Forschung & Entwicklung

Krisenmanagement Teil 3/4

Instrumente zur Bewältigung von Ertrags- und Liquiditätskrisen

Eingetretene Ertrags- und Liquiditätskrisen können schnell existenzbedrohliche Ausmasse annehmen. Der Beitrag beleuchtet, welche frühzeitigen und welche «Last-minute»-Gegenmassnahmen es gibt. In dieser vierteiligen Serie werden Lösungsansätze für die Prävention, Früherkennung und Bewältigung von Unternehmenskrisen betrachtet.
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Friedrich Nietzsche hat es treffend formuliert: «Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.» Wer eine schwer lastende Ertragskrise – oder noch schlimmer eine Liquiditätskrise – durchleben musste, hat den Abgrund mit Gewissheit vor Augen gehabt.

Spuren der Ertragskrise 

Ertragskrisen drücken sich durch Umsatz- und Margenrückgang sowie Betriebsverluste aus. Sie greifen direkt die Substanz an, also das Eigenkapital des Unternehmens. Mit dem Schrumpfen des Eigenkapitals steigt der prozentuale
Anteil des Fremdkapitals in der Bilanz. Mit der kleineren Eigenkapitaldecke nimmt das Risiko eines Kreditausfalls zu und im gleichen Zug die Bereitschaft einer Bank zur Beibehaltung – geschweige denn Erweiterung – der notwendigen Kreditlinie ab. Um aus einer Ertragskrise herauszukommen und weiteren Schaden zu vermeiden, sind Massnahmen zu ergreifen, die die Einkünfte erhöhen und die Aufwände senken. In der Praxis liegt das Schwergewicht auf der Kostenseite, weil Eingriffe vom betroffenen Unternehmen selbst gesteuert werden können und Resultate schnell sichtbar werden. Gemäss den Erfahrungen von Jörg Müller-Ganz liegt das Kostensenkungspotenzial zwischen 10 und 25 Prozent. Wobei in be­sonderen Fällen auch bis zu 45 Prozent realisiert werden können. Kostenspar­potenziale finden sich in allen Funk­tionen und Kostenarten. Welche Sparmassnahmen tabu bleiben und was der Not zum Opfer fällt, hängt ab a) von der nüchternen Analyse (oftmals unter Beizug eines externen Beraters), b) von persönlichen Präferenzen (vor allem des Unternehmers oder der politischen Machtkonstellation in der Geschäftsleitung) und c) von der Frage, wie viel von der (allfälligen) Zukunft geopfert werden soll. Bei der Wahl von Kostenspar­potenzialen sind direkte, indirekte und natürlich kurzfristige beziehungsweise mittel- und lang­fristige Folgewirkungen zu beachten. Das folgende Beispiel verdeutlicht das.

F & E als Lackmustest

Werden im Bereich der Forschung und Entwicklung Projekte gestoppt, kann das als Sparmassnahme durchaus Sinn machen, weil es im Normalfall keine unmittelbare Auswirkung auf die Umsätze hat. Der Spareffekt findet sich bei dem Abbruch der Zusammenarbeit mit Dritten und dem Abbau der eigenen Abteilung. Was sind also die Konsequenzen? Bei der Entlassung von Mitarbeitern aus Forschung und Entwicklung ergeben sich zwei wesentliche Folgen: Die Motivation ist sofort weg, aber die liquiditätswirk­samen Lohnkosten laufen noch ein paar Monate. Am schlimmsten ist aber: Die bisherigen Entwicklungen werden im Normalfall unbrauchbar und das Wissen läuft mit den Mitarbeitenden unwiederbringlich zur Tür hinaus. 

Welche Alternativen gibt es? Bei einer Ertragskrise im Frühstadium ist eine mögliche, etwas weitsichtigere und dennoch vielleicht überfällige Massnahme, die Entwicklungsleute näher zum Kunden zu bringen. Es sind Möglichkeiten zu prüfen, wie weit sie zusammen mit Vertriebsleuten an der Verkaufsfront einsetzbar sind (zum Beispiel als Unterstützung für den technischen Verkauf). Das hat zwei Effekte: Bei einer Ertragskrise besteht grundsätzlich der nicht ganz un­begründete Verdacht, dass die Entwicklungsabteilung am Markt vorbei ent­wickelt hat oder der Verkauf die Neu­produkte nicht angenommen hat. Beides lässt sich mit einer notwendigen (temporären) Neuorientierung der Entwickler wie auch des Verkaufs korrigieren. 

