Forschung & Entwicklung

Nachfolgeregelung

Nachfolge in Familienunternehmen: Mythen und Wahrheiten

Viele Eigentümerfamilien gehen davon aus, dass der Nachfolgeprozess schwierig, riskant und konfliktbehaftet sein wird – und das kann in der Tat der Fall sein. Manche Familien­unternehmen scheitern an dieser Aufgabe – viele meistern sie jedoch mit Erfolg. Was diesen erfolgreichen Familien und Unternehmen gemein ist, zeigt dieser Beitrag.
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Die Nachfolge ist eine der grossen Herausforderungen, mit denen sich Unternehmerfamilien in jeder Generation erneut auseinandersetzen. Es zeigt sich, dass auch erfolgreiche Nachfolgeprozesse kaum jemals reibungslos verlaufen und niemals konfliktfrei sind. Ganz im Gegenteil erwarten die Beteiligten sogar, dass Konflikte auftreten werden; sie sehen Konflikte als einen natürlichen Begleiteffekt des Wandels. Sie stellen jedoch sicher, dass aktuelle und künftige Führungskräfte und Eigentümer sowie auch das Unternehmen selbst, anpassungsfähig bleiben, so dass sie temporäre Turbulenzen meistern können. Werfen wir nun einen genaueren Blick darauf, wie man die Familie und das Unternehmen für die Nachfolge fit machen kann.

Altersstruktur und Timing

Der richtige Zeitpunkt ist entscheidend für Veränderungen auf der obersten Führungsstufe. Die Forschung zeigt, dass Nachfolgende zwischen 35 und 45 Jahren das richtige Gleichgewicht an Energie und Erfahrung mitbringen. Und intuitiv scheint dies vernünftig – jüngere Menschen haben mehr Energie, und diese Energie ermöglicht ihnen, schneller zu lernen und sich von allfälligen Fehlern zu erholen. Darüber hinaus befinden sich Nachfolgende in diesem Alter in einem Lebensstadium, in dem sie sich gerne von der älteren Generation beraten lassen. Diese Bereitschaft nimmt mit zunehmendem Alter ab. Ein jüngerer Nachfolger führt daher möglicherweise zu einem reibungsloseren Nachfolgeprozess, weil die ältere Generation weniger Widerstand leistet, wenn sie sich eingebunden, gebraucht und gehört fühlt.

Auch ist es wichtig, die Leistung des aktuellen CEO im Auge zu behalten. Diverse Studien weisen darauf hin, dass die Leistung des CEO nach etwa einem Jahrzehnt nachlässt – ausser wenn die bestehenden Strukturen und Strategien ständig in Frage gestellt und Kritik von aussen aktiv eingeladen wird. Im Allgemeinen steigt die Leistung eines CEO in den Anfangsjahren im Allgemeinen exponentiell an, dann stagniert sie und beginnt schliesslich zu sinken (Miller, 1991; Miller & Shamsie, 2001). 

Dies geschieht, weil Geschäftsführer tendenziell weniger investieren, je länger sie an ihrem Platz sind. Sie werden lethargisch und initiieren seltener Veränderungen, und eine gewisse Starrheit schleicht sich ein im Top-Management. Dies kann besonders kritisch sein für Familienunternehmen, wo CEO tendenziell länger in ihrer Rolle verweilen als in Nicht-Familienunternehmen (etwa McConaughy, 2004).

Und schliesslich: In Anbetracht der Tatsache, dass CEO-Bewertungssysteme  relativ neu sind, könnte es sein, dass ältere CEO noch nie formell für ihre Leistung und Eignung für das Amt bewertet wurden. Die Einführung eines systematischen Bewertungsprozess noch vor der Nachfolge hilft, bestehende und künftige Führungskräfte auf Trab zu halten, und das Unternehmen daher besser auf die Nachfolge vorzubereiten. Ein starker Verwaltungsrat – bestehend aus qualifizierten Familienmitgliedern und kompetenten, durchsetzungsfähigen Nicht-Familienmitgliedern mit einem guten Verständnis der Familiendynamik – ist ein weiteres wichtiges Gremium, das einen entscheidenden Beitrag zum Gelingen der Nachfolge leisten kann. 

