Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Der regionale Nutzen von Hochschulen

Hochschulen sind mit regionalen Innovationssystemen idealerweise eng verknüpft und bieten damit einen Ansatzpunkt, um die so wichtige Innovationskraft zu stärken.
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Die Frage nach der regionalen Bedeutung von Hochschulen wurde in frühen Studien meist mit der direkten Wertschöpfung beantwortet. Das ist der direkte Beitrag an das Bruttoinlandsprodukt (BIP) einer Region, wie er in jedem Unternehmen auch erwirtschaftet wird. Es gibt dafür zwei Berechnungsansätze. Es können einerseits die Entschädigungen für alle Produktionsfaktoren – sprich Löhne, Mieten, Zinsen, zurückbehaltene Gewinne und allfällige Steuereinnahmen – zusammengezählt werden. Alternativ erhält man die Wertschöpfung einer Hochschule (oder einer Unternehmung), indem man vom Umsatz alle eingekauften Vorleistungen sowie die Abschreibungen auf den anderswo eingekauften Investitionen abzieht.

Der Nachfragemultiplikator

Bei weiterer Betrachtung der Wertschöpfungskette stellt sich sodann die Frage, welche Auswirkungen die direkte Wertschöpfung einer Hochschule auf weitere Zahlungsströme hat und ob dies wie­derum eine regionalwirtschaftliche Wirkung nach sich zieht. Die Dozentin besucht den Bäcker, der Bäcker den Coiffeur usw. In der Theorie kann diese Kaskade in unendlich vielen Schritten fortgesetzt werden. Ein sogenannter «Abfluss» tritt erst dann ein, wenn die regionale Kaufkraft nicht mehr innerhalb der Region ausgegeben wird. Auf diese Weise gelangt man zum keynesianischen Konzept des Multiplikators: Ein vom Staat ausgegebener Franken kann einen Nachfrage-Domino-Effekt erzeugen. Man spricht bei Wertschöpfungsrechnungen darum auch von nachfrageorientierten Studien. So erzielte die Universität St. Gallen im Jahr 2021 nach eigenen Angaben «aus dem eingesetzten Staatsbeitrag einen fünfmal höheren Wertschöpfungsbeitrag von 284,2 Millionen Schweizer Franken für den Kanton», was sowohl direkte wie auch indirekte Arbeitsplätze schafft.

In der Schweiz herrscht allerdings oft ­nahezu Vollbeschäftigung. In dieser Situation hat die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze an sich keine hohe Priorität. Es ist vielmehr entscheidend, die Produktivität einer regionalen Wirtschaft zu stärken. Hierbei haben Hochschulen eine spezielle Rolle.

Hochschulen als Impulsgeber

Für Hochschulen ist mit anderen Worten nicht so sehr ihr eigener Anteil an der Wertschöpfung zentral. Ausschlaggebend ist es, Unternehmen respektive Arbeitskräfte zu befähigen, Wertschöpfung effizienter zu erbringen. Dementsprechend wurden etwa zeitgleich mit der «Entdeckung» der Bedeutung der Wissensökonomie in den 1990er-Jahren die Untersuchungen zu den regionalwirtschaftlichen Wirkungen von Hochschulen auf die Angebotsseite ausgeweitet. Zahlreiche Studien fanden, dass sowohl durch die Lehre als auch durch Forschung und Entwicklung die Produktivität einer regionalen Wirtschaft erhöht werden kann. 

Am Beispiel von Weiterbildungen etwa kann belegt werden, dass sich der Nutzen auch bei den Absolvierenden persönlich niederschlägt. Eine aktuelle Untersuchung einer Studienreihe der Hochschule Luzern (HSLU) dazu hält fest, dass Absolventinnen und Absolventen nach eigenen Angaben wichtige Fach- und Problemlösungskompetenzen erworben und ein nützliches berufliches Netzwerk hinzu­gewonnen hätten. Insbesondere angewandte Forschung und Entwicklung verfolgt ähnlich wie die Lehre das erklärte Ziel, die Wissensbasis einer Regionalwirtschaft zu stärken. Die Schweiz weist im internationalen Vergleich eine teure Preisstruktur auf, ist jedoch gleichzeitig auch sehr innovativ, wie das jüngste Wettbewerbsranking des IMD bestätigt. Auch aufgrund fehlender Bodenschätze ist die Schweiz sprichwörtlich zur Innovation gezwungen. Die angebotsseitigen Auswirkungen der Hochschulen sind daher in der Schweiz von noch grösserer Bedeutung als anderswo.

Statistische Zusammenhänge nicht einfach

Während die nachfrageseitige Wertschöpfung einer Hochschule aus Buchhaltungszahlen errechnet werden kann, stellt sich die Frage, wie eine Erfolgsmessung der angebotsseitigen Effekte ganzer Hochschulen funktioniert. Dafür existieren grundlegend verschiedene Methoden, die aber alle ihre Limitationen haben.

