Forschung & Entwicklung

Büro der Zukunft (Teil 3 von 3)

Case Study: Der Weg zu neuen Arbeitswelten

Die Mobiliar hat an ihrem Hauptsitz in Bern eine Bürofläche von rund 2000 Quadratmetern zu einer «neuen Arbeitswelt» umgebaut. Das Ziel: offener, schneller und innovativer werden. Der Weg dahin fordert alle – vom Projektleiter bis zu den Mitarbeitenden.
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Die Mobiliar stellt sich auf für die (digitale) Zukunft – und hat so einige Pläne, um die erwünschten Ziele zu erreichen. Zum Beispiel am Hauptsitz in Bern: Die Mitarbeitenden werden nach und nach in «neue Arbeitswelten» einziehen. Da heisst es, Abschied nehmen von Einzelbüro, festem Arbeitsplatz sowie Papier und neu beginnen im offenen Bürobereich mit Zonen für Ruhe und Konzentration, Austausch und Gruppenarbeit.

Am Anfang steht die Vision

Um weitere Erfahrungen zu sammeln, hat die Mobiliar das Pilotprojekt «work@mobi» initiiert. Dabei erleben rund 160 Mitarbeitende aus ganz verschiedenen Abteilungen die neuen Arbeitswelten. Der Schritt fordert Mitarbeitende wie Projektleitung; dessen war sich die Mobiliar bewusst.

Deshalb hat sie 2015 einen Change-Prozess eingeleitet, der mit einer Vision begann: Ein Projektteam mit Vertretern verschiedenster Abteilungen einigte sich darauf, sich mehr zu bewegen, direkter mit anderen Abteilungen zusammenzuarbeiten, neues Wissen zu generieren und dadurch innovativer zu werden. Die Mobiliar wollte ihre Vision auch über den Raum realisieren. Das Raumkonzept der Bürofläche wurde so gewählt, dass sich die Bewegung und Kommunikation wie von alleine einstellen – die Umgebung beeinflusst das Verhalten. Hierzu griff der Versicherer auf Spezialwissen zurück und holte Witzig The Office Company als Unterstützung ins Projektteam. Dort freute man sich über die gute Vorbereitung: «Wenn eine klare Vision vorhanden ist, hat das Projekt bessere Chancen, als wenn die Veränderung aufgrund einer Einzelinitiative initialisiert wird», sagt Thomas Breitschmid von Witzig The Office Company.

Die Projektmitarbeitenden von Witzig unterstützten die Auftraggeberin Mobiliar dabei, die Bedürfnisse der Mitarbeitenden entsprechend ihrer Funktion genau zu erfassen, zu analysieren und mit der Vision abzugleichen. Das verlange Feingefühl und regelmässige Gespräche mit den künftigen Nutzern neuer Arbeitswelten, meint Breitschmid: «Es ist sehr wichtig, deren Meinungen und Ideen abzuholen. Gleichwohl darf man keine Erwartungen schüren, die man später nicht erfüllen kann.»

Von Arena bis Newsroom

Das Projektteam von Witzig The Office Company zeichnete die Pläne der Arbeitszonen, schlug Materialien vor, entwarf Einbauten und plante Anschlüsse. Dabei arbeitete es eng mit Kerim Seiler zusammen. Der Künstler gestaltete im Auftrag der Mobiliar das Farbkonzept und kreierte Kunstwerke für die neuen Arbeitswelten.

Das Resultat: viel Holz, warme Farben, angenehme Textilien und geschwungene Formen. Da gibt es Rückzugsnischen, deren Design an Zugsabteile erinnert, massive Holztische, Trennwände aus farbigem Glas, bunte Staumöbel, filzbezogene Sitzecken oder Fauteuils in Glaskuben. Besonders auffällig daran: die Arena, in der sich auch grös­sere Gruppen austauschen können sowie der Newsroom mit Grossbildschirmen. Von dort aus koordiniert die Mobiliar all ihre Kommunikationsaktivitäten. Die Teams von Unternehmenskommunikation, Unternehmensentwicklung, Corporate Social Responsibility, Human Development sowie der Unternehmensleitung arbeiten seit Dezember 2015 in der neuen Arbeitsumgebung.

Damit ist das Projekt jedoch längst nicht abgeschlossen: «Change Management hört nicht am Tag auf, an dem die Mitarbeitenden einziehen», sagt Breitschmid. Sie brauchen die nötige Zeit, um das vielfältige Raumangebot kennenzulernen, damit umzugehen und ihre Arbeitsweise anzupassen. Auch ein konstanter Erfahrungsaustausch ist wichtig, um sich gegenseitig neue Impulse zu geben. Erst, wenn sich die Routine einstellt, ist es für die Bürogestalter wieder Zeit, Feedback zu sammeln und den Raum wo nötig anzupassen.

