Forschung & Entwicklung

Strategische Innovationen (Teil 2 von 2)

Mehr Potenzial durch strategische Innovationen

Strategische Innovationen wie beispielsweise die Entwicklung eines neuen Geschäftsmodells oder die Umsetzung einer innovativen Managementmethode bieten die Möglichkeit, sich im Wettbewerb nachhaltig zu behaupten. Die meisten Unternehmen konzentrieren sich aber heute auf operative Innovationen und verpassen dabei viele Chancen.
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Der Gang zur «Nespresso»-Maschine ist heute in vielen Unternehmen und Privathaushalten zum täglichen Ritual geworden. Wir haben uns weit von der Vorstellung weg bewegt, dass Kaffee auch mit einem traditionellen Filter aufgebrüht werden muss, eben «What else?», so wie es uns der Werbeslogan von Nestlé auch beibringt.

Ebenso normal ist es geworden, Kaffee in stylischen «Nespresso»-Läden zu kaufen oder ihn über das Internet zu bestellen, statt in den Supermarkt zu gehen. Auch das war vor zehn Jahren undenkbar. Und ganz freiwillig bezahlen wir für ein Kilo «Nespresso»-Kaffee in Kapseln zirka 80 bis 100 Franken und fühlen uns gut dabei. Im Vergleich dazu beträgt der Preis ei­nes Kilo Bohnenkaffees lediglich etwa 10 bis 20 Franken.

Die Firma Nestlé hat es geschafft, eine völlig neue Art der Interaktion zwischen einem Unternehmen und dem Markt im Bereich Kaffee zu etablieren und dabei unser Verständnis zu verändern, wie uns Kaffee verkauft wird. Nestlé hat das gängige Geschäftsmodell für Kaffee grund­legend neu gestaltet.

Aus Unternehmenssicht ist eine solche Innovation des Geschäftsmodells mit strategischen Entscheiden verbunden. Un­ternehmen denken und handeln oft im etablierten Rahmen, in dem der Wettkampf um Marktanteile mit ähnlich aufgestellten Wettbewerbern stattfindet. Wird das etablierte Modell oder das Verständnis hinterfragt und neu gestaltet, so ist dies immer mit Erneuerungen, also Innovationen, im Bereich der Strategie verbunden. Ausser dem gut bekannten Beispiel von «Nespresso» kennen wir etliche weitere, oft auch sehr erfolgreiche globale Grossunternehmen, die innovative Geschäftsmodelle umsetzen, so wie etwa Apple über das Hub-System, Apps oder den Verkauf von MP3-Songs über das Internet. Vor allem Grossunternehmen sind bereits sehr erfolgreich damit, neue Geschäftsmodelle zu suchen und operativ umzusetzen. Sie schaffen es so, sich einzigartig und nachhaltig auf dem Markt zu positionieren.

Einiges anders machen

Weniger bekannt, aber oft genauso innovativ, sind hingegen neue Geschäftsmodelle, mit welchen KMU erfolgreich agieren. Ein solches Unternehmen ist der im Tessin und im Thurgau ansässige landwirtschaftliche Betrieb «Natur Konkret». Das Unternehmen hat sich auf die biologische Aufzucht und Haltung von Rindern, Schweinen und Hühnern spezialisiert, deren Fleisch verkauft wird. Das tun auch andere Unternehmen. Und doch ist bei «Natur Konkret» einiges anders.

Während traditionelle Unternehmen zwischen marktseitigen Partnern oder Konsumenten und Lieferanten oder Ressourcengebern wie Banken klar unterscheiden, nutzt Guido Leutenegger von «Natur-Konkret» ein neues Geschäftsmodell. Kunden können über einen Zeitraum von fünf oder zehn Jahren in einzelne Tiere investieren und erhalten im Gegenzug jährlich Biofleisch im Wert eines festgesetzten Betrags. Alternativ dazu ist es möglich, für drei Jahre festverzinsliche Anteilscheine am Unternehmen zu erwerben. Der investierte, verzinste Betrag wird dann als Geldbetrag oder ebenfalls in Naturalien ausbezahlt.

