Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Das Feigenblatt der Nachhaltigkeit

Die in der «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» formulierten Ziele sind in der Wirtschaft weithin anerkannt. Oftmals jedoch bleiben die Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit nur Theorie. Was ist zu tun?
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Am 25. September 2015 wurde am Uno-Gipfeltreffen die «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» verabschiedet. Sie wird von der gesamten internationalen Staatengemeinschaft mitgetragen. Kernelement der Agenda 2030 sind 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung. Diese sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs) berücksichtigen erstmals integral die soziale, ökologische und wirtschaftliche Dimension der Nachhaltigkeit.

Die Wirtschaft begrüsst, wie die Economiesuisse auf ihrer Webseite schreibt, ausdrücklich diese umfassende Definition von Nachhaltigkeit und die Anerkennung des Privatsektors bei der Bewältigung der sozialen und ökologischen Herausforderungen unseres Planeten. Von Mitverantwortung und aktiver Unterstützung ist in der Agenda die Rede. Doch schaut man sich die Realitäten in der Wirtschaft an, so zeigt sich ein weniger positives Bild. Es ist fraglich, ob in der Kernbotschaft «Nachhaltigkeit ist die Basis unternehmerischen Handelns, denn nur so ist auch langfristiger ökonomischer Erfolg garantiert» auch tatsächlich eine soziale und ökologische Dimension enthalten sind. So schreibt die «Bilanz» im Mai 2017: «Wirklich nachhaltig verhalten sich Konzerne erst dann, wenn sich ihr Engagement im Kerngeschäft bemerkbar macht; wenn also die Chefs in der Unternehmensstrategie verankern, dass sich wirtschaftlicher Erfolg wegen – und nicht trotz – nachhaltigem Verhalten einstellen soll.» Und das ist bei vielen Unternehmen nicht der Fall. Im gleichen Artikel hält Professor Dyllick, ein international anerkannter Experte für Nachhaltigkeit, fest: «In fast allen Branchen überlagern heute strategische Überlegungen die Ethik.» Das Primat der Ökonomie herrscht immer noch vor. Nachhaltigkeit ja, aber letztlich nur, wenn es sich rechnet.

Gewinn ist auch ein Merkmal für Ressourceneffizienz

Diese Denkweise widerspricht dem Gedanken der ganzheitlichen, nachhaltigen Unternehmensentwicklung. Selbstverständlich muss ein Unternehmen Gewinn machen, um zu überleben. Gewinn ist in unserem Wirtschaftssystem (auch) ein Merkmal für Ressourceneffizienz. Denn wenn ein Unternehmen aus den Produktionsfaktoren keinen Mehrwert schaffen kann, dann werden diese Ressourcen suboptimal genutzt; die gleichen Ressourcen wären bei einem anderen, erfolgreicheren Unternehmen wahrscheinlich besser eingesetzt. Insofern, und vorausgesetzt der Preis der Ressourcen ist auf dem freien Markt entstanden, ist der Gewinn ein Merkmal für, zumindest, keine Ressourcenverschwendung. Auch wenn diese Betrachtung die ökonomischen Ziele mit den ökologischen verbindet, reicht das nicht aus. Denn diese Ökologie ist nur dann schlüssig, wenn insgesamt gesehen der Ressourcenverbrauch nachhaltig wäre. Nachhaltig in dem Sinne, dass nicht mehr verbraucht wird als nachkommt. Und da sind wir mit unserem Wirtschaftssystem in Schieflage. Seit 2012 verbrauchen wir weltweit pro Jahr deutlich mehr Ressourcen als uns die Erde «nachliefert».

Dazu kommt der riesige CO2-Ausstoss aus dem Verbrauch von Erdöl oder Gas und die damit verbundene Übernutzung der globalen Güter (zum Beispiel Atmosphäre). Diese Problematik ist politisch erkannt und führt in einem langen Prozess (angefangen bei den Berichten des Club of Rome in den 1970er-Jahren über den Brundtland-Bericht 1987 und wegweisende Umweltkonferenzen wie Rio 1992 mit der Agenda 21). Über die Politik (und damit mit dem Druck von Regulierungen) kommt das Thema in die Wirtschaft. Top-down sozusagen. Gesucht werden effektive Steuerungs- und Anreizmechanismen, welche Produzenten und Konsumenten zu mehr Nachhaltigkeit motivieren.