Diese Massnahmen bergen natürlich Risiken, weil sie in die Kultur und die «stillen Gesetze» eingreifen. Hier findet sich denn auch ein gewollter Effekt:

Eine solche Massnahme verdeutlicht den Bruch mit einer zunehmend nicht mehr funk­tionierenden Vergangenheit. Es geht um gelebte Veränderung einer Unternehmung in der Ertragskrise, die noch agieren kann. Solche Massnahmen sind gewissermassen der Startschuss für eine tiefer greifende, möglicherweise sogar radikale Veränderung der Strukturen. Sie bedingen klare Vorgaben der Un­ternehmensführung. Es ist ein erster «Punch» oder «Wake-up call» in die überholten Konstellationen des «How-we-­do-things-here». 

Der angestrebte Spareffekt ergibt sich durch das Näherrücken und den kaum vermeidbaren Rückbau von Res­sourcen – insbesondere dann, wenn nicht-wertschöpfende Aktivitäten sichtbar werden. Positiveffekte kommen durch Feedbacks der Kunden, einen wachsenden Umsatzanteil von Produkten jünger als drei Jahre und eine zukunftsgerichtete, praxisnähere, bedarfsgerechtere Entwicklung. Wie temporär oder gar beständig dieses Vorgehen ist, hängt von den Erfolgen ab. Funktioniert es nicht und schreitet die Krise voran, bleiben die Alternativen, die bei einem Nichtstun auch anstünden: demotivierende Ressourcenverknappung und schleichender, ausblutender Abbau.

Der Einkauf

Eingefahrene Abläufe und dadurch oft Mitverursacher von Ertragskrisen finden sich typischerweise im Beschaffungs­wesen. Der Einkauf ist der häufigste Kan­didat für Kostensparpotenziale. Man mag dem bewährten, gut vernetzten
Einkäufer Unrecht tun, wenn man sagt, dass er an der seit Jahren sinkenden Bruttomarge eine Mitschuld tragen würde. In einer fortgeschrittenen Ertragskrise lohnt es sich aber, die langjährigen Praktiken auf den Prüfstand zu stellen. Das heisst, der Geschäftsführer, ein Verwaltungsrat oder ein externer Einkaufsexperte vereinbaren zusammen mit dem Einkäufer ausserordentliche Konditionsgespräche und gehen systematisch alle Verträge durch. Bei einer späteren all­fälligen Liquiditätskrise müssen die Besuche ohnehin gemacht werden. Die Agenda ist dann einfach anders: Dann geht es um Anfragen für Stundung, Stillhalten und (Teil-)Verzicht.

Kapitaloptimierung

Massnahmen zur Kapitaloptimierung werden bei Ertragskrisen und insbesondere bei absehbaren Liquiditätskrisen überlebenswichtig. Es geht um die Stärkung der Eigenkapitalbasis und um die (früh- be­ziehungsweise rechtzeitige) Verflüssigung von Vermögen, um der Gesellschaft bei Liquiditätsengpässen genügenden Handlungsspielraum zu bewahren.

Eine typische Massnahme ist der Verkauf von Aktiven. Damit kann (verzinsliches) Fremdkapital reduziert oder ein Liquiditätspolster gesichert werden. Unternehmen mit nicht-betriebsnotwendigem Vermögen (und möglicherweise noch stillen Reserven) können solche (schmerzhaften) Massnahmen eher durchführen als bereits abgespeckte Firmen, bei denen betriebsnotwendiges Anlagevermögen veräussert werden muss. Bei diesen bietet sich für Immobilien oder Standard­maschinen ein Sale-and-lease-back an. Leasing statt Kauf schont kurzfristig die Liquidität und ist eine frühzeitig einzu­beziehende Option. 

Fragestellungen zur Sanierung

Schwieriger wird es, wenn für die Genesung von aussen neue Mittel zugeführt werden müssen. Dann stellen sich fundamentale Fragen der Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit. Grundsätzlich ist alles zu versuchen, um eine Unternehmung genesen zu lassen. Wenn aber der Eigentümer für die Rettung seines Lebenswerks sein Erspartes (oder gar die Pensionskasse) riskieren will, dann gilt es, fun­damentale und schmerzhafte Fragen zu stellen, ob sich das wirklich lohnt. 

Geld allein stärkt zwar die Bilanz, aber nicht direkt die Konkurrenzfähigkeit. Wenn die Innovationsrate unterdurchschnittlich ist, die Branche dazu  in einer Konsolidierungsphase steckt und gleichzeitig auch noch Abkühlungstendenzen in der Konjunktur aufeinandertreffen, stellt sich die berechtigte Frage, ob der Eigentümer und das aktuelle Management den Herausforderungen gewachsen sind – namentlich, weil sie bei einer fortgeschrittenen Ertragskrise natürlich eine Mitschuld tragen.

