Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Mit 3D-Druck in neue Welten vorstossen

Die 3D-Druck-Technologie in Kombina­tion mit lernfähigen Robotern demo­kratisieren die Fertigung. Die Gewinner sind vor allem KMU.
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Es braucht vielleicht noch eine ganze Menge Geduld, bis es möglich ist, dass wir wie in der TV-Serie «Star Treck» nur einen Wunsch an den Computer richten müssen und schon materialisiert sich das Verlangte. Doch die Revolution – ein bedeutender Schritt in Richtung «Star Treck» – kommt auf leisen Sohlen und bietet gerade KMU ungeahnte Möglichkeiten. Die Rede ist hier von der 3D-Druck-Technologie in Kombination mit sogenannten Cobots. Cobots werden sensible, lernfähige Roboter genannt, die kollaborativ eng mit Menschen zusammenarbeiten können. Die Hersteller von Cobots sprechen von einem dritten oder je nachdem auch vierten Arm, denen der Mensch schlicht vormacht, was die künstlichen Gliedmassen der Cobots dann an komplexen Handlungsabläufen beliebig oft erledigen. Die vielleicht noch grössere Revolution wird von 3D-Druckern der neusten Generation angestossen. Die 3D-Druck-Technologie ist dabei keine wirkliche Neuheit und kommt zur Herstellung von Prototypen seit mehr als 20 Jahren zum Einsatz. Nun steht der Durchbruch für den Einsatz in der Massenproduktion an. Möglich machen dies eine rasante Ausweitung des Anwendungsspektrums und die zugleich sinkenden Produktionskosten. Kurz gesagt, die Drucktechnologie ist nunmehr soweit, einen Beitrag zu leisten, um in bestimmten Branchen die Produktionskosten massiv zu senken.


Digital-physische Revolution
Die Firma, die der 3D-Technologie, neben dem US-Marktführer Stratasys und der Schweizer OC Oerlikon, endgültig zum Durchbruch verhelfen möchte, ist ein alter Bekannter: Es ist die Firma Hewlett Packard oder kurz HP. Das erklärte Ziel von HP ist nichts Geringeres, als mithilfe des 3D-Drucks ganze Volkswirtschaften zu verändern und die Vorstellung von Arbeit und Arbeitsteilung nachhaltig zu verändern. HP geht davon aus, dass 3D-Drucker schon in wenigen Jahren bei der Serienproduktion von beliebigen Gütern, die heute traditionell mit Spritzguss, Fräsen oder Stanzen erstellt werden, wettbewerbsfähig sind. Die Druck-Technologie ermöglicht darüber hinaus völlig neue, bisher kaum produzierbare Formen, welche zudem oft leichter und stabiler sind. Und natürlich ist ein moderner 3D-Drucker nicht mehr auf das Material «Plastik» beschränkt, sondern kann zunehmend beliebige Metalllegierungen verarbeiten. Er wird damit zum ultimativen Industriewerkzeug. Die Revolution – HP nennt es «der Digitalisierung ein Gesicht geben» – erschliesst sich aus der obigen Beschreibung allerdings noch nicht. Erst der kombinierte Einsatz von 3D-Drucktechnologie und Cobots zeigt auf, welche ungeahnten Möglichkeiten sich für Unternehmen auftun. Einen Eindruck, vor welchen Veränderungen ganze Branchen stehen, zeigt das Beispiel des Sportartikelherstellers Adidas.

Ein Grossunternehmen als Vorreiter
Bis anhin produziert Adidas ungefähr 400 Millionen Sportschuhe pro Jahr, die zu 97 Prozent mit deutlichem Anteil an Handarbeit in den Niedriglohnländern Asiens produziert werden. Doch seit Mitte 2017 werden in Deutschland und den USA Sportschuhe von Adidas in hochgradig automatisierten Fabriken unter Zurhilfenahme von 3D-Druckern hergestellt. Nicht nur die konkurrenzfähigen Produktionskosten sind das Besondere an den Laufschuhen, die auf 3D-Druckeren hochgradig automatisiert produziert werden, sondern dass die Fertigung in besonderem Masse den individuellen Wünschen der Sportschuhträger Rechnung trägt. Da die Sohle und Zwischensohle der Sportschuhe gedruckt werden, können diese je nach Wünschen und Anatomie des Läufers an beliebigen Punkten verstärkt werden. Das heisst, der «Future Craft 4D» genannte Schuh kann den stetig zunehmenden Individualisierungswünschen der Kunden Rechnung tragen. Fabriken, die auf 3D-Drucker und Cobots bauen, sind bezüglich des Standorts beinahe unabhängig von der Frage von Lohnkostenvorteilen. Entscheidend sind andere Kriterien. Die ergonomischen Daten des Sportschuhkunden werden digital vermessen und via Internet ohne Zeitverzug an die Produktionsanlagen gesandt. Die Produktion der Schuhe erfolgt hoch individualisiert «on demand». Digitale Infrastruktur, wenige, aber qualifizierte Fabrikarbeiter – halb Manager, halb Ingenieur – halten die 3D-Drucker-Fabriken am Laufen. Logistik und digitale Infrastruktur sowie die Verfügbarkeit hoch qualifizierte Mitarbeiter sind nunmehr entscheidende Standortfaktoren. Adidas ist hier nur ein Beispiel, viele weitere Unternehmen wie Phonak (individualisierte Hörgeräte) oder Airbus (Triebwerkteile) haben das Potenzial der Technologie erkannt.