Während sich die Produzenten oft hinter den Konsumenten verstecken («Wir stellen nur her, was die Kunden auch wollen»), wird versucht, das Konsumverhalten zu beeinflussen. Mit mässigem Erfolg, wie man an der anhaltenden aktuellen Entwicklung erkennen kann. Selbstverständlich muss sich auch das Konsumverhalten des Kunden verändern. Doch ganz so einfach sollten sich Unternehmen nicht aus der Pflicht nehmen. Es braucht auch aus der Produzentensicht aktives und vielleicht auch revolutionäres Denken. «Nur» durch Einzelmassnahmen wie Solaranlagen oder rezyklierbares Papier in den Druckern oder einen Hinweis im E-Mail, dass der Empfänger gut überlegen soll, ob er das Mail ausdrucken soll, genügt nicht.

Zwischen Marketing und «reinem Gewissen»

Es soll an dieser Stelle auf keinen Fall der Eindruck erzeugt werden, die Unternehmen in der Schweiz würden nichts machen. Es gibt vorbildliche Ansätze von den grossen Konzernen wie Swisscom, Migros oder auch Coop. Es gibt auch immer mehr KMU, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und ihr Unternehmen auf Nachhaltigkeit einschwören. Nicht der Gewinn steht im Zentrum, sondern die nachhaltige Entwicklung des Unternehmens, bei welcher der Gewinn eine wichtige Bedingung, aber nicht das alleinige Ziel ist. Unternehmen, welche eine nachhaltige Unternehmensführung anstreben, schaffen mehrdimensionale Mehrwerte. Nicht nur dass es ihnen gelingt, ihre Produkte erfolgreich und gewinnbringend zu vermarkten, sie zeichnen sich durch hohe Mitarbeiterzufriedenheit (soziale Dimension) und stabile Arbeitsplatzsituationen aus. Sie berücksichtigen auch ökologische Aspekte in ihren Unternehmenszielen und nehmen dafür auch höhere Kosten in Kauf. Sie verzichten zugunsten einer ökologischeren Produktionsform (zum Beispiel Strom ausschliesslich aus Wind oder Wasserkraft) auf Gewinn.

Warum tun sie das? Aus einer reinen Managementsicht ist dieses Verhalten durchaus zu hinterfragen. Man könnte argumentieren, dass sie das aus Marketingsicht machen und sich daraus einen Wettbewerbsvorteil erhoffen. Damit wäre die These von Friedmann gestützt. Er schlussfolgert, die einzige Verantwortung eines Unternehmers sei die, darauf zu achten, dass sein Geschäft rentiere und dass das Unternehmen langfristig überleben könne. Seine Handlungen seien auf die eigenen Vorteile und den nachhaltigen ökonomischen Erfolg ausgerichtet. Ein Unternehmer ist also zum Beispiel bestrebt, zufriedene Mitarbeiter zu haben, sonst laufen ihm diese weg. Doch auch wenn das so wäre, wie misst oder beurteilt man diese Vorteile des nachhaltigen Handelns? Was wäre dann sozusagen der Effizienzgrad einer nachhaltigen Handlung? Aus einer rein ökonomischen Perspektive sind hier noch viele Fragen offen. Denn es gibt verschiedene Beispiele von Unternehmen, welche nachhaltige Entscheidungen fällen, ohne dass sie daraus einen unmittelbaren ökonomischen Nutzen erwarten. Es geht vielleicht einfach auch nur um ein «gutes Gewissen». Und damit tut sich in der ökonomischen Welt eine Dimension auf, welche jenseits von Kosten und Ertrag liegt.

Die Hochschule Luzern hat sich die Aufgabe gestellt, dieses Verhalten besser verstehen zu können. Unter anderem auch, um die Erkenntnisse in eine nachhaltige Managementweiterbildung einfliessen zu lassen. Denn als Forschungs- und Bildungsinstitution sowie Wissensvermittler für angehende Führungskräfte hat eine Hochschule ebenso eine zentrale Rolle auf dem Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Man muss verstehen, wie es besser gelingt, ökonomische, soziale und ökologische Anliegen in die Unternehmensvision und in die Unternehmensziele einzubringen, und wie Führungskräfte besser befähigt werden, die Aspekte der Nachhaltigkeit in ihren Entscheidungen zu berücksichtigen.