Forschung & Entwicklung

Krisenmanagement (Teil 4 von 4)

Das Turnaroundkonzept als Schlüssel für die Wende

Die vierteilige Serie behandelt Lösungsansätze für die Prävention, Früherkennung und Bewältigung von Unternehmenskrisen. In diesem letzten Beitrag beschreibt der Autor, wie vorzugehen ist, um einen Turnaround mit einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit einzu­leiten, welche Fragen zu stellen sind und wo Potenziale für Wertsprünge liegen.
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Wir haben in den bisherigen drei Arti­-keln die Prävention, Früherkennung und Bewältigung von Strategie-, Ertrags- und Liquiditätskrisen thematisiert. Im abschliessenden vierten Beitrag dieser Ar­tikelserie betrachten wir das konkrete Vorgehen bei der Prüfung, Planung und Umsetzung von Turnarounds. 

Ein Turnaround ist eine komplexe und aus­serordentliche Aufgabe. Ein erfolgsversprechendes Vorgehen bedingt ein professionell geführtes, klar strukturiertes Projektmanagement. Jörg Müller-Ganz,  unterteilt den Turnaround in drei sach­logische Phasen:

1. Turnaroundanalyse

2. Turnaroundkonzept

3. Umsetzung

Die Turnaroundanalyse

Im Rahmen der Turnaroundanalyse steht die Frage im Mittelpunkt, ob die Unternehmung überhaupt überlebensfähig ist und falls ja, unter welchen Bedingungen. Zur Beantwortung ist eine schonungslose Standortbestimmung zwingend notwendig. Diese beginnt mit dem zweckorientierten Sammeln, Sortieren und Auswerten von inhaltlich richtigen, insbesondere aber relevanten Informationen aus der Umwelt des Unternehmens sowie dessen internen Gegebenheiten. Die Standortbestimmung ist äusserst anspruchsvoll – und die Bedeutung von Richtigkeit und Relevanz der zu analysierenden Informationen kann nicht zu wenig betont werden. Gründe dafür sind – wie wir bereits in den vorhergehenden Beiträgen gesehen haben – die in Krisensituationen oft eingeschränkte Verfügbarkeit von qualitativ guten Informationen. Zudem ist der Zeitdruck immens hoch und die Motivationen und Agenden der (noch) verfügbaren Personen undurchsichtig. Diese Merkmale haben einen kritischen Einfluss auf die Qualität der Turnaround­analyse und somit auf die Beantwortung der entscheidenden Fragen, ob und unter welchen Bedingungen das Unternehmen sanierungsfähig und -würdig ist.

Ein offensichtliches Beispiel ist die naturgemässe Tendenz des Vertriebs, offene Offerten oder in Aussicht gestellte Aufträge besser darzustellen, als sie in Realität und insbesondere in Anbetracht einer ruchbar gewordenen Krisensituation effektiv sind. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Inhalte der Turnaroundanalyse, namentlich bezüglich des angestrebten Rent­abilitätsziels, der Führung, der Leistungsbereiche und der Finanzen.

Das Turnaroundkonzept

Das Turnaroundkonzept klärt die Fragen bezüglich Führung, Massnahmen für die Liquiditäts-, Ertrags- und Kapitaloptimierung sowie der meistens notwendigen Bilanzsanierung und der strategischen Neuausrichtung. Das Erstellen eines Turn­aroundkonzeptes ist eine anspruchsvolle analytische wie auch kreative Tätigkeit, die im Normalfall unter höchstem Zeitdruck durchzuführen ist. Jörg Müller-Ganz weist auf Einhaltung der 80/20-Regel hin. Entscheidend ist, dass die grundsätzlichen Fragen richtig beantwortet werden. Nachbesserungen und Feinadjustierungen können immer noch gemacht werden. Je nach Grösse und Komplexität des Falls sind für die Erarbeitung und Abstimmung des Turnaroundkonzepts ein bis zwei Monate notwendig. Dafür sind qualitativ und quantitativ ausreichende personelle Ressourcen bereitzustellen. 

