Forschung & Entwicklung

Nachhaltiges Konsumentenverhalten

«Nachhaltig allein reicht nicht – Produkte müssen überzeugen»

An der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW wird zum nachhaltigen Konsumentenverhalten geforscht. Dr. Anne Herrmann, Dozentin für Wirtschaftspsychologie sowie Co-Studiengangleiterin MAS Business Psychology, beantwortet im «KMU-Magazin» Fragen zu diesem Thema.
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Frau Dr. Herrmann, viele Unternehmensführer fragen sich, wie sie umweltfreundliche Produkte erfolgreicher machen können. Eine häufige Antwort darauf ist: Menschen müssen umweltbewusster werden. Stimmen Sie dem zu?

Nur bedingt, denn mehr Umweltbewusstsein führt nicht unbedingt zu umweltfreundlichem Verhalten. Man spricht hier von einer «attitude-behavior gap», also einer Diskrepanz zwischen der Einstellung und dem Verhalten. Die stark vereinfachende Annahme, dass man Einstellungen beeinflusst und sich daraus zwangsläufig Veränderungen im Verhalten ergeben, ist zwar weit verbreitet, stimmt jedoch so nicht. Das liegt daran, dass es neben den Einstellungen noch zahlreiche weitere Einflussfaktoren auf das Verhalten gibt.

Wie entsteht dieser Widerspruch zwischen umweltbewusster Einstellung und fehlendem umweltbewusstem Verhalten?

Umweltfreundliches Verhalten setzt eine umweltbewusste Einstellung und ein hohes Mass an Motivation voraus. Allerdings kann es schwierig sein, sich konsequent zu umweltbewusstem Verhalten zu motivieren. Der Psychologe Dan Ariely hat dies vor einiger Zeit sehr treffend beschrieben. Er hat – grob übersetzt – gesagt: «Wenn mir jemand die Aufgabe stellen würde, ein Problem zu erfinden, um das sich Menschen möglichst wenig sorgen würden, dann würde ich die Klimaerwärmung erfinden. Denn die Auswirkungen der Klimaerwärmung treten überwiegend irgendwann in der Zukunft auf. Ausserdem passiert es anderen Menschen. Und alles, was der oder die Einzelne tut, ist nur ein Tropfen auf den heis-sen Stein.» Dies trifft nicht nur auf die Klimaerwärmung zu, sondern auch auf andere Umweltthemen. Und diese Merkmale machen es aus motivationspsychologischer Sicht für den Einzelnen schwierig, sich konsequent umweltbewusst zu verhalten. Dies gilt selbst für Personen, die ein recht starkes Umweltbewusstsein entwickelt haben. So lange weder umweltschonendes noch umweltschädliches Verhalten kaum konkret erlebbare Auswirkungen auf die eigene Situation hat, ist es für den Einzelnen schwierig, sich zu motivieren. Das klingt jetzt etwas entmutigend. Ist es aber gar nicht. Denn Unternehmen können einiges tun, um ihre umweltfreundlichen Angebote für Konsumentinnen und Konsumenten attraktiv zu machen und so umweltfreundliches Verhalten zu fördern.

Was können die Unternehmen aus Ihrer Sicht tun, um ihre Konsumenten dahingehend zu motivieren, umweltfreundliche Produkte zu wählen?

Unternehmen sollten vor allem die Barrieren reduzieren, welche die Konsumenten davon abhalten, ein umweltfreundliches Produkt zu wählen. Dabei geht es um die Faktoren Zeit, Geld oder Aufwand für umweltbewusstes Verhalten. Diese Faktoren werden oft zusammenfassend als «Kosten» bezeichnet, auch wenn damit nicht nur finanzielle Kosten gemeint sind.

Ein Beispiel: Früher musste man für Bio-Lebensmittel in ein Spezialgeschäft gehen. Inzwischen sind Bio-Produkte in grossen Supermärkten gleich neben den konventionellen Produkten erhältlich. Dadurch reduzieren sich die für Konsumenten entstehenden Kosten – nämlich Zeit und Aufwand. So wird es für sie leichter, und damit auch wahrscheinlicher, umweltfreundliches Einkaufsverhalten zu zeigen.

Wie beeinflussen diese Kosten das Kaufverhalten?

Eine umweltbewusste Einstellung führt vor allem dann zu einem umweltbewussten Verhalten, wenn die oben genannten Kosten gering sind. Bei hohen Kosten dagegen kann es trotz einer umweltbewussten Einstellung zu einem weniger umweltbewussten Verhalten kommen. Lassen Sie mich das an zwei Beispielen illustrieren. Nehmen Sie die Abfalltrennung im Haushalt: Seinen täglichen Abfall zu trennen und separat zu entsorgen ist mit vergleichsweise geringem Aufwand verbunden. Man spart sogar etwas Geld, weil weniger kostenpflichtiger Restabfall anfällt. Eine umweltbewusste Einstellung führt hier höchstwahrscheinlich zu einem umweltbewussten Verhalten, also zu getrennter Abfallentsorgung. Wenn die Kosten hoch sind, kommt es dagegen eher zu einem Widerspruch zwischen der Einstellung und dem Verhalten. Nehmen wir an, Sie planen einen Wochenendtrip nach Wien. Hier sollte eine umweltfreundliche Einstellung dazu führen, dass man mit dem Zug reist. Doch die Kosten hinsichtlich Zeit und Aufwand sind hoch. Und das macht es sehr wahrscheinlich, dass man eben doch das Flugzeug nimmt. Aufgrund dieser Diskrepanz zwischen Einstellung und Verhalten können Unternehmen sich nicht darauf verlassen, dass eine zunehmend umwelt­bewusstere Bevölkerung auch häufiger umweltfreundliche Produkte wählt.

