Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Innovation als sozialer Prozess

Innovationen lassen sich nicht anordnen, kopieren oder einfach auslösen. Vielmehr sind Inno­vationen das Ergebnis schöpferischer Akte, die eine gewisse Unvorhersehbarkeit auszeichnet.
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Es ist scheinbar so einfach mit der Innovation. Inkrementelle Innovation verlangt von den Unternehmen eine kontinuierliche Weiterentwicklung und Optimierung von bereits Existierendem, also bestehenden Produkten, Dienstleistungen oder Prozessen. Stehen wesentliche technologische Umbrüche an, müssen altbekannte Produkte und bestehende Dienstleistungen ersetzen werden, da bisherige Geschäftsmodelle durch den technologischen Wandel meist obsolet werden. 

Der Innovation innovativ begegnen
Dass das eine vom anderen nicht allzu schwer zu unterscheiden ist, zeigt die Automobilindustrie auf, die gerade einen fundamentalen, technologischen Umbruch durchlebt. Der Wandel der Branche hin zu alternativen Antriebstechnologien – also der Ausstieg aus der Verbrennertechnologie – macht deutlich, dass die Automobilindustrie sich der so­genannten disruptiven Innovation stellen muss. Disruption beginnt für die Industrie hier mit der Erkenntnis, dass Elektromobile nicht mehr als «Autos» sondern als «Computer mit übergrosser Batterie auf Rändern» verstanden werden müssen.

Kein Zweifel, Digitalisierung, Energiewende, Klimawandel, Globalisierung, Mobilität usw. erfordern Erneuerung und Innovation, um den Wandel zu bewältigen. Die Frage ist nicht, ob und in welcher Form Innovation notwendig ist, vielmehr stellt sich die Frage, wie Unternehmen Innovation ermöglichen. An dieser Stelle schon vielfach diskutiert: Innovation lässt sich nicht anordnen oder durch genaues Hinschauen kopieren und auslösen. Auch das blosse Zur-Verfügung-Stellen von Innovationsräumen, neudeutsch «Innovation Labs» einrichten, begünstigt im besten Fall Innovation, aber stellt keinesfalls eine Garantie für Innovation dar. Kurz gesagt, Innovation kennt wohl notwendige, aber keine keine hinreichende Bedingungen.

Unternehmen, die es sich leisten können, «kaufen» sich Innovation, mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Der aktuelle Trend bei Unternehmensübernahmen zeigt, dass insbesondere Technologieunternehmen bereits mehr als 20 Prozent der Akquiseziele ausmachen. Oft akquirieren finanzstarke Unternehmern mehr oder weniger inno­vative KMU mit der Idee, sich deren Fähigkeit zur Innovation einzuverleiben. Die Enttäuschung bleibt meist nicht aus, wenn der Käufer feststellt, dass die vormals innovative Tech-Bude im Grossunternehmen nicht mehr innoviert. 

Doyen der Innovation
Was ist es also, was Innovation zutage fördert? Wenn Innovation nicht mal so eben «zu machen ist», was bleiben für Optionen? Innovation ist ein schöpferischer Akt, den eine gewisse Unvorhersehbarkeit auszeichnet. Innovation scheint mehr Gelegenheit denn Planung. Andy Grove, langjähriger CEO von Intel, macht die Fähigkeit von Unternehmen, den Wettbewerb langfristig zu überleben, also Innovationen hervorzubringen, vom Geisteszustand der Organisation und deren Lenker abhängig. Der Intel-Chef krönt seine Schaffensperiode folgerichtig mit dem literarischen Werk «Nur die Paranoiden überleben». Auch die Schweiz verfügt über bekannte Doyens der Innovation, wobei hier beispielhaft der 2010 verstorbene Nicolas G. Hayek genannt sei, dem nichts weniger als die «Wiedergeburt der Schweizer Uhrenindustrie» zugesprochen wird. Fast macht es den Anschein, Innovation liege in den heiligen Händen weniger Auserwählter. Es lohnt also, einen Blick aus der Wissenschaft zu wagen und die Frage zu stellen, was löst Innovation aus?

