Forschung & Entwicklung

Internationalisierung (Teil 2 von 2)

Das «Emotional basierte Entscheidungsmodell»

In der letzten Ausgabe des «KMU-Magazins» haben die Autoren auf die wichtige Rolle der Entscheidungsträger im Kontext der Internationalisierung hingewiesen. Nun geht es um Intui­tion, Emotion und Vertrauen bei der Internationalisierungsentscheidung. Als hilfreiches Instrument hierfür kann das «Emotional basierte Entscheidungsmodell» dienen.
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Die Internationalisierung hat weite Teile der KMU-Landschaft erfasst. Dabei ist klar, dass jede Form der Internationalisierung für das betreffende Unternehmen mit Risiken verbunden ist. Organisationen versuchen meist allfällige Risiken im Kontext des Rationalitätskalküls durch Reduktion von Unsicherheit zu steuern. Grossunternehmen vermindern Ungewissheit und Unsicherheit bei der Internationalisierung unter anderem durch klassische strategische Planung. Diese Planung umfasst beispielsweise umfangreiche Analysen und Bewertungsaktivitäten (Due Diligence) von internationalen Standorten.

Oft werden auch Unternehmensberater aufgeboten, um eine möglichst klare und «objektivierte» Faktenlage für die bevorstehende Internationalisierung bereitzustellen. Zudem nutzen Grossunternehmen ihre meist funktionale Organisation und verteilen die Aufgaben zur Internationalisierung nach klassisch betriebswirtschaftlichen Kriterien, zum Beispiel auf spezialisierte Stäbe.

Eine solche Perspektive erlaubt es dann auch, die Internationalisierung als Folge organisierter, intentionaler Handlungen im Sinne von Planung und Durchführung sowie als nachvollziehbare Phasen rational zu konstruieren.

KMU ihrerseits favorisieren andere Wege der Internationalisierung. Oft konzentrieren sich die Management- und Entscheidungsfähigkeit auf einige wenige Führungskräfte oder auf die Person des (Familien-)Unternehmers. Das heisst, KMU verfügen meist weder über die Human Ressourcen und Strukturen von Grossunternehmen, auf die sie die Last der Internationalisierung verteilen können, noch über die Mittel, diese aufzubauen, um die Internationalisierung wie Grossunternehmen zu bewältigen.

KMU auf Intuition fokussiert

So bleibt dem KMU-Unternehmer als Mittel der Komplexitäts- und Unsicherheitsreduktion meist nur mehr übrig, sich mehr oder weniger auf die Intuition sowie die verfügbaren Kompetenzen zu verlassen. In der Folge werden Entscheidungen aus einer Kombination von Erfahrung, Bauchgefühl und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die des Netzwerkes getroffen. So überwindet der KMU-Unternehmer schon aus strukturellen Gründen die Fiktion eines klar definier- und kalkulierbaren Internationalisierungsentscheids und wird gezwungen, vor dem Hintergrund dieser Ungewissheit ohne «klares, klassisch-rationales Sichtfeld» auszukommen.

Nun stellt sich die Frage, wie intuitiverationale Entscheide zur Internationalisierung in KMU getätigt werden. Wie gestaltet sich das Zusammenspiel von Ratio und Emotion und wie können KMU von dieser Situation und ihrem spezifischen Vorgehen profitieren? Konkret soll hier ein Entscheidungsmodell vorgeschlagen und diskutiert werden, das die Entscheider eines KMU, egal ob Eigentümer oder angestellte Manager und Managerinnen, dabei unterstützt, ihre Entscheidungsprozesse systematisch in Augenschein zu nehmen und dadurch aus einer Bauchentscheidung eine bewusste emotional basierte Entscheidung zu machen.

Das Entscheidungsmodell

Es scheint aus KMU-Sicht wenig hilfreich, weitere, klassisch-rationale Entscheidungsmodelle entwickeln zu wollen, die von einer Kompetenz- und Ressourcenlage ausgehen, wie sie letztlich nur Grossunternehmen zur Verfügung stehen (rationale Entscheidungsmodelle setzen tendenziell unbegrenzte kognitive Fähigkeiten des Entscheidenden und einen perfekten Informationsstand über die Alternativen und die Folgen des jeweiligen Entscheidungshandelns voraus).

Das nachfolgende Entscheidungsmodell soll KMU eine Orientierung geben, wie sie vorgehen können, wenn es darum geht, sich im Kontext eines Internationalisierungsvorhabens selbstbewusst und sicher zu positionieren.

