Eine unbewusste Konstruktion
Verbindet man gedanklich alle drei vertikalen Säulen, so wird klar, dass es vor der Internationalisierungsentscheidung des KMU eine bewusste Entscheidung des Unternehmers braucht, in die genannten Säulen zu investieren respektive sich diesen bewusst zuzuwenden. Entscheidungen zur Internationalisierung von KMU finden bereits auf einer Stufe vorher statt. Die Entscheidungssituation zur Internationalisierung, die zunächst als Ausgangspunkt erscheint, gerät bei näherer Betrachtung zu etwas Sekundärem, das einer unternehmerischen Entscheidung auf Basis der Intuition folgt und tendenziell vorgegeben ist. Jede unternehmerische Entscheidung geht mehr oder weniger aus einer intuitiven, aber unbewussten Konstruktion hervor, die wir scheinbar für selbstverständlich halten, ohne sie selbst als Ergebnis einer Entscheidung verstanden zu haben (Grichnik / Immer-thal 2005). Es braucht die – durchaus rationale – Entscheidung, sich Erfahrungsquellen zuzuwenden, es braucht die Entscheidung, Intuition wahr- und ernst zu nehmen. Und es braucht die Entscheidung für die bewusste Investition in ein erfahrenes, Vertrauen basiertes, internationales soziales Kapital zu investieren, um die eigenen Erfahrungen und Kompetenzen zu ergänzen. All das sind Vorentscheidungen, die vor dem eigentlichen Internationalisierungsentscheid eines KMU gefällt werden müssen.
Die intuitive Energie
Die drei Säulen unternehmerisch gelebt, führen im dargestellten Modell zu einer «Aufladung» der horizontalen Säule des Vertrauens. Vertrauen ist dabei zu verstehen als eine Investition in eine (riskante) Vorleistung, von der nicht klar ist, ob sie sich auszahlt (Luhmann 2000). Die Entstehung von Vertrauen respektive Vertrauenspotenzial benötigt Zeit und diese wird fast automatisch generiert durch die Investitionen in die vorgenannten Säulen. Letztendlich braucht es das Vertrauen als eine Form von Handlungsenergie, um in eine unsichere Ausgangslage, hier die Internationalisierung, zu investieren.
Fast spiegelbildlich dazu befindet sich als Grundlage von Vertrauen die Emotion, auf der die Säulen der Erfahrung, Intuition und Netzwerke /Beziehungen aufbauen. Aus der Entscheidungs- und Emotionsforschung ist bekannt, dass Entscheidungen nur getroffen werden können, wenn sie emotional aufgeladen und damit von Bedeutung sind (Busser 2012). Es bestehen in unserem Modell Wechselwirkungen zwischen den senkrechten Säulen und der Emotion. Zum einen besteht bereits eine bestimmte, wie auch immer gelagerte Emotionslage in Bezug auf Erfahrungen, Intuition und Netzwerke /Beziehungen. Diese Emotionslage ist Grund, ob und wie in Bezug auf die Investition in diese Bereiche investiert wird. Gleichzeitig führt die Zuwendung hin zu diesen Säulen zu einer Veränderung von Emotionen, die eine Hinwendung zu diesen Bereichen begünstigt oder behindert.
Durch diese Aktivitäten wird nicht nur die Emotionsgrundlage verändert, sondern ebenfalls führt dies zu einer Veränderung der Vertrauensbasis. Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Hat der KMU-Vorsteher prinzipiell ein gutes Gefühl für die Investition in den Bereich der Netzwerke und Beziehungen, verspürt er Neugierde und erwartet, dass es ihn gerade im Hinblick auf eine mögliche Internationalisierungsentscheidung bereichert. Entpuppt sich die geleistete Investition als fruchtbar, dann wird zum einen die emotionale Basis positiv aufgeladen, so dass vermehrt eben dort investiert wird bzw. die Wahrscheinlichkeit steigt, dass er sich für das weitere Agieren in den Netzwerken entscheidet. Wir haben es dann mit einer positiven, sich verstärkenden Rückkopplungsschlaufe zu tun (Dievernich 2012). Genanntes Vorgehen führt auf der gegenüberliegenden Seite zu einer Zunahme des Vertrauens in Bezug auf das eigene Handeln in diesen Bereichen sowie auf das Entscheiden für (oder gegen) ein «Going International».
