Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Ich führe einen «Hybrid»

Fortschrittliche Technologien bringen neue Spielarten des Zusammenarbeitens. Für das Führen hybrider Teams und Projekte gibt es aber noch einiges zu lernen und zu verändern.
PDF Kaufen

Die Technologie steht zwischen uns. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn wenn wir im beruflichen Alltag zusammen­arbeiten, dann sind wir immer weniger vor Ort gemeinsam anwesend und finden uns immer öfter in Online-Meetings wieder. Dieser Trend wird in sehr vielen Unternehmen deutlich. Eine neue Art des Zusammenarbeitens ist üblich ge­worden, auch nach dem Abklingen der Pandemie: Das hybride Zusammenar­beiten. Teams werden hybrid geführt, Projekte werden hybrid geführt, zum Teil wer­den ganze Unternehmen hybrid geführt. Oder vereinfacht ausgedrückt: Ein Teil der ­Kollegen ist da, ein Teil arbeitet aber von woanders. Wirklich gemeinsam ist man nur noch selten vor Ort. Aber man arbeitet eben doch zusammen.

Technologie als Gestalter

Möglich macht dies die Technologie. Teams, Zoom und Co haben es uns ermöglicht, unabhängig vom Aufenthaltsort zusammenzuarbeiten. Das wöchentliche Meeting findet kurz vor einem ­Kundenbesuch im Ausland statt? Kein Problem, dann wähle ich mich eben online zum Meeting ein und gehe gleich ­danach zum Kunden. Die Weihnachtsfeier meiner Tochter beginnt bereits um 16:30 Uhr? Kein Problem, das bekomme ich in meiner Agenda unter, wenn ich ­an diesem Tag Homeoffice mache. Und zu den Terminen wähle ich mich dann eben ein.

Die Spielarten des Zusammenarbeitens sind vielfältig geworden. Möglich macht dies der Umstand, dass uns fortschritt­liche Technologien erlauben, über Distanz in Kontakt zu bleiben. Dieses hy­bride Führen von Teams und Projekten bedeutet dann aber automatisch, dass die Technologie zwischen Menschen tritt. Denn damit Menschen über Distanz zusammenarbeiten können, braucht es ein technologisches Medium, das die ­Interaktion ermöglicht. Wenn man die dadurch entstehenden Dynamiken aber ­genau betrachtet, so stellt man schnell fest, dass die Technologie die Mensch-zu-Mensch-Interaktion nicht nur ermöglicht, sondern entscheidend beeinflusst. Die Technologie gestaltet also menschliche Be­ziehungen mit.

Nicht nur Unternehmen machen es sich zur Aufgabe, gute Lösungen der Technologienutzung im Sinne einer erfolgreichen hybriden Zusammenarbeit zu finden. Auch Technologieanbieter sind an Lösungen interessiert; denn sie wittern das grosse Geschäft. Und dies wird in den nächsten Monaten und Jahren zu immer fortschrittlicheren Technologien führen, die wiederum das hybride Arbeiten noch alltäglicher machen werden. Neben die klassischen Kommunikationswerkzeuge (Teams, Zoom) und Kollaborationswerkzeuge (Miro, Slack, Monday.com, Asana) werden ganz neue Kollaborationswelten in virtuellen und gemischten Reali­täten treten. Diese sind bereits erschaffen (Meta, Meeting VR, Spatial), mit zum Teil eigener Hardware (Meta Quest, MS HoloLens), und versuchen mit milliardenschweren Investitionen den Durchbruch in unseren Arbeitsalltag. 

Grundlagen des Zusammen­arbeitens

Diese neuen technologischen Möglichkeiten werden den Trend hin zum hybriden Arbeiten weiter befeuern. Die Frage, die sich stellt: Was passiert mit der Zusam­men­arbeit von Menschen, wenn Tech­nologie fortwährend zwischen die Menschen tritt; oder genauer: wenn Tech­nologien alltägliche Mensch-zu-Mensch-Interaktionen nicht nur ermöglichen, sondern auch prägen? Diese Fragen beschäftigen sowohl Praxis wie Forschung intensiv, und die Antworten sind noch nicht ganz klar. Aber die Antworten scheinen – gemäss des momentanen Kenntnisstandes – in folgenden Be­reichen zu liegen: (1) Die Grundlagen einer erfolgreichen ­Zusammenarbeit und Team- und Projektführung werden sich als Folge der ­Nutzung neuer Technologien nicht wesentlich ­verändern. Jedoch (2) ist es schwieriger, diese Grundlagen herzustellen, wenn man sich verstärkt unter Zuhilfenahme von Technologien begegnet. Deshalb (3) brauchen Mitarbeitende neue Kompetenzen und Organisationen neue Systeme, um die wesentlichen Grundlagen her­zustellen, um das hybride Arbeiten wirklich effektiv und effizient zu leben. Auf diese drei Antwortbereiche wird im Folgenden nun etwas detaillierter einge­gangen.