Die Rolle der KMU

Im «Emotional basierten Entscheidungsmodell» (siehe Abbildung) steht zunächst einmal die Person des KMU-Unternehmers im Vordergrund. Sie ist als Entscheidungsprämisse, als Voraussetzung für die Internationalisierungsentscheidung zu verstehen. Es liegt in der Unternehmerpersönlichkeit verankert, wie auf das Thema der Internationalisierung geblickt wird.

Der Internationalisierungserfolg eines KMU hängt stark von einzelnen Unternehmerpersönlichkeiten und dem richtigen Führungsverhalten dieser Schlüsselpersonen ab. Das Internationalisierungsverhalten wird insbesondere von subjektiven, psychologisch orientierten Merkmalen der Internationalisierungsentscheider beeinflusst. «Gerade in den subjektiven Charakteristika liegen intangible Ressourcenpotenziale begründet, die von Unternehmer zu Unternehmer differieren und somit einen wesentlichen Einfluss auf die Entscheidung für ein ‹going international› ausüben» (Weber 1997). Die Charaktereigenschaften des Unternehmers, seine Werte und Normen sowie seine grundsätzlichen Einstellungen gegenüber Internationalisierung tragen wesentlich zur Entscheidung über die Aufnahme von Auslandsaktivitäten bei.

Die grundsätzliche Einstellung bezüglich der Internationalisierung, die auch als Global Mindset (das «Wollen») bezeichnet werden kann, und die interkulturellen Fähigkeiten des Unternehmers (interkulturelle Kompetenz als das «Können») sowie die unternehmerische Motivation für ein internationales Engagement des KMU kann man insgesamt als International Entrepreneurial Orientation (das «Tun und Lernen») bezeichnen, die bei den Internationalisierungsentscheidungen und -erfolgen ihren Beitrag leistet (Schreier /Gong 2013). Die Persönlichkeit des Unternehmers ist ausserdem durch bereits gesammelte Internationalisierungserfahrungen geprägt («Wissen»). International tätigen Unternehmern wird oft auch attestiert, sie seien innovativer, flexibler und dynamischer als diejenigen, die ausschliesslich am heimischen Markt agieren.

Kulturelle Intelligenz

Verfügt der KMU-Entscheidungsträger über ein Selbstbild und ein Selbstbewusstsein und -vertrauen, welches positiv auf eine Internationalisierung ausgerichtet ist, dann dürfte klar sein, dass dieser «Persönlichkeitsfilter» eher verstärkend auf anstehende Fragestellungen diesbezüglich wirkt. Von daher muss jeder Vorsteher eines KMU sich und seine «kulturelle Intelligenz» selbst hinterfragen, will er der Internationalisierung eine realistische Chance einräumen. Kulturell intelligent beschreibt einen Unternehmer, der Know-how über Kultur und Kulturunterschiede besitzt (Wissenskomponente), sein Führungsverhalten im interkulturellen Kontext reflektiert und anpassen kann (Lernkomponente), die Motivation hat, interkulturell aktiv zu werden, und last but not least das Handeln auch wagt (Verhaltenskomponente).

Aufgrund der bereits genannten, eher wenig ausgeprägten personellen sowie finanziellen KMU-Ressourcen und damit zusammenhängend gering vorhandenen Internationalisierungskompetenzen (dies bezieht auch die Kompetenzen über prinzipiell vorhandene Entscheidungsmodelle mit ein), ist es für ein KMU wichtig, sich alternativen Quellen für die Entscheidungsfindung zuzuwenden. Diese sind im Modell als vertikale Säulen dargestellt. Es handelt sich um Erfahrungen, Intuition und Netzwerke /Beziehungen.

Das immaterielle Kapital

Erfahrungen

In Abgrenzung zur Entscheidungsprämisse der Entscheiderpersönlichkeit, die auch auf Elemente von persönlichen Erfahrungen zurückgreift, geht es hier um das bewusste Reflektieren von eigenen und innerhalb der Organisation vorhandenen Internationalisierungserfahrungen, die durchaus auch bei anderen Personen liegen können. In der bewussten Beobachtung liegen also auch die informellen organisationalen Erfahrungen, auf die zurückzugreifen sind und die als Quelle in die Internationalisierungsentscheidung mit einfliessen sollten.

Schliesslich braucht es eine bewusste unternehmerische Entscheidung, auf sol-che Erfahrungen zugreifen zu wollen. Internationalisierungsentscheide werden hierbei umso robuster, je mehr der Entscheider reflexive Beobachtungen – bei denen der Entscheider beobachtet, wie andere auf ihn und seine Entscheidungsvorhaben reagieren – zulässt. Reflexive Beobachtungen beinhalten die Möglichkeit und Aufforderung, das eigene Verhalten zu justieren und Entscheidungsvorhaben anzupassen (Grichnik /Immerthal 2005). Dies korrespondiert direkt mit den beschriebenen Anforderungen an die kulturell intelligente Person des Entscheiders.

