Forschung & Entwicklung

Studie: Internationalisierung

Die Spannungsfelder der KMU-Internationalisierung

KMU internationalisieren aus unterschiedlichen Gründen und mit verschiedenen Zielen, dennoch finden sich Entscheidungsträger in den für KMU typischen drei Phasen der Internationalisierung immer wieder mit den gleichen zwei Spannungsfeldern konfrontiert. Wie sie in den drei Phasen mit den Spannungsfeldern umgehen, prägt den Erfolg der Internationalisierung.
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Management- und Führungskompetenzen von KMU-Entscheidungsträgern in Internationalisierungsprozessen können besser verstanden werden, wenn man sich zweier grundlegender Spannungsfelder bezüglich dieser Kompetenzen bewusst wird; und zwar zwischen Handeln und Entscheiden sowie zwischen der Notwendigkeit, Neues zu schaffen, und der Notwendigkeit, Synergien aus bereits Bestehendem herzustellen.

Die zwei Spannungsfelder

In KMU sind diese Spannungsfelder um ein Vielfaches präsenter wie beispielsweise in Grossunternehmen, wo die Spannungsfelder oftmals strukturell oder mit grossem Ressourcenaufwand aufgelöst werden können. Dies zeigen die Daten des Forschungsprojektes «KMU-Internationalisierung» der Hochschule Luzern (in Partnerschaft mit dem «KMU-Magazin») deutlich, auf deren Auswertung auch die folgenden Ausführungen basieren.

Zwischen Handeln und Entscheiden

Das erste Spannungsfeld, in dem sich erfolgreich internationalisierende KMU-Entscheidungsträger bewegen, ist das zwischen Handeln und Entscheiden. Einerseits wird immer wieder deutlich, dass erfolgreiche Internationalisierung zu einem grossen Teil aus dem intuitiven Handeln besteht, in das KMU-Entscheidungsträger viel Energie und Motivation investieren, zum Teil noch ohne eine konkrete Ahnung davon zu haben, ob dieses Handeln tatsächlich zum Erfolg führen wird. Dieses passionierte und motivierte Handeln eines KMU-Entscheidungsträgers scheint als Grundlage jeder KMU-Internationalisierung nötig zu sein.

Andererseits besteht erfolgreiche Internationalisierung nicht nur aus Handeln. Denn es bedarf immer wieder sehr fokussierter und durchdachter Momente, in denen KMU-Entscheidungsträger strategisch überlegen und mutig entscheiden, welche Szenarien der KMU-Internationalisierung verfolgt und welche beendet werden sollen. Bei erfolgreich internationalisierenden KMU-Entscheidungsträgern wird dieses reflektierte Entscheiden immer wieder deutlich. Und mit diesen mutigen Entscheiden schaffen die Entscheidungsträger wiederum die Voraussetzung, dass die Energie des Handelns nicht verpufft, sondern für das Vorantreiben des richtig gewählten Internationalisierungs-Szenarios verwendet wird.

Zwischen Neuem und dem Bestehenden

Das zweite grosse Spannungsfeld, mit dem die Management- und Führungskompetenzen und Verhaltensweisen von erfolgreich internationalisierenden KMU-Entscheidungsträgern grundsätzlich charakterisiert werden können, ist das zwischen dem Neuen und dem Bestehenden. Einerseits wird deutlich, dass KMU-Internationalisierung zwangsläufig mit der Schaffung von neuen Strukturen zu tun hat, zum Beispiel mit der Gewinnung neuer Kunden und Absatzmärkte im Ausland, dem Aufbau einer internationalen Supply-Chain, der Ausbildung von neuen innerbetrieblichen Strukturen, wie dem Aufbau einer Niederlassung oder der Anstellung neuer Mitarbeitender.

Erfolgreiche KMU-Internationalisierung hat also immer auch mit der Frage zu tun, ob es einem KMU-Entscheidungsträger gelingt, in adäquater Weise neue Strukturen zu schaffen, die die Internationalisierung tragen und zum Erfolg führen. Andererseits hat erfolgreiche KMU-Internationalisierung ebenfalls in einem gros­sen Masse damit zu tun, wie bereits vorhandene Strukturen und Ressourcen genutzt werden können. Denn gerade KMU verfügen nur über sehr limitierte Ressourcen, um die Internationalisierung zu stemmen. Deshalb ist es wichtig, dass das Bestehende in das Neue eingebracht und Synergien geschaffen werden.

Wollen Entscheidungsträger ihre KMU erfolgreich internationalisieren, so müssen sie diese beiden Spannungsfelder richtig navigieren. Um dies zu tun, ist es wichtig zu berücksichtigen, dass ein erfolgreicher Internationalisierungsprozess von KMU in der Regel in drei Phasen verläuft und in jeder Phase die Qualität und somit die Navigation der Spannungsfelder andersartig ausgeprägt ist.

Internationalisierungsphasen

Erfolgreiche Internationalisierungsprozesse von KMU durchlaufen drei unterscheidbare Phasen, die jeweils andersartig ausgeprägte Kompetenzen und Verhaltensweisen der KMU-Entscheidungsträger verlangen.

Die Start-Phase

In der Start-Phase findet durch geschäftiges und hartnäckiges Handeln eine erste Exploration und Ideenfindung statt, um überhaupt die Optionen, Szenarien und Opportunitäten einer etwaigen Internationalisierung zum Leben zu erwecken und zu reflektieren. Hier geht es für den KMU-Entscheidungsträger zunächst einmal darum, Bestehendes zu nutzen. So hilft beispielsweise das bestehende Netzwerk von Partnern, Kunden, Kollegen und Freunden, schnell und kostengünstig Informationen, Wissen und Erfahrungen bezüglich der Internationalisierungsideen und der intendierten Internationalisierungsschritte zu sammeln, sodass diese diskutiert und reflektiert werden können.

