Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Innovationsweltmeister Schweiz

Seit Jahren belegt die Schweiz beim Global Innovation Index (GII) den ersten Rang. Was das bedeutet, zeigt ein Blick auf die verschiedenen Messgrössen.
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Mit Innovationen meint man neue oder erheblich verbesserte Produkte, Prozesse, Vermarktungswege oder Organisationsformen. In unserer wissensba­sierten Ökonomie gilt die Innovations­fähigkeit eines Landes als die zentrale Triebfeder für weiteres Wirtschaftswachstum. Die OECD hat beschlossen, eine globale Mindeststeuer für grössere Unternehmen einzuführen. Das führt in vielen Schweizer Kantonen dazu, dass die Steuerbelastung als Standortfaktor an Relevanz einbüssen muss. Die Debatte läuft, was mit den Mehrerträgen in Milliardenhöhe geschehen soll. Damit die Schweiz als Wirtschaftsstandort ­unter dem Strich nicht verliert, müsste stärker in andere Standortfaktoren investiert werden. Im Vordergrund steht dabei, die Schweiz als Innovationsstandort zu stärken.

Der Global Innovation Index

Glaubt man dem Global Innovation Index, kurz GII, steigt die Schweiz aus einer Poleposition in das weitere Rennen. Der GII wird in Zusammenarbeit mehrerer Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie der Weltorganisation für geistiges Eigentum (in Englisch: World Intellectual Property Organization oder kurz WIPO) erstellt. Seit über zehn Jahren belegt die Schweiz in diesem Ranking den ersten Rang, im letzten Jahr vor Schweden, vor den USA und vor weiteren 129 Nationen. Diese ständige Topplat­zierung darf man zunächst mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Bevor man daraus Schlüsse zieht, sollte man hinter die Kulissen schauen und sich fragen, welche Daten und Fakten hinter dem zusammengesetzten Index des GII stehen.

Input- und Outputfaktoren

Die Autorenschaft des GII sagt selbst, dass Innovation schwierig zu messen ist. Es gibt keine direkte Messgrösse dafür. Der GII ist daher breit aufgestellt und bündelt 81 indirekte Messgrössen zu­sammen. Werte, welche für Voraussetzungen für eine innovationsfähige Wirtschaft stehen, bilden den Subindikator für Inputfaktoren. Ein zweiter Subindikator umfasst innovative Outputs wie Technologie und kreative Güter und Dienstleistungen. Betrachten wir zuerst den ersten Sub­indikator der Inputfaktoren.

Dazu gehören so unterschiedliche Faktoren (im englischen Original «Pillars» genannt) wie das institutionelle Umfeld, das vorhandene Humankapital, die Bedeutung der Forschung, die technologische Infrastruktur sowie der Reifegrad der Märkte und des Geschäftsumfeldes. Der GII fasst sodann pro genannten Faktor respektive Pillar zwischen neun und fünfzehn Messgrössen zu einem Durchschnitt zusammen. Sowohl an den einzelnen Messgrössen wie auch am Durchschnittswert für die einzelnen Faktoren lässt sich die Rangierung jedes Landes ablesen.

Bei den einzelnen Messgrössen liegt die Schweiz längst nicht durchwegs auf einem Spitzenplatz. Teilweise ist die Schweiz nur im Mittelfeld oder noch weiter hinten ­anzutreffen. Zum Beispiel ist die Inves­titionsquote, also der Anteil des BIP, der in die Wirtschaft investiert wird, mit 22 Prozent relativ klein und ­beschert der Schweiz nur den 67. Platz von 132. Auch die Faktoren «ease of getting credit», also die Einfachheit, zu Krediten zu kommen, und «ease of starting a business» liegen ähnlich weit hinten. Punkte verliert die Schweiz auch bei den vergleichsweise tiefen Direktinvestitionen aus dem Ausland, die mit 1,9 Prozent den 81. Rang bedeuten, oder bei einem tiefen Anteil an Hightech-Importen, deren 6,2 Prozent von 92 anderen Ländern übertroffen werden. Zusammen über die gesamte erste Hauptgruppe der Inputfaktoren kommt die Schweiz auf Rang vier, an der Spitze liegt Singapur.

Die Schweiz ist Output-Weltmeister

Den ersten Rang holt sich die Schweiz dank der Topplatzierung in der anderen Hauptgruppe, bei den innovativen Outputs. Dazu zählt der GII die Faktoren «knowledge and technology outputs» ­sowie «creative outputs». Es spricht für die Schweizer Unternehmen, dass der Output noch besser rangiert ist als der Input. Die Anzahl der Patentanmeldungen im Verhältnis zum BIP oder der Anteil von Lizenzgebühren sind Messgrössen, bei denen die Schweiz stark punkten kann.