«Natur-Konkret» bindet so einerseits Kunden ans Unternehmen, andererseits werden alternative Finanzierungsquellen erschlossen. Kunde und Kapitalgeber sind praktisch ein und dieselbe Quelle, so dass bislang selbstverständliche strategische Faktoren neu interpretiert werden. Zugleich erhält das unpersönliche Produkt «Fleisch» ein sympathisches Gesicht: Die Kuh namens Lotti (oder ein anderes Tier), der Verbraucher kann nachvollziehen, wie die Tiere aufgewachsen sind. Sie erhalten eine Sicherheit über das Produkt.

Die Strategie selbst wird so zum Gegenstand von Innovationen. Dies auch dann, wenn nur einzelne Teile des Geschäftsmodells verändert werden. Da solche strategischen Innovationen im Kern dessen ansetzen, wie Unternehmen funktionieren und mit dem Markt interagieren, können zwar Einzelteile imitiert werden, aber es wird kaum einem Wettbewerber gelingen, das gesamte Geschäfts­modell einfach nachzuahmen. So gibt es heute zwar viele Kaffeemaschinen, die anhand des Kapselsystems funktionieren, aber eben nur ein «Nespresso»-System. Kein Wettbewerber hat es geschafft, den Lifestyle, der mit «Nespresso» verbunden wird, zu imitieren. Und kein weiteres Unternehmen, das Kaffee in Kapseln anbietet, konnte sich dem durch Nestlé erzielten Premiumpreis oder dem Erfolg des Unternehmens annähern. Strategische Innovationen haben daher grosses Potenzial, nachhaltigen Erfolg zu begründen.

Operativ vs. strategisch

Schweizer KMU haben die Bedeutung strategischer Innovationen für die Zukunft erkannt. Viele Unternehmen tun sich aber noch schwer damit, innovative Geschäftsmodelle zu konkretisieren und umzusetzen. Tatsächlich sind die Geschäftsmodelle vieler KMU erstaunlich stabil und wurden über die Jahre kaum verändert. Dies hat eine im Jahr 2013 durchgeführte Studie des Kompetenzzentrums für Strategie und Management der FHS St.Gallen festgestellt (siehe hierzu Teil 1 dieser Artikelserie in «KMU-Magazin», Ausgabe 12 / 14 sowie Jahii et al., 2014). Bisher waren Veränderungen auch weniger notwendig. Das Wettbewerbsumfeld war für die Unternehmen relativ stabil. Doch die Situation verschärft sich in den meisten Branchen zunehmend.

Innovationen bieten generell eine gute Option, sich im Wettbewerb zu unterscheiden. Dies gilt insbesondere in der Schweiz, wo es für viele Unternehmen nicht möglich ist, eine Positionierung als Kostenführer für ihre Produkte oder ihre Dienste zu etablieren. Die hohen Personal- und Standortkosten können auf dem globalen Markt nur über neue, einzigartige und auch qualitativ herausragende Leistungen gerechtfertigt werden. Doch bieten nicht alle Innovationsarten eine Grundlage für die gleichen Vorteile im Wettbewerb. Es können grob operative Innovationen (z. B. Produkt- oder Prozess­innovationen) und strategische Innovationen (z. B. innovative Geschäftsmodelle oder Managementinnovationen) unterschieden werden (siehe hierzu die Abbildungen 1 und 2).

Operative Innovationen

Operative Innovationen zielen darauf, bestehende Leistungen oder Abläufe zu verbessern und orientieren sich in der Regel am Bestehenden und Bekannten. Sie sind somit besser greifbar und leichter umzusetzen als strategische Innovationen, da sie sich auf einzelne Teilbereiche konzentrieren. Ausserdem entfalten sie ihre Wirkung deutlich schneller, sie sind jedoch leichter zu imitieren, so dass die positiven Auswirkungen mit der Zeit rasch verblassen. Vor diesem Hintergrund bilden operative Innovationen nur selten die Grundlage für wirklich nachhaltige, also längerfristige Vorteile im Wettbewerb, sondern nur für temporäre, also kurzfristige Vorteile. Sie müssen rasch erneuert werden.

