Forschung & Entwicklung

Arbeitsforschung

Gestaltung und Entwicklung der Organisation in der «Arbeitswelt 4.0»

Veränderungen innerhalb und ausserhalb der Unternehmen führen dazu, dass deren Organisation permanent, bewusst und aktiv reflektiert, gestaltet und entwickelt werden sollte. Gerade in Bezug auf die Herausforderungen und Perspektiven der «Arbeitswelt 4.0» sind KMU besonders gefordert – aber auch in der Lage, erfolgreich damit umzugehen. Dieser Artikel zeigt wie.
PDF Kaufen

Die Wirtschaft befindet sich teils im grössten und dramatischsten Wandel der letzten 100 Jahre: Neue Geschäftsmodelle entstehen und verbreiten sich dank globaler Vernetzung rasant schnell, Routinearbeit wird radikal automatisiert oder Berufsbilder ändern sich fundamental. Jedoch ist nicht jede Branche und Unternehmung in gleichem Ausmass von diesen Entwicklungen betroffen (siehe die Studie von Deloitte, 2015).  Nichtsdestotrotz: Die Arbeitswelt von morgen ist nicht die von heute – und dies hat Konsequenzen für jedes KMU und dessen Organisation.


Herausforderungen

Globalisierung, Digitalisierung und demografischer Wandel sind relevante Einflussfaktoren in der künftigen Gestaltung und Entwicklung der Arbeitswelt. Doch welche Konsequenzen kann dies für die heutigen Organisationen haben? Folgende generischen Überlegungen und logischen Ableitungen lassen dies exemplarisch erkennen:

Von der Top-down-Vorgabe zur organischen Entwicklung

Die heutigen Märkte sind derart volatil, dass aus ihnen heute keine eindeutige Innovation kommt. Diese muss aus den Unternehmen selbst kommen. Nicht nur der generelle Bedarf ist mehr ausschlaggebend, sondern die unerkannten Bedürfnisse. Diesen nachzugehen und diese mit innovativen Ideen zu wecken, ist das neue Credo der Unternehmen. Nicht mehr das Verständnis des alleinigen CEO ist matchentscheidend, sondern die Vorstellungen sämtlicher Mitarbeitenden. Dies führt zu einer Abkehr von der Top-down-Vorgabe hin zur organischen Entwicklung von Organisationen.

Von der hierarchischen Pyramide zum agilem Netzwerk

Die Aufteilung der Arbeit in definierte Organisationseinheiten führt zu starren Gebilden, die mit der heutigen Markt- und Entwicklungsdynamik nicht mehr Schritt halten können. Um mit diesen agilen Rahmenbedingungen mitzuhalten, bedarf es flexiblerer Organisationen, die sich rasch und unkompliziert anpassen und verändern können. Hierbei ist hierarchische Kontrolle hinderlich. An deren Stelle tritt die gegenseitige Ad-hoc-Abstimmung.

Von standardisierten Vorgaben zu individuellen Vereinbarungen

Obige Abkehr von bekannten, klassischen ausrichtungs- und strukturbezogenen Gestaltungsformen führt auch zu einer Veränderung der Zusammenarbeit. Während diese bislang auf Setzungen wie zum Beispiel Reglementen beruhte, die bedarfsorientiert und fremdbestimmt die Form der Zusammenarbeit determinierten, dürften künftig gegenseitige Vereinbarungen in Form von handlungsbestimmenden Grundsätzen treten.   

 

Neue Arbeitsformen gestalten

Die Vielzahl solcher Veränderungen sowie die begrenzte Vorhersehbarkeit dieses Wandels erschweren jedoch den Diskurs über pauschale Empfehlungen im Umgang damit. Mit einer bestimmten Sicherheit kann jedoch erwartet werden, dass es grosse Veränderungen in Bezug auf die Qualität der Arbeit, die Qualifizierungserfordernisse, die Formen der Arbeitsorganisation sowie die Zusammenarbeit von Mensch und Technik geben wird (Botthof, 2014). Der Schwerpunkt der Arbeit verschiebt sich somit immer mehr von standardisierten Tätigkeiten hin zu komplexen und dynamischen Arbeitstätigkeiten.

Hierbei nimmt der Leistungsdruck zu, wobei Organisationen entsprechend neue Arbeitsformen gestalten müssen, um auf diese neuen Anforderungen mit verstärkter Zusammenarbeit, Kompetenz, Flexibilität und Kreativität reagieren zu können. Hinzu kommt, dass Mitarbeitende vermehrt Arbeitsumgebungen mit Platz für Wohlbefinden, Sinn, Autonomie sowie Flexibilität suchen, welche an die individuellen Lebensphasen angepasste Arbeit gewährleisteten. Allesamt sind dies enorme Herausforderungen für Unternehmen und deren Leitung.

Doch wer sich diesem Wandel stellen möchte und offen für Neues ist, dem bietet die sich verändernde Arbeitswelt spannende Perspektiven. Immer mehr Unternehmen versuchen so denn auch, sich weg von der «hierarchischen Pyramide» hin zum «agilen Netzwerk» zu entwickeln, und probieren flexible Elemente und Organisationsformen aus, welche unter Begriffen wie zum Beispiel «self-organized», «self-managed» oder «agil» gehandelt werden (u. a. Laloux, 2014; Wüthrich et al. 2013, Arnold, 2016; Nowotny, 2016; Schaller & Zacher, 2017).

