Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Den Konjunkturabsturz verhindern

Überall dort, wo das Zusammentreffen von Menschen im Zentrum des Geschäftsmodells steht, zwingt das Corona-Virus zu einem Stopp der Wertschöpfung. Was ist hieran noch fair?
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Seit letztem Frühling wird gerätselt, ob die Konjunkturkurve wie ein V, wie ein U oder wie ein L weiterlaufen wird. K ist der Buchstabe, der sich nun abzeichnet: Ein Teil der Wirtschaft kann sich auffangen, während sich ein anderer Teil im Niedergang befindet. Die Corona-Krise ist unfair. Während einige wenige Branchen sogar davon profitieren, sind in anderen Branchen zahlreiche KMU zunehmend in ihrer Existenz bedroht.

Die Abwärtsspirale vermeiden kommt vor Fairness

Vor zwölf Jahren betrat Barack Obama das Oval Office inmitten der Subprime-Krise mit der Herkules-Aufgabe, das Finanzsystem vor dem Kollaps und die Wirtschaft vor einer Depression zu retten. Er stellte sich Fragen wie: Können und sollen wir Chrysler und General Motors vor einem Konkurs bewahren? Dies auch im Wissen, dass Konkurrent Ford dank seiner vernünftigeren Modellpalette weniger Subventionen braucht? Ist es fair, wenn wir überschuldete Hausbesitzer unterstützen, wenn diese sich ein für ihre Verhältnisse zu luxuriöses Anwesen geleis­tet hatten? Dies im Wissen, dass die Nachbarn im bescheideneren Haus keine Staatshilfe erhalten? Obamas Überlegung war: In der Krise geht es nicht in erster Linie um Fairness. Es geht darum, Strukturen vor dem Zusammenbruch zu retten. Deswegen hatte die Administration Obama gezielt geholfen und das Steuer vor einem noch tieferen wirtschaftlichen Abgrund herumreissen können. 

Was Obamas Befürchtung war, und was das düstere Szenario einer L-Rezession heute ist: Wenn sich eine wirtschaftliche Krise in eine negative Spirale hineinbewegt, dann wird es immer schwieriger, daraus zu entkommen. Ergo löscht man den Brand lieber früher als später, auch wenn man die Wasserrohre sehr weit öffnen muss. Entsprechend hat auch die Schweiz 2020 entschlossen reagiert. Verschiedene staatliche Massnahmen haben eine Konkurswelle bisher verhindert. Überraschen mag die Tatsache, dass gegenüber 2019 im vergangenen Jahr sogar ein gutes Fünftel weniger Bilanzen deponiert werden mussten. Gehen die Staatshilfen also zu weit, und werden da Zombie-Firmen künstlich am Leben gehalten? Ist es fair, wenn in der Krise alle Firmen überleben?

Unterwegs zur Zombifizierung?

Seit Joseph Schumpeter in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts das Konzept der schöpferischen Zerstörung populär gemacht hat, gelten aus gesamtwirtschaftlicher Sicht betrachtet Konkurse als notwendiges Phänomen einer sich weiterentwickelnden Volkswirtschaft. Wenn die schlecht aufgestellten Unternehmen in der Wirtschaftskrise untergehen, dann werden die Ressourcen Arbeit, Kapital und Boden frei für neue und innovative Unternehmen, die langfristig produktiver sind als die al­ten. Ein Beispiel dafür: Nach dem Zweiten Weltkrieg musste Deutschland als Stra­fe viele seiner Produktionsstätten komplett demontieren. Im wirtschafts­his­to­rischen Rückblick zeigt sich, dass Deutschland dadurch sogar profitiert hat. Die neu aufgebauten, moderneren Produktionsstätten bereiteten dem Land später einen Wettbewerbsvorteil. Führen all die Corona-Massnahmen also zu einer Zombie-Wirtschaft? Gefährlich wären staatliche Unterstützungen ohne zeitliche Begrenzung. Im Frühjahr wur­de in der Schweiz das Covid-19-Kreditprogramm deswegen mit einem klaren Ablaufdatum per 31. Juli 2020 aufgestellt. Bis zum Sommer wurden von möglichen 40 Milliarden Franken deren 17 beansprucht. Davon wurde ein beachtlicher Teil, nämlich 1,2 Milliarden, inzwischen wieder zurückbezahlt. Natürlich wurde auch Unfug betrieben und die bekannte Deliktsumme von 50 Millionen ist kein Pappenstiel, im Verhältnis sind das aber marginale 0,3 Prozent.

