Forschung & Entwicklung

Wirtschaftspsychologie

«Konflikte können vom Störelement zum Vitalfaktor werden»

Prof. Dr. Albert Vollmer forscht an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW zum Thema Konflikte. Im Gespräch mit dem «KMU-Magazin» zeigt er auf, wie Unternehmen profitieren, die Konflikte aktiv bearbeiten.
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Herr Dr. Vollmer, welche Relevanz hat das Thema Konflikte in der Wirtschaftswelt, gerade auch in der Zukunft?

Das Thema Konflikte ist kein Modethema, sondern ein Dauerbrenner. Konflikte gab es schon immer, und dies wird auch so bleiben. Einer der bekanntesten psychologischen Konfliktforscher, David W. Johnson,  hat es «the most important topic in the world» genannt. Konflikte sind allgegenwärtig und durchdringen unsere Handlungen, auch im Alltag. So beinhaltet jede Entscheidung immer auch einen Konflikt. Soll man sparen oder investieren? Dies sind zwei Wege, die sich ausschliessen. Während bis anhin Entscheidungen – und damit ein grosser Teil des Konfliktmanagements – bei Führungskräften lagen, verlagert sich dies zunehmend auf die Mitarbeitenden. Teams werden sich zukünftig stärker selbst organisieren und damit viele Entscheidungen untereinander aushandeln. Dies bedeutet auch, dass Teams künftig ihre Konflikte selber bearbeiten. Dies umso mehr, wenn Agilität, also schnelles und flexibles Handeln, gefragt ist.

Wo sehen Sie die grössten Konfliktherde in einem Unternehmen?

Bei den Mitarbeitenden geht es oftmals darum, dass die Leistung nicht den Erwartungen entspricht, dass man den Eindruck hat, andere werden von der Führungskraft bevorzugt oder wollen sich hervortun. Etwas allgemeiner geht es um Fragen nach der Erhaltung der Arbeitsmarktfähigkeit, nach dem beruflichen Erfolg, nach der Sinnfindung, letztlich auch nach der körperlichen und psychischen Gesundheit. Dies hat viel mit der Organisation zu tun, in der man arbeitet. Im Zentrum stehen Themen wir Entlohnung, Arbeitszeiten, Mitbestimmung, Arbeitsplatzsicherheit und Arbeitsbedingungen. Dabei geht es auch um die Einbindung in die Arbeitsprozesse und die Möglichkeit, sich als einen wichtigen Teil in einem sinnvollen Ganzen wahrzunehmen – gerade in Zeiten des digitalen Wandels. Dazwischen liegen die Teams: Die Mitglieder treffen Entscheidungen in Sachfragen, balancieren Interessen aus und gestalten soziale Beziehungen. All dies sind auch Konfliktthemen, weil die Interessen der Beteiligten selten deckungsgleich sind, individuelle Ansichten oft in Widerspruch zueinander stehen und Beziehungen schnell Schaden nehmen, wenn man nicht aufpasst.

Wie gehen Unternehmen heute mit Konflikten um?

Da bestehen grosse Unterschiede. Manche Unternehmen haben sogenannte Konfliktmanagementsysteme eingeführt. Da gibt es unterschiedliche Massnahmen und Rollen, welche auf allen Ebenen zum Einsatz kommen. In den meisten Unternehmen ist Konfliktmanagement jedoch kein grosses Thema, obwohl auch dort zahlreiche Konflikte vorhanden sind. Unserer Erfahrung nach führt Konfliktmanagement eher ein stiefmütterliches Dasein. Entsprechend müssen viele Mitarbeitende und Führungskräfte einen individuellen Umgang damit finden. Viele beklagen deshalb eine Ignoranz des Themas oder mangelnde Professionalität. Konflikte werden weitgehend als Störelemente erlebt. Entsprechend negativ ist man gegenüber Konflikten eingestellt, weil positive Erfahrungen fehlen. Wo diese jedoch gemacht werden, ändert sich auch die Einstellung ins Positive. Studien belegen, dass Teams, die positive Erfahrungen mit Konflikten gemacht haben, auch zukünftig besser damit umgehen. Deshalb sollte man in das Herstellen positiver Erfahrungen investieren. Dazu fehlen jedoch weitgehend die Konzepte und praktische Methoden sowie ein entsprechendes Bewusstsein.

Was brauchen die Unternehmen?