Was können die Unternehmen tun, um ihre umweltfreundlichen Produkte am Markt zu positionieren?

Unternehmen sollten sich fragen: Mit welchen Kosten ist es für meine Kunden verbunden, mein umweltfreundliches Angebot zu wählen – insbesondere im Vergleich zu den konventionellen Wettbewerbern. Ganz wichtig ist hier, dass es nicht nur um den Preis geht. Sondern zum Beispiel um die Erhältlichkeit: Ist das Produkt einfach verfügbar oder müssen Konsumenten zusätzliche Zeit aufwenden, es zu erwerben? Dies gilt insbesondere für jene Lebensmittel und andere Verbrauchsgüter, die man häufig und deshalb ohne grossen Aufwand erwerben will. Ein weiterer Kostenpunkt ist ein möglicher Verzicht: Muss der Kunde auf gewisse positive Produkteigenschaften verzichten? Hier gilt es, umweltfreundliche Produkte zu entwickeln, die in ihren Produkteigenschaften den konventionellen Wettbewerbern in nichts nachstehen. So wird der Kunde nicht vor die Wahl gestellt, sich aus Umweltschutzgründen für ein umweltfreundliches Produkt entscheiden zu müssen, obwohl ihn infolge von anderen Produkteigen­schaften ein an­deres Produkt eher überzeugt. Denn zu einem Verzicht sind nur wenige Personen bereit.

Abgesehen von der Entwicklung von Produkten, die zwar umweltfreundlich sind, aber einem herkömmlichen in nichts nachstehen. Was kann ein Unternehmen sonst noch tun, um die Nachfrage nach seinen umweltfreundlichen Produkten zu erhöhen?

Unternehmen müssen verstehen, was Konsumenten davon abhält umweltfreundliche Produkte zu wählen. Und sie sollten diese Barrieren bewusst abbauen. Eine häufige Barriere ist das generell geringe Interesse an Umweltthemen. Wie bereits erläutert, hilft es nur bedingt, durch Aufklärungskampagnen eine umweltbewusstere Einstellung aufzubauen. Stattdessen sollte man neben der Umweltfreundlichkeit andere Vorteile des Angebots hervorheben. Man spricht hier vom «reframing»: Nicht die Umweltfreundlichkeit des Produkts wird in den Vordergrund gestellt, sondern andere Vorteile, die das Angebot den Konsumentinnen und Konsumenten bietet.

Können Sie dies anhand eines Beispiels erklären?

Ein Beispiel dafür ist der Öffentliche Verkehr: Man könnte den ÖV als umweltschonende Alternative zum Autofahren positionieren. Stattdessen wirbt zum Beispiel der Zürcher Verkehrsverbund auf Plakaten damit, dass das Fahren mit dem ÖV die Parkplatzsuche erspart und auch noch die Kosten für ein teures Parkhausticket. Damit spricht man typische «Ärger-themen» von Autofahrenden an. So hebt man die persönlich erlebbaren Vorteile hervor statt der Umweltfreundlichkeit des Angebots. Und diese persönlich erlebbaren Vorteile – nicht ihr individueller Beitrag zum Umweltschutz – werden zum Grund für Kundinnen und Kunden, dieses Angebot zu nutzen. Andere Vorteile jenseits der Umweltfreundlichkeit hervorzuheben, bringt übrigens noch einen ganz entscheidenden Nutzen: Unternehmen sprechen so potenzielle Kundinnen und Kunden unabhängig von ihrer Einstellung zur Umwelt an. Das erweitert ihr Marktpotenzial beträchtlich. Und macht sie auch von der zukünftigen Entwicklung des Ökotrends unabhängiger.

Was können Unternehmen, und gerade KMU, machen, wenn die Vorteile weniger offensichtlich sind als beim Öffentlichen Verkehr?

Unternehmen müssen ein gutes Verständnis für die Motivatoren und Barrieren der Konsumentinnen und Konsumenten entwickeln. Mit einer psychologisch fundierten Marktforschung können die Präferenzen, Abneigungen und Motivationen der potenziellen Interessenten aufgedeckt werden. So können Unternehmen herausfinden, wie ihr Angebot wahrgenommen wird. Und sie erfahren, welche Vorteile ihres Angebots die Konsumentinnen und Konsumenten dazu bringen, ihr Angebot zu wählen. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil diese Vorteile nicht immer offensichtlich sind. Und sie stimmen auch nicht immer mit den Gründen überein, die ein Unternehmen selbst als Vorteil eines Angebots sieht. Wenn ein Unternehmen ein gutes Verständnis für die Perspektive der Konsumentinnen und Konsumenten entwickelt hat, kann es das Angebot selbst, aber auch die Kommunikation des Angebots entsprechend ausrichten.

Liegt Ihrer Meinung nach die Verantwortung, Konsumenten zu umweltbewussterem Verhalten zu motivieren, also vor allem bei den Unternehmen?

Die Verantwortung liegt ganz sicher auf beiden Seiten. Aber die meisten Unternehmen, die umweltfreundliche Produkte anbieten, tun dies aus Überzeugung. Sie wollen mit ihrem Handeln einen Beitrag für die Umwelt leisten. Und wenn Umweltschutz ein wichtiger Wert für ein Unternehmen ist, dann sollte es einiges daran setzen, ihn zu realisieren. Dabei geht es nicht darum, zu missionieren, denn dies hat nur einen sehr begrenzten Effekt. Wenn das Unternehmen stattdessen gute sowie zugleich umweltfreundliche Produkte entwickelt, die möglichst viele Konsumenten ansprechen, und zwar unabhängig von ihrer Einstellung zur Umwelt, hat das Unternehmen seinen Beitrag geleistet.