Forschung & Entwicklung

Prozessinnovation und digitale Transformation

Innovative Prozessoptimierung im Kontext der Kundeninteraktion

Die Digitalisierung erfordert von Unternehmen, ihre Geschäftsprozesse grundlegend weiterzuentwickeln und zu verändern. Dafür erarbeitete die Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) im Rahmen einer Studie ein Vorgehenskonzept, wie Unternehmen im Kontext der digitalen Transformation Prozessinnovationen realisieren können.
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Der Umgang mit der digitalen Transformation ist eine der zentralen Heraus­forderungen, denen Schweizer Klein- und Mittelunternehmen aktuell gegenüberstehen. Wie kann ein Unternehmen vor dem Hintergrund der alle Wirtschaftsbereiche erfassenden digitalen Transformation Geschäftsprozesse optimieren? Wie können die Potenziale neuer Technologien für Produktinnova­tionen, verbesserte Kundenorientierung und neue Geschäftsmodelle genutzt werden? Welche Vorgehenskonzepte exis­tieren, um Digitalisierung erfolgreich in Prozessinno­vationen umsetzen zu können? 

Vielfältige Herausforderungen

Die Auswirkungen der digitalen Transformation auf Unternehmensprozesse sind vielfältig. Sie lösen einen Veränderungsdruck aus und machen Anpassungen von bestehenden Prozessen notwendig, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Durch die Digitalisierung entsteht unter anderem ein hoher Kosten- und Effizienzdruck. Neue Technologien schaffen Effizienz­potenziale unter anderem bei der Produktion und Vermarktung. Um diese Potenziale zu nutzen, müssen Unternehmen ihre Prozesse in den Bereichen Produktion und Vermarktung digital transformieren.

Ist ein Produkt am Markt etabliert, erwarten Kunden Weiterentwicklungen mit höheren Qualitätsmerkmalen bei geringeren Preisen. Neben der Kostenoptimierung stehen für KMU allerdings zunehmend weitere Auswirkungen der Digitalisierung im Vordergrund, auf die sie mit Prozessanpassungen reagieren müssen.

Die Geschwindigkeit, mit der sich die Rahmenbedingungen für Unternehmen verändern, nimmt im Zuge der Digitalisierung massiv zu. Durch die Verkürzung des Produktlebenszykluses werden neue Produkte und Dienstleistungen in immer kürzeren Abständen auf den Markt gebracht. KMU stehen unter Druck, ihre Innovationsprozesse so anzupassen, dass sie die Time-to-Market-Zeiten verkürzen und gleichzeitig die Anzahl von Innovationsprojekten erhöhen können.

Neue Wettbewerber revolutionieren tra­ditionelle Marktstrukturen und fordern die etablierten Player heraus. Die schnelle An­passungsfähigkeit an die sich wandelnden Markt­bedingungen sowie der Anspruch an Agilität von Abläufen werden damit zur zentralen Anforderung an Geschäftspro­zesse. 

Das Beschwerdemanagement 

Weiter erfordert die Digitalisierung eine Erhöhung der Kundenorientierung. Zunehmend werden von Unternehmen kurze Reaktionszeiten auf individua­lisierte Kundenbedürfnisse erwartet. Die Geschäfts­prozesse müssen dementsprechend gestaltet werden, dass sie in Echtzeit oder sogar vorausschauend auf Kundenanfragen reagieren können, dabei individuelle Kun­den­wünsche abdecken und nicht nach einem Standardschema vorgehen. 

Schliesslich stellen heutige Kundenerwartungen an flexible und personalisierte Produkte und Dienstleistungen bei gleichzeitig kleinem Spielraum für Preissteigerungen neue Anforderungen an geschäftliche Abläufe dar. Somit werden durch die Digitalisierung neue Ansätze für die Optimierung und Steuerung von Kundenprozessen nötig. Ein solcher Prozess, der sich für die Nutzung von Verbesserungspoten­zialen beispielhaft eignet, ist das Be­schwerde­mana­gement (BM).