Strategische Innovationen

Strategische Innovationen hingegen stellen das Geschäftskonzept eines Unternehmens und damit sowohl das bisherige Geschäftsmodell als auch das Unternehmen als Ganzes infrage. Sie innovieren direkt den Kern eines Unternehmens und können eine grundlegende Veränderung der Funktionsweise, der Konfiguration und auch der Struktur des Unternehmens nach sich ziehen. Oftmals beinhalten strategische Innovationen nicht nur individuelle Abläufe oder Produkte, sondern verändern die Art und Weise, wie diese zusammenspielen. Eine solche Komplexität kann von den Wettbewerbern nur schwer erfasst oder gar imitiert werden, so dass strategische Innovationen das Potenzial haben, nachhaltige Vorteile im Wettbewerb zu begründen. Diese Wirkung strategischer Innovationen spiegelt sich dann, wie beim Beispiel Nespresso, im Erfolg der Unternehmen wider. Untersuchungen zu strategischen Innovationen zeichnen in der Regel ein äusserst positives Bild über deren Einsatz.

Sie attestieren dieser neuen Innovationsart im Vergleich zu klassischen Produkt- oder Prozessinnovationen zumeist eine überdurchschnittlich grosse Wirkung auf den Unternehmenserfolg. Viele KMU setzen sich zwar das Ziel, innovativ zu sein, ihre Aktivitäten sind aber tatsächlich konservativ. Es werden also eher operative denn strategische Innovationen eingesetzt. Damit entgeht manchen KMU eine Chance, die zunehmend schwieriger werdenden Spielregeln des Marktes zu ihren eigenen Gunsten proaktiv zu gestalten und sich so einen nachhaltigen Vorteil im Wettbewerb zu verschaffen. Was also sind die Gründe dafür, dass KMU das Potenzial strategischer Innovationen bislang noch weniger nutzen als die bekannten Spielarten der operativen Innovation wie Prozess- oder Produktinnovation? Durch welche Stärken und Schwächen zeichnen sich kleine und mittelgrosse Unternehmen im Vergleich zu Grossunternehmen aus? Und welche Vor- und Nachteile ergeben sich daraus für die Entwicklung und Umsetzung von strategischen Innovationen? (Siehe Abbildung 3).

Unbekannte Innovationen

Obwohl der Begriff «strategische Innovation» zunehmend Einzug in unseren täglich genutzten Wortschatz findet, ist oft noch unklar, was sich genau dahinter verbirgt. Produkt- oder Prozessinnovationen sind bekannt und werden daher oft als weniger komplex eingestuft als die Innovation von Geschäftsmodellen oder Managementprozessen. Die Firmen konnten in der Vergangenheit bereits Mechanismen und Routinen zu ihrer Umsetzung entwickeln, so dass der Schritt zur Innovation weniger gross und weniger riskant erscheint. Doch gerade hier liegt die Chance strategischer Innovationen. Denn je einfacher es ist, eine Innovation aufzufinden und umzusetzen, umso schneller ist dies auch für Wettbewerber möglich, die dann zu Imitatoren werden können. Soll also ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil aufgebaut werden, so kann es auf diesem oft beschwerlichen Weg per Definition keine «Abkürzung» geben. Hürden sind Teil der Reise und das Ziel liegt gerade darin, sie zu überwinden.

Innovative Geschäftsmodelle müssen nicht zwingend das gesamte Unternehmen verändern, sie können auch an einzelnen Aspekten der Art und Weise, wie Unternehmen mit dem Markt interagieren, ansetzen oder diese kombinieren.

Wenig Zeit für Strategien

Obwohl man sich in den meisten Unternehmen der grossen Bedeutung kontinuierlicher strategischer Überlegungen bewusst ist, werden diese in der Alltagsrealität vieler KMU oft vernachlässigt. Im Gegensatz zu den Grossunternehmen ist die Unternehmensleitung eines KMU meist in zahlreiche operative Aktivitäten involviert. Und die Dringlichkeit des Tagesgeschäfts führt oft dazu, dass das tägliche «Feuerlöschen» eines Grossteils der Aufmerksamkeit bedarf.

Strategische Fragen hingegen, wie zum Beispiel strategische Innovationen, können kaum im «Vorbeigehen» beantwortet werden. Sie erfordern ein Hinterfragen des Bestehenden, und die Suche nach Antworten braucht vor allem Ruhe und Zeit «am Stück». Da oftmals unbekannte Handlungsoptionen für die Zukunft abgewogen und in Gestaltungsoptionen transferiert werden müssen, sind sie komplexer und schwieriger in der Handhabung, oft auch unbequem. Solche Überlegungen lassen sich kaum zwischen andere dringliche Aktivitäten einfügen. Das konstruktive und kritische Nachdenken über die Zukunft des Unternehmens wird dann häufig auf einen unbekannten Zeitpunkt in der Zukunft verschoben oder es findet in reduzierter Form statt.

