Forschung & Entwicklung

Blick aus der Wissenschaft

Besser managen mit Youtube

Wie Youtube die Brücke zwischen Theorie und Praxis schlagen kann, und der Blick auf scheinbar Banales auch Wesentliches eröffnen kann. Ein Beispiel: Veränderungsmanagement.
PDF Kaufen

In dieser Kolumne mache ich Sie mithilfe von Youtube zu einem besseren Manager. «Was soll denn das?», fragen Sie sich vielleicht. Auch wenn ich ein derartiges Hinterfragen meines Vorhabens verstehen würde, so muss ich Ihnen doch sagen: Das Lernen mit Youtube ist im Trend. Und dazu noch nützlich. Sie sollten es selbst regelmässig tun. Immer noch zögerlich? Ich versuche, Sie im Folgenden vom Potenzial von Youtube zu überzeugen. Dafür wähle ich das Beispiel Veränderungsmanagement – ein Thema, über das ich im Rahmen dieser Kolumne immer wieder schreibe, weil die Zahl der Fragen von Managern an mich bezüglich der richtigen Begleitung von und Reaktion auf Veränderungen niemals abnimmt. Ich möchte also Beispiele geben, dass Youtube geeignet sein kann, eine Brücke zwischen Praxis- und Wissenschaftswissen herzustellen.

Wir tanzen uns zum Erfolg

Ich muss es schon zugeben: Ich bin ein «Geek». Denn ich denke selbst beim Ansehen scheinbar banaler Youtube-Filme stets an Veränderungsmanagement, eines meiner Leidenschaftsthemen. Ich habe nun drei solcher ganz kurzer und «banaler» Filme für Sie ausgesucht. Und behaupte: Diese drei Filme beinhalten so ziemlich alles, was Sie über Veränderungs­management wissen müssen. Nehmen Sie also Ihren Computer oder Ihr Natel zu Hand, und los geht’s.

Der erste Film («Guy dancing on the hill at Sasquatch») zeigt einen Mann. Der Mann tanzt zu Musik auf einem Musikfestival. Er tanzt allein. Er ist nicht sehr talentiert. Und so lachen ihn diejenigen, die ihm zusehen, mehrheitlich aus. Diese Situation breitet sich über fünf sehr lange Minuten aus; fünf Minuten, in denen auch ich abwechselnd lache und mich «fremdschäme». Aber nach fünf Minuten tritt eine entscheidende Veränderung der Situation ein. Diese Ver­änderung ist im ersten Moment noch völlig unscheinbar. Aber sie löst eine Kettenreaktion aus, die wiederum nur zwei Minuten später dazu führt, dass Hunderte begeistert mittanzen. Innerhalb von zwei Minuten hat sich die empfundene «Lächerlichkeit» des Einzelnen in ein begeistertes und ausgelassenes Miteinander der Vielen verwandelt. Wie konnte dies passieren? Wenn man genau hinsieht, dann beinhalten die ab Minute fünf startenden und über zwei  Minuten zu beobachtenden Veränderungsprozesse grundlegende Aussagen darüber, was (gutes) Ver­änderungsmana­gement in einer Organisation ausmacht: Neues erscheint zu Beginn oftmals unnötig oder gar lächerlich. Einerseits braucht es deshalb in der Anfangsphase einer Veränderung hartnäckige Innovatoren (der erste Tänzer), die bereit sind, trotz Widerstand etwas voranzutreiben. Andererseits braucht es aber genauso mutige «Early Adopters» (der zweite, dritte, vierte und fünfte Tänzer), die bereit sind mitzumachen, obwohl sie sich lächerlich machen könnten. Diese «Early Adopters» sind mindestens genauso wichtig wie der Innovator, weil sie signalisieren, dass ein Mitmachen grundsätzlich möglich, machbar und sicher ist; und sogar Spass machen kann. Sie bilden also das entscheidende Bindeglied zwischen scheinbar nutzloser Innovation und breiter Anwendung.  Von einer Heli­kopterperspektive betrachtet lässt sich weiterhin beobachten, dass gutes Veränderungsmanagement nicht abhängt von einer einzelnen Person, sondern von einem guten Zusammenspiel von Personen, die im Rahmen der Gesamtveränderung jeweils andere Rollen einnehmen. Auch wird deutlich, dass es gerade zu Beginn Freiraum und Zeit braucht, sodass alle Beteiligten ihre Rolle finden und spielen können. Hätte beispielsweise jemand dem ersten Tänzer zu Beginn sein Tanzen verboten, wäre das Potenzial einer Veränderung schon im Keim erstickt worden.