Eine erste Gruppe von Methoden geht ­induktiv vor und umfasst Umfragen und Fallstudien, welche sich mit konkreten Er­fahrungen, Geschichten und Zusammenhängen befassen und tatsächliche Wirkungszusammenhänge aufspüren. Mit vertiefenden Fallstudien lernt man zwar viel über tatsächliche Wirkungsmuster und Erfolgsfaktoren, doch sind Einzelfallabhängigkeiten die Regel, und es lässt sich nie ganz ohne Zweifel von Fallstudien aufs Ganze rückschliessen. Umfragen, etwa bei Unternehmen zu ihren Erfahrungen mit Hochschulen, versuchen dem mit repräsentativen Stichproben entgegenzuwirken. Allerdings sind die Antworten in Umfragen immer auch subjektiv. Umfrageergebnisse benötigen Interpretation, häufig auch bei den Kausalitäten. In der erwähnten HSLU-Studienreihe wurde gefunden, dass Weiterbildungsabsolvierende im Vergleich zu vorher typischerweise 8 bis 22 Prozent mehr Lohn erhalten. Hat eine Weiterbildungsabsolventin nun einen Lohnsprung von 22 Prozent erreicht, weil sie gerade einen bestimmten MAS absolviert hat, oder besuchte sie gerade jetzt diesen MAS, weil sie von ihrer Firma als Talent erkannt und zur Beförderung vorgesehen war – was der eigentliche Grund für den Lohnsprung ist?

Ökonometrische Ansätze zeigen unter zahlreichen Datensätzen statistische Zusammenhänge zwischen der Präsenz von Hochschulen und der Prosperität einer ­Region auf. Aber bereits bei der Formulierung der Fragestellung ist die Bestimmung der Zielgrösse eine Knacknuss. Was eine «prosperierende», «erfolgreiche» oder «innovative» Region genau ist, kann nicht ohne weiteres in Zahlen ausgedrückt, sondern höchstens mit Indikatoren angenähert werden. Die Identifikation der zu erklärenden Variablen in der Regressionsgleichung ist also nicht trivial: Soll man das BIP einer Region als zu erklärende ­Variable heranziehen? Oder das BIP pro Kopf? Oder besser den Bevölkerungszuwachs? Oder wäre es nicht zielführender, auf ein breiteres Konzept wie die Lebensqualität abzustellen? Und selbst wenn man sich hierbei auf etwas geeinigt hat, diese Dinge werden natürlich auch noch durch vieles mehr beeinflusst als nur durch die Existenz von Hochschulen. Und schliesslich müssten auch deren Qualitäten als ­Variablen in die Gleichungen einfliessen.

Zudem bleibt auch hier, wie bei den Umfragen bereits erwähnt, häufig die Richtung der Kausalität offen: Ist eine Region nun reich, weil sie über gute Hochschulen verfügt, oder verfügt sie über gute Hochschulen, weil sie reich ist? Eine Studie der Universitäten Zürich und Bern mit dem Titel «Fachhochschulen als Impulsgeber» aus dem Jahr 2023 stellt immerhin fest, dass Innovationseffekte in starken Regionalwirtschaften besonders ausgeprägt sind. Wissen gelangt «über Studienab­solvierende, Technologietransfers und Zusammenarbeiten mit Unternehmen in die regionale Wirtschaft».

Teil des regionalen ­Innovationssystems

In diesem Kontext wird in der Forschung oft der Begriff Triple-Helix verwendet, welcher die enge Verwicklung von staatlichen Institutionen, Unternehmen und Hochschulen sowie weiteren Bildungs- und Forschungseinrichtungen symbolisiert. Die im System entstehende Inno­vationskraft ist ein wesentliches Element zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung. Je enger das ganze System vernetzt ist, desto besser. Implizites Wissen und emotionale Inspiration führen über oft verschlungene und verborgene Pfade. Diese systemischen Wirkungen zu messen, ist aber äusserst schwierig.

Dennoch: Nach allen bisherigen Erkenntnissen stellen Hochschulen einen wichtigen Hebel für die heutige und künftige Steigerung der regionalen Produktivität bereit, was nicht zuletzt angesichts der demografischen Entwicklung dringend nötig ist. Die Aufgabe von Hochschulen ist nicht primär selbst möglichst viel Wertschöpfung zu generieren. Vielmehr sollen Hochschulen die Wertschöpfung in der ganzen übrigen regionalen Wirtschaft unterstützen. Daher haben Hochschulen insbesondere dann einen hohen regionalwirtschaftlichen Nutzen, wenn sie von der Wirtschaft als selbstverständlicher Partner in Wissens- und Bildungsfragen angesehen werden. So wichtig dies ökonomisch gesehen ist, letztlich ist es kaum total objektiv messbar.

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