Forschung & Entwicklung

Digitale Transformation Teil 1 von 3

Ein vielschichtiger Prozess entlang von vier Entwicklungsstufen

Die digitale Transformation ist weit mehr als der Einsatz digitaler Technologien. Das Churer Modell zeigt, welche Dimensionen zu verändern sind, um Nutzenpotenziale zu erschaffen. Die Veränderungen lassen sich in vier Entwicklungsstufen einteilen und ermöglichen es, den Stand der digitalen Transformation branchen- und unternehmensübergreifend zu vergleichen.
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Die digitale Transformation beschreibt die Veränderung von Prozessen, Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen, ermöglicht durch den Einsatz digitaler Technologien. Ziele sind das Generieren von Mehrwerten, durch das Anbieten neuer Produkte, Dienstleistungen und Kundenerlebnisse. Zudem können Effizienzvorteilen erzielt werden, oftmals ausgelöst durch die Veränderung von Prozessen. Hervorzuheben ist, dass eine erfolgreiche digitale Transformation weit mehr als den Einsatz digitaler Technologien bedeutet und zu einer ganzen Reihe von Managementherausforderungen führt. 

Die Transformation

Die Transformation basiert auf einem vielschichtigen Prozess und umfasst das Zusammenspiel mehrerer Dimensionen. Die wesentlichen Treiber und Angebote sind im Modell der HTW Chur zusammengefasst (HTW Chur, 2017). Die Umsetzung der digitalen Transformation ist ein langfristiger Entwicklungsprozess, der sich in verschiedenen Branchen oft unterschiedlich schnell abspielt und dessen Endzustand (noch) offen ist. Eine der grossen Herausforderungen ist zu entscheiden, welche Ziele mit der digitalen Transformation zu verfolgen sind und mit welchen Massnahmen zu beginnen ist.

Das Vergleichen mit anderen Unternehmen ist eine legitime Vorgehensweise, um zu erkennen, welche Chancen die digitale Transformation bietet und welche Massnahmen ergriffen werden können. Es gibt eine Vielzahl an Reifegradmodellen, welche darauf abzielen aufzuzeigen, wie sich reifere Unternehmen von unreiferen unterscheiden. Wichtig ist zu berücksichtigen, dass das Ende der digitalen Transformation (noch) offen ist; die Potenziale der Technologien, wie digitale Zwillinge, Blockchain oder künstliche Intelligenz, sind zu gross und die Anwendungsmöglichkeiten zu unerforscht. 

Die Entwicklungsstufen

Dieser Herausforderung bewusst, teilen Porter und Heppelmann (2014) den Grad der digitalen Transformation in vier verschiedene Stufen ein. Dabei kann sich der Reifegrad der digitalen Transformation innerhalb einer Stufe stark unterscheiden. Vielmehr hebt dieses Modell hervor, dass sich die Veränderungen von einem Produkt- und Technologiefokus hin zu einem Daten-/Vernetzungs- und Plattformfokus verlagern. Dabei bilden die Investitionen der ersten Ebenen die Voraussetzung zur Erreichung der nachfolgenden Stufen. Die Abbildung 2 illustriert diese Überlegungen am Beispiel eines Traktors. 

Der vernetzte Traktor

In einer ersten Phase der digitalen Transformation wird die Intelligenz des Produktes durch Komponenten wie Sensoren, Mikroprozessoren, Datenspeicherung oder Steuerungselemente erhöht. In der nächsten Stufe wird über verschiedene Schnittstellen (zum Beispiel über Antennen und die Protokolle) auch eine Verbindung mit dem Produkt ermöglicht. Die dritte Stufe der digitalen Transformation wird nach Porter et al. (2015) dann erreicht, wenn ein intelligentes, vernetztes Produkt in ein Produktsystem integriert wird. 

Der intelligente und vernetzte Traktor tritt demnach in Kontakt mit weiteren für die Landwirtschaft benötigten Geräten, sodass durch die generierten Informationen sowie durch die Maschinen-Maschinen-Kommunikation letztlich auch die Leistung des Betriebs verbessert werden kann. 

Schliesslich kann das Landwirtschaftssystem mit anderen Systemen, zum Beispiel einem Wetterdaten- oder Bewässerungssystem, gekoppelt werden, sodass ein System der Systeme entsteht. Diese Stufe der Transformation führt zu einer elementaren Veränderung von Geschäftsmodellen und zu einer Auflösung von Branchengrenzen. Dieser Zustand wird ebenfalls unter dem Begriff Ökosystem beschrieben. Ökosysteme, die typischerweise ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Unternehmen abbilden und oft branchenübergreifend sind, zielen darauf ab, einen gemeinsamen Geschäftswert zu erzeugen.