Innovation als sozialer Prozess und Er­gebnis von Gelegenheiten und Zufällen
Lange Zeit hat die Wissenschaft versucht, den Innovationsprozess als eine Abfolge von geplanten, durchdachten Entscheidungen eines rationalen Innovators oder Entrepreneurs zu verstehen. Diese Sichtweise ist sicherlich nicht ganz falsch und ein wohlgeplanter Design-Thinking-Workshop oder ein rational erstellter Businessplan können dem Innovator von grösstem Nutzen sein. Doch zwischenzeitlich hat die Wissenschaft erkannt und in Form der sogenannten «Effectuation Theory» formuliert, dass der Innovationsprozess gekennzeichnet ist von Gelegenheiten und Zufällen, die ein Innovator erkennt und zu nutzen bereit ist. Auch wenn nur wenige Unternehmer den Zufall explizit als Innovationsmotor benennen, spielt dieser eine nicht zu unterschätzende Rolle. Zum Beispiel der Erfinder des Dübels, Arthur Fischer, sah sich als Tüftler, der «aus Versehen» innovierte. Innovation kann also als bewusster, aber durchaus gelegenheitsoffener Prozess – früher hätte man gesagt, «Probieren geht über Stu­dieren», heute würde man vielleicht sagen «dem Zufall Raum lassen» – verstanden werden.

Weiter zeigt die Wissenschaft, dass erfolgreiche Innovatoren sich durch ihr soziales Netzwerk inspirieren lassen. Die Fähigkeit des Innovators, in die Rolle des Vernetzers zu schlüpfen, Menschen zusammenzubringen und diese zu führen, ist von zentraler Bedeutung für jedwede Innovation. Und so ist es denn auch wichtig festzuhalten, dass auch Nicolas G. Hayek die Schweizer Uhren­industrie nicht alleine gerettet hat. Hayek, Steve Jobs und andere innovative Vordenker haben immer auch Menschen zusammengeführt, sie durch ihre Vision geleitet und erst dadurch grossartige In­novationen geschaffen. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit von Menschen, die sich und ihre Arbeit und auch die Produkte und Dienstleistungen, die sie erstellen, mutig hinterfragen, macht den Unterschied. Innovation ist ein Wechselspiel aus Teamwork und Führung, ein sozialer Prozess, der Innovation «im sozialen Dialog» hervorbringt.

Innovation unterliegt einem Sinnstiftungsprozess
Innovation hat also viele Väter und Mütter und meist einen Steuermann oder eine Steuerfrau, welcher beziehungsweise welche in der Lage ist, aus dem, was vorhanden ist oder potenziell zur Verfügung steht, etwas Neues zu schaffen. Neues zu wagen, ohne dabei die Verantwortung für das Unternehmen und die Mitarbeiter zu vergessen, und den Ressourcenverbrauch für den Innovationsraum mit einer impliziten und manchmal sogar expliziten Stop-Loss-Strategie zu limitieren, zeichnet erfolgreiche Steuermänner und -frauen gemäss der Effectuation Theory aus. Innovation ist also nicht primär dem Gewinnstreben der Organisation, sondern dem Wunsch geschuldet, durch Innovation Probleme zu lösen und reale Bedürfnisse zu er­füllen. Oder anders gesagt, erfolgreiche Innova­toren schaffen Sinn und Bedeutung, und auch wenn es pathetisch klingt, sie setzen sich für andere ein, wollen das Leben anderer durch ihre Innovation verbessern.

Halten wir fest: Mit dem Blick aus der Wissenschaft lässt sich der Anspruch für einen innovativeren Umgang mit der Innovation ableiten. Innovation lässt sich nur schwer rational steuern, wohl aber kann dem Zufall nachgeholfen werden. Innovation ist Teamwork, mit einem Vernetzer, der Sinn stiftet und die Gunst der Stunde erkennt sowie die vorhandenen Ressourcen nachhaltig zu nutzen weiss. Was bleibt aus organisatorischer Sicht zu tun? Sofern wir Innovation als Ergebnis eines sozialen Dialogs von Mitarbeitenden und Führungskräften verstehen, ist es sinnvoll, Ideen für Inno­vationen nicht in die «Höhle der Löwen», sondern in Echoräume zu schicken – denn Inno­vation ist Teamwork und Führung.

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