Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Nachhaltigkeit – ausgewogen Denken

Welche Rolle Nachhaltigkeit in Unternehmen spielt, hängt von dem Denkprozess der Entscheidungsträger ab. Wenn wir diesen Denkprozess verstehen, dann können wir auch Nachhaltigkeit gezielter fördern.
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Nachhaltigkeit ist in aller Munde, doch eine Frage bleibt: Warum entscheiden sich einige Unternehmen, ernsthaft in Richtung Nachhaltigkeit zu gehen, während andere zögern oder nur halbherzig agieren? Die Antwort liegt nicht nur in dem, was Unternehmen tun, sondern vor allem in dem, was sie denken. Denn es ist die Art und Weise, wie Entscheidungsträger in Unternehmen über den Nutzen und die Bedeutung von Nachhaltigkeit nachdenken, die bedingt, ob und wie sie handeln. Und wenn wir diesen Denk­prozess besser verstehen, dann verstehen wir auch besser, wie wir Nachhaltigkeit gezielter fördern können, mit posi­tiven Effekten für Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft.

Um diesen Denkprozess besser zu verstehen, wende ich im Folgenden erstmals ein Modell an, das sich auf den ersten Blick gar nicht auf Nachhaltigkeit bezieht. Denn Durand, Hawn & Ioannou wollen mit ihrem «Net-Benefit-Issue-Salience-Modell» vielmehr erklären, wann und wie Unternehmen auf normativen Druck reagieren, das heisst auf gesellschaftliche Wertehaltungen und gesellschaftliche Erwartungen an Unternehmen, die (noch) nicht eindeutig durch Regulatorien oder Gesetze kodifiziert sind. Das Modell soll uns also helfen zu verstehen, warum manche Unternehmen schnell auf gesellschaftliche Werte und Normen reagieren, während andere langsamer oder gar nicht darauf eingehen. Meine These ist nun, dass das Thema Nachhaltigkeit ein stark aufgeladenes normatives Thema ist, weil bereits bestehende Regulatorien und Gesetze dieses Thema nur teilweise regeln können und gesellschaftliche Erwartungshaltungen bezüglich Nachhaltigkeit sowohl darüber hinausgehen wie auch kontrovers sind. Werte und Normen prägen die Diskussion über Nachhaltigkeit also nach wie vor stark, über die Nüchternheit von Fakten und von bereits bestehenden Regeln hinaus. Und so stehen Unternehmen vor der Herausforderung, gesellschaftliche Erwartungen mit ihren eigenen Zielen und Ressourcen in Einklang zu bringen.

Die Bedeutung der Wahrnehmung

Bei diesem In-Einklang-Bringen spielt die subjektive Wahrnehmung der Be­deutung von Nachhaltigkeit (die sogenannte «Issue Salience») eine zentrale Rolle. Es geht hierbei darum, wie wichtig und dringlich das Thema Nachhaltigkeit vom Unternehmen und seinen Entscheidungsträgern wahrgenommen wird. Diese Wahrnehmung ist geprägt von objektiven äusseren Einflüssen wie gesellschaftlichen Trends oder den Erwartungen von diversen Stakeholder-Gruppen (Geschäftspartner, Mitarbeiter, Branchen­umfeld etc.), sie hängt aber auch von den subjektiven Wahrnehmungen und Wertehaltungen eines Einzelnen ab. Und wissenschaftliche Studien zeigen nun, dass eine hohe subjektive Wahrnehmung der Bedeutung und Dringlichkeit von Nachhaltigkeit dazu führen kann, dass Entscheidungsträger in Unternehmen dieses Thema als geradezu übermächtig empfinden, weil man den Erwartungen sowieso niemals gerecht werden könne. 

Das Ergebnis davon ist häufig, dass nur oberflächliche und symbolische Massnahmen ergriffen werden («man muss schliesslich etwas tun»), ohne dass sub­stanzielle Veränderungen stattfinden («aber lösen kann ich das Problem eh nicht wirklich»). Andererseits kann eine geringe subjektive Wahrnehmung der Bedeutung und Dringlichkeit natürlich dazu führen, dass das Thema Nachhaltigkeit als wenig wichtig erachtet wird und andere Geschäftsinteressen Vorrang erhalten. Hier besteht die Gefahr, dass Unternehmen wichtige Chancen verpassen, um sich langfristig besser aufzustellen. Mit dem Modell also zusammenfassend argumentiert: Unternehmerisches Engagement im Bereich Nachhaltigkeit entfaltet sich vor allen Dingen dann, wenn die subjektive Wahrnehmung der Bedeutung und Dringlichkeit von Nachhaltigkeit weder extrem hoch noch tief, sondern vielmehr ausgewogen ist. 