Das dargestellte «Emotional basierte Entscheidungsmodell» zur Internationalisierung verweist mit den horizontalen wie vertikalen Säulen auf für KMU eher leicht zugängliche Ressourcen, im Vergleich zu den Entscheidungsapparaten und -instrumenten, wie sie Grossunternehmen nutzen. Diese Ressourcen sind auf der zwischenmenschlichen, sozialen und emotionalen Ebene anzusiedeln und werden durch das Modell bewusst greifbar gemacht. Insofern trägt dieses Modell zu einem rationalisierten respektive rationalen Umgang mit eher im Unternehmerkontext als nichtrational geltenden Faktoren bei.
Ist auf dieser eher emotionslastigen Ebene eine Entscheidung getroffen, so bleibt es ratsam und den KMU-Entscheidungsträgern offen, sich bei entsprechenden Finanz- und Zeit-Ressourcen, Kompetenz- und Interessenlagen noch den klassischen Entscheidungsmodellen und -hilfen zuzuwenden, die darauf abzielen, in den unterschiedlichen Phasen der Internationalisierung (market selection /decision to enter /entry modes /factors affecting entry modes) zu rational abgesicherten Entscheidungen zu kommen.
Sinn der Internationalisierung
Das hier präsentierte Entscheidungsmodell ist primär auf die Person des KMU-Entscheidungsträgers ausgerichtet, was nicht ausschliesst, dass auch andere Führungskräfte in grösseren Unternehmen oder Konzernen gewinnbringend darauf zugreifen können (zudem soll nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Modell auch bei anderen komplexen Entscheidungsthemen und -situationen greift, die über das Thema der Internationalisierung hinausgehen). Jedoch, und das erscheint uns wichtig, ist es ein Modell, welches primär auf (Einzel-)Personen zugeschnitten ist, die Entscheidungen unter Unsicherheiten treffen müssen und die a) entweder keinen direkten Zugriff auf die klassischen rationalen Entscheidungsverfahren haben oder b) auf diese zwar zurückgreifen können, jedoch sich allein mit diesen emotional nicht genug abgesichert fühlen.
Dem Modell liegt die Vorstellung zugrunde, dass gerade im Fall von Internationalisierungsbemühungen Entscheidungen unter besonderer Unsicherheit getroffen werden müssen. Zudem sind im Rahmen von Internationalisierungsaktivitäten durch klassische Stereotypen meist schon Emotionen vorhanden, die nur durch eine proklamierte Offenheit gegenüber der Intuition und den Prozessen der Vertrauensbildung überwunden werden können. Treten Unsicherheiten auf, dann reagieren Entscheidungsträger mit einem Sinnbildungsprozess, um wieder eine Form handhabbarer sozialer Realität und Entscheidungsbasis zu erhalten. Dazu greifen sie auf alle möglichen Ressourcen zu, um Erklärungen zu produzieren, die ihnen die Unsicherheit ertragbar und ggf. erklärbar machen. Dieser Prozess findet sowohl individuell als auch sozial konstruktiv statt.
Für die hier aufgeworfene Frage der Internationalisierung von KMU bedeutet dies, dass der Unternehmer die Unsicherheit durch den Zugriff auf Erfahrungen innerhalb der Organisation reduzieren kann, dass er bei entsprechender Erfahrung seiner Intuition folgen kann und dass er im Kontext seiner Netzwerke organisationale Perspektiven aufnehmen und sie zu eigenen Argumenten für oder gegen eine Internationalisierung formen kann. Das alles trägt zu einer Entscheidungsgrundlage bei, die emotional basiert und gefestigt ist. Wenn dann noch die klassisch rationalen Modelle – in welchem Ausmass auch immer – hinzugezogen werden, so führt das auf der Emotionsebene zu einer Stabilität, die die klassisch rationalen Entscheidungsmodelle alleine nicht offerieren.
KMU-Unternehmer wägen ab, in welchem Umfang sie Intuition implizit oder besser noch explizit zulassen und in welchem Ausmass klassische Analysen zu erarbeiten sind, um einen Internationalisierungsentscheid fällen zu können. Zur Rationalität neigende Personen werden versucht sein, so viel wie möglich an Analyse zu erhalten, mit Intuition vertraute Unternehmerinnen und Unternehmer hingegen werden tendenziell ihrem Bauchgefühl einen grösseren Freiheitsgrad einräumen und der Paralyse durch Analyse vorzubeugen wissen. Wir sehen einen Wettbewerbsvorteil für KMU in Internationalisierungsfragen darin begründet, dass sie sich – aufgrund ihrer an vielen Stellen vorhandenen Restriktionen – dem naheliegenden Kern aller Entscheidungen gegenüber offen zeigen können und müssen: der Emotionalität und Intuition. Dafür will dieses Modell und diese Diskussion sensibilisieren und in Folge befähigen.