Forschung & Entwicklung

Wirtschaft und Kultur

Kunst und Kultur im Unternehmen zielgerichteter einsetzen

Tage der offenen Tür, Retraiten, Firmenausflüge – Firmenanlässe sind oft auf leichte Unterhaltung ausgelegt. Das ist eine verpasste Chance. Mit gezielten kunst- und kulturbasierten Interventionen kann ein Unternehmen den Anspruchsgruppen ein überraschendes Ereignis bieten und gleichzeitig auf unternehmensspezifische Themen aufmerksam machen.
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In Gesprächen mit Führungskräften und Angestellten taucht immer wieder die Frage auf, was Kunst und Kultur jenseits einer dekorativen Funktion für das Unternehmen oder für eine öffentliche Verwaltung «tun» kann. Insbesondere interessieren sich die Gesprächspartner dafür, wie Kunst und Kultur dazu beitragen könnten, die Produkte und Services eines Unternehmens und die eigene Unternehmenskultur nachhaltiger nach aussen – zu Kunden, aber auch zu den Familien von Mitarbeitenden oder Personen, die in der Nachbarschaft einer Unternehmung wohnen – zu tragen.

Sinn kultureller Interventionen

Mittlerweile gibt es vor allem in Europa und den USA viele Kongresse, Konferenzen, Forschungen und eine umfangreiche Literatur, die sich mit dem Zusammenspiel von Wirtschaft und künstlerischen beziehungsweise kulturellen Interventionen in Organisationen beschäftigen. Kunst- und kulturbasierte Methoden in Unternehmen sollen einerseits Kreativität und ästhetische Kompetenz (ästhetisch wird hier als mit «den Sinnen wahrnehmend» verstanden) und damit die Innovationsbereitschaft von Managern und Mitarbeitern fördern. Andererseits soll mit Kultur und Kunst letztlich ein Verständnis für ein ethisch ausgerichtetes und sinnvolles Handeln in Unternehmen gewonnen und damit die Unternehmens­identität gestärkt werden (vgl. Biehl-Missal, 2011). Zentral dabei sind Leidenschaft für die Arbeit und Identifikation mit dem Betrieb.

Der Verweis auf die hohen Kosten und die geringe Wirkung von «altbekannten» Firmenveranstaltungen (wie zum Beispiel Tage der offenen Tür, Weihnachtsfeiern, Betriebsausflüge, Retraiten etc.) für Mitarbeitende, Kunden und /oder eine interessierte Öffentlichkeit bringen viele Unternehmern dazu, über den Sinn dieser traditionell durchgeführten Aktionen nachzudenken.

Beispiel: Tage der offenen Tür

Im Gabler Wirtschaftslexikon sind Tage der offenen Tür definiert als «Medium der externen Public Relations (PR)» und zählen zusammen mit der Betriebsbesichtigung und der Werksführung zu den Event- und Ausstellungsaktivitäten eines Unternehmens. Ziel ist es, allen Interessierten Informationen über den Betrieb zu vermitteln beziehungsweise Kontaktanknüpfungspunkte zu liefern. Tage der offenen Tür fallen damit unter PR-Massnahmen, sie werden gesehen als ein «ideales Marketinginstrument, um sich der Öffentlichkeit, aber auch bestimmten Personenkreisen zu präsentieren» (IBF, 2008; S. 1). Das Ziel ist zumeist, Kunden und der breiten Öffentlichkeit einen Blick hinter die Unternehmenskulissen zu ermöglichen und Neukunden zu gewinnen: «Ein Tag der offenen Tür stellt für viele Unternehmen eine optimale Möglichkeit dar, ihre Bestandskunden in einer lockeren Atmosphäre zu beraten. Ebenso können so auch Neukunden von den eigenen Dienstleistungen bzw. Produkten überzeugt werden» (Edel und Fein, 20. Januar 2012, online).

Tage der offenen Tür sind aber auch kostenintensiv: Das Institut für Betriebsführung AG (IBF) veranschlagt Kosten ab 5000 Euro (IBF, online; S. 3). Der Landwirtschaftliche Informationsdienst (LID) rechnet für einen Tag der offenen Tür auf dem Bauernhof mit Ausgaben von 2000 bis 8000 Franken für Werbung, Plakate, Schilder, zusätzliche Infrastruktur, Bewilligungen, Unterhaltung, Personal etc. und mit einem Aufwand zwischen 8 und 18 Arbeitstagen für Vorbereitung, Organisation, Durchführung und Nachbereitung (LID, online, S. 1­ – 2).

Teuer und austauschbar

Deshalb wird in den zahlreich vorhandenen Checklisten für die Organisation eines Tages der offenen Tür darauf hingewiesen, dass dieses recht hohe Budget zielgerichtet eingesetzt werden sollte und die Organisation einer sorgfältigen Planung bedarf. Laut der «Checkliste Tag der offenen Tür» des Innovationstransfers (ITZ) sollte eine Kostenübersicht spätestens sechs Monate vor der Veranstaltung erstellt sein, damit der Etat freigegeben werden kann und Buchungen (z. B. Musik bzw. Kleinkünstler) vorgenommen werden können (S. 2). Was verwundert, ist, dass in diesen Tagen der offenen Tür kaum kunst- und kulturbasierte Interventionen eingesetzt werden, um die Organisationskultur darzustellen und einen bleibenden Eindruck zu generieren. Die Programme sehen Führungen durch ausgewählte Organisationsräumlichkeiten, Reden und Wettbewerbe (seltener Reden von Prominenten), Bewirtung und Attraktionen (Spiele und Karussells) sowie ein Kinderprogramm vor (Edel und Fein,
20. Januar 2012, online). Laut dem IBF sollte das Programm eine «Mischung aus Information und Unterhaltung» darstellen – hierfür lohnt es sich besonders, «den Betrieb ‹live› zu präsentieren» oder «Prominente zu einer Autogrammstunde oder einem Vortrag einzuladen» (IBF, online, Seiten 5 – 7).

