Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Externalitäten und die Klimakrise

Externalitäten gehören zu den wichtigsten Gründen, warum der freie Markt oft keine optimalen Ergebnisse hervorbringt. Diese Lehre dürfte auch die Zukunft unseres Planeten prägen.
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«Der Wohlstand der Nationen» von Adam Smith ist die erste und eine bis heute interessant gebliebene Abhandlung über den Markt. Smith legt 1776 anschaulich dar, wie der Marktmechanismus eine grosse Zahl von Marktbeteiligten koordiniert und zu einer freiwilligen und produktiven Arbeitsteilung führt. Dass dies ohne Obrigkeit funktioniert, wie von einer «unsichtbaren Hand» gesteuert, war zu jener Zeit speziell. Für den Moralphilosophen Adam Smith war sonnenklar: der Markt ist eine geniale Institution, aber sie braucht gewisse Korrektive. 

Bis heute ist in der Ökonomie im Grundsatz unbestritten: in bestimmten Fällen versagt der Markt. Zum Beispiel bei öffentlichen Gütern oder bei asymmetrischer Information sowie bei Wettbewerbsdefiziten etwa wegen Monopolen oder Kartellen. Und schliesslich zählen die Externalitäten zu den wichtigsten ­Ursachen von Marktverzerrungen.

Externalitäten als Marktversagen

Eine Externalität kann schon mit zwei Akteuren entstehen. Der Ökonom und Nobelpreisträger Ronald Coase beschreibt in seinem 1960 publizierten Artikel «The Problem of Social Cost» das Beispiel eines Arztes und eines Bäckers. Im illustrativen Fallbeispiel erzeugt der Bäcker Lärm mit einem lauten Mahlwerk. Dieser Lärm – die Externalität – stört den Arzt in der Praxis nebenan bei seiner Arbeit mit dem Stethoskop. Ökonomisch ineffizient ist dies, weil der Bäcker seine Entscheidung, das laute Mahlwerk einzusetzen, unabhängig von den Kosten macht, die der Arzt zu tragen hat. Die externen Kosten fliessen nicht in die Entscheidungsfindung des Bäckers ein, was im Resultat zwei Probleme mit sich bringt: Erstens, der Bäcker erzeugt mehr Lärm, als nach mikroökonomischer Markt-Logik richtig wäre. Die Ressourcen werden also nicht optimal eingesetzt. Zweitens fügt der Bäcker dem Arzt einen ungewollten Schaden zu, was ungerecht ist.

Verhandeln versus Steuern

Praktisch relevante Beispiele involvieren meistens sehr viele Beteiligte und Betroffene, zum Beispiel, wenn es um Umweltschäden geht. In einer ähnlichen Rolle wie der Bäcker verursachen etwa die meisten Leute mit ihrer Mobilität Lärm und Luftverschmutzung, was dann auch wieder sehr viele andere betrifft, ähnlich dem Arzt. Schon 1920 hat der Brite Arthur Pigou vorgeschlagen, dass man zur Korrektur der Externalitäten eine Steuer erheben sollte. Schädiger würden eine Steuer in der Höhe der Schädigung zu zahlen haben. Die Erträge wären an die Geschädigten als Kompensation für ihren Schaden zu vergüten. So würden die Schädiger die Kosten ihres Handelns in ihr Kalkül miteinbeziehen und demnach auf die op­timal reduzierte Menge beschränken. Um diese ideale «Internali­sierung» zu er­reichen, müsste der Staat den Schaden allerdings genau kennen, ebenso, wer die Schädiger und wer die Geschädigten sind. Und die Lösung müsste realpolitisch durchsetzbar sein. Das ist in der Praxis recht schwer zu bewerkstelligen, wie das Beispiel Klima allzu deutlich zeigt.

Coase war gegenüber der Pigou-Steuer skeptisch. Er traute dem Staat nicht zu, auf die optimale Lösung zu kommen. Die Idee von Coase war, dass Arzt und Bäcker verhandeln sollten. Zentrale Voraussetzung dafür seien klar definierte Eigentumsrechte. So könnte der Arzt sein Recht auf Ruhe haben und ergo der Bäcker die Pflicht, diese Ruhe zu wahren. Dann könnte der Bäcker an den Arzt herantreten und Bedingungen aushandeln, unter denen das Mahlen trotzdem möglich wäre. Vielleicht würde die Verhandlung dazu führen, dass sich der Bäcker ein leiseres Mahlwerkmodell kauft und dieses nur noch beschränkt und/oder mit einer finanziellen Entschädigung an den Arzt benutzt. Jedenfalls, so Coase, führt bei klar definierten Eigentumsrechten eine effiziente Verhandlung letztlich zum ökonomisch effizienten Resultat. 