Wenn es vermieden werden kann, sollte keine Nachfolgeregelung stattfinden, wenn sich ein Unternehmen in einer turbulenten Phase befindet, zum Beispiel in finanziellen oder rechtlichen Schwierigkeiten steckt oder der Verlust eines Grosskunden droht. Um eine Analogie aus der Medizin zu verwenden: Kein Arzt wird bei einem Patienten eine Herztransplantation durchführen, wenn dieser krankhaft fettleibig ist. Denn unabhängig davon, wie gesund das Herz ist, wird der Körper den Stress der Operation nicht bewältigen können. Es versteht sich zudem von selbst, dass Familienunternehmen nur dann bereit sind für die Nachfolge, wenn eine sinnvolle, zukunftsorientierte Strategie, eine solide finanzielle Basis sowie optimale Prozesse und Strukturen vorhanden sind, geeignet, um die gesetzten Ziele zu erreichen.

Frühzeitige Vorbereitungen

Ein Familienunternehmen muss zum richtigen Zeitpunkt finanzielle Investitionen tätigen, und zwar bevor ein Führungswechsel stattfindet. Langjährige CEO neigen dazu, im Zeitverlauf weniger zu investieren – so bleiben die Erträge hoch und die Aktionäre, die sich eine stabile Dividende wünschen, zufrieden. Wenn der Nachfolger das Ruder übernimmt und eine Situation des chronischen Underinvestments antrifft, ist er gezwungen, lang benötigte Investitionen zu tätigen. In der Folge er­höhen sich Kosten und Vermögensbasis, worauf der Return on Equity (Vermögensrendite; Nettoeinkommen dividiert durch Vermögen) mehrere Jahre in Folge sinken wird. Dies sehr zum Leidwesen der Aktionäre, die möglicherweise nicht verstehen, warum dies der Fall ist.

Dies kann zu Konflikten und gar Ablehnung der Führung führen. Um dieses Szenario zu vermeiden, sollte die Familie die Anlagepolitik im Auge behalten und sicherstellen, dass die erforderlichen Investitionen getätigt werden, bevor die Nachfolge stattfindet. Für Aktionäre kann es sinnvoll sein, den Trend der Abwertung zu betrachten. Wenn dieser flach ist oder gar abnimmt, werden wahrscheinlich zu wenige Investitionen getätigt. Langjährige CEO haben oftmals sehr enge Beziehungen mit Mitarbeitenden und dem Führungsteam. Es fällt ihnen daher schwer, ehrliches Feedback zu geben oder Fehlverhalten zu ahnden. Dies passiert, wenn Beziehungen der Wahrheit im Wege stehen. Gruppendenken schleicht sich ein, und noch schlimmer: Regeln werden aus Respekt vor Beziehungen umgangen. Dies ist ein grosses Problem, insbesondere wenn es die Qualitätssicherung betrifft.

Änderungen vor der Nachfolge

Veränderungen an der Spitze können dazu führen, dass langjährige Mitarbeitende das Unternehmen verlassen – und das muss nicht zwingend negativ sein. Veränderungen sind gut, denn Mitarbeitende – und insbesondere das Managementteam – müssen die Vision des neuen CEO teilen. Wir beobachten, dass dies überdurchschnittlich häufig bei CFO der Fall ist, die sich oftmals stark mit den scheidenden CEO verbunden fühlen. Es kann dazu kommen, dass die Finanzchefin auch nach dem Führungswechsel noch immer an den Vorgänger rapportiert. Dies zerstört nicht nur das Vertrauen zwischen CFO und neuem CEO, sondern auch zwischen Vorgänger und Nachfolger. Dazu kommt, dass die meisten CFO seit Jahren oder Jahrzehnten dieselben Zahlen berichten, basierend auf den Spezifikationen des Vorgängers.

Es ist in der Regel schwierig, neue Denkweisen einzuführen. Der Nachfolger sollte daher erwägen, einen eigenen CFO zu ernennen. Und schliesslich ist es sinnvoll, Änderungen im Top-Managementteam vorzunehmen, bevor die Nachfolge stattfindet, so dass das neue Managementteam bereits eingesetzt ist, wenn der Wechsel stattfindet. Denn: Je mehr Turbulenzen man vorwegnehmen kann, desto besser.