Die Mitarbeitenden und Führungskräfte, von denen wir dies direkt wissen, wünschen sich eine Kultur, in der Fehler, Streit und Konflikte anerkannt sind. Dazu gehört auch der Mut, Dinge anzusprechen, sachlich zu debattieren und unterschiedliche Meinungen anzuerkennen. Hierfür wünschen sie sich auch die entsprechenden Gefässe und Methoden. Die noch weiter zunehmende Komplexität der Arbeits- und Wirtschaftswelt macht eine solche Kultur sogar notwendig. Eine wichtige Fähigkeit des Menschen, die gerade in Zeiten des digitalen Wandels eine besondere Rolle hat, ist das kritische Denken. Das Denken in Widersprüchen, die Abwägung unterschiedlichster Lösungswege, sind hier zentral. Das Einlassen auf Konflikte wird entscheidend sein für die weitere Entwicklung. Konflikte werden zu Vitalfaktoren. Wenn wir den Umgang damit beherrschen, werden wir die auf uns zukommenden Herausforderungen besser meistern. Dies kann Freude bereiten, weil es rasche und sichtbare Erkenntnisse ermöglicht, wie die Welt funktioniert. Wer ein Problem von einer anderen Perspektive aus betrachtet, gegenüber der er oder sie sich bisher verschlossen hat, gewinnt neue Einsichten und macht durch das Gelernte eine Horizonterweiterung. Die Forschung kann hierzu einiges beisteuern.

Was kann die psychologische Konfliktforschung für einen solchen Perspektivwechsel beitragen?

Die Konfliktforschung kann hier auf eine lange Tradition zurückgreifen, in der Theorien entwickelt und empirisch überprüft wurden. Es liegen viele praktische Konzepte vor, die in den Unternehmen genutzt werden können. So wird beispielsweise zwischen einzelnen Konfliktarten unterschieden. Interessenkonflikte drehen sich um knappe Ressourcen. Bei Aufgabenkonflikten sind unterschiedliche Ideen vorhanden, wie eine Aufgabe zu erledigen ist, Beziehungskonflikte zeugen davon, dass Selbstwertgefühle verletzt wurden. Diese Arten zu kennen und nicht zu verwechseln, halte ich für wichtig. Sachlich zu bleiben ist bei Aufgabenkonflikten zielführend, bei Beziehungskonflikten kann es zynisch wirken. Auch für die Bearbeitung von Konflikten liegen mittlerweile gut gesicherte Konzepte vor. Viele Studien belegen die positive Wirkung kooperativen Konfliktmanagements sowie die negative Wirkung von Wettbewerbsverhalten bei Konflikten. Darüber hinaus gibt es konkrete Methoden wie die Mediation, das Verhandeln und die konstruktive Kontroverse sowie Interventionsformen wie Konfliktmoderation und Konfliktcoaching. Solche Verfahren bieten sowohl einen strukturierten Rahmen als auch praktische Hinweise, wie Konflikte bearbeitet werden können. Das Nutzenversprechen der Psychologie ist es, wissenschaftliche Konzepte, empirische Erkenntnisse und praktische Hilfestellungen zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen. Diese sind ausgerichtet auf eine personen- und sachgerechte Ausbalancierung von Interessen, eine selbstwertförderliche und gegenseitig nutzenstiftende Gestaltung von zwischenmenschlichen Beziehungen sowie eine aufgeschlossene Diskussion unterschiedlicher Perspektiven in Sachfragen.

Welche Ziele können in Unternehmen damit erreicht werden?

Studien belegen, dass das kooperative Bearbeiten von Konflikten sich positiv auswirkt auf eine ganze Reihe an Faktoren. Dazu gehören Leistungsfähigkeit, die Innovationskraft, die Entscheidungsqualität, das Commitment zum Unternehmen, die Zufriedenheit der Mitarbeitenden und deren psychische Gesundheit. Die positiven Auswirkungen lassen sich auf der individuellen sowie der Team- und Organisationsebene feststellen. Die Befundlage aus der Forschung ist hierzu sehr deutlich. Es lohnt sich, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Welche Empfehlungen haben Sie für Unternehmen im Umgang mit Konflikten?

Konflikte sollten aus ihrem Schattendasein herausgehoben werden. Wichtig ist, für gute Voraussetzungen zu sorgen. Studien zeigen, dass auf individueller Ebene eine mentale Offenheit, eine kooperative Orientierung und ein breites Repertoire an Konfliktmanagementstilen förderlich sind. Auf der Teamebene sind es gemeinsame Zielsetzungen und eine hohe psychologische Sicherheit, damit Dinge angesprochen werden können, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Auf der organisationalen Ebene hilft ein hohes soziomoralisches Klima der Partizipation, das durch kooperatives Handeln, Kommunikation, Vertrauen sowie Respekt gekennzeichnet ist. Daneben müssen Formen gefunden werden, wie man mit aufkommenden Konflikten umgeht. Hierzu können auch Konzepte und Methoden aus der Konfliktforschung herangezogen werden. Diese ermöglichen einen strukturierten Dialog, der Orientierung bietet in den oftmals heiklen Momenten der Konfliktbearbeitung. All dies soll es ermöglichen, positive Erfahrungen mit dem Umgang mit Konflikten zu machen. Der Umgang mit Konflikten sollte nicht dem Einzelnen oder gar sich selbst überlassen werden. Konfliktmanagement sollte zu einem eigenständigen Thema gemacht werden, an dem alle Mitarbeitenden eines Unternehmens beteiligt sind. So lassen sich die Reibungsverluste von Konflikten minimieren und die genannten Ziele besser erreichen. Konflikte können so vom Störelement zum Vitalfaktor werden.

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