Friedrich Nietzsche hat es treffend formuliert: «Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.» Wer eine schwer lastende Ertragskrise – oder noch schlimmer eine Liquiditätskrise – durchleben musste, hat den Abgrund mit Gewissheit vor Augen gehabt.
Spuren der Ertragskrise
Ertragskrisen drücken sich durch Umsatz- und Margenrückgang sowie Betriebsverluste aus. Sie greifen direkt die Substanz an, also das Eigenkapital des Unternehmens. Mit dem Schrumpfen des Eigenkapitals steigt der prozentuale
Anteil des Fremdkapitals in der Bilanz. Mit der kleineren Eigenkapitaldecke nimmt das Risiko eines Kreditausfalls zu und im gleichen Zug die Bereitschaft einer Bank zur Beibehaltung – geschweige denn Erweiterung – der notwendigen Kreditlinie ab. Um aus einer Ertragskrise herauszukommen und weiteren Schaden zu vermeiden, sind Massnahmen zu ergreifen, die die Einkünfte erhöhen und die Aufwände senken. In der Praxis liegt das Schwergewicht auf der Kostenseite, weil Eingriffe vom betroffenen Unternehmen selbst gesteuert werden können und Resultate schnell sichtbar werden. Gemäss den Erfahrungen von Jörg Müller-Ganz liegt das Kostensenkungspotenzial zwischen 10 und 25 Prozent. Wobei in besonderen Fällen auch bis zu 45 Prozent realisiert werden können. Kostensparpotenziale finden sich in allen Funktionen und Kostenarten. Welche Sparmassnahmen tabu bleiben und was der Not zum Opfer fällt, hängt ab a) von der nüchternen Analyse (oftmals unter Beizug eines externen Beraters), b) von persönlichen Präferenzen (vor allem des Unternehmers oder der politischen Machtkonstellation in der Geschäftsleitung) und c) von der Frage, wie viel von der (allfälligen) Zukunft geopfert werden soll. Bei der Wahl von Kostensparpotenzialen sind direkte, indirekte und natürlich kurzfristige beziehungsweise mittel- und langfristige Folgewirkungen zu beachten. Das folgende Beispiel verdeutlicht das.
F & E als Lackmustest
Werden im Bereich der Forschung und Entwicklung Projekte gestoppt, kann das als Sparmassnahme durchaus Sinn machen, weil es im Normalfall keine unmittelbare Auswirkung auf die Umsätze hat. Der Spareffekt findet sich bei dem Abbruch der Zusammenarbeit mit Dritten und dem Abbau der eigenen Abteilung. Was sind also die Konsequenzen? Bei der Entlassung von Mitarbeitern aus Forschung und Entwicklung ergeben sich zwei wesentliche Folgen: Die Motivation ist sofort weg, aber die liquiditätswirksamen Lohnkosten laufen noch ein paar Monate. Am schlimmsten ist aber: Die bisherigen Entwicklungen werden im Normalfall unbrauchbar und das Wissen läuft mit den Mitarbeitenden unwiederbringlich zur Tür hinaus.
Welche Alternativen gibt es? Bei einer Ertragskrise im Frühstadium ist eine mögliche, etwas weitsichtigere und dennoch vielleicht überfällige Massnahme, die Entwicklungsleute näher zum Kunden zu bringen. Es sind Möglichkeiten zu prüfen, wie weit sie zusammen mit Vertriebsleuten an der Verkaufsfront einsetzbar sind (zum Beispiel als Unterstützung für den technischen Verkauf). Das hat zwei Effekte: Bei einer Ertragskrise besteht grundsätzlich der nicht ganz unbegründete Verdacht, dass die Entwicklungsabteilung am Markt vorbei entwickelt hat oder der Verkauf die Neuprodukte nicht angenommen hat. Beides lässt sich mit einer notwendigen (temporären) Neuorientierung der Entwickler wie auch des Verkaufs korrigieren.
Diese Massnahmen bergen natürlich Risiken, weil sie in die Kultur und die «stillen Gesetze» eingreifen. Hier findet sich denn auch ein gewollter Effekt:
Eine solche Massnahme verdeutlicht den Bruch mit einer zunehmend nicht mehr funktionierenden Vergangenheit. Es geht um gelebte Veränderung einer Unternehmung in der Ertragskrise, die noch agieren kann. Solche Massnahmen sind gewissermassen der Startschuss für eine tiefer greifende, möglicherweise sogar radikale Veränderung der Strukturen. Sie bedingen klare Vorgaben der Unternehmensführung. Es ist ein erster «Punch» oder «Wake-up call» in die überholten Konstellationen des «How-we-do-things-here».
Der angestrebte Spareffekt ergibt sich durch das Näherrücken und den kaum vermeidbaren Rückbau von Ressourcen – insbesondere dann, wenn nicht-wertschöpfende Aktivitäten sichtbar werden. Positiveffekte kommen durch Feedbacks der Kunden, einen wachsenden Umsatzanteil von Produkten jünger als drei Jahre und eine zukunftsgerichtete, praxisnähere, bedarfsgerechtere Entwicklung. Wie temporär oder gar beständig dieses Vorgehen ist, hängt von den Erfolgen ab. Funktioniert es nicht und schreitet die Krise voran, bleiben die Alternativen, die bei einem Nichtstun auch anstünden: demotivierende Ressourcenverknappung und schleichender, ausblutender Abbau.