Forschung & Entwicklung

Leadership in der digitalen Transformation

Die Wertschöpfungstreiber im Zeitalter der «Industrie 4.0»

Ein radikaler Wandel durchdringt die Arbeitswelt bis hinauf in die Unternehmensspitzen – die digitale Transformation fordert neue Führungs- und Innovationskonzepte. Welche Führungsstrukturen und welche Organisationskulturen können den unternehmerischen Erfolg im Zeitalter der anbrechenden «Industrie 4.0» langfristig sichern?
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Die digitale Transformation führt zu neuen Herausforderungen in der strategischen Unternehmensentwicklung. Die drei Faktoren Führung, Disruption und Organisationskultur sind die Triebfedern der Wertschöpfung.

Faktor 1: Führung

Die heutige Arbeitswelt wird in zunehmendem Masse von neuen Technologien, Prozessen und Medien geprägt. Das bleibt nicht folgenlos: Diverse Studien zeigen, dass immer mehr Führungskräfte branchenunabhängig neue Denkansätze und Methoden fordern. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verwischen zunehmend, nicht zuletzt wegen Social Media. Denn ob privat oder beruflich, Arbeitnehmende sind immer häufiger online.

Die sozialen Medien ermöglichen einen Grad an Vernetzung, der dazu führt, dass sich die Abhängigkeitsverhältnisse von Arbeitgebern und Arbeitnehmern verschieben. Im Zusammenhang mit neuen Technologien wird sich der Trend zum mobilen Arbeiten, den wir seit einigen Jahren beobachten, weiter verstärken. Plattformen werden verschmelzen und noch intuitiver nutzbar sein. Das wird dazu führen, dass unterstützende Funktionen weiter abgebaut und automatisiert werden können. Mitarbeit in einem Projekt wird noch weniger als bisher von
physischer Präsenz abhängen, was aber gleich­zeitig neue Anforderungen im Wissensmanagement auslösen wird.

Wie aber gehen Führungskräfte mit dem Kontrollverlust um, wenn sich Mitar­beitende vermehrt untereinander, über Hierarchiestufen und Teams hinweg vernetzen? Lösungsansätze sind in zwei Be­reichen zu finden. Einerseits kann die Kultur eines Unternehmens in Richtung Engagement sowie High-Performance-Teams entwickelt und andererseits können auch die betrieblichen Abläufe neu gedacht werden.

Die erfolgreiche Umsetzung des Wandels weg vom internen Wettbewerb hin zu einer unternehmensübergreifenden Kooperationskultur (inklusive Mitarbeitenden, Kunden, Lieferanten etc.) ist dabei ein entscheidender Erfolgsfaktor. Ein interdisziplinäres Projektteam hat dazu ein neues, integrales Führungsmodell entwickelt und festgestellt, dass Führungskräfte von morgen erkennen müssen, dass sie nur noch Experten unter Experten sind. In diesen veränderten Führungsrollen müssen sie sich neuen Führungsmechanismen, die den Ansprüchen vernetzter Organisationsstrukturen Rechnung tragen, stellen.

Vier Entwicklungen sind gemäss Prof. Antoinette Weibel, Universität St. Gallen, in diesem Zusammenhang bedeutend: Zunächst wird sich – Stichwort «Industrie 4.0» – die Art der Arbeit fundamental ändern. Wir werden in Zukunft viele Jobs verlieren, neue werden entstehen – und zwar da, wo der Mensch der Maschine überlegen ist: also beim Hand-, Herz- und Kreativwerk. Zweitens werden wir künftig noch stärker in Teams zusammenarbeiten, denn gemeinsame Intelligenz wird zunehmend gefragt: «Hierarchien verlieren an Relevanz, der heroische Führer hat ausgedient.»

Drittens werden sich auch organisationale Strukturen verändern. Fragen wie beispielsweise «Wie kann ich Vertrauen und ein Wir-Gefühl aufbauen, wenn ich die Leute aus meinem Team nicht sehe?» werden uns hier besonders beschäftigen. Und viertens schliesslich ist das Thema «Big Data» zu nennen. Konkret geht es darum, wie aus «Big Data» sog. «Smart Data» gewonnen werden, das heisst, wie unstrukturierte Daten optimal aufbereitet werden und einen gezielten Mehrwehrt für das Unternehmen leisten können. Denn wer die Macht über die Daten hat, erhält auch den Schlüssel zur disruptiven Veränderung etablierter Geschäftsmodelle.

Faktor 2: Disruption

Mit Blick auf die neuen Spieler im Markt, ob diese nun Uber, Airbnb oder Tesla
heissen, lässt sich der Mechanismus der Disruption auf eine ganz einfache Erfolgsformel bringen, die der Zürcher Strategieberater Ignaz Furger prägnant «das lösungsunabhängige Kundenbedürfnis» nennt: «Das Kundenproblem lässt sich durch etwas lösen, das einen Nutzen bringt, und genau für diesen Nutzen ist der Kunde bereit, Geld zu bezahlen. So zum Beispiel bezahlt der Kunde im Ideal­fall nicht für eine Uhr, sondern für die ‹Problemlösung›, jederzeit die genaue Zeit zu kennen – ausser die Uhr stellt ein Statussymbol dar. Oder das Produkt Auto ist nicht in erster Linie eine wenn auch noch so schön gestaltete Maschine auf vier Rädern, sondern die Möglichkeit, sich jederzeit von A nach B bewegen zu können.»