In Grossunternehmen werden hingegen Manager für die Leitung und strategische Ausrichtung des Unternehmens eingesetzt, auf die sie sich konzentrieren können. In KMU ist diese Aufgabe kaum delegierbar. Doch auch darin liegt eine oft ungenutzte Chance, denn die Leitung von kleinen und mittelgrossen Unternehmen ist oft erheblich «näher» am Kunden oder an anderen Stakeholdern und an deren akuten Herausforderungen. Darauf lassen sich neue Geschäftsideen aufbauen.

Knappe Ressourcen

Es wird sich heute kaum ein Unternehmen finden lassen, in dem finanzielle oder personelle Ressourcen in ausreichender Höhe vorhanden sind. Doch ist die Situation in vielen KMU im Vergleich zu Grossunternehmen ungleich verschärfter. Aufgrund der geringeren Gesamtzahl an Personal kann nicht jede Position durch einzelne Mitarbeiter besetzt werden. Vielmehr müssen diese oft mehrere Funktionen im Unternehmen gleichzeitig wahrnehmen und parallel bearbeiten. Es ist dann nicht immer möglich, eine Spezialisierung und tiefes Fachwissen für jede Tätigkeit aufzubauen.

Innovative Lösungen können jedoch kaum effizient erarbeitet oder gar «abgearbeitet» werden, sie benötigen unsere ganze Aufmerksamkeit. Ohne Ressourcen wird es nicht möglich sein, innovative Geschäftsmodelle oder Strategien zu suchen und zu etablieren. Doch liegt in der Art und Weise, wie der Prozess dorthin durchlaufen wird, eine Chance für KMU. Denn Ideen tauchen selten als «Geistesblitze» aus dem Nichts auf. Vielmehr sind sie in den meisten Fällen das Ergebnis einer strukturierten, institutionalisierten und regelmässig eingesetzten Vorgehensweise. Das Ziel ist es dabei, ein Ganzes, zum Beispiel ein Geschäftsmodell, in einzelne und überschaubare Teile aufzuspalten, um diese dann neu zu kombinieren oder zu ergänzen. Um von einer solchen strukturierten Vorgehensweise zu profitieren, braucht es aber das notwendige Know-how. Oft kennen KMU die dazu erforderlichen Methoden, Strukturen und Prozesse nur ungenau oder gar nicht, so dass diese nicht regelmässig oder systematisch angewendet werden können. Viele der etablierten Methoden und Instrumente im Rahmen des Strategie- und Innovationsprozesses sind sehr gut, aber aufgrund der gestiegenen Komplexität, mit der Unternehmen heute konfrontiert sind, reichen sie nicht mehr aus, um zu wirklich neuen Lösungen zu gelangen.

Respekt vor Unbekanntem

Oft besteht zwischen Schweizer KMU und ihren Mitarbeitern eine enge, gewachsene und loyale Beziehung, in welche bei Familienunternehmen auch mehrere Generationen eingebunden sein können. So kann viel wertvolle Erfahrung aufgebaut werden. Die Kehrseite ist jedoch oft eine «Betriebsblindheit», indem sich die Mitarbeiter immer wieder auf das Vertrau­te und Bewährte berufen. Es bestehen Schwierigkeiten, aus dem über lange Jahre aufgebauten Denk- und Handlungsrahmen auszubrechen. KMU legen häufig einen Schwerpunkt auf die Bereiche der Produkt- und Prozessinnovationen und orientieren sich hierbei zumeist am bestehenden Wettbewerb oder an Best-Practice-Beispielen. Das heisst, um Neues zu finden, orientieren sie sich eher am Bekannten, Bestehenden, Vertrauten und damit auch am Wettbewerb um umkämpfte Marktanteile. Die Chance, das Marktgeschehen durch innovative Geschäftsmodelle proaktiv zu gestalten, wird also erst zögerlich genutzt.