Neue Kontakte

Eine, die sich schon länger mit dem praktischen Alltag in neuen Arbeitswelten beschäftigt, ist Nadja Vaucher. Bis zum Start von «work@mobi» arbeitete die Direktionsassistentin in einem Einzelbüro, in Sichtweite mit ihrer Chefin, der Leiterin Human Development Nathalie Bourquenoud (siehe Interview auf der letzten Seite).

Als die Mobiliar ihr Pilotprojekt startete, wurde vieles anders. Vaucher zog für die Zeit des Büroumbaus in ein Grossraumbüro in einem anderen Gebäude. Ihre Chefin und einen Teil ihrer Kollegen aus dem Human Development sah sie damit nur noch selten. Weil sie ihren Arbeitsplatz täglich wechselte, knüpfte sie dafür neue Kontakte, zum Beispiel zu den IT-Mitarbeitenden, die das Büro mit ihr teilten: «Dadurch erfuhr ich, was sich aus­serhalb meiner Abteilung Interessantes in der Firma tut», sagt sie.

Digital kommunizieren

Um trotz der physischen Distanz mit ihrer Chefin Nathalie Bourquenoud und ihrem Team in Kontakt zu bleiben, begann sie, vermehrt digitale Kommunikationsmittel zu nutzen: «Dadurch habe ich viel Neues gelernt», erzählt Nadja Vaucher. Ihren Laptop sowie das Headset hat sie seither stets dabei – egal, ob die Direktionsassistentin im Büro, zu Hause oder unterwegs arbeitet.

Mehr Entscheidungsfreude

Damit es mit der Zusammenarbeit trotz dieser «Fernbeziehung» klappt, braucht es aber laut Nadja Vaucher nicht nur die angemessenen Kommunikationstechnologien. Ebenso zählt auch die eigene Einstellung dazu: «Meine Chefin ist ansprechbar, unkompliziert und flexibel», meint die Direktionsassistentin. «Wenn etwas dringend ist, kann ich sie jederzeit per SMS erreichen.» Alle anderen Fälle nimmt die Direktionsassistentin nun viel häufiger selbst in die Hand: «Ich habe mehr Mut, selbst zu entscheiden», stellt Nadja Vaucher fest.

Damit handelt Vaucher genau so, wie es die Vision von «work@mobi» will: «Alle Mitarbeitenden werden in die Pflicht genommen. Es gelten die Grundsätze von Vertrauen, Eigenverantwortlichkeit und Beweglichkeit», erklärt die Direktionsassistentin, die selbst Mitglied des Projektteams von «work@mobi» ist. Ihr eigener Chef zu sein, gefällt Nadja Vaucher. Und wie die Arbeit damals im alten Zweierbüro noch war, hat Vaucher jedenfalls schon fast vergessen.

Fünf Fragen an Nathalie Bourquenoud,  Leiterin Human Development bei der Mobiliar sowie Initiantin des Pilotprojekts «work@mobi».

Frau Bourquenoud, die neue Arbeitswelt bietet viele Freiheiten – geht es ganz ohne Regeln?
Um produktiv miteinander zu kommunizieren und zu arbeiten, braucht es auch in der neuen Arbeitswelt Regeln. Aber sie kommen nicht von oben: Die Teams stellen ihre eigenen Regeln auf. Zum Beispiel geht es darum, wie oft man sich im Plenum trifft oder wie viele Tage Home Office sinnvoll sind.

Auch Sie arbeiten jetzt in der Pilotfläche, mitten in Ihrem Team. Worin se­hen Sie den Vorteil?
Im Büro ohne Türen und Mauern werden die Entscheidungswege kürzer. Manche Sitzung erübrigt sich, da sich bei informellen Gesprächen eine Lösung ergibt. Im Team gehen wir ungezwungener miteinander um. Es macht mich als Chefin sichtbarer und auch menschlicher, wenn die Mitarbeitenden nämlich sehen, dass ich ganz Ähnliches tue wie sie – E-Mails beantworten zum Beispiel.

Haben Sie denn keine Angst vor einem Statusverlust?
Aber nein. Die Fähigkeit, etwas zu bewegen ist wichtiger als die Macht auf dem Chefsessel.

A propos Bewegung: Sie sind oft nicht in Ihrem Büro, sondern gerade unterwegs oder an einer Sitzung. Wie bleiben Sie während diesen Abwesenheiten mit Ihrem Team in Kontakt?
Da setzen wir auf digitale Kommunikation. Im Human Development-Team haben wir zum Beispiel eine Whats App-Gruppe gegründet. So erfahren alle, womit sich die anderen beschäftigen, egal, wo sie gerade sind.

Stört Sie das mauerlose Büro nie? Zum Beispiel, wenn Sie vertrauliche Gespräche führen?
Nein. Ich habe inzwischen gar nicht mehr das Bedürfnis, eine Tür hinter mir zuzumachen. Dasselbe beobachte ich auch bei Mitarbeitenden. Mit der Zeit genügt ihnen eine Rückzugsnische für Gespräche unter vier Augen. Selbstverständlich stehen für vertrauliche Gespräche auch geschlossene Räume zur Verfügung.

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