Auch für KMU kann der Ansatz, eine Geschäftsidee auf das «lösungsunabhängige Kundenbedürfnis» zu abstrahieren, sinnvoll sein, um auf neue Lösungsansätze zu kommen. Innovation vom Markt her kann nur funktionieren, wenn man dieses Kundenproblem genau erkennt, und zwar unabhängig von der bestehenden Lösung oder dem aktuell angebotenen Produkt. Dieses «lösungsunabhängige Problem» gilt es dann produktiv in ein neues Geschäftsmodell umzuformulieren (siehe Abb. 1).

Uber, Airbnb & Co. sind nicht nur so erfolgreich, weil sie ein bestehendes Kundenproblem besser lösen, sondern vor allem deshalb, weil sie dazu ein komplett anderes Geschäftsmodell erstellt haben als ihre etablierte und vermeintlich krisenresistente Konkurrenz – und das ist die Disruption! Sie funktionieren mit schlanken Managementstrukturen, arbeiten in kleinen agilen Teams und treffen Management-Entscheidungen, die mittels «Smart Data» und «Predictive Analytics» gezielt vorbereitet werden.

Faktor 3: Organisationskultur

Der Erfolg der digitalen Transformation steht und fällt mit der Fähigkeit, Netzwerke zu schaffen und Beziehungen zu Mitarbeitenden, Kunden, Lieferanten etc. zu gestalten. So wie aus Daten erst durch ihre Verknüpfung Wissen entstehen kann, so wird unternehmerischer Erfolg immer mehr davon abhängen, wie es gelingt, die Kooperation der Mitarbeitenden zu gestalten. Insbesondere eröffnet die digitale Transformation den Mitarbeitenden, die bereits länger bei einem Unternehmen arbeiten, neue Möglichkeiten. Sie können sich selbstgesteuert zu Netzwerken zusammenschliessen und ihre Fähigkeiten dort einbringen, wo sie besonders gefragt sind. Vorgesetzte werden auf diese Art zu eigentlichen «Vorgenetzten» (Martin Hilb), die ihre primäre Aufgabe nicht mehr im Geben von Anweisungen und im Kontrollieren der Umsetzung sehen, sondern die sich als Mode­ratoren von Lösungsfindungen und als Geburtshelfer für Innovationen verstehen.

Im Zusammenhang mit neuen Technologien wird sich der Trend zum mobilen Arbeiten, den wir seit einigen Jahren beobachten, weiter verstärken. Plattformen werden verschmelzen und noch intuitiver nutzbar sein. Das wird dazu führen, dass unterstützende Funktionen weiter abgebaut und automatisiert werden können. Mitarbeit in einem Projekt wird noch weniger als bisher von physischer Präsenz abhängen, was aber gleichzeitig neue Anforderungen im Wissensmanagement auslösen wird.

Ebenfalls einer starken digitalen Veränderung wird das Lernen ausgesetzt sein. Klassische Lernformen werden immer stärker ergänzt durch neue Formen des individuellen und spezifischen Lernens. Personalentwickler werden in Zukunft auch Lerncoaches sein müssen, die den Mitarbeitenden helfen, diejenigen Lerninhalte und -formen zu finden, die sie für anstehende Aufgaben und für ihre persönliche Weiterentwicklung brauchen. Sie werden Umgebungen schaffen, und zwar sowohl real als auch virtuell, in denen Wissen und Fähigkeiten vermittelt und trainiert werden können. Die explosionsartige Zunahme von Informationen bietet die Chance, daraus neues Wissen zu entwickeln und nutzbar zu machen. Welche Folgen wird das für das Wissensmanagement haben? Die Zunahme von Wissen und die Verfügbarkeit in der digitalen Welt wird dazu führen, dass Wissen immer weniger gut geschützt werden kann. Unternehmen wie Tesla verzichten deswegen bereits heute weitgehend auf den Schutz ihres geistigen Eigentums und stellen ihre Patente der Öffentlichkeit zur Verfügung.

Einige digitale Pioniere setzen darauf, neben ihren eigenen Mitarbeitenden auch Lieferanten und Kunden in den Aufbau von Wissen und darüber hinaus auch in die Entwicklung von Strategien und Organisationen einzubinden. Dadurch wird auch der Zusammenhang zwischen Wissens­management und Unternehmenserfolg signifikanter werden. Denn die «Weisheit der vielen» ist der entscheidende organisationale Erfolgsfaktor der Zukunft, wobei auch dem Erfahrungswissen eine entscheidende Rolle zukommt, wenn es regelmäs­sig mit neuesten Erkenntnissen aus Forschung und Praxis aktualisiert wird.

Fazit

Die digitale Transformation eröffnet den kleinen und mittelgrossen Unternehmen zahlreiche Chancen im Hinblick auf Führungssysteme, Geschäftsmodellentwicklung und Organisationssteuerung. Aber Achtung: Das Rollenverständnis, die Innovations- oder Entwicklungsprozesse können auch zukünftig nicht digitalisiert werden, denn jeder noch so genialen disruptiven Geschäftsidee liegt eine fundamentale menschliche Einsicht zugrun­de, welche computerbasiert (noch) nicht kopiert werden kann. Oder um mit René Descartes, dem Begründer des modernen Rationalismus, zu schliessen: «Alles Wissen besteht in einer sicheren und klaren Erkenntnis.