Die Wahrnehmung des Nutzens

Weiterhin stehen Unternehmen vor der Herausforderung, den Nutzen (den «Net Benefit») von Nachhaltigkeitsmassnahmen abzuwägen. Es handelt sich nicht nur um objektive finanzielle Aspekte, sondern auch um subjektiv geprägte Prognosen langfristiger Vorteile, wie eine verbesserte Reputation, Kundenbindung, Mitarbeitendenbindung etc. Auch diesbezüglich kann mit dem Modell argumentiert werden: Unternehmen investieren dann am ehesten in nachhaltiges Handeln, wenn sie auch den Nutzen als ­ausgewogen empfinden. Denn einerseits führt ein niedriger wahrgenommener Nutzen dazu, dass Unternehmen zögern, in Nachhaltigkeit zu investieren, da die Kosten und Anstrengungen unverhält­nismässig hoch erscheinen. 

Andererseits kann ein hoher erwarteter Nutzen die Entscheidungsträger in Unternehmen ebenfalls in eine Art Überforderung führen. Denn es gibt eine wichtige erforschte Wechselwirkung: Wenn der wahrgenommene Nutzen eines nachhaltigen Handelns als besonders hoch empfunden wird, dann steigt auch die der Nachhaltigkeit subjektiv zugeschriebene Bedeutung, und damit in der Regel wiederum – und das ist eine besonders spannende Dynamik! – die subjektiv wahrgenommenen Kosten und Risiken. Und diese höher empfundenen Kosten und Risiken – sei es in Form von Repu­tationsrisiken oder anderen Konsequenzen – können letztlich den wahrgenommenen Nutzen übersteigen. Dies kann zu einer Situation führen, in der gerade wegen eines hohen prognostizierten «Net Benefits» Entscheidungsträger zögern, Massnahmen zu ergreifen, weil in dieser Situation auch die Kosten und Risiken plötzlich als sehr hoch angesehen werden. Es entsteht eine subjektiv konstruierte Grenze, ab der der vermeintliche Nutzen nicht mehr ausreicht, um die gestiegenen Erwartungen und Anforderungen zu rechtfertigen. Und auch diese subjektive Konstruktion kann wiederum zu Inak­tivität führen. 

Ebenfalls aus dieser Perspektive scheint der Schlüssel also in einem ausgewo­genen Denken über den Nutzen und die Bedeutung von Nach­haltigkeit zu liegen. Nur wenn Entscheidungsträger sowohl den Nutzen als auch die Bedeutung als angemessen und nicht extrem aus­geprägt empfinden, sind sie bereit, nachhaltige Initiativen tatsächlich anzugehen.

Wie das Denken in die richtige Richtung gelenkt werden kann

Wie können Entscheidungsträger nun dieses ausgewogene Denken in ihren Unternehmen fördern? Es beginnt damit, die Wahrnehmung von Nutzen und Bedeutung von Nachhaltigkeit bewusst zu reflektieren: Welche mittel- und langfristige Wirkung entfaltet Nachhaltigkeit für uns? Ist die Wahrnehmung unserer diesbezüglichen Rolle und Positionierung ­realistisch? Gibt es blinde Flecken, die dazu führen, dass wir das Thema ­unterschätzen? Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Einbeziehung verschie­dener Perspektiven innerhalb des Unternehmens. Unterschiedliche Abteilungen und Mitarbeiterebenen können den Nutzen und die Bedeutung von Nachhaltigkeit unterschiedlich wahrnehmen. Durch einen offenen Dialog und eine transparente Kommunikation können Entscheidungsträger helfen, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, das auf realistischen und dennoch zukunftsweisenden Einschätzungen beruht. Zudem ist es hilfreich, sich nicht nur auf die aktuellen Trends und äusseren Entwicklungen zu kon­zentrieren, sondern auch die tieferen Werte und langfristigen Ziele des Un­ternehmens im Blick zu behalten, das heisst das Thema Nachhaltigkeit in Bezug zu setzen zum Kern der Unternehmensphilosophie.

Die Zukunft hängt vom Denken ab

Nachhaltigkeit wird auch in Zukunft eine der grössten Herausforderungen bleiben. Um dieser Herausforderung zu begegnen, wird es wichtig sein, Denkweisen zu fördern, die Unternehmen in die Lage versetzen, den Nutzen und die Bedeutung von Nachhaltigkeit realistisch und ausgewogen zu bewerten. Ein solch ausgewogenes unternehmerisches Denken spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle zur Ebnung einer nachhaltigen Zukunft. Entscheidungsträger in Unternehmen sollten daher nicht nur handeln, sondern vor allem richtig denken, um ihre Organisationen erfolgreich in diese Zukunft zu führen. Es braucht einen ­konstruktiven und kontinuierlichen Dialog, auf Basis nüchterner Argumente, sodass die Extreme das Denken und Handeln nicht paralysieren.

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