Wir sind eigentlich gut darin, uns zu verändern. Denn das Leben fordert von uns stets Veränderungen ein. Trotzdem höre ich – wenn ich mit Organisationen zusammenarbeite – sehr oft Folgendes: Die Vielzahl der Veränderungen überfordert uns und unsere Mitarbeitenden. Veränderungen sind schwierig zu managen. Unsere Mitarbeitenden verändern sich ungern. Meine Antwort darauf ist stets: Das stimmt (meistens) nicht.
Eine Denkreise in sechs Schritten
Eine solche pessimistische Perspektive auf Veränderungen ist Folge eines zu statischen Bildes von Organisationen, beherrscht von fixierten Strukturen und Prozessen. Wir müssen aber vielmehr den Menschen und dessen reichhaltige persönliche Erfahrung gelebter Veränderung in den Vordergrund rücken. Denn mit diesem Fokus geht das Managen von Veränderungen leichter von der Hand. Gerne möchte ich Sie in sechs Schritten auf eine Denkreise mitnehmen, in deren Verlauf Sie hoffentlich neue Ansatzpunkte für anstehende Veränderungen gewinnen. Rücken wir dafür in einem ersten Schritt den Menschen in den Vordergrund, der uns am nächsten steht: uns selbst. Vergegenwärtigen Sie sich hierfür kurz, wo Sie sich im Moment befinden; in Ihrem Beruf und Ihrem Leben allgemein. Wenn Sie nun jemandem erzählen würden, wie genau Sie dorthin gekommen sind, dann würden Sie einiges zu erzählen haben.
All Ihre Geschichten würden Zeugnis davon ablegen, dass Sie grundsätzlich gut darin sind, sich zu verändern. Denn Sie haben in all diesen Situationen – bewusst oder unbewusst – um Lösungen gerungen, die Sie schliesslich dorthin geführt haben, wo Sie sich heute befinden. Sie haben agiert und reagiert, und sich dadurch nach und nach verändert. Dies ist eine nicht kleine Leistung. Übertragen Sie in einem zweiten Schritt diese persönliche Leistung auf eine Organisation. Und stellen Sie sich vor, dass jede Organisation letztlich nichts anderes ist als ein Zusammenschluss von Menschen mit persönlichen Veränderungserfahrungen. Es entsteht das Bild einer Organisation, die in erster Linie aus Menschen mit reichhaltigen Erfahrungen besteht, und nur auf den zweiten Blick aus Strukturen und Prozessen.
Organisationen sind die Summe der gemeinsam durchlebten Erfahrungen
Nehmen Sie in einem dritten Schritt aber zur Kenntnis, dass Organisationen viel mehr sind als die Summe der einzelnen Lebenserfahrungen. Denn Menschen machen in einer Organisation gemeinsame Erfahrungen, die sie alleine nicht machen würden. Zu den persönlichen Erfahrungen von Veränderung gesellen sich also neue Erfahrungen, die gemeinschaftlicher Natur sind. Die Fülle dieser gemeinsam durchlebten Erfahrungen formen über die Zeit die jeweilige Identität der Organisation. Die Sozialwissenschaft spricht in diesem Fall von einer «imagined community», von einer «vorgestellten» Gemeinschaft. Dies bedeutet, dass Menschen als Folge gemeinsam durchlebter Erfahrungen sich ein Gemeinschaftsgefühl und eine Identität «einbilden». Denn im Kopf jedes Einzelnen entsteht durch gemeinsame Erfahrungen eine real gelebte Vorstellung der Gemeinschaft. Und diese Vorstellung vereint, weil jeder weiss, dass auch die Anderen die gleichen Erfahrungen durchlebt haben.
In einer Organisation entsteht also – trotz der Verschiedenheit der individuellen Erfahrungen – ein «vorgestelltes» Gemeinschaftsgefühl. In einem vierten Schritt sollten Sie sich – von der Idee der «vorgestellten» Gemeinschaft abgeleitet – Folgendes vornehmen: Stossen Sie Veränderungen stets dadurch an, indem Sie den Mitgliedern der Organisation ermöglichen, gemeinsam eine neue Erfahrung zu durchleben. Es reicht nicht aus, wenn Sie das Neue verordnen oder erklären.