Intuition

In der Fachliteratur wird darauf verwiesen, dass Intuition als komplexes Muster des menschlichen Erfahrungswissens zu verstehen ist (Schmidt 2009). Wir verstehen Intuition als eine wissensbasierte Eingebung, die stark mit einem bestimmten Gefühl verbunden ist, dass etwas in einer bestimmten Weise eingeschätzt wird, dass etwas zu tun oder zu lassen ist. Es ist eine Eingebung, die vor der rationalen Vernunft und Reflektion eintritt und uns ein Gefühl zu einer bestimmten Entscheidung nahelegt (Busser 2012). Greift man die oben genannte Definition auf, dann soll damit deutlich werden, dass anders als noch in der ersten vertikalen Säule der Erfahrung hier auf ein Konzept zurückgegriffen wird, das sich aus mehr speist als aus dem bewussten Erfahrungswissen des Entscheidungsträgers. Hier fliessen die vielen Beobachtungen ein, die ein Mensch im Laufe seines Lebens tätigt und abspeichert. Auf diese Erfahrungen aktiv zurückgreifen können wir nur, wenn wir die Intuition als eine solche Quelle ernst nehmen und uns für die Nutzung dieser Ressource bewusst entscheiden. Der Untermehmer ist angehalten, seinen Intui­tionen folgend explizite Freiheitsgrade für sich und seine Organisation einzuräumen. Gerade mit limitierten Ressourcen ist ein offener Dialog innerhalb des Unternehmens mit entscheidungsrelevanten Schlüsselpersonen angezeigt, der explizit der Intuition Raum gibt, um zu einer legitimierten Entscheidung zu gelangen.

Netzwerke / Beziehungen

Als dritte vertikale Säule des Modells spielen Netzwerke und Beziehungen eine Schlüsselrolle, wenn es darum geht, unsicherheitsabsorbierende Quellen für einen Internationalisierungsentscheid zu nutzen. Befindet man sich in Netzwerken, deren Mitglieder sich bereits interna­tionalisiert haben und für diese eine internationale Präsenz selbstverständlich sind, sollte es möglich sein, von den Erfahrungen dieser zu profitieren. Zusätzlich eröffnen externe Wissensträger in den internationalen Zielmärkten vor Ort Zugänge zu möglichen Geschäftspartnern, die genutzt werden sollten. Bei den beschriebenen Netzwerken und Beziehungen geht es also um die Partizipation an einem bestehenden «sozialen Kapital», an der bewussten Orientierung an ein existentes soziales oder organisationales Umfeld von Akteuren, die bereits über Internationalisierungserfahrungen verfügen. Sich auf Netzwerke und Kooperationen einzulassen, bedeutet eine Entscheidung für ein Beziehungsmanagement.

Diese Beziehungen sind es dann, die im guten Fall zu positiven Einstellungen/Emotionen und Vertrauen in Bezug auf eigene Internationalisierungsvorhaben führen, wenn auf diesem Gebiet bisher keine oder wenig eigene Erfahrungen vorliegen. Internationalisierung ist damit nicht nur individuelle Leistung des Entscheiders, sondern bedeutet vielmehr, dass ein KMU auch organisationsfremde Rückmeldungen reflektiert und in die eigene Beobachtungs- und Entscheidungsleistung integriert.

Eine unbewusste Konstruktion

Verbindet man gedanklich alle drei vertikalen Säulen, so wird klar, dass es vor der Internationalisierungsentscheidung des KMU eine bewusste Entscheidung des Unternehmers braucht, in die genannten Säulen zu investieren respektive sich diesen bewusst zuzuwenden. Entscheidungen zur Internationalisierung von KMU finden bereits auf einer Stufe vorher statt. Die Entscheidungssituation zur Internationalisierung, die zunächst als Ausgangspunkt erscheint, gerät bei näherer Betrachtung zu etwas Sekundärem, das einer unternehmerischen Entscheidung auf Basis der Intuition folgt und tendenziell vorgegeben ist. Jede unternehmerische Entscheidung geht mehr oder weniger aus einer intuitiven, aber unbewussten Konstruktion hervor, die wir scheinbar für selbstverständlich halten, ohne sie selbst als Ergebnis einer Entscheidung verstanden zu haben (Grichnik / Immer-thal 2005). Es braucht die – durchaus rationale – Entscheidung, sich Erfahrungsquellen zuzuwenden, es braucht die Entscheidung, Intuition wahr- und ernst zu nehmen. Und es braucht die Entscheidung für die bewusste Investition in ein erfahrenes, Vertrauen basiertes, internationales soziales Kapital zu investieren, um die eigenen Erfahrungen und Kompetenzen zu ergänzen. All das sind Vorentscheidungen, die vor dem eigentlichen Internationalisierungsentscheid eines KMU gefällt werden müssen.

