Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Bilanzkosmetik statt Rentenreform

Die Renten sind immer schwieriger zu finanzieren und sind damit eines der grössten anstehenden Probleme in naher Zukunft. Der ehrliche Umgang mit dem Thema sollte endlich beginnen.
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Kaum ein Thema bewegt die Politik und die Gemüter der Wähler so stark wie die Diskussion um die Renten. Die Probleme sind scheinbar klar: Wir werden immer älter, die Zahl der Rentner steigt im Vergleich zu den Beitragszahlern. Und weil es immer weniger Einzahler pro Rentner gibt und die Lebenserwartung kontinuierlich steigt, weiten sich die Defizite in den Vorsorgewerken kontinuierlich aus. Im Kern geht es darum, dass mehr Menschen aus dem System austreten beziehungsweise pensioniert werden, als neue Beitragszahler hinzukommen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen rechnet denn auch mit einem kumulierten Defizit bei den Sozialwerken im zweistelligen Milliardenbereich bis zum Jahr 2030. Reformen, wenn sie denn zustande kommen, werden begleitet von Zeitungsartikeln der Art «Wer profitiert und wer verliert». Die von der Politik diskutierten Zumutungen reichen von der Er­höhung des Rentenalters, der Absenkung des Rentenniveaus über die Erhöhung steuerfinanzierter Anteile der Renten hin zur Erhöhung der Zahl der Beitragszahler. Gerade Letzteres, also die Finanzierung über Zuwanderung sicherzustellen, ist gesellschaftspolitisch kaum realisierbar.

Trügerische Sicherheit

Zweifelsohne, die Schweiz befindet sich im Vergleich zu vielen Ländern mit ihrem Drei-Säulenprinzip – AHV, Pensionskasse (BVG) und private Vorsorge – in einer im Vergleich komfortablen Lage. Insbesondere die zweite Säule, das BVG-Obligatorium, das auf dem Ansparen von Kapital während der Arbeitsjahre beruht, bildet das Fundament, auf dem die zukünftigen Renten und damit die Hoffnungen der Pensionäre der Zukunft ruhen. Doch auch die scheinbar so sichere zweite Säule ist nicht so solide, wie sie scheint. Die Pensionskassen müssen infolge des demografischen Wandels immer mehr Geld auszahlen. Trotzdem scheint die Situation bei den Pensionskassen, die im Gegensatz zur AHV ein kapital- und kein umlagenbasiertes System darstellen, vergleichsweise stabil zu sein. Pensionskassen verwalten das durch Zwangssparen angehäufte Kapital und verrenten dieses, wenn die Zeit «reif» ist.

Doch die Situation der Pensionskassen ist keinesfalls so gut wie behauptet. Die bilanzierten Deckungssummen für künftige Renten könnten sich im Kontext des demografischen Wandels als Illusion erweisen. Gegenwärtig ähnelt das BVG-System denn auch der AHV mehr, als es zunächst scheint, und die heutigen Probleme sind mehr oder weniger «nur» bilanztechnischer Natur. Noch bis circa 2020 reichen die kumulierten Zahlungen der Pensionskassenversicherten aus, um alle zu leistenden Renten der zweiten Säule Monat für Monat zu begleichen. Das heisst, es kommt genug Geld in die Portokasse, um die kumulierten Rentenansprüche zu bedienen. Im Unterschied zur AHV bleibt gegenwärtig sogar noch Geld übrig, das der Kapitalanlage dient. Die Probleme bei den Pensionskassen beruhen aktuell also nicht darauf Renten nicht bezahlen zu können, sondern mit dem zusätzlich angelegten Kapital auf den erforderlichen Deckungsgrad zu kommen, um zukünftige Ansprüche befriedigen zu können. Der Nageltest für das System kommt dann, wenn die Sparbeiträge der aktiv Versicherten nicht mehr ausreichen, um die laufenden Renten zu begleichen. Ist dieser Umkehrpunkt erreicht, müssen die Pensionskasse anfangen zu «entsparen» beziehungsweise Vermögenswerte, Kapitalanlagen zu verkaufen. Dann wird sich zeigen, was die Bilanzen der Pensionskassen wert sind und ob sich das Angesparte wirklich zu den bilanzierten Werten «versilbern» lässt.