Kreditprogramm und Härtefallfonds in Ergänzung

Die zweite Welle ist im Herbst brutal angerollt. Bereits im November letzten Jahres haben die Ökonomen der Covid-19-Taskforce vorgeschlagen, das Covid-19-Kreditprogramm zu reaktivieren. Inzwischen sind zahlreiche KMU zwangsgeschlossen. Mit den mutierten Viren aus England und Südafrika steigen die Herausforderungen für die nächsten Monate wahrscheinlich rascher – weil nach exponentiellen Gesetzen – an, als die Impfprogramme Linderung bringen können. Stand Anfang 2021 wäre es an der Zeit, dass alle Unternehmen in Notlagen ungeachtet ihrer Branche ihre Liquidität wie im Frühjahr sichern können. Bereits verlängert ist das für den Faktor Arbeit wichtige Instrument der Kurzarbeit. Aber bei Eventveranstaltern, bei Gastrounternehmern oder in Kulturbetrieben steht nun auch das Kapital unproduktiv herum. Es geht hierbei nicht nur um Maschinen und Gebäude. Investiert wurde auch in Konzepte oder Ideen. Zum Beispiel, wie zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter kultureller Anlass mit bestimmten Künstlerinnen und Künstlern an einem bestimmten Ort durchgeführt werden könnte. Ein solches Konzept hat eine Halbwertszeit, die sehr schnell zum Totalabschreiber führt. Dieser lässt sich nicht mit Kurzarbeitsentschädigung auffangen. Mit jeder Woche, in der solche KMU keine Wertschöpfung erbringen dürfen, steigt die Gefahr von Konkursen, die in einer Welt ohne Corona nicht passiert wären. Unfair.

Ende September verabschiedete das Par­lament das Covid-19-Gesetz, welches den Rahmen für die bundesrätliche Härtefallverordnung gab. Die zunächst vorgesehenen 200 Millionen zeigen, dass man bei der ursprünglichen Konzeption nicht von sehr vielen verbleibenden Härtefällen ausging. Der Bund hat im November seinen Topf auf eine Milliarde vergrössern müssen, die Kantone steuern weitere Mittel bei. 

Und doch: Inzwischen dürfte auch dies nicht ausreichen, um alle Unternehmen im verordneten Wertschöpfungsstopp über die Runden zu bringen. Solange Betriebe schliessen müssen, ist das Co­vid-19-Kreditprogramm zu reaktivieren. Die Erfahrung vom letzten Frühling hat gezeigt, dass diese Kredite mit der nö­tigen Verantwortung in Anspruch genommen werden. Damit könnten die Härtefallfonds für die wirklichen Härten als À-fonds-perdu-Ergänzung fungieren. Mit einer Giesskanne funktioniert das aber nicht. Eine Prüfung der Bücher einzelner Unternehmen ist nötig. Kann ein Unternehmen von sich aus die Covid-19-­Krise überleben, dann soll dieses eben­so keine Härtefall-Unterstützung bekommen wie ein Unternehmen, das auch ohne Krise vor dem Aus gestanden wäre. Das ist zugegebenermassen im Einzel­fall nicht einfach zu unterscheiden, aber Profis von Finanzinstituten können so was. Und wenn das Kreditprogramm parallel läuft, dann hat man auch die nötige Zeit für ent­sprechende Prüfungen. Im Zweifel darf man verlangen, dass sich die Stakeholder solcher Unternehmen an der Rettungsaktion beteiligen, dann werden auch eher die echt unterstützungswürdigen Unternehmen um Unterstützung ersuchen. Und das werden laufend mehr.

Fair ist das alles nicht. Zombies auf Kosten von Steuerzahlern und Start-ups sollten aber ebenso vermieden werden wie eine konjunkturelle Abwärtsspirale. Es steht uns in diesem Jahr also noch ein Hochseilakt bevor.