Wichtig zu beachten

Hilfe suchen

Familien werden in der Regel nicht von selbst und ohne den Einsatz von Zeit und Geld harmonischer, erfolgreicher oder auch resilienter. Aus diesem Grund empfehlen sich die Organisation von Fami­lienveranstaltungen oder die Einrichtung eines Ausschusses zur Stärkung des Fa­milienzusammenhalts (Pieper und Astrachhan, 2008). 

Und sollte man der Meinung sein, dass die eigene Familie aktuell zu wenig Zusammenhalt hat, bietet es sich an, profes­sionelle Unterstützung für diesen Prozess zu suchen. Familien, die keine gemeinsame Vision haben, oder die die Ziele von Einzelpersonen stärker gewichten als Kollektivziele, werden es schwer haben, im Nachfolgeprozess einen gemeinsamen Nenner zu finden.

Oft kommunizieren

Familienmitglieder, die nicht regelmässig miteinander sprechen, haben keine unabhängige Beziehung zueinander und können daher kein tiefes Vertrauen aufbauen. Dies würde jedoch den Entscheidungsprozess erheblich vereinfachen. Halten Sie sich vor Augen, dass Konflikte eine natürliche Begleiterscheinung von Veränderungen sind. Dämonisieren Sie deshalb Konflikte nicht – sie sind, was sie sind. Es hilft, die eigenen Familien­dynamiken zu verstehen, um die Konflikt­fähigkeit zu stärken (Astrachan, 2018a, 2018b).

Verantwortungsbewusste Eigentümer entwickeln

Wenn Sie als Eltern wollen, dass Ihre Kinder kompetente und verantwortungsvolle Eigentümer werden, dann ist es Ihre Aufgabe, Ihren Kindern dies entsprechend beizubringen. Als Eltern haben Sie die Verantwortung dafür, Ihre Kinder Fehler machen und sie altersgerechte Konsequenzen erfahren zu lassen (Astrachan und Pieper, 2011).

Wert auf einen fairen Prozess legen

Entscheidungen sind effektiver, und die Betroffenen sind nachgiebiger, wenn sich die Beteiligten vertreten, eingebunden und informiert fühlen. Interessanterweise ist dies auch der Fall, wenn Per­sonen nicht unbedingt mit dem Ender­gebnis einverstanden sind. Familien müssen sicherstellen, dass sie diesen prozessualen Erwartungen ihrer Interessengruppen gerecht werden. Dies gilt nicht nur bei der Einstellung, sondern auch bei der regelmässigen Beurteilung des Nachfolgers (siehe auch Eddleston und Kellermann, 2007; van der Heyden, Blondel, und Carlock, 2005).

Die eigenen Ängste erkennen

Es mag vielleicht verlockend erscheinen, emotionale Problem mit technischen, strukturellen Lösungen kontrollieren zu wollen. Stattdessen müssen wir den Ängsten und Unsicherheiten, die wir im Kontext des Nachfolgeprozess haben, ehrlich begegnen und verstehen, welche unserer Entscheidungen eher von Angst und Vorsicht als von Vertrauen und Mut bestimmt werden. 

Mögliche Ängste sind zum Beispiel Zweifel an der eigenen Fähigkeit oder Zweifel an der Fähigkeit der nächsten Generation. Es besteht die Angst vor dem, was die nächste Lebensphase bringen wird oder Angst, die Erwartungen der Familie nicht erfüllen zu können. Wenn wir erst wissen, wovor wir Angst haben, können wir unsere Entscheidungen besser einschätzen und bessere Entscheidungen treffen, die nicht auf Unsicherheit be­ruhen, sondern auf Vertrauen. 

Konflikte gab es immer, und Konflikte wird es auch künftig immer geben. Konflikte sind ein wesentliches Nebenprodukt jeder Gruppeninteraktion und eines jeden Änderungsprozesses. Es ist essenziell für eine langlebige, harmonische Eigentümergruppe, ein vereinendes, generationenübergreifendes Ziel zu definieren und dabei sicherzustellen, dass die Familienmitglieder in die Entscheidungsfindung einbezogen werden und vor allem, die Kommunikationsdynamik und Konfliktfähigkeit zu stärken. Die Entwicklung dieser Fähigkeiten ist das grösste Geschenk, das man künftigen Generationen machen kann.

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