen Nachhaltigkeitskompetenz und deren Förderung gewidmet. Denn Unternehmen, die über diese Nachhaltigkeitskompetenz verfügen, wirtschaften nicht nur nachhaltiger, sondern sind in der Regel auch innovativer und kompetitiver. Auf Basis des aktuellen Stands der Praxis-Forschung (das heisst auf Best Practices in der Praxis Bezug nehmend) möchte ich im Folgenden Hinweise geben, wie diese Nachhaltigkeitskompetenz aussehen könnte und sollte und wie sie gefördert werden kann. 

Die Kompetenz des «Raum-Gebens»

Zunächst beruht die Nachhaltigkeitskompetenz auf der Bereitschaft und der Fähigkeit im Unternehmen, Nachhaltigkeitsthemen Raum zu geben, um die Relevanz dieser Themen für die unternehmerische Zukunft zu prüfen. Durch das «Raum-Geben» soll sich das Unternehmen sukzessive und konkret im Nachhaltigkeitsmegatrend verorten, und zwar in der Form konkreter strategischer Zielsetzungen und operativer Handlungsweisen. 

Folgende Leitfragen können bei der Überprüfung helfen, ob diese erste Nachhaltigkeitskompetenz des «Raum-Gebens» in Ihrem Unternehmen vorhanden ist: Finden sowohl im Rahmen unserer strategischen wie operativen Prozesse wiederholt Gespräche über Nachhaltigkeitsthemen statt? Öffnen wir uns ausreichend umfassend dieser Thematik, zum Beispiel indem auch Nachhaltigkeitsthemen besprochen werden, die auf den ersten Blick weit weg liegen von unserem Kerngeschäft? Bringen wir Nachhaltigkeitsexpertise ins Unternehmen, indem wir uns entsprechend informieren und vernetzen, uns weiterbilden, Experten einladen und unsere Kunden diesbezüglich befragen? Finden Nachhaltigkeitsthemen im Rahmen unserer Geschäftsentscheide Berücksichtigung, beziehungs­weise haben wir ein Verständnis darüber entwickelt, auf welche Art und Weise sie Berücksichtigung finden sollen, auch zur Förderung von Innovation und Kompetitivität? Haben Nachhaltigkeitsthemen in unserem Unternehmen die nötige Power, das heisst, geben auch Topentscheid­gremien Nachhaltigkeitsthemen immer wieder Raum? 

Die Kompetenz zur Formulierung konkreter strategischer und operativer Lösungen

Die zweite Nachhaltigkeitskompetenz ist die Kompetenz zur Formulierung konkreter strategischer und operativer Lösungen, das heisst die Setzung und Umsetzung klarer Prioritäten für die unternehmerische Nachhaltigkeitspraxis. Dies ist angesichts der Vielfältigkeit der Herausforderungen einfacher gesagt als getan. Denn die Frage stellt sich: Welchen Nachhaltigkeitsthemen wollen und können wir uns im Unternehmen überhaupt stellen? Zur Beantwortung dieser Frage geht es einerseits darum, wirksame und pragmatische Lösungen zur Systemschonung statt -überlastung zu finden, das heisst in den meisten Fällen die Umsetzung ressourcenschonender und -konservierender Massnahmen im Rahmen des jeweiligen Kerngeschäfts. 

Andererseits – und vielleicht noch entscheidender – sollte diese Frage unbedingt aber auch mit einem Fokus auf das innovative Potenzial beantwortet werden: Welche neuen und innovativen Business-Modell- und Prozess-Lösungen sind im Rahmen einer nachhaltigeren Wirtschafts­ordnung für unsere Unternehmung konkret nötig und möglich, sodass wir dadurch in Zukunft nachhaltigen, aber auch wirtschaftlichen Mehrwert schaffen können? Unternehmen mit der hier beschriebenen zweiten Nachhaltigkeitskompetenz sind in der Lage, entsprechende Alternativszenarien zum Status quo zu entwickeln, die mit einem Nachhaltigkeitsfokus gleichzeitig die Innovationskraft und Kompetitivität des Unternehmens fördern.

Die Kompetenz für ein motivierendes und befähigendes Changemanagement

Die dritte Nachhaltigkeitskompetenz hat sowohl eine externe wie interne Dimension. Die externe Dimension umfasst das schnelle und kosteneffiziente Testen der Innovation/Alternative auf Wirksamkeit und Marktfähigkeit. Die interne Dimension umfasst ein motivierendes und befähigendes Changemanagement, anlässlich dessen begleitend die nötigen neuen Strukturen, Prozesse und Ressourcen zur Skalierung der nachhaltigen Innovation/Alternative zur Verfügung gestellt werden.

Die Kompetenz zur nachhaltigen Unternehmensführung

Schliesslich braucht es im Kontext einer Unternehmung eine entscheidende vierte Nachhaltigkeitskompetenz: Die Kompetenz zur nachhaltigen Unternehmensführung. Forschung zeigt, dass Entscheidungsträger das Unternehmen dann am besten nachhaltig und gleichzeitig in­novativ und wertsteigernd führen können, wenn sie die folgenden Führungs­haltungen und -verhaltensweisen zeigen: (a) konsequenter Innovationsfokus, das heisst, Freiräume für Innovation schaffend, flach führend, interne und externe Stakeholder vernetzend, Trial-and-Error-Haltung fördernd, Interaktionen stimulierend, Wissen teilend; (b) Oppor­tuni­täten identifizierend, als Folge des ste­tigen Monitorings von Nachhaltigkeitstrends und entsprechender Marktbedürfnisse; (c) schnell handelnd, um mit einem strategischen und operativen Fokus in der komplexen Nachhaltigkeitsvielfalt schnell Konkretheit und Klarheit zu schaffen; (d) Ambiguitäten und Unsicherheiten aushaltend, d. h., auch dann hartnäckig bleibend, wenn sich alternative Szenarien nicht sofort als erfolgreich beweisen; d. h. eine hohe Bereitschaft und ein hohes Investment in einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess; (e) die Bereitschaft und die Kompetenz, auch ethische Fragestellungen im Unternehmen zu moderieren – denn Nachhaltigkeitsthemen haben natürlich immer auch eine starke ethische Dimension.

Fazit

Die vier oben genannten Nachhaltigkeitskompetenzen sind anspruchsvoll zu leben. Die gute Nachricht ist aber, dass die Zutaten für eine «Nachhaltigkeit mit Geschick und Köpfchen» im Grunde gut bekannt sind in Unternehmen. Denn mit Mitteln einer zielführenden Organisa­tionsentwicklung (dem «Raum-Geben» von Nachhaltigkeit in Strukturen und Prozessen; einem gut abgestimmten Stra­tegie- und Operationsmanagement; einem motivierenden und befähigenden Changemanagement) sowie mit der entsprechenden Förderung von Entscheidungsträgern hin zu einer nachhaltigen Führungskompetenz ist schon sehr viel erreicht. Nachhaltiges Wirtschaften ist damit im Grunde für uns alle möglich und ist angesichts des innovativen Potenzials auch aus wirtschaftlicher Perspektive wünschenswert.

Porträt