Oft schwingen dabei einerseits eine gros­se Verantwortung für das Unternehmen und die Mitarbeiter mit sowie ein grosser Respekt vor Fehlentscheidungen. Manchmal spiegelt dies auch ein Wunschdenken wider, indem sich ein Zurücksehnen sicherer Zeiten ausdrückt. Das heisst, wir wünschen uns eine Situation zurück, die uns vertraut ist und mit der wir umgehen können. Dies darf aber nicht in ein Verharren im Status quo und in einer Sehnsucht nach einer stabilen Wettbewerbssituation enden. Denn tatsächlich hat sich das Wettbewerbsumfeld verschärft und es bedarf ebenso an adäquaten Veränderungen im Unternehmen selbst.

Flexibilität und Schnelligkeit

Auf der anderen Seite zeichnen sich KMU aber auch durch Eigenschaften aus, die im Hinblick auf strategische Innovationsaktivitäten als besondere Stärken gesehen werden können. Schweizer KMU können diese Stärken jedoch noch gezielter und strukturierter einsetzen, um das vorhandene Potenzial zu nutzen. Es hilft also, sich dieser unterstützenden Charakteristika von KMU im Innovations- und Strategiebildungsprozess bewusst zu werden und diese auch zu fördern. Denn manchmal können knappe Ressourcen auch wenig Bürokratie, flache Hierarchien, kurze Entscheidungswege und direkte Kommunikation bedeuten.

Die meisten KMU verfügen nicht über die für einen übermässigen Verwaltungsapparat erforderlichen Ressourcen. Sie sind daher schneller und flexibler als viele Grossunternehmen. Wird eine Idee als vielversprechend erkannt, braucht es keine zeitraubenden Genehmigungsverfahren, sondern es kann umgehend gehandelt werden. KMU können dadurch einen Zeitvorteil nutzen. Gerade bei den schwerer zu «greifenden» strategischen Innovationen kann dies hilfreich sein. Denn letztlich kann das mit innovativen Aktivitäten stets verknüpfte Risiko in seiner Gesamtheit zu keinem Zeitpunkt vollständig abgeschätzt, sondern nur angenähert und vermindert werden.

Unternehmer statt Manager

Eine besondere Stärke der KMU sind die nachhaltige strategische Orientierung, Stabilität und Kontinuität, mit der langfristige und unsichere Projekte verfolgt werden können. Vor allem börsenkotierte Grossunternehmen brauchen schnelle (finanzielle) Erfolge ihres Handelns, da sich Erfolgs- oder Misserfolgsmeldungen umgehend im Aktienkurs niederschlagen. Innovationsprojekte und strategische Veränderungen benötigen aber Zeit. Soll Neues entdeckt oder umgesetzt werden, so müssen oft unbekannte oder noch nicht geebnete Wege beschritten werden. Sie sind immer mit Unsicherheiten verbunden, die sich zwar reduzieren, aber niemals vollständig beseitigen lassen. Mit zunehmendem Neuigkeitsanteil nehmen diese Unwägbarkeiten zu. Insbesondere solche Vorhaben, die innovativer sind als andere, unterliegen dann der Gefahr, voreilig abgebrochen zu werden. Gerade in Familienunternehmen besteht aber die Möglichkeit, langfristige Perspektiven zu entwickeln und diese auch generationenübergreifend und verantwortungsvoll umzusetzen.

Um innovative Projekte einschätzen zu können, haben sich herausragende Unternehmerpersönlichkeiten im Zeitverlauf oft ein erstaunliches Gespür bzw. eine Intuition angeeignet. Dabei handelt es sich um gelerntes, implizites Wissen, das zwar vorhanden ist, aber nur bedingt in Worte gefasst und anderen mitgeteilt werden kann. In Grossunternehmen sind es oft formelle Regelungen, welche ein Denken und Handeln auf intuitiver Basis unterbinden. Doch kann es im Zusammenhang mit innovativen Geschäftsmodellen hilfreich sein, auf Intuition zurückzugreifen, denn vollständig abschätzen lässt sich der Erfolg innovativer Handlungen nicht.

Massnahmen

Was können kleine und mittelgrosse Unternehmen nun tun, um strategische Innovationen zu stärken? Möglichkeiten da­zu bieten einerseits eine Milderung der bestehenden «Schwächen» oder anderseits eine Betonung, Entwicklung und Nutzung der schon vorhandenen Stärken, wie die nachfolgenden Ansatzpunkte allgemein aufzeigen.

