Entscheidungsverhalten
In diesem Abschnitt werden nun die wichtigsten Einsichten und Erkenntnisse dieser Studie zusammengefasst. Sie betrachten komplementäre Aspekte und verdienen es beziehungsweise machen es notwendig, weitere Erkenntnisse zu sammeln.
Die Kausallogik ist weiter verbreitet
Die klassische Kausallogik, wie sie auch heute in der Managementausbildung stark betont wird, erscheint aufgrund dieser Studie für Internationalisierungszwecke zunächst als vielversprechender als Effectuation. Wie Abbildung 1 zeigt, sind wesentliche Teilaspekte der Kausallogik deutlich verbreiteter, als dies bei der Effectuation der Fall ist. In den weiteren Analysen wird die Einsicht gewonnen, dass grössere und internationalere Firmen vermehrt der Kausallogik folgen und aufgrund eben ihres Wachstums und der Internationalität damit gar nicht schlecht fahren. Es ist zudem auch intuitiv für Praktiker richtig, dass sich wachsende Firmen «professionalisieren», sich also mehr der etablierten Führungs- und Managementtools aneignen. Es soll logisch, sachlich, rational, formal, nachvollziehbar, konsequent und gradlinig analysiert werden. Es muss klare Ziele geben. Pläne helfen. Kontrollmechanismen überprüfen und helfen, gesetzte Meilensteine zu erreichen. Das Risiko soll mit den erwarteten Erträgen abgewogen und Unerwartetes möglichst vermieden werden.
In der Wahrnehmungspsychologie wird in diesem Zusammenhang oft vor einer Wahrnehmungsfalle namens «post hoc, ergo propter hoc» gewarnt (Myers, 2012). Das Lateinische meint «mit diesem, folglich wegen diesem». Gemeinsam auftretende Ereignisse werden unbegründet oder ohne weitere Fundierung in einer Kausalwirkung wahrgenommen. Doch inhaltlich muss dem nicht immer so sein. Nur weil man mehr Kausallogik in grösseren und internationaleren Firmen findet, beweist dies noch nicht eine solide Ursachen-Wirkung-Beziehung. Mehr Umsatz oder Exporte können gemeinsam mit einer Kausallogik auftreten, müssen aber nicht zwangsläufig durch sie verursacht sein. Grössere Firmen leiden zudem oft an einer Zunahme der Bürokratie, der Langsamkeit, der inneren Kündigung der Mitarbeiter. Internationalere Firmen sind nicht in jeder Phase gleich profitabel. Insbesondere für die Schweiz kann ein Muster identifiziert werden, das den Zusammenhang zwischen Internationalisierung und Rentabilität als M beschreibt. Nach einer rasch eintretenden Zunahme des Unternehmenserfolges schliesst sich eine Erholungsphase in mittleren Internationalisierungsgraden an. Dieses Muster wiederholt sich ein weiteres Mal, wenn das Auslandsengagement deutlich zugenommen hat. Vielleicht birgt der Effectuation-Ansatz gerade hier das Potenzial, diesen Leistungseinbussen entgegenzuwirken, auch wenn man sich mit der etablierten und bekannteren Kausallogik vertrauter und durchaus wohler fühlt.
Die Kausallogik wird Probleme von morgen nur eingeschränkt lösen können
Von Einstein stammt die Einsicht, dass Probleme niemals mit derselben Denkweise zu lösen sind, durch die sie entstanden sind. Vielleicht sind die zuvor erwähnten Leistungseinbussen auch damit verbunden, dass sich die Kausallogik zu sehr auf das Gestern und Heute bezieht und somit ein gewisses Verfallsdatum aufweist. So haben andere Studien tatsächlich ergeben, dass Führungskräfte durchaus Probleme damit haben, Entwicklungen richtig wahrzunehmen und diese zu interpretieren. Zudem sind sie auch durch die Dynamik im Geschäftsleben oftmals überfordert, da Antworten zu schnell veralten (vergleiche Amann, 2013). Wenn also die Führungskräfte in deutlich unsicheren und komplexen Zeiten erfolgreich sein wollen, so wird ein Kausallogik-Ansatz nicht mehr ausreichen, da dieser:
- an Analysierbarkeit auch in Zeiten von starken Unsicherheiten festhält.
- von Planbarkeit ausgeht, obwohl hohe interne sowie auch externe Dynamiken vorherrschen.
