Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Die Inflation ist tot, es lebe die Inflation

Die immer weniger deflationär wirkenden Mecha­nismen der Globalisierung bergen Warnsignale für eine neu erwachende Inflation. Doch das eigentliche Problem ist nicht die Inflation, es sind die Zinsen in einer Welt, die vom Schuldenwachstum abhängig ist.
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Wie schon in den Jahren zuvor soll an dieser Stelle ein volkswirtschaftlicher Ausblick auf das gerade begonnene Jahr unternommen werden. Während in der letztjährigen Prognose vorausgesagt wurde, dass die Zentralbanken Mühe haben würden, das globale Wachstum mithilfe der anhaltenden Geldflut anzukurbeln, kann man im Nachhinein feststellen, dass das Jahr 2017 ein durchaus erfreuliches Wachstum von global betrachtet 2,5 Prozent eingebracht hat. Schon vor einem Jahr wurde darauf verwiesen, dass beispielsweise der niedrige Ölpreis durchaus als kleines Konjunkturprogramm gesehen werden kann, welches zudem inflationäre Tendenzen im Zaum hält. Schlichtweg falsch war die an dieser Stelle formulierte Befürchtung, dass der Franken im Kontext der anhaltenden Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank erstarken würde. Gilt also einmal mehr das Bonmot Mark Twains, dass Prognosen schwierig oder – noch schlimmer – schlicht falsch sind? Nun, das Jahr 2018 hatte durchaus einen interessanten Start mit der gelungenen Unternehmenssteuerreform Trumpscher Prägung und einem ersten Schwächeanfall der Leitbörsen. Zwei Ereignisse, die nicht so recht zueinander zu passen scheinen. Warum feiern die Börsen die Steuersenkungen nicht ausgiebiger? Findet hier vielleicht ein Teil der Prognose von 2017 seine Bestätigung, die sich aber nun erst in 2018 realisiert? Schon in der Ausgabe des «KMU Magazin» vom Februar 2017 wurde spekuliert, was wohl passieren mag, wenn die Inflation an Breite gewinnt und Fahrt aufnimmt.

Die Warnsignale mehren sich
Bis dato waren die Verbrauer mehrheitlich «nur» von der Inflation der Asset-Preise betroffen, insbesondere die Preise für Häuser und Wohnungen schienen nur den Weg nach oben zu kennen. Nicht viel anderes war an den Aktien- und Anleihebörsen 2017 zu beobachten. In der zweiten Hälfte des Jahres 2017 begann dann der Ölpreis seine zunächst weitgehend unbemerkte Kletterpartie und stieg vom Jahrestief von unter 45 US-Dollar im Juni 2017 bis an die Schwelle von 70 US-Dollar. Auch Löhne und Gehälter steigen deutlich, in Deutschland vermeldet die IG Metall einen Lohnanstieg von 4,3 Prozent und in den USA sind die Stundenlöhne im Privatsektor auf Jahresbasis um 2,9 Prozent gestiegen. Bewahrheitet sich nun die im «KMU Magazin» zitierte Prophezeiung von Citibank-Chef Prince, dass, wenn die Inflation anziehe und der Zins steige, die Musik aufhören würde zu spielen?

Die Warnsignale, dass die von manchen Auguren für immer tot geglaubte Inflation zu neuem Leben erwachen könnte, mehren sich. Die immer weniger deflationär wirkenden Mechanismen der Globalisierung sind offenkundig: Ehemalige Niedriglohnländer wie China sind nicht mehr solche, die Konjunkturzyklen diverser grosser Volkswirtschaften befinden sich synchron in einem, wenn auch nicht fulminanten, aber durchaus preistreibenden Aufschwung, die Geldpolitik der grossen Notenbanken ist bis auf die der USA nach wie vor expansiv, die Steuersenkung in den USA könnte andere Ländern dazu veranlassen, ebenfalls die Steuern zu senken. Und last, but not least ist da der besagte Ölpreis, der sich, wie die Energiepreise insgesamt, in den letzten Monaten deutlich erhöht hat. Vor diesem Hintergrund scheint es nicht verwegen, die Rückkehr der Inflation als relevantes Szenario zu betrachten, und es scheint angebracht, die Wirkung von Inflation auf die Volkswirtschaften im Kontext der Verschuldung einmal etwas genauer zu diskutieren.