In einer Studie der Fernfachhochschule Schweiz wurde untersucht, wie insbesondere KMU mit diesen Heraus­forderungen der digitalen Transforma­tion umgehen können. Am Beispiel des Beschwerdemanagementprozesses eines global tätigen Industrieunternehmens mit circa 300 Mitarbeitenden in der Schweiz konnte ein Vorgehenskonzept für die Implementierung einer Prozess­innovation im Kontext der digitalen Trans­formation erarbeitet werden. 

Ziel der Prozessinnovation war es, das bestehende Verbesserungspotenzial in der Bearbeitung von Kundenbeschwerden zu identifizieren und nutzen. Ein gut funktionierendes Beschwerdemanagement soll das Unternehmen von seinen Konkurrenten abheben und einen wichtigen Beitrag zum geplanten Unternehmenswachstum leisten. 

Die Struktur des Prozesses

Beschwerdemanagementprozesse umfassen grundsätzlich vier Schritte: 1.) Aufnahme und Weiterleitung der Beschwerde, 2.) Zuteilung für die effektive Bearbeitung, 3.) Bearbeitung und Analyse des vorgebrachten Problems und 4.) Antwort auf die Beschwerde und Zufriedenheitsabfrage der Lösungsumsetzung (siehe Abb. 1).

Im BM-Prozess sind insgesamt drei Parteien involviert. Der Kunde bringt die Beschwerde an und erwartet eine Lösung. Der Beschwerdekoordinator stellt die Dokumentation im Customer Relationship Management (CRM) sicher, überwacht die Einhaltung der Fristen im Beschwerdeprozess und informiert, sofern erforderlich, das Management über notwendige Verbesserungspotenziale. Der Beschwerdebearbeiter analysiert die Beschwerde, erarbeitet eine Lösung und teilt sie dem Kunden mit. 

Der BM-Prozess im untersuchten Unternehmen ist zu vergleich­baren Firmen überdurchschnittlich effektiv und funktionsfähig. Nichtsdestotrotz gibt es weitere Optimierungsmöglichkeiten. Dazu gehört, dass es immer wieder vorkommt, dass Beschwerden ineffizient oder über einen zu langen Zeitraum bearbeitet werden. Kunden werden für einen gegebenen Serviceanspruch zu spät kontaktiert, die Zufriedenheit der Kunden wird nach Mitteilung der Lösung vielfach nicht abgefragt oder die Beschwerden werden nicht zufriedenstellend abgeschlossen, was häufig zu neuen Beschwerden und entsprechendem Mehraufwand führt. Zudem liegt die Vermutung nahe, dass Verbesserungs­vorschläge aus den Kundenbeschwerden nicht oder nur teilweise bearbeitet und implementiert werden.

Prozessinnovationen 

Im ersten Teil der Untersuchung konnten für drei der vier oben genannten Prozessschritte Ansätze für innovative Optimierungen und Anpassungen des BM-Pro­zesses gefunden werden. Dazu gehören unter anderem elektronische Onlineformulare zur Aufnahme von Beschwerden, die Möglichkeit von Sprachnachrichten sowie die Schaffung einer gemein­samen Bearbeitungsplattform für Mitarbeitende, die diese durchgängig bei der Erarbeitung einer Lösung unterstützt. Weitere potenzielle Massnahmen sind eine integrierte Zufriedenheitsabfrage nach der Erarbeitung einer Lösung, die Anlage einer Lerndatenbank beziehungsweise einer Plattform, die das aus den Beschwerden gewonnene Wissen zugänglich und systematisch für Produkt- und /oder Prozessinnovationen im Unternehmen verfügbar macht.

Konzept für die Digitalisierung 

Neben der Erarbeitung der konkreten Handlungsempfehlungen für den BM-Prozess des Unternehmens ging es in der Studie weiterhin darum, ein all­gemeines Vorgehenskonzept für Unternehmen zu erarbeiten, die die di­gitale Transformation von Geschäftspro­zessen einleiten wollen.