Die intuitive Energie

Die drei Säulen unternehmerisch gelebt, führen im dargestellten Modell zu einer «Aufladung» der horizontalen Säule des Vertrauens. Vertrauen ist dabei zu verstehen als eine Investition in eine (riskante) Vorleistung, von der nicht klar ist, ob sie sich auszahlt (Luhmann 2000). Die Entstehung von Vertrauen respektive Vertrauenspotenzial benötigt Zeit und diese wird fast automatisch generiert durch die Investitionen in die vorgenannten Säulen. Letztendlich braucht es das Vertrauen als eine Form von Handlungsenergie, um in eine unsichere Ausgangslage, hier die Internationalisierung, zu investieren.

Fast spiegelbildlich dazu befindet sich als Grundlage von Vertrauen die Emotion, auf der die Säulen der Erfahrung, Intuition und Netzwerke /Beziehungen aufbauen. Aus der Entscheidungs- und Emotionsforschung ist bekannt, dass Entscheidungen nur getroffen werden können, wenn sie emotional aufgeladen und damit von Bedeutung sind (Busser 2012). Es bestehen in unserem Modell Wechselwirkungen zwischen den senkrechten Säulen und der Emotion. Zum einen besteht bereits eine bestimmte, wie auch immer gelagerte Emotionslage in Bezug auf Erfahrungen, Intuition und Netzwerke /Beziehungen. Diese Emotionslage ist Grund, ob und wie in Bezug auf die Investition in diese Bereiche investiert wird. Gleichzeitig führt die Zuwendung hin zu diesen Säulen zu einer Veränderung von Emotionen, die eine Hinwendung zu diesen Bereichen begünstigt oder behindert.

Durch diese Aktivitäten wird nicht nur die Emotionsgrundlage verändert, sondern ebenfalls führt dies zu einer Veränderung der Vertrauensbasis. Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Hat der KMU-Vorsteher prinzipiell ein gutes Gefühl für die Investition in den Bereich der Netzwerke und Beziehungen, verspürt er Neugierde und erwartet, dass es ihn gerade im Hinblick auf eine mögliche Internationalisierungsentscheidung bereichert. Entpuppt sich die geleistete Investition als fruchtbar, dann wird zum einen die emotionale Basis positiv aufgeladen, so dass vermehrt eben dort investiert wird bzw. die Wahrscheinlichkeit steigt, dass er sich für das weitere Agieren in den Netzwerken entscheidet. Wir haben es dann mit einer positiven, sich verstärkenden Rückkopplungsschlaufe zu tun (Dievernich 2012). Genanntes Vorgehen führt auf der gegenüberliegenden Seite zu einer Zunahme des Vertrauens in Bezug auf das eigene Handeln in diesen Bereichen sowie auf das Entscheiden für (oder gegen) ein «Going International».

Das dargestellte «Emotional basierte Entscheidungsmodell» zur Internationalisierung verweist mit den horizontalen wie vertikalen Säulen auf für KMU eher leicht zugängliche Ressourcen, im Vergleich zu den Entscheidungsapparaten und -instrumenten, wie sie Grossunternehmen nutzen. Diese Ressourcen sind auf der zwischenmenschlichen, sozialen und emotionalen Ebene anzusiedeln und werden durch das Modell bewusst greifbar gemacht. Insofern trägt dieses Modell zu einem rationalisierten respektive rationalen Umgang mit eher im Unternehmerkontext als nichtrational geltenden Faktoren bei.

Ist auf dieser eher emotionslastigen Ebene eine Entscheidung getroffen, so bleibt es ratsam und den KMU-Entscheidungsträgern offen, sich bei entsprechenden Finanz- und Zeit-Ressourcen, Kompetenz- und Interessenlagen noch den klassischen Entscheidungsmodellen und -hilfen zuzuwenden, die darauf abzielen, in den unterschiedlichen Phasen der Internationalisierung (market selection /decision to enter /entry modes /factors affecting entry modes) zu rational abgesicherten Entscheidungen zu kommen.

