Corona hat uns durchgeschüttelt. Dies zeigte und zeigt Wirkung auf den zwei scheinbar widersprüchlichen Ebenen «Veränderung» versus «Verstetigung». Einerseits erleben und beobachten wir extrem schnelle Veränderungen und zum Teil herzzerreissende Schicksale im gesundheitlichen, sozialen, beruflichen und persönlichen Bereich. Andererseits führt die Covid-19-Situation dazu, dass bereits zuvor im Ansatz wahrnehmbare Trends verstärkt und dadurch verstetigt werden. Gerade die Phänomene des Verstetigens haben mich über die letzten Wochen beschäftigt, und zwar bezüglich des Führens von Teams und Organisationen. Im Folgenden möchte ich einige meiner Gedanken darüber teilen, was wir über «gute Führung» schon lange wissen – oder hätten wissen müssen – und Corona uns nun als wirklich wesentlich bestätigt hat.
Notwendigkeit der Agilität
Ich führe neben meiner Forschungs-, Unterrichts- und Beratungsarbeit den Leistungsbereich Weiterbildung des Instituts für Betriebs- und Regionalökonomie, das heisst knapp 60 Weiterbildungsangebote mit jeweils dafür zuständigen Studienleitenden. Ich habe in dieser Funktion als Folge der Covid-19-Situation das erlebt, was ich mannigfach auch bei Führungskräften anderer Organisationen beobachtet habe: eine zunächst totale Überforderung. Die Corona-Krise hat viele Teams und Organisationen so schnell und so umfassend getroffen, dass in den ersten Tagen und Wochen der Krise eine proaktive Gestaltung der Situation nur sehr schwer – wenn überhaupt – möglich war. Vielmehr standen Ungewissheiten im Vordergrund: Was sind die neuen
Rahmenbedingungen, und was bedeuten diese konkret für mich und uns? Wie lange hält dies an? Wie soll unsere Organisation – heruntergebrochen in jeden Teilbereich und in jedes Teilprojekt – darauf reagieren? Welche Businessmodelle sind noch gültig, und wo müssen wir auf welche Art und Weise möglichst schnell innovieren? Wie werden sich die Mitarbeitenden verhalten? Und wie unsere Kunden? Angesichts der Geschwindigkeit und Umfasstheit der durch Corona angestossenen Veränderungen war es zumeist nicht möglich, diese Fragen strategisch und zentral zu beantworten. Damit wäre eine Organisation überfordert gewesen. Vielmehr war es nötig, dass jeder Mitarbeitende für seinen Teilbereich schnell dezentrale Lösungen und Vorgehensweisen definierte, «bottom-up» auf Basis seines Gespürs für die jeweiligen Bedürfnisse und Notwendigkeiten. Es fand also vielfach ein umfassendes In-Verantwortung-Nehmen sowie eine Entscheidungsdelegation statt, sodass dezentral schnelle und möglichst adäquate Lösungsfindungen im Kontext grosser Ungewissheit überhaupt möglich wurden. Dieses dezentrale In-Verantwortung-Nehmen von Mitarbeitenden sowie eine Entscheidungsdelegation «nach unten» kannten wir bereits zuvor unter dem Stichwort «Agilität». Und das agile Führen stellt diesbezüglich sicher, dass jeder Einzelne sowie Projektteams befähigt sind, dezentral auf Veränderungen zu reagieren. Denn die Notwendigkeit des schnellen und agilen Veränderns ist aufgrund zahlreicher Trends nötig, zum Beispiel als Folge der Digitalisierung. Corona hat uns die Notwendigkeit des Sich-schnell-Veränderns nur auf radikale Weise vor Augen geführt. Die Notwendigkeit der Agilität beziehungsweise des agilen Führens wird aber relevant bleiben, auch nach dem Abklingen der Covid-19-Krise.