Das Vorgehen bei der Entwicklung und Umsetzung von Innovationen im Bereich des BM-Prozesses im Kontext der Digi­talisierung kann eben­so für andere Unternehmensprozesse, die einer Optimierung bedürfen, angewandt werden.

Das methodische Vorgehenskonzept stellt insbesondere für KMU einen all­gemeinen und auf den spezifischen Unternehmenskontext anpassbaren Um­setzungsansatz bereit, wie ein Geschäfts­prozess digital innoviert werden kann (siehe Abb. 2). 

Allgemein lässt sich das Ablaufschema wie folgt beschreiben: Ist der zu digitalisierende Geschäftsprozess ausgewählt (1) und in seine Prozessschritte aufgeteilt (2), kann eine Ist- und Soll-Analyse mit Mitarbeitenden durchgeführt werden (3, 4). Die Analyse der Soll-Situation zeigt im Vergleich zur Ist-Situation auf, in welchem Umfang ein Prozess verändert werden soll. Parallel dazu können Experten über Trends, Entwicklungen und Herausfor­derungen im Themenfeld des Prozesses befragt werden (5). Diese drei Schritte ermöglichen, Potenziale für Prozessin­novationen innerhalb und ausserhalb der digitalen Transformation aufzudecken. Basierend auf der Analyse werden nun die notwendigen Digitalisierungselemente bestimmt (6), die digitale Prozessinno­vationen vorantreiben. Dadurch können Hemmnisse und Herausforderungen für die Einführung Digitalisierungselemente identifiziert (7) sowie deren erwartete Wirkung abgeschätzt (8) werden.

Als letzter Schritt ergeben sich die Handlungsempfehlungen für die digitale Trans­formation des Geschäftsprozesses (9). Dieses allgemeine Konzept stellt ein systematisches Vorgehen für Unternehmen zur Verfügung, die die digitale Transformation ihrer Geschäftsprozesse einleiten wollen. 

Herausforderungen 

Bei der Umsetzung bleibt jedoch zu beachten, dass Prozessinnovationen mit verschiedenen Herausforderungen verbunden sind. Einerseits erfordern Prozessinnovationen einen hohen Implementierungsaufwand, der meist weit über die direkten Investitionen hinausgeht. Dazu gehört ein erhöhter Koordinationsbedarf zwischen den am jeweiligen Prozess beteiligten Akteuren.
 
Andererseits stellt die innerbetriebliche Wahrnehmung der sich ergebenden Vorteile der Prozessinnovationen eine Herausforderung dar. Eine klare Kommuni­kation sowie eine ausreichende Schaffung von Transparenz der bewirkten Ver­bes­serungen bezüglich Qualität und Leistungsfähigkeit der Produkte und Dienstleistungen sind entscheidend für den Implementierungserfolg.

Als weiteres Hindernis erweist sich die Erprobbarkeit von Prozessinnovatio­nen. Während Produktinnovationen durch die Herstellung von Prototypen früh in­ten­siven Evaluierungen hinsichtlich ihrer geforderten Eigenschaften unterzogen werden können, ist dies bei Prozessinnovationen erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt im Innovationsprozess mög­lich. Dies erhöht das Risiko, dass das Nichterreichen von definierten Performancezielen zu spät erkannt wird.

Fazit

Ob Effizienz- und Kostendruck, kürzere Time-to-Market-Anforderungen oder die Notwendigkeit verstärkter Kundenorientierung, die Digitalisierung erfordert von Unternehmen viele ihrer Geschäftsprozesse anzupassen, massgeblich zu verändern und zum Teil völlig neu aufzusetzen. Somit ist die digitale Transformation nicht ohne Prozessinnovationen denkbar. 

Das hier vorgestellte Vorgehenskonzept stellt eine Möglichkeit dar, wie Unternehmen die Herausforderungen der digi­talen Transformation meistern und somit ihre Wettbewerbsposition langfristig stärken können.

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