Renaissance lokaler Fertigung
Welche Bedeutung haben Cobots und 3D-Drucker zukünftig für KMU? KMU bietet die Kombination aus Cobots und 3D-Druckern die Möglichkeit, sich noch mehr auf ihre Stärken zu besinnen. Der KMU-Prototyp wird durch den 3D-Druck fast ohne Zeitverzug zum End- und gegebenenfalls auch zum Massenprodukt. Die Technologie macht es möglich, an einem beliebigen Standort lokal Dinge zu produzieren, die vormals an eben diesen Standorten aus Kostengründen nicht oder nicht mehr produzierbar waren. Mit der Digitalisierung wird die Produktion in heimische Gefilde zurückverlagerbar oder erst gar nicht internationalisiert. Die Industrie steht vor einer Renaissance der lokalen Fertigung. 3D-Drucker, Cobots und digitalautomatisierte Produktionstechnologien demokratisieren die Fertigung. Da die Bedeutung von Skalenerträgen sinkt, können KMU mit den neuen Technologien zu starken Herausforderern der multinationalen Konzerne werden. Nicht mehr der Zugang zu günstigen Fertigungsanlagen in fernen Ländern entscheidet über Erfolg oder Misserfolg, sondern die Fähigkeit, hoch individualisierte, innovative Produkte für die Kunden zu erschaffen, zeichnet die Champions von morgen aus. Die Fähigkeit, Kundenwünsche zu erkennen, durch Innovationen zu erfüllen und die Produkte in die «digitale Sprache» der Cobots und 3-Drucker zu übersetzen, sind die neuen Kernkompetenzen.

Dabei wird es wohl auch kaum notwendig sein, dass KMU selber über viele 3D-Drucker und Cobots in automatisierten Fabriken verfügen. Nicht eigene Werkhallen voll von Multifunktions-3D-Druckern werden KMU das Überleben sichern, sondern die Möglichkeit, Innovationen zum Nutzen für den Kunden noch unmittelbarer umzusetzen. Die eigentliche Produktion werden spezialisierte Anbieter wie beispielsweise «Forecast 3D», ein Fertigungsdienstleister aus den USA, übernehmen. Diese offerieren in verschiedenen Teilen der Welt Pro­duktionska­pazitäten via digitaler Schnittstelle und erfüllen Produktionsaufträge in beliebiger Grössenordnung mal mehr, mal weniger nah beim Kunden. Die hier beschriebene Revolution ermöglicht es KMU, da­mit in Märkte vorzudringen, die vormals durch hohe Eintrittsbarrieren verschlossen waren.

Chancen und Verantwortung
KMU haben die Chance, eine besondere Rolle in der digital-physischen industriellen Revolution zu spielen. Der 3D-Drucker und die Cobots ermöglichen eine hochgradige Digitalisierung der Produktionskette, die die Unterschiede von Massarbeit und Massenproduktion verschwimmen lassen werden. Neue Geschäftsmodelle entstehen, wobei Produktion und Logistik verschmelzen. KMU müssen sich auf die beschriebene Revolution vorbereiten, indem sie in Software-Know-how und Facharbeiter investieren. Aus gesellschaftspolitischer Sicht muss diskutiert werden, wie die Gewinne aus Innovations- und Produktivitätsfortschritten zu verteilen sind und wie die Menschen, die ihre Arbeitsplätze im Kontext dieser Revolution mutmasslich verlieren werden, kompensiert werden können. Auch hierbei sollten die KMU mitdiskutieren und ihre ethisch-moralischen Kompetenzen im Sinne der eigenen Glaubwürdigkeit ausspielen.

Porträt