- ein Gefühl vermittelt, einmal getroffene Entscheidungen zum Produkt müssten nicht mehr signifikant revidiert werden.
- die Illusion fördert, alles sei unter der Kontrolle des Managements.
Die vorliegende Studie zeigt auf, dass Schweizer KMU-Führungskräfte durchaus Offenheit für Unerwartetes zeigen und sich durch Chancenorientierung und Anpassungsfähigkeit auszeichnen, was dem Wesen der heutigen Zeit entspricht. Damit legen die in dieser Studie befragten Kadermitarbeiter aber auch eine Mischform ihres Entscheidungsverhaltens an den Tag. In dieser Verhaltensweise sind einige wenige wesentliche Dimensionen der Effectuation-Entscheidungslogik sehr dominant, jedoch bei Weitem nicht alle. In Zukunft, wenn Unsicherheiten wieder zunehmen, wird das Potenzial von Effectuation für diejenigen Führungskräfte, die mit ihr umzugehen wissen, noch mehr zutage treten können.
Situative Lösungen übertrumpfen generelle Einsichten
Unsere Studie präsentiert Muster, die eine Möglichkeit der Verallgemeinerung nahelegen. Wenn sich 70 Prozent der Führungskräfte für ein systematisches Vorgehen bei der Entscheidungsfindung aussprechen und sogar 77 Prozent klar eine Strategieorientierung mit Zielen und Plänen befürworten, stellt dies noch lange keinen «Best-Practice»-Pfad dar, der kritiklos übernommen werden muss.
Diese Studie hat wie erwähnt zum Ziel, eine erste empirische Überprüfung der Entscheidungsverhalten von Führungskräften in kleinen und mittelgrossen Unternehmungen in der Schweiz durchzuführen und mit den Ergebnissen zum Nachdenken anzuregen. Doch nicht jede Unternehmung verfügt über die gleichen Ausgangsvoraussetzungen und Herausforderungen. Firma A vermag viele MBA-Talente im Management zu haben und in einer beherrschten Nische aufblühen und die Entwicklung von Technologien, Kunden, Märkten mag vorhersagbar sein.
Firma B hingegen kann in einem deutlich turbulenteren Umfeld unterwegs sein. Gleichzeitig muss B allenfalls noch Produkte, Prozesse, Arbeitskulturen entwickeln, die für ein internationales Umfeld ideal wären. Alte, nur für den Heimatmarkt richtige Handlungsweisen muss B bewusst verlernen. Vielleicht hat Firma B auch die Grenzen eines zu rationalen, formalen, fast schon klinisch sterilen Entscheidungsansatzes erkannt und öffnet sich berechtigterweise einem dynamischeren, spontan entstehenden Ansatz.
Im Fall A macht es durchaus Sinn, dass die betreffenden Führungskräfte die bisherige Unternehmens-DNA bewahren. Im Fall B hingegen muss die Firma deutlichere Evolutionssprünge hinlegen, um ihr Überleben zu sichern. Da sich diese Situationen, in denen sich eine Führungskraft und die jeweilige Firma befindet, von Fall zu Fall unterscheiden kann, müssen die jeweils richtige Lösung, das jeweils richtige Mass an Kausallogik und die richtige Mischung mit der Effectuation situativ bestimmt werden.
Konklusion
Die Autoren gehen davon aus, dass sich die unternehmensinternen wie -externen Unsicherheiten, Komplexitäten und Dynamiken in den nächsten Jahren eher verstärken als abschwächen werden. Eine solche Entwicklung würde nicht nur eine eindeutige Situationsanalyse erschweren, sondern auch die Planbarkeit des Geschäfts. Zudem würde diese Entwicklung ein erhöhtes Mass an Flexibilität erfordern wie auch die Fähigkeit, das Business auch dann voranzutreiben, wenn nicht länger alles unter Kontrolle erscheint, was vormals kontrollierbar erschien. Hier sehen wir jedoch die Schweizer KMU im Vergleich zu schweizerischen Grossfirmen ausgezeichnet positioniert.
Die hiesigen KMU haben bereits in der Vergangenheit die Fähigkeit gezeigt, sich ausgezeichnet an neue Voraussetzungen anpassen zu können. Wenn sich die KMU dem Effectuation-Ansatz bewusst werden und diese Stärke gezielt einsetzen, werden sie im Wettbewerb gegenüber den Grossunternehmen klar in der Pole-Position stehen.