Abgründe der Liquiditätskrise 

In den USA sagt man bei einer Liquiditätskrise: «Stop the bleeding – now!» Der Patient verliert Blut, und dies schnell. Es ist ein Rennen gegen die Zeit und erfordert auch unkonventionelle Massnahmen. Grundsätzlich werden alle Zahlungen gestoppt, bis eine saubere Liquiditätsplanung vorliegt, die über Fälligkeiten und Wichtigkeit (ABC-Analyse) zuverlässig Auskunft gibt. Die Schwierigkeit bei Krisenfällen ist, dass dieser Grad an Transparenz oft nicht mehr erreicht werden kann. Gründe sind mangelndes Wissen durch Abgänge von Schlüsselleuten im Finanzbereich oder ein unzureichendes Management-Informationssystem (MIS).

Lässt sich keine Liquiditätsaufstellung machen, brennt es im Dachstuhl. Die Geschäftsführung sowie die Verwaltungsräte sind aufgrund von Haftungsfragen (unter anderem Gläubigerbevorteilung, Insolvenzverschleppung) gut beraten, eine Denkpause einzulegen. Liegt eine gewissenhaft erstellte Liquiditätsplanung vor, dann können dringende und überlebenswichtige Zahlungen Stück für Stück – und gut dokumentiert – freigegeben werden. Es lohnt sich im Allgemeinen, externe Hilfe (zum Beispiel die Revisionsstelle oder einen Treuhänder) beizuziehen. 

Liquiditätsmanagement

Verbessertes Liquiditätsmanagement ist grundsätzlich notwendig. Jörg Müller-Ganz empfiehlt in seinem Standardwerk «Turnaround» die Beschleunigung des Cash-to-Cash-Zyklus. Es gilt, bei gleichbleibendem Umsatz, die Durchlaufzeiten zu senken und so den Vorrats- und Forderungsbestand zu reduzieren. Konkrete Massnahmen sind:

Beschleunigung der Zahlungseingänge:

  • tägliche oder wöchentliche und vor allem fehlerfreie Rechnungsstellung, 
  • konsequentes Inkasso 
  • Reduktion Zahlungsziele 
  • regelmässige Mahnläufe

Beschleunigung des Wertschöpfungsprozesses (Teillieferungen mit Einzelrechnungen)

  • Vorratsabbau (Rabatte, Abverkäufe)
  • Verlängerung der Zahlungsfristen bei Lieferanten

Neben der Beschleunigung von Prozessen und der Verflüssigung von Aktiven bieten sich Preiserhöhungen sowie die günstigere Beschaffung bei Dritten (Make-or-Buy in Richtung Buy lenken) an.

Kritischer Handlungsspielraum

Der Hauptunterschied zwischen Ertrags- und Liquiditätskrisen liegt im Zeitfaktor und den damit verbundenen Handlungsoptionen. Beide Krisen sind durch einen zunehmend auszehrenden, erniedri­genden und psychologisch zunehmend
belastenden Kampf geprägt. Die Liquiditätskrise ist ein purer Überlebenskampf. Die Unternehmensführung greift nach Strohhalmen, die sich zu oft wie eine Fata Morgana auflösen, um an anderer Stelle und in anderer Form wieder neu zu erscheinen.

Es liegt im Gang der Natur, dass Un­ternehmen verschwinden. Aber es sollte doch nicht das eigene Lebenswerk sein, das betroffen ist. Wenn es keinen anderen Notausgang gibt, ist vorzugsweise die ruhige Form einer ordentlichen Liquidation oder die einer Fusion beziehungsweise einer Akquisition zu wählen. Ein Abstürzen mit lautem Getöse ist für alle Beteiligten, namentlich Liefer­anten, Belegschaft und den Unternehmer  selbst, äus­serst unwürdig und sollte mit allen Mitteln vermieden werden.

Fazit

Bei einer Ertrags- und insbesondere bei einer Liquiditätskrise gilt es zu kämpfen. Und dennoch stellt sich die Frage, ob es sich lohnt, das Unternehmen zu sanieren. Der klaffende Abgrund, der wie ein grosser Schlund unaufhörlich neues Geld auffrisst, wird immerwährend gierig heraufblicken. Bevor neues Geld von aussen eingebracht wird, ist somit die Frage der Sanierungswürdigkeit und der Sanierungsfähigkeit zu beantworten. Für deren Beurteilung ist ein Turn­aroundkonzept zwingend – das Thema des vierten und somit abschliessenden Teils dieser Serie.

Porträt