Unsicherheit akzeptieren

KMU sollten die gestiegene Unsicherheit in der Umwelt als gegeben akzeptieren und sie in ihre Entscheidungen einbeziehen, denn es ist unwahrscheinlich, dass sich die Situation in den kommenden Jahren verbessern wird. Es gilt aber auch, die Unsicherheit innovativer und strategischer Entscheide bis zu einem gewissen Grad als gegeben zu betrachten. Doch bieten sich so auch zahlreiche Chancen, die Umwelt, das Unternehmen und die Zukunft selbst zu gestalten.

Regelmässigkeit in der Strategiebildung

Für strategische Fragestellungen, Nachdenken und Ausprobieren sollte ausreichend Zeit im Alltagsgeschehen eingeplant werden, unabhängig davon, ob es «brennt» oder nicht. Denn es gibt keine wichtigeren Fragen im Unternehmen, und diese können auch nicht delegiert werden, sie sind die Aufgabe der Unternehmensleitung. Strategisches Denken sollte also institutionalisiert und routinisiert werden. Dies geht beispielsweise, indem feste «Auszeiten» eingeplant und Plattformen für strategische Belange aufgebaut werden.

Flexibilität bei der Umsetzung

Zugleich sollten KMU ihre Flexibilität zum Ausprobieren neuer Möglichkeiten gezielt einsetzen und sich anhand eines Prozesses von Fehler und Irrtum vorwärtsbewegen. Auch KMU mit begrenzten Ressourcen können ihr Unternehmen und ihre Umwelt dann proaktiv gestalten. Fehler oder Rückschläge wird es auch geben, aber sie können unmittelbar nach ihrem Auftreten korrigiert werden, konstruktives Lernen wird ermöglicht. So kann Strategie in vielen kleinen Schritten stattfinden, es braucht keine wenigen grossen Sprünge.

Zukunftsdenken

Was sich in der Vergangenheit bewährt hat, ist nicht immer für die Zukunft geeignet. Unternehmen sollten sich kontinuierlich im Hinblick auf ihre Zukunftsfähigkeit selbst infrage stellen. Dies ist notwendig, um selbst proaktiv Veränderungen anstossen und so den Markt verändern zu können. Je früher Verände-rungen schrittweise eingeleitet werden, umso mehr Gestaltungsmöglichkeiten stehen Unternehmen dann zur Verfügung und umso eher können mögliche Fehltritte korrigiert werden.

Externe Experten und neue Tools

Oft ist es dazu hilfreich, einerseits neutrale, oftmals externe Personen in die internen Überlegungen miteinzubeziehen, welche helfen, die Unternehmung aus einer neutralen Perspektive heraus zu spiegeln. Andererseits können auch gezielt eingesetzte Instrumente helfen, wie etwa das Denken in Szenarien, die aufbauend auf möglichen Entwicklungen der Umwelt verschiedene Handlungen in die Zukunft weiterentwickeln können. Oder, denkbar ist es auch, mögliche strategische Handlungen der anderen Wettbewerber («Strategic Moves») zu antizipieren, um eigene Schritte zu entwickeln.

Konstanter Wissensfluss

Um einer «Betriebsblindheit» entgegenzuwirken, sollte ein kontinuierlicher Fluss neuer Ideen und neuen Wissens ins Unternehmen, aber auch innerhalb der Organisation ermöglicht werden. In jedem Unternehmen bestehen bereits Kontakte, die dazu stärker oder gezielter genutzt werden können, zum Beispiel Kunden, Lieferanten, Geschäftspartner. Weniger naheliegende Kontakte müssen hingegen oft erst hergestellt und institutionalisiert werden, vor allem, wenn sie mit dem Kerngeschäft vermeintlich wenig verbunden sind. Doch oft sind es gerade branchenfremde Kontakte wie Hochschulen oder andere Berufsgruppen, die Neues anzustossen vermögen, gerade weil sie anders funktionieren und denken oder anderes sehen.

Managementmethoden

Um diese Vorschläge zu realisieren, braucht es oft neue Methoden im Management, z. B. flachere Hierarchien oder mehr informelle statt formelle Strukturen sowie räumliche Freiheiten. Interessanterweise schliesst sich damit der Kreis zu den strategischen Innovationen: Denn die innovativen Managementmethoden er­möglichen nicht nur strategische Innovationen, sie sind auch selbst eine ihrer Spielarten, welche eine Grundlage für die nachhaltigen Vorteile im Wettbewerb begründen können.

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