Beliebigkeit verhindern

Die Tage sind eher auf eine leichte Unter­haltung ausgelegt und machen die Ver­anstaltungen, die mit ganz ähnlichen Programmen standardmässig von vielen Unternehmen durchgeführt werden, beliebig austauschbar. Auch aus den klassischen Checklisten geht hervor: «Je spektakulärer eine Aktion ist, desto mehr Leute interessieren sich dafür» (IBF, online, S. 8). Deshalb sollte die Beliebigkeit von Programmen von Tagen der offenen Tür mit kunst- und kulturbasierten Interventionen verhindert werden. Zwei fiktive Beispiele:

  • Die Garage Keller organisiert einen Tag der offenen Tür, an dem zwei bekannte Klangkünstlerinnen mit den Mitarbeitenden zusammen Maschinen und Gerätschaften der Werkstatt zum Klingen bringen. Zu diesem Anlass werden zudem auch Freunde und Verwandte, Kunden sowie Quartierbewohner eingeladen.
  • Das Velokurierunternehmen «Transportgut» thematisiert am Tag der offenen Tür das konfliktbehaftete Verhältnis der verschiedenen Gruppen von Verkehrsteilnehmern. Unter Zuhilfenahme und mit Beteiligung der Künstlerischen Leiterin «Tanz Luzerner Theater» entsteht vor dem Unternehmen eine Fahrrad- und Tänzer-Choreografie im öffentlichen Raum.

Fokus gemeinsamer Prozess

Das zweckrationale und wirtschaftlich ausgerichtete Vorgehen im klassischen Arbeitsverständnis und das grundsätzliche Arbeiten mit ergebnisoffenem Ausgang in der Kunst beziehungsweise in der Kultur stehen sich erst einmal diametral gegenüber. Erst auf den zweiten Blick lassen sich in Prozessen Gemeinsamkeiten entdecken. Eine Unternehmerin oder ein Unternehmer in der globalisierten Welt ist in komplexen Situationen gefordert, eine Strategie zu entwickeln, die viele unsichere oder unbekannte Faktoren integriert. Der künstlerische Erarbeitungsprozess von der Idee zum Produkt ist bei einer Künstlerin oder einem Künstler in der Regel ein sehr persönliches Anliegen, der Schritt ins Unbekannte ist Teil dieser selbst definierten Aufgabe.

Kultur ist dabei weit zu definieren. Kultur umfasst wirtschaftliche, soziale, kognitive und auch gesellschaftspolitische Aspekte und hat darüber hinaus emotionale und /oder atmosphärische Ebenen: Sie kann Freude bereiten, Sinn stiften, Menschen verbinden, Motivationen stärken. Im Rahmen von Kunst- beziehungsweise Kulturinterventionen in Unternehmen sollten demnach Wirkungsebenen unterschieden werden, die als Entscheidungsgrundlage bei der Wahl von künstlerischen Mitteln und Strategien verwendet werden. Dabei geht es darum, Kunst / Kultur als Vermittlerin von Wohlbefinden, Stimmung und Emotionalität und als Zubringerin von Kommunikation und Wissen zu erkennen. Sie kann öffentliche bzw. interne Diskussionen anregen und Werte und Haltungen zum Ausdruck bringen. Der Grund für diese Fähigkeit, mit kunstbasierten Interventionen Wirkung zu erzeugen, wird in der wissenschaftlichen Literatur darin gesehen, dass Kunst und Kultur nicht nur die Ergebnisse, sondern auch die Prozesse ihrer eigenen Produktion in den Fokus rückt.

Kulturbasiertes Lernen

Kunst- und kulturbasiertes Lernen bezeichnet Formate von Interventionen, welche auf die Weiterbildung von Mitarbeitenden und Führungskräften und /oder auf die Begleitung von Prozessen der Organisationsentwicklung und -veränderung abzielen. In der Personalentwicklung werden diese Interventionen in Form von (Theater-, Literatur-, Musik- oder Zeichnen-)Coachings oder Workshops eingesetzt, wenn ästhetische Fähigkeiten von Mitarbeitenden und Führungskräften geschult werden sollen, welche nicht Teil ihrer normalen Ausbildung oder Arbeitsroutine sind.

Managementausbildungen sind meist einseitig analytisch und quantitativ auf Standardlösungen ausgerichtet, so dass kreative Fertigkeiten und ästhetisch empfindendes Denken nicht vermittelt werden. Im Rahmen organisationaler Veränderungsprozesse sollen Interventionen wie gemeinsam etwas herzustellen oder das Aufführen von Theater- oder Musikstücken etc. dazu führen, dass implizites Wissen und emotionale Komponenten im Prozess angesprochen werden und ein Veränderungskonzept nicht nur rational erfasst, sondern auch gefühlsmässig erlebt wird.

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