Bezüglich der Ressourcen gilt es zu beachten, dass das Tagesgeschäft unter erhöhten Schwierigkeiten immer so gut wie möglich aufrechterhalten werden muss. Ein Knackpunkt liegt oft in der Frage der zur Verfügung stehenden personellen und finanziellen Möglichkeiten, weil interne Ressourcen naturbedingt beschränkt sind und externes Experten-Know-how angesichts der sich zuspitz­enden Probleme zusätzlich kostet. Die Unternehmung beziehungsweise der in der Verantwortung stehende Verwaltungsrat muss also rechtzeitig – das heisst möglichst früh – den Schritt machen und externe Hilfe beiziehen.

Bezüglich Führung ist festzuhalten, dass der Turnaround im Normalfall von einem neuen, frischen Team geleitet werden sollte. Ein erfolgreicher Turnaround bedingt immer einen Mentalitätswechsel bei der Führung und der Belegschaft. Dazu braucht es zwingend frische Kräfte. Das bisherige Team hat seine Chance vertan. Meistens fehlt es an Glaubwür­digkeit, Vertrauen und an der notwendigen Energie. Die Erfahrung lehrt, dass je radikaler der Schnitt, desto schneller und umfassender ist die Neuausrichtung. 

Die ökonomische Logik finden

Entscheidend für ein erfolgsversprechendes Turnaroundkonzept ist, dass umsetzbare Potenziale an Ertrags- beziehungsweise Kostenoptimierungen in einem ausreichenden Mass gefunden werden. Diese sollten möglichst direkt liquiditätswirksam sein. Die genügende Versorgung mit Liquidität ist stets vordringlich. Aus rechtlicher Sicht ist es aber ebenso wichtig, dass eine allfällig festgestellte – oder bei genauerem Hinschauen feststellbare – Überschuldung nach Art. 725, 2 OR mittels einer Bilanzsanierung möglichst nachhaltig bereinigt werden kann. Dies verlangt unausweichlich notwendige Eingeständnisse oder Verzichte durch die Geldgeber, namentlich Aktionäre, Banken, Darlehensgeber oder Lieferanten. Die Beiträge, die von allen Interessengruppen verlangt werden, sind möglichst gerecht zu verteilen. 

Im Turnaroundkonzept ist dieser Schritt das «Pièce de résistance», das nur mit einer als fair angesehenen Opfersym­metrie, einer effektiven Moderations­tätigkeit, gut dosiertem Druck und einem realistischen Plan nach vorne (Sanierungsfähigkeit und -würdigkeit, strate­gische Alter­nativen) gelingt. 

Klar formulierte Massnahmen

Das Turnaroundkonzept muss nicht nur auf dem Papier sachlogisch und gut aussehen. Es muss vor allem umsetzbar sein und die notwendigen Bedingungen klar und greifbar nennen. Entscheidende Elemente beinhalten die Sicherung der Liquidität durch Geldspritzen, Zahlungsversprechen, Forderungsverzichte oder Stundungen in Kombination mit der angesprochenen Bilanzsanierung. Ohne klare Verhältnisse wird kein Investor, Kunde oder Lieferant die Bereitschaft aufbringen, die Unternehmung nachhaltig zu stützen. Auch wird es schwierig sein, einen ausgewiesenen, krisenerprobten Geschäftsführer für die Umsetzung gewinnen zu können.

Sind die ersten überlebenssichernden Massnahmen geklärt und eingeleitet, kann der Fokus auf die strategische Neuorientierung gelegt werden. Diese ist in den meisten Fällen zwingend, wenn sich die Unternehmenskrise schleichend und trotz aller Anstrengungen im normalen Wettbewerbsumfeld entwickelt hat. 

