Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Modern-Monetary-Theorie – Theorie oder Voodoo?

Als Reaktion auf die Corona-Krise pumpen Volks­wirtschaften derzeit Billionen in die Märkte. Die Grundthese der Modern Monetary Theory besagt zwar, dass Staaten mit eigener Währung nie das Geld ausgehen kann, doch ist das nicht nur ein fauler Zauber? Drohen Inflation, Deflation oder gar beides?
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Der letzte volkswirtschaftliche Ausblick des Autors dieser Zeilen liegt schon eine Weile zurück. Genauer gesagt war dies in der Januar/Februar-Ausgabe 2018 des «KMU-Magazin» der Fall. Damals stand das Thema Inflation zur Diskussion und die Möglichkeit, dass eine potenzielle Inflation infolge der weltweiten, expansiven Geldpolitik zu steigenden Zinsen führen könnte. 

Modern Monetary Theory als Königsweg staatlich finanzierter Vollbeschäftigung?

Im Rückspiegel betrachtet fällt auf, dass in speziellen Märkten durchaus Inflation zu beobachten war, aber die beeindruckende Inflation der Assetpreise nicht auf die Verbraucherpreise und Zinsen übersprang. Dies ist wohl unter anderem den Notenbanken geschuldet, die geschickt und erfolgreich agierten bei ihrem Ziel, das Zinsniveau tief zu halten. Die Fürsprecher der Modern Monetary Theory (kurz MMT), die vereinfacht formuliert besagt, dass Staaten als Schöpfer ihrer Währungen nicht Pleite gehen könnten, da diese ihre Ausgaben nicht «(fremd)finanzieren» müssen, und Budgetdefizite so lange nicht inflationär wirken, wie die Staaten nur das «übermäs­sige» Sparen ihrer Bürger kompensierten, sehen sich wohl nachhaltig bestätigt. MMT bestärkt die staatlichen Wirtschaftsakteure also darin, dass durch Geldschöpfung beliebig zusätzliche Nachfrage ohne Inflation induziert werden könne, solange die Kapazitätsgrenzen der Angebotsseite nicht berührt beziehungsweise überschritten werden. Letztlich, so die implizite Empfehlung, sollen sich die Regierungen ruhig der Notenpresse bemächtigen, da Pleiten technisch ausgeschlossen seien und Inflation sowieso nicht drohe. Mit MMT sei der Königsweg staatlich finanzierter – oder besser «monetär geschöpfter» – Vollbeschäftigung durch unlimitierte öffentliche Investitionen gefunden. Natürlich ist es richtig, Sparprogramme und schwarze Nullen angesichts niedriger Inflation und tiefer Zinsen zu hinterfragen. Aber kritische Stimmen wie der frühere Finanzminister Larry Summers, den man wohl kaum verdächtigen kann, ein dogmatischer Sparkommissar im Amt gewesen zu sein, kritisieren MMT als «Voodoo-Ökonomie». Paul Krugman, seines Zeichens Nobelpreisträger der Ökonomie, kritisiert die Modern Monetary Theory als «Rezept für sehr hohe Inflation, vielleicht sogar Hyperinflation».

Im Zeichen der Covid-19-Krise

Was stimmt nun? Ist die Inflation ein für alle Mal tot und sind die MMT-Kritiker nur Angsthasen? Durch die MMT-Brille geschaut wollen wir fragen, wo wir aktuell stehen: Drohen Inflation, Deflation oder gar beides? Kein Zweifel, die Covid-19-Krise macht die Verbraucher nicht reicher, aber von Arbeitslosigkeit bedrohte Konsumenten werden bei niedrigerem Lohnniveau nicht gleich in einen ausgeprägten Käuferstreik treten, wohl aber ihre Ausgaben zu reduzieren suchen. Auch Unternehmer werden mit Zukunftsinvestitionen wohl eher erst einmal kürzertreten und auf Sicht fahren wollen. Gemäss MMT bedeutet dies, die Verbraucher und Unternehmen «sparen zu viel», der Staat kann und muss die Nachfragelücke füllen. Und die Staatengemeinschaft gibt Vollgas auf der Nachfrageseite – nicht Milliarden, sondern Billionen werden aufgenommen, ausgeteilt und dann alsbald ausgegeben. Dem einen oder anderen Konsumenten, der ja auch immer zugleich Steuerzahler ist, ist mulmig zumute, wie die Staaten in die Nachfragebresche springen und fürchten, MMT hin oder her, irgendwann die Rechnung präsentiert zu bekommen. So oder so, Inflation ist aus Nachfragesicht im aktuell deflationären Kontext für die nächsten Monate wohl noch kein Thema.