Die ideale Organisation als Antwort auf die Herausforderungen der Arbeitswelt der Zukunft («Arbeitswelt 4.0») oder den idealen Weg dorthin gibt es jedoch nicht – obwohl dies immer wieder versucht wird schmackhaft zu machen. Immer spielen die situativen Gegebenheiten, deren Einschätzung und der spezifische Umgang damit eine zentrale Rolle.

 

Gestaltungsdimensionen

Im Hinblick auf die Herausforderungen beziehungsweise Anforderungen der «Ar-beitswelt 4.0» hat das Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (iafob) aufgrund von umfangreichen Literaturrecherchen und der Analyse ausgewählter Fallbeispiele zentrale Gestaltungsdimensionen und Aspekte heutiger Organisationen hergeleitet und in Form von Spannungsfeldern zusammengestellt. Damit lassen sich die aktuelle Ausrichtung und Gestaltung der eigenen Organisation reflektieren sowie individuell angepasste Handlungsoptionen zur erfolgreichen und zukunftsfähigen Organisationsgestaltung ableiten. Denn: Um auch in Zukunft erfolgreich auf dem Markt zu agieren, bedarf es einer den situativen Gegebenheiten und Möglichkeiten entsprechenden Strategie, Struktur und Kultur.

Welche Ausprägung die einzelnen Gestaltungsdimensionen aktuell haben beziehungsweise künftig angestrebt werden, hängt dabei stark von der jeweiligen Situation ab. So verfügen die analysierten Organisationen über teils sehr unterschiedliche Profile – und sind trotzdem allesamt erfolgreich.

Insgesamt zeigte sich aber in allen betrachteten Unternehmen, dass eine Entwicklung der Organisation angestrebt wird und zumeist auch bereits lanciert wurde. Und hier beginnt dann die eigentliche Herausforderung. Was die aktuelle Organisation auszeichnet und wohin diese zu entwickeln ist, lässt sich relativ rasch und unproblematisch definieren. Schwieriger wird es allerdings, den dafür nötigen Weg beziehungsweise die dafür nötige Transformation zu gestalten und realisieren.  

Basierend auf der Annahme, dass für den Erfolg von organisationalen Entwicklungen ein Changemanagement entscheidend ist, welches der aktuellen Situation optimal begegnet, gibt es keinen «besten Ansatz», sondern lediglich eine optimale Abstimmung von Situation, Perspektive und Ansatz beziehungsweise Vorgehen. Das wesentliche Erfolgskriterium dabei ist die Selbstregulationsfähigkeit der betroffenen Organisation (Inversini 2008).


Entwicklungsmöglichkeiten

Dass der Führung in diesen Transformationsprozessen der Organisation eine besondere Rolle und Verantwortung zukommt, liegt auf der Hand. So fordern die heutigen Gegebenheiten und künftigen Herausforderungen von Organisationen, dass sie sich in ihrer Weiterentwicklung anschlussfähig und zielführend im Spannungsfeld von Verlässlichkeit (Stabilität) und Anpassungsfähigkeit (Agilität) bewegen – in wohldosierter sowie achtsamer Abstimmung. Dabei ist primär zwischen inkrementalem (lineare Entwicklung mit dauernden Anpassungen) und fundamentalem Wandel (Transformation bzw. Bruch) zu unterscheiden. Zudem bleibt organisationaler Wandel nicht ohne Wirkung auf strategische und kulturelle Aspekte.

Da es sich zeigt, dass nicht ein einzelner Veränderungsansatz in allen Situationen Erfolg (hier im Sinne von organisationsbezogener Wirkung) garantiert, ist ein situativ angepasstes Veränderungsmanagement zu verfolgen. Dabei sind insbesondere die folgenden zentralen Aspekte beziehungsweise Handlungsempfehlungen zu berücksichtigen (siehe Inversini, 2008):

  • Erfolg in Veränderungsprozessen hat, wer die organisationalen Voraussetzungen und damit verbundenen Anforderungen systematisch berücksichtigt.
  • Veränderungsverantwortliche sind gefordert, situativ variierend Veränderungsprinzipien aus verschiedenen Ansätzen einzusetzen.
  • Um Veränderungsprozesse zielführend zu steuern, sind die organisationalen Gegebenheiten kontinuierlich und umsichtig in den Veränderungsprozess – im Sinne einer rollenden Planung – miteinzubeziehen.

Dabei gilt es – situativ anschlussfähig und effektiv weiterführend –, zentrale Aufgaben des Changemanagements (Gestalten, Vermitteln, Verstehen, Umsetzen) zu lösen, die Phasen des Veränderungsprozesses (unfreeze, move, refreeze) zu gestalten sowie den Umgang mit den Kernthemen des Wandels (Sinngebung, Energie, Vertrauen, Widerstand, Konflikte) zu finden. Als grundsätzliche Erfolgsfaktoren gelten dabei (siehe u. a. Janes, 2001):

  • ein ausreichendes Gespür für die Dringlichkeit, Wichtigkeit und Nützlichkeit des Wandels
  • eine überzeugende Vision bzw. Entwicklungsperspektive und deren energetisierende Vermittlung
  • ein adäquates Vorgehen unter Berücksichtigung von Veränderungsinteressen, -kompetenz und -kultur

Organisationsgestaltung und -entwicklung in der «Arbeitswelt 4.0» ist somit nicht gross anders als bisher – nur, dass künftig mehr der Weg und weniger das Ziel im Mittelpunkt steht. Oder anders gesagt: Künftig ist der Weg das Ziel. Dass dieser oft steinig ist und nicht immer geradeaus geht, liegt in der Natur der Sache.

 

Porträt