Die Chancen in der Krise

Viele Unternehmenskrisen werden mit einer M&A-Transaktion oder einer Li­quidation gelöst. Es gibt aber auch Fälle, in denen eine Krise viel neue Energie frei­setzen und innovative Lösungswege offenbaren kann. Gute Turnaround-konzepte schauen deshalb über den eigenen Teller­rand hinaus und versuchen, auch radikale Ideen und neue Geschäftsmodelle mit Bestehendem zu kombinieren. Insbesondere ein unternehmerisch denkender Investor schaut sich gezielt nach Poten­zialen um, um den Unternehmenswert sprunghaft und signifikant steigern zu können. 

Im Fall eines Turnarounds strebt er eine Serie von Wertsprüngen an. Ein Wertsprung ist definiert als ein durch geplante Entwicklung oder ein spezifisches Ereignis ausgelöster signifikanter, oft sprunghafter Anstieg des Unter-nehmenswerts. Wertsprünge aus Krisenfällen ergeben sich beispielsweise bei a) der Rückführung in die Gewinnzone, b) dem Nutzen des Momentums für Innovation und Wachstum und c) bei Bewertungsprämien bei einem (allfälligen) Verkauf. 

Als Methode für die Identifikation und Planung von solchen Unternehmenswertsteigerungen bietet sich das Vorgehen des Wertsprungmanagements an. Dabei werden (interne wie externe) Potenziale gesucht und mit Wertsprunghebeln kom­biniert. Beispiele für solche Hebel sind insbesondere Formen der Multiplikation oder von Skalierungsmöglichkeiten in Kombination mit «Asset-light»-Modellen. Ein konstitutives Merkmal der Wertsprungmethode ist das kreative, smarte Verbinden von attraktiven Potenzialen mit einem oder mehreren Hebeln. Die daraus entstehenden Wirkungen sollen bestehende Ertragsquellen erweitern oder ganz neue eröffnen. Abbildung 3 illustriert das Vorgehen und deren ein­fache, ja intuitive Logik.

Unternehmen im Turnaround sollten nicht nur auf Kostensparpotenziale achten. Sie sind gut beraten, auch ihr bisheriges Geschäftsmodell anzupassen und so dem Lebenszyklus neuen Schwung zu verleihen. Typische Beispiele für erfolgreiche Turnarounds mit Wertsprung­serien finden sich bei Unternehmen in reifen Märkten (zum Beispiel Zeitungsverlagen), die es schaffen, ihre bisherigen Angebote rechtzeitig mit zusätzlichen Formen der (digitalen) Multiplikation anzureichern. 

Generell finden sich in vielen Branchen Möglichkeiten, klassische Angebote zu digitalisieren und mittels Lizenzlösungen in bestehende, aber auch neue Märkte einzuführen. Solche Massnahmen eröffnen neue Vertriebskanäle und ergeben weitere strategische Optionen. 

Fazit

Ein Turnaroundkonzept ist ein zwingend notwendiges Papier, welches vorliegen muss, bevor Massnahmen zur Krisenbewältigung – namentlich Investitionen – umgesetzt werden können. Von dieser Regel ausgenommen sind  Sofortmassnahmen (meistens liquiditätsbezogen) und entsprechende Ausgaben, die das Erarbeiten eines Konzeptes überhaupt ermöglichen. Die entscheidende Frage, die es zu klären gilt, ist, ob die Unternehmung oder der Bereich grundsätzlich überlebensfähig ist. 

Krisen bieten auch Chancen. Diese liegen in einer teilweisen oder einer radikalen strategischen Neuorientierung. Gerade wenn Branchenstrukturen unvorteilhaft sind (starke Konkurrenten, fortgeschrittene Reifephase im Lebenszyklus), sind grundsätzliche Änderung in Betracht zu ziehen. Dies kann durchaus einen Verkauf («change of control») beinhalten. Gefragt sind aber auch neue Ideen, welche die Unternehmung in eine neue Phase in ihrem sich sonst zu Ende neigenden Lebenszyklus schicken können.

Porträt