Wir küssen uns zum Erfolg

Der zweite Film («First Kiss») gibt weitere Einsichten in das wichtige Zulassen von Freiraum und Zeit, sodass eine Veränderung sich entwickeln kann. Er handelt von 20 Menschen, die aufgefordert werden, sich zu küssen, obwohl sie sich noch nie zuvor gesehen haben. Für mich ist bei dem Film nun weniger spannend, dass diese 20 Menschen am Ende tatsächlich mitmachen. Spannend aus einer Veränderungs­perspektive finde ich vielmehr die ersten eineinhalb Minuten des Films. Über diese Zeitspanne wird gezeigt, wie sich die Personen auf das Neue – den Kuss – vorbereiten: Sie nehmen Kontakt auf, stellen eine Beziehung her, nehmen Rücksicht aufeinander, rückvergewissern sich der Regeln, klären den Kontext, stellen selbst (implizite) Regeln auf, eruieren Varianten, und dies mit einem Gefühl der Unsicherheit und mit einer die Unsicherheit überwindenden Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit. Sie lassen das Ziel nicht aus den Augen und nutzen die Zeit, um auf ihre Arten und Weisen sich und ihre Rolle zu finden. Wenn wir mehr von diesem Verständnis in unsere Veränderungsprojekte übernehmen könnten, so wäre uns allen geholfen: Dass nämlich jede Veränderung für die Beteiligten etwas Neues und zum Teil Unangenehmes bedeutet und dass für das Anwenden und das Einfinden in eine neue Rolle ein gewisser Freiraum sowie Zeit nötig ist. Die meisten wollen sich durchaus einfinden in das Neue, zögern aber, weil sie noch nicht genau wissen wie und mit wem. Statt dieses Zögern sofort als (aktiven) Widerstand zu interpretieren, ist das beste Rezept in derartigen Situationen die schlichte Gewährung von Freiraum und Zeit für die nötigen Findungsprozesse.

Wir schweigen uns zum Erfolg

Welche Rolle kommt nun jemandem zu, der etwas Neues anstossen und vorantreiben will, dies aber mit der Gewährung des nötigen Freiraums und der nötigen Zeit – und letztlich mit der nötigen Geduld. Dies zeigt der dritte Film («Marina Abramovic e Ulay»). Das Video zeigt die Künstlerin Marina Abramovic, die für knapp drei Monate im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) ihre schlichte Präsenz als «Kunstwerk» zur Verfügung stellte, im Rahmen ihrer Performance «The Artist is Present». Jeden Tag bot sie den Besuchern die Möglichkeit, mit ihr in Kontakt zu treten, aber ohne Worte, nur über ihr schlichtes Dasein, ihre reine Präsenz. Interessanterweise ergaben sich trotz – oder gerade wegen (?) – dieser Limitiertheit der Interaktionsmöglichkeiten sehr emotionale Momente (im angegebenen Kurzfilm wird ab Minute 1:15 auf eine solche emotionale Interaktion fokussiert; als sie auf eine ihr eng verbundene Person trifft, die sie schon lange Zeit nicht mehr sah). In dieser Kraft emotionaler Momente als Folge von schlichter Präsenz steckt meines Erachtens eine wichtige Aussage, nämlich dass es für das Meistern von Veränderungen einerseits viel Visionskraft und Drive braucht, um das Gewollte hartnäckig weiterzutreiben. Es braucht aber genauso die Momente der Empathie gegenüber den von Veränderung Betroffenen. Es braucht Momente des Mit- und Einfühlens und des Anbietens von Unterstützung. Dazu ist auch eine Bereitschaft nötig, sich kontinuierlich für Fragen und Sorgen zur Verfügung zu stellen. Und es braucht schliesslich Momente des Einhaltens und des sich wieder Verbindens, sodass man dann wieder gestärkt und abgestimmt weitermachen kann.

Sie sehen, dass ich im Alltäglichen – selbst in einer Kollektion von Youtube-Filmen – Allgemeingültiges suche; in diesem Fall zum Thema Veränderungs­management. Ich hoffe, ich konnte Sie ermutigen, ebenfalls das Wesentliche gerade auch in «banalen» Quellen zu finden. Wenn Sie also das nächste Mal Youtube benutzen, gehen Sie doch Ihrerseits auch einmal nach dem Wesentlichen auf die Suche. Und wenn Sie eine gute Quelle finden, so würde ich mich über eine Empfehlung freuen.

Porträt