Covid-19 hat aber nicht nur deflationäre Auswirkungen auf der Nachfrage-, sondern auch auf der Angebotsseite. Staatliche Zuschüsse und Überbrückungsgelder reduzieren Unternehmenspleiten, aber mittelfristig werden der Krise geschuldet doch vermehrt Unternehmensliquidationen zu beobachten sein. Ob Unternehmensgründungen im Krisenklima hier für Ersatz und Arbeitsplätze sorgen werden, kann man getrost hinterfragen. Doch in einigen Sektoren werden die überlebenden Unternehmen durchaus geneigt sein, den verringerten Konkurrenzdruck mit einer Verzögerung zu Preiserhöhungen zu nutzen, sei es nur, um Schulden abzubauen. Kurz gesagt, weniger Angebot trifft zunächst auf konstante, gegebenenfalls nur leicht rückläufige Nachfrage. Sollte zudem eintreten, was die Auguren behaupten, dass im Kontext der Covid-Krise Unternehmen ihre Wertschöpfungsketten straffen und «heimholen», wird der Verbraucher die Zeche zahlen müssen.

Deglobalisierung bedeutet höhere Preise. In anderen Worten, angebotsseitig stehen die Zeichen mittelfristig auf Inflation, auch wenn Unternehmen aktuell noch davor zurückschrecken, Preise zu erhöhen, wird ihnen mittel- bis langfristig wohl kaum eine Wahl bleiben. Kommen wir zu den zurzeit aktivsten Protagonisten, den Staaten und Regierungen. Politiker fast aller grossen Volkswirtschaften verkünden mehr oder weniger im Stundenrhythmus Rettungsprogramme im Volumen von hunderten Milliarden, die sich zu Billionensummen addieren. Auf die Märkte rollt ein MMT-Tsunami an Liquidität und damit staatlich induzierter Nachfrage zu. Wie viel Geld in kürzester Zeit neu geschaffen wurde und wird, dokumentieren die Bilanzsummen der Notenbanken. Summiert man die Bilanzen der relevanten Zentralbanken, addiert sich der Liquiditätszuwachs alleine im ersten Quartal 2019 auf 2,5 bis 3 Billionen Euro. 

Bedrohlich oder nützlich? – die drohende Geldentwertung

Es stellt sich die Frage, wie die Liquidität erschaffen wird. Die Euro-Staaten, die USA und Japan geben für ihre Rettungsprogramme neue Anleihen aus, die über den Transmissionsriemen der Banken in erheblichem Umfang durch die Notenbanken aufgekauft werden. Die SNB beteiligt sich an der Geldvermehrung, indem sie mit frisch geschöpften Franken versucht, einen Teil der neuen Euros, USD usw. zu absorbieren und eine Frankenaufwertung zu verhindern. Einige Regierungen wollen das Rad noch weiterdrehen und die Politik diskutiert, ob die Zentralbanken die aufgekauften Staatsanleihen nicht einfach für 100 Jahre zins- und tilgungsfrei stellen könnten – neudeutsch handelt es sich also um besagte MMT. Die Inflation wird, so das politische Kalkül, die Rückzahlung obsolet machen. Hier fasst der aufmerksame Leser nach: Sind die Staaten erfolgreich, erledigt Inflation – die es gemäss MMT eigentlich gar nicht mehr geben sollte – die Rückzahlung.

Beides kann wohl nicht stimmen. Unterstellt, dass uns trotz deflationärer Tendenzen doch irgendwann die Inflation erreicht, stellt sich die Frage, ob die drohende Geldentwertung womöglich nicht bedrohlich, sondern nützlich ist. Die Antwort lautet, es kommt auf den Umfang und die Dynamik der Entwertung an. Die staatlichen Akteure werden nicht müde, Inflationsziele zu benennen, und erwecken den Eindruck, Inflation sei kontrollierbar. Doch Inflation hat ihre eigene Dynamik. Sobald Konsumenten die Erfahrung machen, dass alltägliche Dinge, Brot, Strom und Handwerker, Mieten usw., immer teurer werden, beschleunigt sich die Inflation und die Raten fangen an zu steigen. Aktuell ist es nicht so weit, und vielleicht gelingt es gemäss MMT, die staatlich induzierte Nachfrage auf die tatsächliche Nachfragelücke zu beschränken, sodass es nicht zu steigenden Inflationsraten kommt. Sollten die Staaten und Notenbanken aber «erfolgreicher» sein als von MMT vorgegeben und statt der Konjunktur die Inflation eine V-förmige Erholung beschreiben, sollten wir uns der mahnenden Worte von Paul Krugman erinnern.

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