Die Schweiz gibt auch verhältnismässig viel Geld für Softwareprodukte aus. Sie hat relativ viele Firmen mit einem hohen Markenwert, und sie hat eine bemerkenswert starke Stellung im Markt für kreative Güter und Dienstleistungen. Aufhorchen lässt, dass die Arbeitsproduktivität in den letzten Jahren leicht schrumpfte. Bei dieser Messgrösse landet die Schweiz auf Platz 67.

Nicht alles ist gleich gut messbar. Aus harten Daten wie Zollstatistiken etwa können Werte direkt abgeleitet werden. Es bleibt in diesem Beispiel die Schwierigkeit zu unterscheiden, welche Güter tatsächlich relevant für Innovation sind und welche nicht. Etwa zwei Drittel der Messgrössen sind «hard data»: Die Werte an sich muss man weniger anzweifeln, die Interpretation lässt sich diskutieren. Am zweithäufigsten finden andere zusammengesetzte Indizes Eingang in den GII, beispielsweise der «Ease of getting credit»-Indikator. Hier und bei rund 20 weiteren Messgrössen stützt sich der GII auf andere Rankings von anderen Organisationen.

Wenn der Datenlieferant kränkelt

Häufig verwendet werden Daten der Weltbank und von deren «Doing-Business-Report». Die Weltbank sammelt dazu ebenfalls weltweit Daten, macht gezielte Umfragen und bündelt diese zu Indikatoren. Das kann auch schieflaufen: Weil die Regierungen aller Herren Länder sich gerne in einem guten Licht sehen, gibt es durchaus auch Anreize, diese Daten irgendwo entlang der Übermittlungs- und Rechnungskette zu beschönigen. Für die Jahre 2018 und 2020 hat die Weltbank derart grosse Unregelmässigkeiten festgestellt, dass sie diese Zahlen sogar als ungültig erklären musste.

Das Jahr 2019 ist weniger betroffen – darum stützt sich der GII noch auf diesen Jahrgang. Die Weltbank aber befindet sich wegen des aufgedeckten Zahlenskandals in einer Denkpause. Der nächste Doing-Business-Report erscheint daher voraussichtlich erst in zwei Jahren, nach einer gründlichen Reform. Möglicherweise verzögert dies auch den nächsten GII – es wird sich erst im Verlaufe des Herbstes zeigen, ob und wann es eine Ausgabe 2022 geben wird. Die Chancen stünden nicht schlecht, dass die Schweiz dabei unter dem Strich wieder am meisten Punkte sammeln kann, auch wenn der Abstand zu den Verfolgern klein ist.

Weltmeister auch für KMU?

Man dürfte dann ein weiteres Mal etwas stolz sein. Aber ist der Vorteil in Sachen Innovation auch für KMU weltmeisterlich gross? Innovation und deren Bedeutung ist grundsätzlich keine Frage der Unternehmensgrösse. Unter den 81 Indikatoren gibt es viele, die für alle Unternehmen gleichermassen relevant sind. Der GII strebt eine breite Relevanz an, etwa auch für weniger entwickelte Länder. Gewiss, die Schweiz punktet stark bei den Patenten und Lizenzen, und dabei spielen Grossunternehmen etwa im Bereich der Pharma- und Medizinaltechnik eine wesentliche Rolle.

Patente sind aber nur ein Aspekt unter vielen. Der GII bezieht nur drei von 81 Messgrössen direkt auf Patente. Bei den meisten weiteren Messgrössen kann ein hoher Wert nur entstehen, wenn die breite Masse aller Unternehmen mitzieht. Der höchste Wert für die ICT-­Nutzung oder die grösste Anzahl Web-­Domain-Registrierungen pro Kopf, das spricht für eine breite Innovationsfähigkeit und -tätigkeit auch unter KMU.

Der Gesamtscore der Schweiz ist bei rund 65, das theoretische Maximum liegt bei 100. Es bleibt also Raum für Verbesserungen. Vielleicht ist der GII ein Ideenlieferant, in welchen Feldern die Schweiz ein noch innovativeres Umfeld bieten kann, wenn die Positionierung als Tiefsteuerland nicht mehr funktioniert. Dies könnte auch den KMU helfen.