Industrie 4.0

In der Industrie werden die Veränderungen der digitalen Transformation mit Industrie 4.0 bezeichnet. Die Ausgangslage für die digitale Transformation in der Industrie bilden Investitionen in Sensoren und Aktoren, die mit Informations- und Kommunikationstechnologien ausgestattet und zunehmend vernetzt sind (intelligentes Produkt). Es werden Zustands-, Nutzungs- sowie Performancedaten gemessen und visualisiert. Die Mehrwerte der ersten Stufe sind die zusätzlichen Zustands-, Nutzungs- und Performanceinformationen. Durch geeignete Massnahmen sind vor allem Effizienzvorteile, sowohl intern (zum Beispiel in der Produktion) als auch beim Kunden, möglich. 

In der Industrie sind entsprechende Entwicklungen bereits vor mehreren Jahren angestossen worden. Aufgrund von Kostensenkungen und verändertem Kundenverhalten gewinnen intelligente Produkte immer mehr an Bedeutung. 

Die Transformation von Stufe eins zur Stufe zwei wird durch eine Vernetzung ermöglicht. Die Grundlage bilden die Sensoren, welche zunehmend vernetzt werden und standortunabhängige Zugriffe ermöglichen. Basierend auf der Datensammlung, dem Datentransfer, der Datenanalyse und der Dateninterpretation können den Kunden neue Dienstleistungen angeboten oder Effizienzsteigerungen im eigenen Produktionsprozess erzielt werden. Die Dienstleistungen umfassen die Zustandsüberwachung, vorausschauende Wartung oder die ortsunabhängige Unterstützung (Remote Service). Die Chancen eines intelligenten und vernetzten Produktes und die entsprechenden Dienstleistungen sind in der Industrie bekannt. Oftmals können durch die gesammelten Zustands-, Nutzungs- und Performancedaten die bestehenden Dienstleistungen, wie zum Beispiel die Wartungsverträge, effizienter umgesetzt werden. Obwohl eine Vielzahl an Unternehmen die Chancen intelligenter Produkte und Dienstleistungen erkannt haben, sind Gross- und Kleinunternehmen bei der Umsetzung gefordert. 

Beim Produktsystem (Stufe drei) steht die Maschinen-Maschinen-Kommunikation im Mittelpunkt. Das wesentliche Ziel in der Industrie ist der Aufbau intelligenter Wertschöpfungsnetzwerke, welche selbstorganisierende Produktionsstätten (intelligente Fabrik) beinhalten. In der in­telligenten Fabrik kommunizieren und kooperieren die Maschinen, die Anlagen, die Logistik und die Produkte direkt miteinander und mit dem Menschen. Intel­ligente Wertschöpfungsnetzwerke um­fassen unternehmensübergreifende Produk­tions- und Logistikprozesse, welche miteinander gekoppelt sind mit dem Ziel, die Produktion effizienter und flexibler zu gestalten. 

Durch die Vernetzung der gewonnenen Echtzeitdaten wird zudem das Anbieten neuer, datenbasierter Dienstleistungen ermöglicht – sowohl interne als auch externe. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass die Möglichkeiten der in­-
tel­ligenten Fabrik und der intelligenten Wertschöpfungsnetzwerke nur in Teilen ausgeschöpft werden. Herausfordernd sind die Wahl der geeigneten Plattform, der Schnittstellen und die Integration der Daten. Hier liegen, nicht nur, aber vor allem auch für KMU die grössten Herausforderungen der kommenden Jahre.  

Ein weiterer Entwicklungsschritt sind Ökosysteme, die durch das Zusammenspiel von mehreren Unternehmen einen neuen, gemeinsamen Geschäftswert erzielen. In Ökosystemen werden mehrere spezifische Leistungen verknüpft, um gemeinsam das Erlebnis der Kunden zu revolutionieren. Bekannte Ökosysteme sind Amazon, Google und Apple, wobei diese Systeme, im Gegensatz zu natürlichen Ökosystemen, in sich geschlossen sind. In der Industrie rüsten sich vor allem die Grosskonzerne wie General Electric (Predix Cloud), ABB (Ability) und Siemens (Mindsphere World) für den Aufbau entsprechender Ökosysteme. 

Die Grundlagen schaffen

Die Möglichkeiten der digitalen Transformation sind vielfältig. Ein von den Autoren durchgeführter Vergleich mehrerer Studien zum Thema digitale Transformation zeigt, dass die Mehrheit der umgesetzten Massnahmen der Stufe zwei entsprechen. Ganz unabhängig davon, ob die befragten Teilnehmer aus der Indus­trie, dem Handel und der Logistik, dem Bau oder dem Tourismus stammen. Allerdings wird ebenfalls ersichtlich, dass Massnahmen zur Erzielung eines Produktsystems in Umsetzung oder Planung sind. Die Grundlagen werden heute gelegt, um morgen als Mitspieler von Ökosystemen mitspielen zu können. Für Unternehmen stellt das eine Herausforderung dar. Sie müssen die digitale Transformation so ausrichten, dass ihre Produkte und Dienstleistungen in grösseren Ökosystemen künftig berücksichtigt werden.

Welche Vorkehrungen Unternehmen treffen, wird im Folgebeitrag an Beispielen aus Graubünden dargestellt.

Porträt