Das Ende des «Aufbaus von Ersparnissen»

Den Bilanzen der Pensionskassen droht aber noch weiteres Ungemach. Eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel zur Wirkung der demografischen Entwicklung kommt zu dem Schluss, dass höhere Marktzinsen und potenziell mehr Inflation die (Über-)Alterung der Gesellschaft begleiten werden. Denn das Alter ist nach Meinung vieler Ökonomen entscheidend für das Sparverhalten – und damit für das Zinsniveau. Je mehr gespart wird, desto grösser ist das Angebot an Ersparnissen und desto geringer der Preis für das Gesparte – der Zins. Wird die Bevölkerung älter, so steigt die Sparquote erst einmal an, aber nur bis mehr und mehr Menschen pensioniert werden. Kurz gesagt, Pensionäre wollen ihren Lebensabend geniessen und sie verwenden dafür ihr Angespartes. Dieser Trend führt mittel- bis langfristig dazu, dass zu den Assets der Pensionskassen die privaten Ersparnisse (man kann diese Ersparnisse auch als die dritte Säule identifizieren) auf den Markt kommen und neue Anleger suchen.

Das Ende des «Aufbaus von Ersparnissen» bewirkt nun, dass die Preise für Vermögenswerte, auch die in den Bilanzen der Pensionskassen, tendenziell fallen und die Zinsen steigen, was die Werte von beispielweise Obligationen weiter unter Druck setzt. Nun kann man einwenden, dass die Käufer der zu versilbernden Assets nicht nur in der Schweiz gefunden werden müssen, sondern dass man Vermögenswerte auch international anbieten kann. Doch politisch erscheint es aus heutiger Sicht heikel, die grossen Immobilienvermögen der Pensionskassen in ausländische Hände zu geben. Zudem ist der demografische Wandel nicht nur auf die Schweiz beschränkt, vielmehr wird es in den wichtigsten Volkswirtschaften, bis auf wenige Ausnahmen wie Indien, immer mehr Rentner und weniger Arbeitnehmer geben. Kurz gesagt, global gesehen wird der Anteil der Pensionierten immer weiter zunehmen, während der Anteil der Sparfreudigen, die bereit sind Vermögenswerte zu einem guten Preis zu kaufen, zurückgehen wird.

Vogel-Strauss-Politik muss beendet werden

Die obigen Zusammenhänge scheinen vielleicht zu abstrakt, um zu überzeugen. Man kann das, wovor die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich warnt, aber auch anders formulieren. Pensionierte und insbesondere Pflegebedürftige werden ihr Vermögen in Dienstleistungen eintauschen wollen. Nimmt nun der Anteil derjenigen, die diese Dienste anbieten können und wollen (die «jungen» Arbeitnehmer) in Relation zu den Nachfragern ab, steigt der Preis für die gewünschten Dienstleitungen beziehungsweise man muss den Dienstleistern einen grösseren Anteil an Assets als gedacht für ihre Dienste anbieten. Kurz gesagt, die Vermögenspreise verlieren relativ an Wert.

Welche Möglichkeiten bestehen, die alsbald an­stehenden Probleme zu lösen? Zunächst einmal muss die Politik eingestehen und der Wähler verstehen, dass die bisher diskutierten Sorgen der Rentensysteme nur die Spitze des Eisberges sind. Auf «Neudeutsch» gesagt, müssen wir uns «ehrlich» machen. Ein Ausweg kann eine deutliche Erhöhung des Rentenalters sein. Der Export von Rentnern ins Ausland fällt weg und so werden wir nicht darum herumkommen zu diskutieren, wer die benötigten Dienstleistungen für eine alternde Bevölkerung im Inland für welchen Preis bereit ist zu liefern. Japan, als Gesellschaft im fortgeschrittenen Alter, macht es vor, Rentner helfen Rentnern und Robotertechnik in der Pflege ist eine Teilantwort auf die anstehenden Probleme. Eine weitere Hoffnung ist, dass die Produktivität der aktiven Bevölkerung durch die Digitalisierung und damit das Wirtschaftswachstum im benötigten Umfang steigt. Ein erster Schritt wird aber sein, die Probleme in ihrer Gesamtheit zu diskutieren und die Vogel-Strauss-Politik zu beenden.

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