Sinn der Internationalisierung

Das hier präsentierte Entscheidungsmodell ist primär auf die Person des KMU-Entscheidungsträgers ausgerichtet, was nicht ausschliesst, dass auch andere Führungskräfte in grösseren Unternehmen oder Konzernen gewinnbringend darauf zugreifen können (zudem soll nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Modell auch bei anderen komplexen Entscheidungsthemen und -situationen greift, die über das Thema der Internationalisierung hinausgehen). Jedoch, und das erscheint uns wichtig, ist es ein Modell, welches primär auf (Einzel-)Personen zugeschnitten ist, die Entscheidungen unter Unsicherheiten treffen müssen und die a) entweder keinen direkten Zugriff auf die klassischen rationalen Entscheidungsverfahren haben oder b) auf diese zwar zurückgreifen können, jedoch sich allein mit diesen emotional nicht genug abgesichert fühlen.

Dem Modell liegt die Vorstellung zugrunde, dass gerade im Fall von Internationalisierungsbemühungen Entscheidungen unter besonderer Unsicherheit getroffen werden müssen. Zudem sind im Rahmen von Internationalisierungsaktivitäten durch klassische Stereotypen meist schon Emotionen vorhanden, die nur durch eine proklamierte Offenheit gegenüber der Intuition und den Prozessen der Vertrauensbildung überwunden werden können. Treten Unsicherheiten auf, dann reagieren Entscheidungsträger mit einem Sinnbildungsprozess, um wieder eine Form handhabbarer sozialer Realität und Entscheidungsbasis zu erhalten. Dazu greifen sie auf alle möglichen Ressourcen zu, um Erklärungen zu produzieren, die ihnen die Unsicherheit ertragbar und ggf. erklärbar machen. Dieser Prozess findet sowohl individuell als auch sozial konstruktiv statt.

Für die hier aufgeworfene Frage der Internationalisierung von KMU bedeutet dies, dass der Unternehmer die Unsicherheit durch den Zugriff auf Erfahrungen innerhalb der Organisation reduzieren kann, dass er bei entsprechender Erfahrung seiner Intuition folgen kann und dass er im Kontext seiner Netzwerke organisationale Perspektiven aufnehmen und sie zu eigenen Argumenten für oder gegen eine Internationalisierung formen kann. Das alles trägt zu einer Entscheidungsgrundlage bei, die emotional basiert und gefestigt ist. Wenn dann noch die klassisch rationalen Modelle – in welchem Ausmass auch immer – hinzugezogen werden, so führt das auf der Emotionsebene zu einer Stabilität, die die klassisch rationalen Entscheidungsmodelle alleine nicht offerieren.

KMU-Unternehmer wägen ab, in welchem Umfang sie Intuition implizit oder besser noch explizit zulassen und in welchem Ausmass klassische Analysen zu erarbeiten sind, um einen Internationalisierungsentscheid fällen zu können. Zur Rationalität neigende Personen werden versucht sein, so viel wie möglich an Analyse zu erhalten, mit Intuition vertraute Unternehmerinnen und Unternehmer hingegen werden tendenziell ihrem Bauchgefühl einen grösseren Freiheitsgrad einräumen und der Paralyse durch Analyse vorzubeugen wissen. Wir sehen einen Wettbewerbsvorteil für KMU in Internationalisierungsfragen darin begründet, dass sie sich – aufgrund ihrer an vielen Stellen vorhandenen Restriktionen – dem naheliegenden Kern aller Entscheidungen gegenüber offen zeigen können und müssen: der Emotionalität und Intuition. Dafür will dieses Modell und diese Diskussion sensibilisieren und in Folge befähigen.

Literatur

Busser, D. (2012): Nachhaltigkeitsaspekte in Theorie und Praxis der Entscheidungsfindung, Wiesbaden: Gabler Verlag.

Dievernich, F. (2012): Pfadabhängigkeitstheoretische Beiträge zur Zukunftsgestaltung. In: V. Tiberius (Hrsg.): Zukunftsgenese. Theorien des zukünftigen Wandels. Berlin: Springer VS.

Grichnik, D./Immerthal, L. (2005): Rationalität und Risiko der Gründungsentscheidung. In: DBW 65, S. 563-583.

Luhmann, N. (2000): Vertrauen. Ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität. UTB.

Schmidt, M. (2009): Management – Handlungsmuster erfolgreicher Führungskräfte. Wiesbaden: Gabler Verlag.

Schreier, C./Gong, J. (2013): Die Unternehmerpersönlichkeit entscheidet über den Erfolg. In: «KMU-Magazin», Nr. 3/2013.

Weber, P. (1997): Internationalisierungsstrategien mittelständischer Unternehmen. Wiesbaden.

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