Die Konsolidierungs-Phase

In der Konsolidierungs-Phase steht das Entscheiden über erste Internationalisierungsschritte an. Die in der Start-Phase gesammelten Informationen und Erfahrungen werden verdichtet und zu Entscheidungsgrundlagen und Entscheidungskriterien strukturiert, anhand derer aus der Vielfalt der Optionen der für das jeweilige Unternehmen richtige Weg bestimmt werden kann.

Erfolgreich internationalisierende KMU-Entscheidungsträger leiten von diesen sich konkretisierenden Entscheidungskriterien aber nun zumeist noch keine finale Internationalisierungsstrategie ab. Vielmehr geht es in der Konsolidierungs-Phase zunächst darum, das vermeintlich beste Vorgehen im Rahmen eines Pilotprojektes in der Praxis zu prüfen, zu verifizieren und bei Bedarf zu überarbeiten. Diese Pilotprojekte orientieren sich noch stark an Bestehendem und werden kleinteilig, vorläufig ressourcenarm und risikoreduziert gestaltet. In dieser Phase geht es darum, die strategische Ausrichtung zu testen, das operative Vorgehen zu verfeinern und innovative und erfinderische Lösungen zu (häufig unerwarteten) Problemen zu erarbeiten.

In der Konsolidierungs-Phase geht es also darum, den vermeintlich besten Weg zu testen und Lösungen zu unmittelbar auftretenden Herausforderungen zu finden. Die Phase ist daher geprägt von einem kontinuierlichen Hin und Her zwischen intuitivem Handeln und reflektiertem Entscheiden, sodass dann zum Start der Etablierungs-Phase Gewissheit herrscht sowohl bezüglich der Strategie wie auch der besten operativen Umsetzungsoption.

Etablierungs-Phase

Als erster Schritt der Etablierungs-Phase stehen zumeist der Entscheid und die Bereitschaft zu einem grösseren Investment in ein jeweiliges Internationalisierungsprojekt an. Erfolgreich internationalisierende KMU-Entscheidungsträger setzen im Übergang zu dieser Phase zwar kon­trolliert, aber doch konsequent sehr viel auf eine Karte. Steht also eine beste Variante nach den Erfahrungen der vorherigen Phasen fest, dann sind erfolgreiche KMU-Entscheidungsträger nun bereit, auch grössere Ressourcen zu investieren und ein jeweiliges Internationalisierungsprojekt zu priorisieren.

Die Umsetzung einer Internationalisierungsstrategie in der Etablierungs-Phase ist geprägt von strategischer Zielgerichtetheit, fokussierter Arbeit an der Marke und der internationalen Bekanntheit des jeweiligen Produktes/der jeweiligen Dienstleistung.

Zudem schaffen Entscheidungsträger in dieser Phase auch die strukturellen Voraussetzungen eines möglichst schnellen internationalen Wachstums. Dazu gehört unter anderem die Rekrutierung neuer Mitarbeitender in den neuen Märkten oder eines internationalen Verkaufsteams. Für den KMU-Entscheidungs­träger stehen in der Etablierungs-Phase also ganz klar der strukturierte Entscheidungsprozess auf Basis neu geschaffener Fakten sowie das Schaffen neuer Organisationsstrukturen, die zur erfolgreichen Umsetzung der Entscheide nötig sind, im Vordergrund.

Schliesslich ist es auch in der Etablierungs-Phase wichtig, dass die zu schaffenden neuen Strukturen und Prozesse sowie das gewonnene neue Erfahrungswissen in Verbindung treten mit den Strukturen und Prozessen, die vor der Internationalisierung bestanden haben. Auch wenn neue Strukturen und Prozesse zumeist unabdingbar sind, müssen KMU dafür sorgen, dass diese neuen Strukturen und Prozesse eine Synthese bilden mit dem Bisherigen.

Ein KMU kann es sich nicht leisten, zwei oder mehrere unterschiedliche Systeme langfristig nebeneinander zu bewirtschaften. Es muss vielmehr zu einer Integration von Neuem und Altem kommen. Und diese Integration ist wiederum die Grundlage für einen etwaigen nächsten und neuen Internationalisierungszyklus. Die Arbeit in den Phasen beginnt dann erneut, zwar auf einem höheren Erfahrungsniveau, aber grundsätzlich in den kategorisch gleichen Ausprägungen.

Fazit

Es wird deutlich, dass die erfolgreichen KMU-Entscheidungsträger nicht in die Auf­lösung der oben dargestellten Spannungsfelder investieren, das heisst, sie beschränken sich niemals nur auf Handeln, Entscheiden, das Schaffen neuer Strukturen oder das Zurückgreifen auf Bestehendes. Vielmehr gelingt es erfolgreichen KMU-Entscheidungsträgern in der richtigen Phase, die richtige Ausprägung an Kompetenzen und Verhaltensweisen zu zeigen, mit einem Gespür dafür, ob nun eher Handeln, Entscheiden, die Schaffung des Neuen oder der Rückgriff auf Bestehendes nötig ist. Dabei haben sie ein Bewusstsein dafür, dass trotz einer etwaigen zeitweisen Zuspitzung hin zu einer jeweiligen Dimension der beiden Spannungsfelder im weiteren Verlauf des Internationalisierungsprozesses auch wieder andere dimensionale Ausprägungen von Kompetenzen und Verhalten nötig sein werden.

Porträt