Weiter nach Coase würde das ebenfalls funktionieren, wenn die Eigentumsrechte ganz anders festgelegt wären und etwa der Bäcker ein Recht auf geräuschvolles Arbeiten hätte. In diesem umgekehrten Fall hätte der Arzt den Lärm zunächst zu dulden. Dann würde der Arzt an den Bäcker herantreten und verhandeln wollen. Der Clou von Coase ist nun: Die ökonomisch effiziente Verhandlungslösung wird in diesem umgedrehten Fall wiederum die genau gleiche sein. Bloss die Verteilungswirkung ist in diesem, auch «Schutzgeldprinzip» genannten Fall ganz anders. Im ersten, auch «Verursacherprinzip» genannten Fall, kommt der Arzt viel besser davon als der Bäcker und umgekehrt.

Solange also Rechte exakt definiert sind, folgt einer effizienten Verhandlung die gleiche Technologie respektive die gleiche Reduktion der Menge. Diese auch «Coase-Theorem» genannte Erkenntnis hat in der Ökonomie die elementare Bedeutung von klaren und durchsetzbaren Eigentumsrechten verdeutlicht. Gerade in Umweltfragen fehlen diese aber oft.Die Klimakrise im Speziellen ist deswegen so tückisch, weil hier nicht nur ein Arzt oder eine bestimmte Gruppe von Menschen, sondern buchstäblich die ganze Weltbevölkerung mit all ihren Nachkommen von der Externalität des CO₂-Ausstosses negativ betroffen sind. Und gleichzeitig sind fast alle Menschen auch in der Rolle des Schädigers und ­verursachen die Krise mit.

Klimagase bepreisen

Kritiker von Coase bemängeln bei seinem Ansatz zu Recht, dass unmöglich alle Emittenten mit allen Klima-Geschädigten verhandeln könnten. Die Transaktionskosten dafür sind viel zu hoch. Kritiker von Pigou befürchten zu Recht, dass hier der Staat eine zu schwierige Aufgabe hat. Beide Ansätze haben derweil einen entscheidenden Punkt gemeinsam, nämlich die Internalisierung aller Kosten: Schädliche Dinge wie Klimagase müssen einen entsprechend dem Schaden nach oben korrigierten Preis erhalten, sodass sachgerechte Entscheidungen fallen.

Laut einem neuen Bericht der Weltbank decken Instrumente zur CO₂-Preisbildung heute mittlerweile 23 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen ab. Der Bericht «State and Trends of Carbon Pricing» zeigt, dass die Einnahmen aus CO₂-Steuern und Emissionshandelssystemen (ETS) 95 Milliarden US-Dollar erreicht haben. Das gleicht dem Verursacherprinzip, reicht aber nicht aus. Der Aufpreis sollte über 100 USD pro Tonne CO₂-Äquivalent betragen, um die Ziele der Klima­abkommen erreichen zu können. Das Schweizer und das Europäische ETS sind seit 2020 verknüpft mit einem Preis von aktuell rund 90 Euro pro Tonne. Das ist aber die Ausnahme, in vielen anderen ETS sind die Preise mit typischerweise 10 USD noch deutlich zu tief. Ermutigend ist, dass trotz Inflationsgefahr die Internalisierungsinstrumente weltweit ausgebaut werden. Jennifer Sara von der Weltbank betont, dass CO₂-Preisbildung wichtig ist, um die Kosten des Klimawandels in wirtschaftliche Entscheidungen einzubauen.

Auch das Schutzgeldprinzip kann funktionieren. Das Schweizer Stimmvolk hat am 18. Juni 2023 das Klima- und Investitionsgesetz angenommen. Unter anderem unterstützt dieses Industrie- und Gewerbebetriebe beim Einsatz von innovativen und klimaschonenden Technologien mit 200 Millionen Franken pro Jahr während sechs Jahren. Eine gewisse Gefahr ist dabei, dass die monetären Anreize die moralischen Absichten der Unternehmerinnen und Unternehmer untergraben könnten, so wie es der Philosoph Michael J. Sandel befürchtet. Fest steht, dass immer mehr Verantwortliche gerade in KMU aus eigener Verantwortung heraus und jenseits von Markt und Recht nachhaltig handeln. Jedenfalls liess sich Reto Knutti, einer der renommiertesten Klimaforscher in der Schweiz, mit den Worten zitieren: «Die Wirtschaft ist der Klimapolitik voraus.»

Wäre das Schutzgeldprinzip oder das Verursacherprinzip besser? Da die allermeisten Menschen sowohl Schädiger wie Geschädigte sind, darf man den Unterschied bei der Verteilung nicht überbewerten. Am besten wäre somit das an sich einfache, aber wirksame Prinzip: Der Ausstoss von Klimagasen soll kosten, was er tatsächlich kostet. Alle Marktbeteiligten könnten dann den wirtschaftlich und technologisch effizientesten Entscheid treffen, aus ihrem eigenen Kalkül heraus. Die Stärke der «unsichtbaren Hand» respektive den Vorteil von dezentralen Markt­entscheiden hatte Adam Smith schon zu einer Zeit erkannt, als die CO₂-Kon­zentration in der Atmosphäre noch 278 Teile pro Million betrug – gegenüber 415 heute.

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