Der «Schwur» der Notenbanken
Inflation von zwei Prozentpunkten deklarieren Notenbanken nicht als Problem, sondern als Er­lösung, zumindest dienten Prozentzahlen unter der ausgerufenen Zwei in den zurückliegenden Monaten als Argument, um an der seit vielen Jahren dauernden, expansiven Geldpolitik festzu­halten. Fraglich ist aber, ob es tatsächlich gelingen wird, die Inflation auch zum Stillstand zu bringen, wenn diese sich der gewünschten Marke von zwei Prozent nähert. Handelt es sich bei der Inflation doch um ein dynamisches Phänomen und wie die Vergangenheit zeigt, kann in einem entsprechenden Umfeld (siehe oben) die Inflation sehr schnell in Dimensionen jenseits der besagten zwei Prozent davoneilen. Kommt die Inflation in Bewegung – setzt sie sich also in Richtung zwei Prozent in Bewegung oder schiesst gar darüber hinaus – dann kommt es zum «Schwur» der Notenbanken, die in vielen Fällen per Mandat verpflichtet sind, die expansive Geldpolitik in eine restriktive zu wandeln und die Zinsen zu erhöhen.

Ohne Zweifel haben das viele «billige Geld» und die tiefen Zinsen in den Jahren seit der schweren Finanz- und Bankenkrise einen neuen Kreditboom ausgelöst und die Welt, die an ihren Schulden fast zugrunde gegangen wäre, hat sich nicht etwa entschuldet, sondern exponentiell weiterverschulden können. Wenn die Inflation steigt und mit ihr die Zinsen, zugleich einige Staaten durch Steuersenkungen neue Staatsschulden im Billionenbereich aufnehmen, dann stellt sich schnell einmal die Frage der Finanzierung und Tilgung der neuen und alten Schulden. Die privaten Haushalte stecken tief in Immobilienkrediten und die Unternehmen haben die Gunst der Stunde genutzt, um mit neuen Schulden eigene Aktien zurückzukaufen oder üppige Dividenden zu bezahlen. Gelangen die Banken zu der eigentlich einleuchtenden Erkenntnis, dass eine mehr oder weniger grosse Zahl der ausstehenden Kredite nicht zurückgezahlt werden kann, dann steht der Finanzwelt die Finanzkrise 2.0 ins Haus. Kurz gesagt: Das eigentliche Problem ist nicht die Inflation, es sind die Zinsen in einer Welt, die vom Schuldenwachstum abhängig ist.

Der angekündigte Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik
Die Frage ist also nicht, ob die Volkswirtschaften Inflation verkraften, sondern ob steigende Zinsen im Kontext von Inflation verkraftbar sind. Der eine oder andere Leser argumentiert nun vielleicht, dass die Notenbanken die Zinsen noch lange tief halten können und tief halten werden. Und vielleicht gelingt den Notenbanken das Kunststück, den Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik – was ohne Zweifel alleine schon die Zinsen nach oben bewegen wird – mit einer Zinspolitik zu flankieren, die die Inflation bei der Zwei-Prozent-Marke zum Stoppen bringt und die Solvenz der Staaten, der Unternehmen und Privaten bei nach wie vor steigender Verschuldung nicht gefährdet. Doch sollte der angekündigte Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik die Zinsen stärker nach oben treiben als erwartet oder eine stärker als erwartete Inflation die Notenbanken zum Handeln zwingen oder nicht zuletzt die Finanzmärkte anfangen, an der Solidität der Schuldner zu zweifeln und höhere Zinsen verlangen, dann könnte die Musik schneller als erwartet aufhören zu spielen.

Die diesjährige Analyse beinhaltet viele «sollte» und «könnte», und seit Jahrzehnten wird die steigende Verschuldung aller Sektoren beklagt, ohne dass die Warner bestätigt worden wären. Doch vielleicht haben nur die seit Jahrzehnten in der Tendenz fallenden Zinsen den globalen Schuldenturm immer wieder stabilisiert und man fragt sich, wie weit der Zins im Rahmen einer neuerlichen Krise ins Negative gehen kann. So oder so, das Jahr 2018 ist interessant gestartet und es bleibt sicher noch Zeit, der Musik zu lauschen.

Prof. Dr. Claus Schreier ist Dozent für Interkulturelles Management an der Mahidol University in Bangkok/Thailand und an der Hochschule Luzern – Wirtschaft. Als Consultant berät und unterstützt er KMU bei deren Internationalisierung.

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