Aktuelle Forschung zeigt, dass sich wesentliche Grundlagen des Zusammenarbeitens als Folge einer stärkeren hybriden Arbeitsform nicht verändern. So sind wechselseitiges Vertrauen, eine empfundene psychologische Sicherheit, Klarheit bezüglich der zu erreichenden Ziele, eine offene Kommunikations- und tolerante Fehlerkultur sowie ein pragmatischer und konstruktiver Umgang mit Meinungsverschiedenheiten matchentscheidende Faktoren für High Performing Teams auch in hybriden Arbeitskontexten. Die wesent­lichen Faktoren für ein erfolg­reiches hybrides Zusammenarbeiten bleiben also gleich und verändern sich durch die verstärkte Nutzung von Technologie als Interaktionsmedium nicht.

Es braucht neue Mitarbeitendenkompetenzen und organisationa­le Systeme

Jedoch zeigt sich, dass diese Grundlagen des Zusammenarbeitens schwieriger her-zustellen sind, wenn Technologie als Interaktionsmedium zwischen Menschen tritt. Denn die oben erwähnten grundlegenden Faktoren benötigen emotionale Nähe und die Herstellung von Konsens durch gemeinsames und regelmässiges Ausloten von Alternativen. Beides ist über Distanz schwieriger herzustellen, auch wenn diese Distanz unter Zu­hilfenahme von Technologie überbrückt wird. Denn was in hybriden Online-Settings oft als Erstes wegfällt, ist der persönliche Austausch neben dem aktuellen operativen Tagesgeschäft, das Abschweifen in alternative Szenarien, das Lesen zwischen den Zeilen und von nonverbaler Kom­munikation. Als Folge sind wir wirklich «weiter weg» voneinander, mit ne­gativen Auswirkungen auf die Faktoren, die eigentlich ein High Performing Team ausmachen. 

Nichtsdestotrotz beinhaltet das hybride Arbeiten auch grosse Chancen. In meiner Wissenschaftskolumne der «KMU-Magazin»-Ausgabe 6/2021 habe ich bereits auf entsprechende Motivations-, Kommunikations-, Rekrutierungs- und Informationsmanagementvorteile hingewiesen, wenn es Mitarbeitenden ermöglicht wird, unabhängig von der Präsenz an einem geographischen Ort zusammenzuarbeiten. Jedoch braucht es dafür neue Mitarbeitendenkompetenzen und organisationale Systeme. Das bedeutet, dass die gleichbleibenden wesentlichen Faktoren einer erfolgreichen Zusammenarbeit im hybriden Arbeitsalltag mit neu­artigen Kompetenzen, Verhaltensweisen und Arbeitsprozessen hergestellt werden müssen. «Einfach so» werden also unsere bereits heute gelebten hybriden Arbeitsroutinen nicht zu notwendigen Kolla­borations- und Technologiekompetenzen und Organisationskontexten führen. «Einfach so» werden auch die Potenziale fortgeschrittener Kommunikationstechnologien für das hybride Zusammenarbeiten nicht genutzt werden (im Rahmen von Augmented Reality, Virtual Reality, Artificial Intelligence, Metaverse).

Das Fahren hybrider Automobile ist etwas Alltägliches geworden. Das wird in nicht allzu ferner Zukunft auch für das Führen hybrider Teams und Projekte der Fall sein. Bis dahin gibt es aber doch noch einiges zu lernen und zu verändern. Die Kompetenz zum geschickten Umgang mit fortschrittlichen Technologien – eben auch mit Augmented Reality, Virtual Reality und Artificial Intelligence – wird notwendig sein. Weiterhin wird es die Kompetenz brauchen, die Bedingungen von High Performing Teams auch über Distanz sicherzustellen, durch die Herstellung von Erfahrungen von Informations- und Zielkongruenz, von Transparenz und Gerechtigkeit und insgesamt von psychologischer Sicherheit, durch die wiederum Vertrauen aufgebaut werden kann. Schliesslich braucht es dafür die passenden Organisationskontexte, das heisst von begleitenden Evaluations- und Informationssystemen, die parallel zum hybriden Arbeitsprozess initiiert, implementiert und sowohl kongruent wie empathisch begleitet werden.

Porträt